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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Städtische Bühnen Frankfurt: Wie geht es weiter?

Verdrängt das Corona-Virus die Planungsdebatte? – Gefragt sind Kühnheit und Sparsamkeit

Von Uwe Kammann

Eine ewige Baustelle? Die Theater-Doppelanlage, Foto: Uwe Kammann

Theater? Oper? Spricht noch jemand in Frankfurt über diese Kulturschwergewichte und ihre Orte, ihre Häuser? Die Debatte um Sanierung oder Neubau für die beiden wichtigsten Bühnen der Stadt scheint wie Lichtjahre entfernt, seit ein unsichtbares Wesen mit dem Nachnamen Virus das öffentliche Leben in vielen Ländern lahmgelegt hat, gleichsam von gestern auf heute.

Eine Petition fordert den Erhalt: Die große Glasfront der Theater-Doppelanlage, Foto: Petra Kammann

Gestern noch hatte beispielsweise eine Initiative von sich reden gemacht, welche sich vehement dafür ausspricht, zumindest die äußerlich markanten Teile der Theaterdoppelanlage (was für ein Begriff!) am Willy-Brandt-Platz zu erhalten. Ein Offener Brief an Oberbürgermeister und Kulturdezernentin und eine begleitende Online-Petition erreichten schnell in der Kombination eine Liste mit bald 3000 Unterstützern, viele größere und kleinere Namen aus dem Kulturleben sind darunter. Die üblichen Verdächtigen, argwöhnen manche, welche von Protest-Reflexen sprechen, die nicht immer auf solidem Argumentationsfundament stünden.

Das von Zoltán Kemény gestaltete Wolkenfoyer, Foto: Petra Kammann

Hauptinitiator der Petition ist Philipp Oswalt, seit 2006 Professor für  Architekturtheorie an der Universität Kassel. Auf seinem Lebens- und Berufsweg ist er in vielem durch widerständige Positionen aufgefallen, vom Protest gegen die Startbahn West in Frankfurt über die Unterstützung der Friedensbewegung bis zum Protest gegen die Rekonstruktion des Berliner Schlosses und überhaupt das „Preußische“ im Berliner Bauen.

Auch Stationen als Redakteur bei Radio Dreyeckland (alternativ gepolt, gegen Atomkraft) oder bei der linksorientierten Architekturzeitschrift ARCH+ (welche vor kurzem in einem Sonderheft die neue Frankfurter Altstadt als Architektur der neuen ‚Rechten’ in Grund und Boden verdammte) gehören zu Oswalts Arbeitspositionen.

Die Zufahrt zu den Werkstätten, Foto: Uwe Kammann

Die aktuelle, vom 9. März datierte Petition in Sachen Theater hat ein zentrales Ziel: den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zu Fall zu bringen, der einen Abriss der Theaterdoppelanlage vorsieht, zugunsten eines Neubaus von Schauspiel und Oper, sei es in getrennten Häusern, sei es in einem neuen Doppelhaus. Dem stellen Oswalt und seine Mitstreiter/Unterstützer ein Hauptargument entgegen. Wonach das jetzige Gebäude am Willy-Brandt-Platz ein herausragender Bau der Nachkriegsära sei, der in Frankfurt Stadtgeschichte geschrieben und Identität gestiftet habe. Ihn abzureißen bedeute „Geschichtsvergessenheit“.

Fassade, die zum Jüdischen Museum schaut, Foto:Uwe Kammann

Der Beschluss der Stadtparlamentarier, so heißt es weiter, signalisiere eine Baupolitik, welche identitätsstiftende Bauten der Stadtgeschichte auslöschen wolle, um stattdessen neue „Surrogate“ zu schaffen, welche vornehmlich der „Vermarktungslogik eines globalisierten Standortwettbewerbs“ folgten. Mit diesem identitätspolitischen „Re-Engineering“ der Stadt verbinde sich ein problematisches Geschichtsverständnis, das die prägende Bedeutung der Nachkriegsmoderne ausblende.

Kritisiert wird in der Petition auch eine „unzureichende konzeptuelle Debatte“, weiter „das Fehlen einer kritischen Reflexion der Planungsprämissen“ und die „Missachtung denkmalpflegerischer Belange und die Geheimhaltung der fachlichen Grundlagen der Entscheidung“. Das Ergebnis des „mangelhaften Verfahrens“ sei „weder plausibel noch überzeugend“. Notwendig sei jetzt eine „transparente, öffentliche Debatte, wie das zukünftige Stadttheater als ein zentraler Ort bürgerlicher Selbstverständigung der Stadtgesellschaft gestaltet werden kann“.

Stabsstellenleiter Michael Guntersorf, Foto:Uwe Kammann

Michael Guntersdorf, Leiter der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen, welche dem Kulturdezernat angegliedert ist, weist diese Kritik zurück. Den Stadtverordneten hätten alle notwendigen, bestens fundierten Unterlagen zur Verfügung gestanden. Die Letztfassung des Validierungsgutachtens, in dessen Rahmen die einzelnen Sachuntersuchungen des Mitte 2017 veröffentlichten Gutachtens des Hamburger Architektenbüros PFB (beteiligt waren 19 Fachbüros) noch einmal gründlich abgeglichen worden seien, befinde sich in der redaktionellen Schlussphase.

Die Fassade in Richtung Märchenbrunnen und Bahnhofsviertel, Foto:Uwe Kammann

Diese vom Frankfurter Architektenbüro Schneider+Schumacher erstellte Überprüfung (‚Validierung’) bestätige die Basisbefunde der Bestandsaufnahme und die darauf basierenden kalkulatorischen Grundannahmen. Die untersuchten Hauptbereiche beträfen die Statik, die gesamte Haustechnik (von der Klimatisierung bis zur Elektrik), die Theaterfunktionen, den Brandschutz und die Energieeffizienz. Im Endeffekt sei alles „komplett zu erneuern“. Die weitere Funktionstüchtigkeit der bestehenden Systeme sei auf gut acht Jahre zu veranschlagen. Dies gebe folglich den Zeitraum und den Terminrahmen vor, um für Schauspiel und Oper funktionstüchtige Häuser – auch ein gemeinsames Haus sei weiterhin denkbar – zu erstellen.

Gegenüber FeuilletonFrankfurt stellte Guntersdorf (selbst Architekt, der für sein Gesamtmanagement des Wiederaufbaus des Dom-Römerbereichs von allen Seiten viel Anerkennung erfahren hat) klar, dass er aus vielen, besser: allen Gründen den von einem Teil der CDU favorisierten Doppel-Neubau am Osthafen für völlig ungeeignet hält. Diese Auffassung teilen selbst manche Mitglieder der CDU-Fraktion.

Allerdings, nach außen wird von der CDU der Osthafen mit dem Raab-Karcher-Areal (für das noch bis 2028 ein Pachtvertrag besteht, bei einer Option für weitere sieben Jahre, also bis 2035) weiterhin als geeigneter Standort in den Vordergrund gestellt.

Das Raab Kracher-Areal hinter der Hinseil-Brücke, Foto:Uwe Kammann

Einwände (auch aus eigenen Kreisen), dort werde der sinnvolle und wirtschaftlich gebotene Weiterbetrieb des Hafens beeinträchtigt, weist beispielsweise die wirtschaftspolitische Sprecherin der Partei zurück, ebenso wie das funktionale Argument einer völlig unzureichenden Verkehrserschließung und einer fehlenden urbanen Einbindung.

Allerdings: Wie die CDU beispielsweise auf einen Fußweg von 500 Metern kommt, ist völlig rätselhaft; allein die Querung des unwirtlichen Geländes vom Ostbahnhof bis zur Honsellbrücke ist mit gut 800 Metern zu veranschlagen; der Weg – auf eleganten Pumps der Opernbesucherinnen? – dürfte mindestens 20 Minuten in Anspruch nehmen, sicher nicht das größte Vor-Vergnügen, noch weniger bei Wind, Regen, Kälte.

Fehlende Parkmöglichkeiten, notwendige Investitionen in die Infrastruktur (mit entsprechenden Kosten): Das sparen die Osthafen-Befürworter aus. Und erwähnen lieber auch nicht, dass der zentral gelegene Willy-Brandt-Platz bestens zu erreichen ist: zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Straßen- und U-Bahn, mit dem Auto, mit erträglichen Taxi-Kosten. Er ist ein Platz im Schnittpunkt, mit allen Aussichten, bei städtebaulichen Ergänzungen und Korrekturen auch zu einem richtigen Feierplatz zu werden.

Immerhin, zu sehen ist: In seinen jüngsten Äußerungen hat Thomas Dürbeck, kulturpolitischer Sprecher seiner Partei und Haupttreiber der Osthafen-Option, eine weichere, flexiblere Haltung angedeutet, mit einer Abkehr vom strikten Hier oder Nirgendwo. Dass ein (befreundeter?) privater Großinvestor (Groß&Partner, Bauherr des nahegelegenen neuen Hochhaus-Quartiers „Four“) die Geh-Ost-Idee mit einer architektonischen Computersimulation aus dem Büro eines sogenannten Stararchitekten (Rem Koolhaas) aufpeppen wollte, hat der Sache eher geschadet.

Wobei ohnehin im Rücken der Betrachter und Simulatoren die städtische Ödnis komplett ausgeblendet wird. Denn hinter Main und Brücke ist tatsächlich nichts zu finden und zu sehen, außer Gärtnereien-Gemütlichkeit jenseits der Gerbermühlstraße (spricht: als B43 die Schnellschneise nach Offenbach).

Attraktive Spielstätte: das alte Straßenbahn Depot in Bockenheim, Foto:Uwe Kammann

Ansonsten hat sich an der politischen Ausgangssituation nichts geändert. SPD und Grüne plädieren weiterhin eindeutig für ein Verbleiben von Schauspiel und Oper am Willy-Brandt-Platz, können sich aber für eine der beiden Bühnen auch den Standort am Bockenheimer Depot vorstellen, in direkter räumlicher Nachbarschaft zum geplanten Kulturcampus südlich der Bockenheimer Landstraße. Auch ein Standort gegenüber der Alten Oper gehört zum Optionsrepertoire, mit minderem Zuspruch.

Immer mitzudenken: Theoretisch könnte das einen Eingriff in die durch ein ‚Servitut’ geschützten Wallanlagen bedeuten. Hier haben die Grünen vorsichtig eine offene Position signalisiert. Vor allem ihr Fraktionschef Sebastian Popp sieht diese Frage nicht dogmatisch, sondern kann sich Ausgleichsmaßnahmen vorstellen, um die beste funktionale und städtebauliche Konstellation zu ermöglichen.

Ohnehin: Ist bei Grün die Quadratmeterzahl das Wichtigste? Oder sollte es eher um die bestmögliche Gestaltung und Qualität gehen? Die Alte Oper, eine der Ausnahmen vom strengen Wallschutz, ist natürlich eine Steigerung und Bereicherung, wie eine kostbare Gürtelschnalle. Der Parc Monceau in Paris besticht durch seine intime Gestaltung, ist ein vergleichsweise kleines Schmuckstück. Auch beim Grün gilt: Weniger ist oft mehr, vorausgesetzt, es ist von höchster Qualität.

Reizvolle kleine Grünanlage in Paris: der Parc Monceau, Foto: Petra Kammann

All diese Fragen und Möglichkeiten zu erkunden, von der städtebaulichen Einbindung über die funktionalen Voraussetzungen bis zur Verträglichkeit mit dem Bestehenden und den ästhetischen Auswirkungen: das ist jetzt die Hauptaufgabe der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen. Sie prüft Variationen, auf deren Grundlage die Stadtverordnetenversammlung das Vorhaben Neubau – eine Sanierung gilt weiterhin als ausgeschlossen – weitertreiben kann.

Wenn sie es denn unter den Vorzeichen der Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr noch schafft, das Ganze auf solide Füße zu stellen. Ansonsten wäre ein Realbeschluss für den Bau erst frühestens für den nächsten Herbst zu erwarten. Was realistisch – mit Architekturwettbewerb und anschließender Ausführungsplanung – nach grober Schätzung bedeuten würde: Baubeginn 2023, Fertigstellung 2028.

Kommentar:

Auch wenn vielen Beteiligten derzeit der Sinn nach anderem steht und die Prioritäten sich grundlegend verschoben haben, darf der Prozess des Bühnenneubaus nicht zum zwischenzeitlichen Stillstand kommen, sonst könnte die Zeit am Ende mehr als knapp werden. Was dabei ganz sicher nicht gebraucht wird, wie jetzt wieder in der neuen Petition gefordert: eine konzeptuelle Debatte, wie denn das Theaterspielen in zehn, zwanzig, dreißig Jahren aussieht, aussehen könnte. Denn: Das kann niemand voraussagen. Das haben schon die bisherigen Symposien gezeigt, an denen es gerade in der ersten Phase nach Vorstellung der Machbarkeitsstudie nicht gemangelt hat.

Kulturdezernentin Ina Hartwig bei einem der zahlreichen Symposien zur Zukunft der Bühnen und des Theater generell, Foto: Petra Kammann

Die Quersumme der Diskussionen war dabei wenig überraschend. Danach wird es weiter eine Bühne im herkömmlichen Sinne brauchen, auf der Schauspieler/Sänger agieren, denen zugeschaut und zugehört wird. Das zweieinhalb Jahrtausende alte Theater von Epidauros mit seiner Bühne und dem Halbrund der Zuschauerränge ist als Grundform immer noch nicht überholt, sondern das Muster der Dinge. Auch wenn die Lage unter freiem Himmel in einer entrückenden Hügellandschaft nicht zu imitieren ist.

Die einzige logische Schlussfolgerung daraus: Diese Beziehung zwischen Akteuren und Zuschauern sollte so klar sein wie möglich, bei potenzieller Offenheit für Varianten. Aber die zahlreichen Aufführungen von ganz unterschiedlichen Theaterstücken und in der Regel komplexeren Operndarbietungen in externen Spielstätten (wie Fabrikhallen und Industriebauten) belegen: Das alles ist möglich ohne eine hochkomplexe, in jeder Hinsicht perfektionierte Technik.

Eine gewaltige Maschinerie in der Drehbühne des Opernhauses, Foto: Petra Kammann

Fürs stationäre Spielen bedeutet das im Umkehrschluss: Hier kann das Einfache, das vom Aufwand her Reduzierte die bessere Lösung sein. Mancher technische Schnickschnack verbirgt ja eher, dass die Substanz selbst dünn ist; dieser Mangel wird dann übertönt und überspektakelt. Vielfache Erfahrungen belegen, dass gerade die Konzentration (auch der äußeren Mittel) das intensivere Erlebnis beschert. Eines der lange Zeit fesselndsten Theater Europas, das Théatre du Soleil von Ariane Mnouchkine, hat seine Heimstätte in einer aufgelassenen Munitionsfabrik in Vincennes, einem östlichen Viertel von Paris (allerdings Teil des engen Metropolengeflechts).

Konzentration sollte auch das Gebot der Stunde sein, wenn es um die Zahl der jetzt zu erarbeitenden und vorzuschlagenden Varianten geht. Ein Vorschlag, der von der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus seit Anfang der Debatte mit großer Leidenschaft ins Spiel gebracht wird – nämlich die ganze oder teilweise Rekonstruktion des alten Schauspielhauses von 1902, von dem beträchtliche Reste in der jetzigen Doppelanlage stecken –, scheidet sicher aus. Denn dafür zeichnet sich, ganz anders als bei der Rekonstruktion des Altstadt-Areals, keinerlei politische Mehrheit ab.

Blick vom Willy-Brandt-Platz auf die Gallusanlage, Foto: Petra Kammann

Hier hat tatsächlich die Fassade der 60er Jahre, gestaltet vom damals in Frankfurt tonangebenden Architekturbüro ABB, ihre eigene Prägekraft entwickelt und immer weiter entfaltet, als städtebauliche Figur und gebaute Theatermaske, die erkennbar von vielen geschätzt wird. Es handelt sich ja auch nicht um die brutale Betonseligkeit wie bei den gefallenen Schmähbauten des Technischen Rathauses und des Historischen Museums, die immer als Fremdkörper wirkten und denen nur wenige Hardcore-Betonisten eine Träne nachweinen.

Das langestreckte gläserne Theaterfoyer hat hingegen durchaus seine Reize, sowohl beim Außen- als auch beim Innenblick; und die immer wieder herbeizitierten goldenen Wolken sind den Frankfurtern wirklich ans Herz gewachsen.

Blick aus dem Eingangsfoyer nach außen auf den Willy-Brandt-Platz, Foto: Petra Kammann

Das Drumherum der übrigen drei Fassaden des Riesenbaus ist in vielem unsäglich banal bis abstoßend, in seiner Formensprache zudem stark gestückelt und zusammengewürfelt. Da ist nichts zu retten oder unbedingt bewahrenswert, auch wenn ein Abriss des fast neuen Werkstattbereichs mit seinem markanten Stahl-Fachwerk – das aus Sachsenhäusener Sicht durchaus seine Reize hat – schon aus finanziellen Gründen schmerzt.

Aber völlig falsch wäre es, die 60er-Jahre-Fassade jetzt für sakrosankt zu erklären und noch unter Denkmalschutz zu stellen. Einmal würde das andere Lösungen erschweren oder ganz blockieren. Und zum anderen hat die jetzige Platzfassade eine Reihe von Nachteilen. Die Proportionen – hier: das Verhältnis der Länge zur Höhe – sind nicht unbedingt die besten, und der überkragende Foyer-Laufgang lässt den unteren Eingangsbereich gedrungen wirken, zumal dafür auch die Platzkante abgestuft werden musste.

Dass es keine wirkliche Öffnung fürs Publikum gibt, dass die Eingänge eher Mauselöchern gleichen und nicht klar kenntlich sind, dass der „Fundus“ als einzige Gastronomieeinrichtung eher dem Höhlengleichnis Ehre macht: Das alles spricht für eine neue Lösung.

Eine Lösung, die das aber nicht alles zunichte machen muss. Sondern die durchaus aufnehmen und zitieren kann, was die Petitionsunterzeichner jetzt zur stadtdemokratischen Ursubstanz erklären. Das wiederum erscheint, mit Verlaub, als eine kindliche Verklärung, als Beharrungsliebe wie zu einem abgeknutschten Kuscheltier.

Der Bühnenturm der Oper, Foto: Uwe Kammann

Dass gerade diejenigen, die sonst bei jeglicher Gelegenheit nach Fortschritt, nach Hinterfragung aller historischen Konventionen und nach steter systemkritischer Offenheit rufen, hier zu dogmatischen Traditionalisten mutieren, ist schon ein Ironie-imprägnierte Volte. Aber gut, zur Beflügelung architektonischer Phantasie kann das durchaus beitragen – es schärft einfach das Bewusstsein für die Aufgabe, hier eine städtebauliche Form im Ganzen und eine architektonische Grammatik im Detail zu entwickeln, die der aufklärerischen Tradition des Frankfurter Nachkriegstheaters entsprechen.

Wir können sicher sein: Peter Palitzsch und Michael Gielen hätten sich einer solchen Neuerung, welche die mehr als 60jährige Geschichte weiterentwickelt und in eine neue Jugendlichkeit führt, nicht widersetzt. Im Gegenteil. Wenn dabei Glastransparenz und Wolken-Poesie in neuer Interpretation realisiert werden könnten, wäre das natürlich ein großes (auch versöhnendes) Plus – so, wie das bei Oper und Theater doch immer gefordert wird (der Gefahr des nur Modischen ist allerdings energisch entgegenzuarbeiten).

Auch aus der Stabsstelle ist zu hören, dass eine Synthese der bisherigen Ideen durchaus als Zielvorstellung dienen kann. Ein Ideal für das Gesamtmodell Theater/Oper könnte sein (und ist wohl auf dem berühmten ‚Schirm’, sprich: im Kopf von Michael Guntersdorf): das Schauspielhaus auf dem Platz der Euro-Plastik zu errichten, der dafür ausreichend groß ist.

Gegenüber könnte das Opernhaus stehen – wo genau, das hängt von den Möglichkeiten ab, den Verlust von Grün auf der einen Seite durch Zugewinn und Neugestaltung auf der anderen Seite auszugleichen (nicht unbedingt an dieser Stelle). Natürlich wäre auch denkbar, in einem kühnen Entwurf eine Spielstätte auf der Südseite mit einem markanten Turm zu verbinden (auch als Gegengewicht zu den ziemlich sterilen Neubauten auf dem alten Degussa-Gelände). Das wäre ein himmelstürmendes Ausrufezeichen („Neue Oper Nadel“), das unverkennbar zu Frankfurt gehört. Auch wenn der Maßstab des Vergleichs hinkt: Das Rockefeller Center in New York zeigt die Richtung.

Vor 25 Jahren gescheitert: der Campanile-Entwurf von Architekt Helmut Joos, Foto: Büro J.K.S., Frankfurt am Main

Erinnert sich noch mancher an den hinreißenden „Campanile“-Entwurf für einen Stahlskelett-Turm am Hauptbahnhof? Ihn am Willy-Brandt-Platz in einer Variante zu realisieren, in Kombination mit der Oper: Das wäre ein großer städtebaulicher Wurf. Gedanklich stünde sogar schon eine Vision des zweiten Elements zur Verfügung. Denn der studentische Entwurf für einen „Cube“ als Interimsstätte am Bockenheimer Depot hat hohe Qualitäten und wäre eine reizvolle Parallelfigur zur „Campanile“-Grundstruktur.

Doch für eine solche Kombination und damit für eine hohe Verdichtung, so ist gegenwärtig zu konstatieren, wird sich kaum ein Politiker aussprechen. Schon die kapitalkritischen Ressentiments aus der Oswalt-Petition zeigen, wie stark hier mit Emotionen und Grundbefindlichkeiten gearbeitet wird. Es geht hier um Vorurteile, die alle möglichen Vorteile – von teilweisen Refinanzierungs-Möglichkeiten bis zu partiellem Raumgewinn auch für die Bühnen – schon im Ansatz mit ideologischem Furor ins Abseits stellen.

Hier würde schon der amtierende Oberbürgermeister mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Barrikaden gehen, der sich viel lieber mit zeitgeistlicher Technikfeindlichkeit schmückt, und sei sie noch so alltagsfern und wirtschaftsschädlich.

Inzwischen ist auch wieder, dies ein weiterer Lernschritt, ein Verzicht auf eine Zwischenspielstätte denkbar. Das, was Michael Guntersdorf zunächst als unrealistisch bezeichnet hatte, nämlich ein im ersten Schritt geteilter Abriss der Doppelanlage, eine Art ‚Schnitt mit der Kettensäge’, scheint technisch doch möglich zu sein. Das könnte zu folgenden Verfahrensphasen führen:

Studentischer Entwurf „Cube“ für eine Interimsoper am Bockenheimer Depot, Foto: Uwe Kammann

* Zunächst ein Neubau des Schauspielhauses auf dem Euro-Grundstück, bei weiterlaufendem Betrieb der Oper in einer Hälfte der Doppelanlage, während die andere Hälfte abgerissen wird.

* Dann ein Neubau für die Oper auf dem freigeräumten Platz.

* Danach – wenn das neue Haus funktionstüchtig ist – Abriss der zuletzt bespielten Hälfte der jetzigen Doppelanlage und bauliche Komplettierung/Neugestaltung am südlichen Rand des Willy-Brandt-Platzes.

Dieses Manöver würde immerhin tendenziell eine Ersparnis von gut 30 Millionen Euro ermöglichen. Diese Summe war zuletzt für ein Interimsgehäuse für das Schauspielhaus veranschlagt; bei der Oper wären es gut 70 Millionen Euro für eine technisch aufwändigere Zwischen-Spielstätte.

Ja, die Kosten. Hier hat die Stabsstelle ja einen Puffer von 30 Prozent für eine Kombination von Risikozuschlägen und Baukostensteigerung eingepreist, so dass es bei den bisherigen Modellen immer zu einer Endsumme für die komplette Maßnahme kommt, die um eine Marke v on rund 900 Millionen Euro mäandert. Darin ist auch ein ausgelagertes eigenes Produktionszentrum (inklusive Probebühne) mit Investitionskosten von rund 90 Millionen Euro enthalten.

Hier, völlig klar, könnte eine große Summe eingespart werden, wenn ein Teil des dafür projektierten Raumprogramms auf dem jetzigen Grundstück am Südrand des Willy-Brandt-Platzes untergebracht werden könnte – im eben skizzierten Bauprogramm mit einem Turm.

Da könnte gut auch ein kühner Turm den zentralen Standort der Oper markieren: Blick auf das Schauspielhaus von Sachsenhausen kommend, Foto: Petra Kammann

Doch dafür müssten nicht nur die Finanzmetropol-Skeptiker über ihren Schatten springen (der mit dem Begriff „Re-Engineering“ der Stadt etwas nebulös und merkwürdig daherkommt, aber sicherlich etwas Negatives im Schilde führt), sondern auch alle, welche das städtische Grün an genau dieser Stelle in der Gesamt-Summe für unverzichtbar halten.

Und dabei in der propagierten Naturnähe völlig übersehen, dass am nahen Mainufer eine wunderbare Parkfläche besteht, die ihren ganz eigenen Wert hat. Und dazu mit ‚Nizza’ noch einen Namen, der besonderes Grün-Glück verspricht.

Beträchtliche Sparmöglichkeiten liegen auch bei den geplanten Neubauten selbst. Sie stehen jetzt mit gut 500 Millionen für das Ensemble im Plan. Auch Michael Guntersdorf ist überzeugt: Das markiert weder nur ungefähr die Länge der Fahnenstange.

Denn ganz klar: Hier geht es um Interpretationen des Notwendigen, des Wünschenswerten und des Möglichen und die dann daraus abgeleitete bauliche Definitionen dessen, wie ein Theater heute und morgen funktionieren kann, wie es im Regelbetrieb arbeiten sollte, welcher Rahmen dafür der beste ist.

Was bedeutet: Es gibt Spielräume bei der Realisierung von Spiel-Räumen. Wie solche Räume mit sparsameren, auf Modulares setzenden Mitteln gestaltet werden können, das haben gerade vier studentische Arbeiten im Architekturmuseum gezeigt.

Und, Realität: Ein vom Architekturmuseum vorgestellter multifunktionaler Theaterbau in Dresden („Kraftwerk“) hat ebenso wie die vom DAM mit dem ersten Preis ausgezeichnete Transformation des Dresdner Kulturpalastes (eine umfangreiche Sanierung mit großen Neubauanteilen) jeweils 100 Millionen Euro gekostet.

Und es sind beileibe keine Billiglösungen. Exemplarisch zeigt sich der große Spielraum bei aktuellen Museumsbauten.

↑↓ Klarheit und Transparenz für 55 Mio Euro: das neue Folkwang-Museum in Essen von David Chipperfield, Fotos: Petra Kammann

Das wunderbare, vor zehn Jahren eröffnete neue Folkwang-Museum in Essen hat damals weniger als 60 Millionen Euro gekostet; wohingegen eine im Entwurfsstadium völlig misslungene ‚Kulturscheune’ in Berlin (es handelt sich um ein Museum der Moderne) mindestens 450 Millionen in der Endsumme kosten soll (es wird garantiert viel mehr werden).

Der Folkwang-Neubau (entworfen vom englischen Nobel-Großmeister David Chipperfield) wäre übrigens eine schöne Anregung und Vorlage für einen Frankfurter Theater-Neubau, womöglich sogar für eine Doppelanlage im neuen Sinne: indem – wie beim vorhin skizzierten Modell ohne Zwischenlösung – die Neubauten sich hinterher am Willy-Brandt-Platz gegenüberstünden. Sprich: ein bisheriges Nebeneinander wird abgelöst durch ein höfliches Von-Angesicht-zu-Angesicht.

Teile des von Heinrich Seeling gebauten alten Schauspielhauses von 1902 sind noch erhalten, Foto: Petra Kammann

Mit Gesichtern, die filigran sind, offen, einladend. Dafür dürfte man idealiter sogar riskieren, lediglich einen beschränkten Architektenwettbewerb mit ganz klaren Vorgaben zu organisieren. Mit Chipperfield als gesetztem Teilnehmer. Der vielleicht sogar (Musterbeispiel: das von ihm sanierte Neue Museum in Berlin) Teile des Schauspielhauses von 1902 integrieren könnte …

Ach, wahrscheinlich alles nur Träumereien … Träumereien, die ihren Grund in der Zuversicht haben, dass die Beteiligten über ihren Schatten springen. Dass sie also Aufklärungs-Retroromantik, Antikapitalismus-Dogmatik, eitle Repräsentations-Ansprüche, (Nachkriegs-)Moderne-Verklärung und Osthafen-Elbphilharmonie-Illusionen als Ideologie-Folie einfach mal beiseitelassen und sagen: Wir möchten eine Frankfurt-Lösung.

Eine, die dieser so vielfach gewandelten Stadt entspricht, die ihre Häutungen und ihre Turm-Charakteristik in einem Bauwerk so großartig synthetisiert hat, wie dies – allen vorherigen Streitigkeiten zum Trotz – kürzlich besonders gut gelungen ist: nämlich in der Europäischen Zentralbank.

EZB-Ensemble aus Großmarkthalle, Doppelturm und kühnem Keil, Foto: Petra Kammann

Die EZB: eine inzwischen so unbestrittene Bereicherung des Stadtbildes, dass selbst jene das Ergebnis anerkennen und schätzen, die vorher mit großem Wehklagen den von Coop-Himmelb(l)au vorgeschlagenen Riegel durch die frühere Großmarkthalle angegriffen haben.

Wen immer der Autor dieser Zeilen heute dort als Gast hinführt: Im Echo sind Begeisterung und Bewunderung einhellig, nicht zuletzt wegen der Integration der himmelsstürmenden Türme mit der in ihrer Schönheit perfekt restaurierten Großmarkthalle. Ein Sakrileg, eine Denkmalschändung? Nein, das sagt keiner. Sondern: ein Wunder an phantasievoller Klarheit, an optischer Wohltat, an gebauter Exzellenz.

Bis man dies vom Willy-Brandt-Platz sagen kann, wird es noch dauern. Eines allerdings ist dafür eine Grundvoraussetzung: dass die Bankenaufsicht Bafin ihr eigenes Haus – den früheren Turm der Bank für Gemeinwirtschaft, der dann als Interimshaus der EZB diente – nicht weiter so misshandelt wie jetzt.

Schandfleck am Willy-Brandt-Platz: das Sockelgeschoss des Bain-Turmes, Foto: Petra Kammann

Dieses jetzt elende Sockelgeschoss – früher mal beherbergte es eine Einkaufsgalerie, sogar mit einem eleganten Einrichtungsgeschäft, jetzt ist es eine Panzersperranlage rundum –, dieses abweisende Sockelgeschoss ist der Tod für einen belebten Willy-Brandt-Platz. Komischerweise wird das nie erwähnt, wenn vollmundig der Wunsch nach Belebung deklamiert wird. Keiner moniert, dass das frühere halbrunde Cafè (in der Wallanlage!) am Fuß des Bafin-Turms jetzt leersteht, weil die anscheinend von Todesfurcht geplagten Bankenaufseher sich schützen wollen (vor wem eigentlich?).

Wenn bei dieser Nordseite des Platzes nichts geschieht, dann können sich die Planer auf der Südseite noch so große Mühe geben: Aus der Belebung wird nichts. Ach, könnten die Beteiligten aller Couleur (Politik, Wirtschaft, Halb-Politik, Kritische Architektur-Theorie) doch einmal aus ihren zivilen Schützengräben kommen und sagen:

Wir wollen den schönsten Willy-Brandt-Platz der Welt, klar konturiert und attraktiv an allen Seiten von bester Architektur gefasst, offen für mehrere Nutzungen (Kultur, Gastronomie, Wirtschaft, Politik), einladend für Flaneure, zentrale Anlaufstelle für Theater- und Opernfreunde, Parcours für Fahrrad- und Straßenkünstler, Erlebnisraum für Straßenbahn-Passagiere und Kaiserstraßenneugierige.

Ja, wenn es so käme, dann hätte sich alles Bisherige und alles noch Vorscheinende an Debatten gelohnt. Ob es so kommt? Wir wissen es nicht. Nicht unbedingt, weil solche Verfahrensverläufe nur allzu träumerisch erscheinen. Sondern weil heute, am 21. März 2020, alles ungewiss ist. Im Kleinen. Wie im ganz Großen, Stichwort Coronakrise, mit Hunderten von Milliarden Euro im Anschlussmodus. Das hat es in dieser Form in den letzten 75 Jahren tatsächlich so nicht gegeben.

Ein Grund mehr übrigens, jetzt bei den Investitionen ins Gebaute die größte Sparsamkeitselle anzulegen. Theater, das sind vor allem Menschen, viele Menschen – von den weit über 1000 fest Beschäftigten in der Theater-Doppelanlage bis zu den vielen, die als Freie von außen kommen, in immer wieder neuer Konstellation. Sie alle müssen von ihren Einkünften leben können, damit auch Leben in Theater und Oper herrschen kann. Sonst steht am Ende bauliche Pracht – mit totaler inhaltlicher Leere.

Umso wichtiger also für alle Beteiligten, diesen Zusammenhang jetzt zu sehen, ein Zusammenhang, der in Normalzeiten vielleicht nicht einmal als Schatten wahrgenommen wurde. Mithin, es gilt, alle eigenen Visionen nicht nur einmal, sondern mehrere Male auf den Prüfstand zu stellen, um das Wünschenswerte und das Mindest-Mögliche genauestens abzuwägen, ohne den gedanklichen Spielraum zu verkleinern. Voraussehbar falsch wäre jetzt nur eines: das große Projekt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.

Muss dies das letzte Wort sein?, Foto: Uwe Kammann

 

 

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