Die Frankfurter Zeit des Dichters Friedrich Hölderlin
Geld und Geist – Eine biografische Erzählung über Friedrich Hölderlin
2020 wäre der Dichter Friedrich Hölderlin 250 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hätte es zahlreiche Jubiläumsveranstaltungen gegeben. Die Corona-Krise hat leider dazu geführt, dass diese nicht in der geplanten Form stattfinden können. Zum Geburtstag des großen Lyrikers der Weltliteratur am 20. März aber möchten wir Ihnen einen Auszug aus der neuen Biografie von Peter Michalzik „Der Dichter und der Denker – Friedrich Hölderlin, Susette und Jakob Gontard“ (Reclam) vorstellen. Sie beginnt mit einer atmosphärischen Beschreibung der Stadt Frankfurt bei seiner Ankunft im Jahr 1795, wo Hölderlin als Hauslehrer bei dem Bankier Jacob Gontard arbeiten sollte und wo er wohl die glücklichste Zeit seines Lebens verbrachte, nicht nur, weil er sich in die Bankiersgemahlin Susette Gontard verliebte. Der Literaturkritiker Peter Michalzik beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welches Verhältnis der Dichter Hölderlin und der Banker Gontard hatten und ob Hölderlins Liebe zu Susette Gontard tatsächlich so entscheidend für sein Leben war…
Portrait von Friedrich Hölderlin um 1792 (* 20. März 1770 † 7. Juni 1843 ) von Franz Karl Hiemer, Marbach Schiller-Nationalmuseum
Ende 1795 bis Anfang 1796 Frankfurt
„Als die Straßen eng und der Mensch Fußgänger war, als es nachts dunkel war, als Gedanken sich frei anfühlten, als dauernd irgendwo Krieg war, die Winter lang und kalt, als das Ufer der Stadt voller Schiffe und Boote lag, als der Dom die Stadt weit überragte, als das Geld noch wenig war und die Welt groß und verheißungsvoll …
Da war die Stadt klein, aber voller Menschen, da war fast alles dreckig und stank, da gab es eine feste Stadtmauer, die sie beschützte, es gab ein Ghetto für die Juden und es gab wenige freie Plätze – am Römerberg, an der Liebfrauenkirche, am Comödienplatz und am Rossmarkt. Es gab die Zeil, eine breite Straße, und Tore mit schweren Türmen, Stadttore, durch die allein man in die Stadt hinein und wieder aus ihr hinaus konnte. Da steckte
die Stadt, ihrem Ansehen nach, tief im Mittelalter, auch damals einer fernen Zeit, die aber im Gemäuer doch ganz Gegenwart war. Alles war noch schmierig, so grau und braun, so staubig und dunkel.
Ja, Frankfurt war anders als andere Städte: Freie Reichsstadt. Es gehörte dem Kaiser, aber mehr noch seinen Bürgern. Man konnte sich frei fühlen, und es war doch eine enge Gesellschaft, ein starres Gemeinwesen, eine Patrizierwelt. Geld spielte eine andere Rolle als anderswo, wie wenn man hier irgendwann beschlossen hätte, sich das Geld, dieses merkwürdige Werkzeug, zu eigen zu machen.
Seit dieser zugleich offenen und engen Zeit liebt es diese Stadt, sie liebt es seit damals und bis heute, sich immer wieder neu zu erfinden und die Vergangenheit dem Vergessen zu über lassen. Sie mag es gar nicht, sich in die Breite auszudehnen, sie wächst lieber in die Höhe. Und sie wächst, etwas Seltsames und Seltenes, in ihrem Inneren.
Diese Stadt wächst, indem sie sich in ihrem Kern dauernd und immer wieder umbaut, ändert und neu erfindet, so dass schon nach kurzer Zeit niemand mehr weiß, wie sie vorher ausgesehen hat. Sogar alte Karten sind spärlich. So als hätte sich alles so schnell geändert, dass nicht einmal die Kartografen und Grafiker Zeit genug hatten, mit ihren Nachbildungen fertig zu werden, bevor schon wieder alles anders war. Fast niemand in der Stadt weiß heute, wie sie damals ausgesehen hat, wie die Straßen verliefen, wie sich die Häuser für die Menschen anfühlten.
Als das Geld wenig und die Welt groß war, kam ein junger Mann, 26 Jahre alt, aus Stuttgart und Nürtingen nach Frankfurt am Main. Wir wissen nicht, was dem jungen Mann dort als Erstes auffiel. Sicher dagegen ist: Er kam von Sachsenhausen her, dem anderen Main-Ufer, denn er kam von Süden, erst durch das Affentor, dann über die Alte Brücke, von wo aus er den Dom und die Türme der Stadttore sah, dahinter den Bergrücken des Taunus, von wo aus er auch das Gewimmel der Boote und Menschen am Hafen gesehen haben muss. Dann ging es auf das Fischertor zu.
Betreten der Stadt
Wir stellen uns vor, dass es etwa vier Uhr nachmittags war und gerade dämmerte, schließlich war es Ende Dezember, als der junge Mann die Stadt betrat. Es lag etwas Schnee, das Licht war so grau, wie es hier im Winter oft ist. Es war kein strenger Winter, nicht wie im Jahr zuvor, als der Main lange zugefroren war, es war ein ungemütlicher Wintertag von Kälte, Feuchtigkeit und Düsternis.
In der Stadt, die der junge Mann nun betrat, wurden gerade erste Laternen angezündet. War man adlig oder Patrizier, waren es drei Kerzen, die man sich anzünden durfte, war man freier Bürger, zwei Kerzen, war man Bediensteter oder Jude, hatte man nur auf eine Kerze ein Anrecht.
Am Fischertor mussten die Ankömmlinge aus der Kutsche aussteigen, sie waren zu zweit, der junge Mann war zusammen mit einem Begleiter gekommen. Sie packten ihre Habe und warfen sie sich über die Schulter, um dann das letzte, kleine Stück ihrer Reise, in der Stadt, zu Fuß zu gehen.
Am Fahrtor fiel dem jungen Mann vielleicht eine prominente Darstellung auf, die Darstellung eines Schweines, auf dem Menschen ritten, an dessen Zitzen die Menschen tranken und dessen Kot sie aßen. Das Schwein war die Judensau, das Bild war vom Rat der Stadt aufgehängt worden. Klar, die Herren mit den typischen Spitzhüten, das waren die Juden, die hier in Frankfurt so zahlreich lebten.
Der junge Mann ging mit seinem Begleiter die Fahrgasse hinauf, eine breitere Straße, auf der die Waren vom und zum Fahrtor gebracht wurden, es ging weiter die Zeil hinunter, die Frankfurter Hauptstraße, bis zum Rossmarkt. Nun wussten sie nicht mehr, wo sie lang sollten, der junge Mann fragte nach dem Weg und war überrascht, dass er dabei größere Verständigungsschwierigkeiten wegen seines schwäbischen Dialekts hatte. Es
waren nur noch ein paar Schritte, dann sollte das Hotel kommen, Stadt Mainz hieß es, dort würden sie übernachten. Nun war es ganz dunkel. Trotzdem fanden sie das Haus, die beiden Reisenden bekamen ein reichhaltiges Essen, sprachen dabei nicht viel.
Gute Nacht, Vetter.
Jeder ging in sein Zimmer, sie waren auf ihrer gemeinsamen Reise meist früh zu Bett gegangen. So auch jetzt.
Ja, gute Nacht !
Wir wissen nicht, was Friedrich Hölderlin dachte, als er Ende 1795 seine schwäbische Heimat verlassen hatte und in Frankfurt am Main ankam. Wir wissen aber, es war nicht das erste Mal, dass er weg war von zu Hause, er war länger in Walterhausen und Jena gewesen, wir wissen, schon zu Hause war er unbehaust gewesen, wir wissen, dass er Angst hatte, in seiner Heimat zum Pfarrer gemacht zu werden, dass er sich noch nicht traute, sich Dichter zu nennen. Und dass er wegen einer Hofmeisterstelle nach Frankfurt gekommen war.
Geist der Nacht
Wir wissen es selbstverständlich nicht, aber vielleicht ging Hölderlin an diesem düsteren Abend noch einmal hinaus in die fremde Welt der dunklen, kalten Stadt. Vielleicht war er neugierig, vielleicht wollte er nicht mit sich allein sein. Wir stellen uns vor, er ging, mehr zufällig als absichtsvoll, Richtung Römerberg und Dom. Auch jetzt, in der Dunkelheit, war im Schimmer der wenigen Laternen deutlich, dass manche Häuser sehr stattlich waren.
Genau aber konnte man es nicht erkennen. Enge, dunkle Gassen wirkten im spärlichen Licht noch enger und undurchdringlicher. Man konnte das Gefühl haben, verschluckt zu werden. Man konnte Lachen, Reden, Stöhnen, Schreien aus den Häusern hören, alles durcheinander. Lichter bewegten sich, Schatten huschten, meist aber war es so dunkel, dass man gar nichts sehen konnte.
Nachdem Hölderlin so eine Weile durch die Gassen gegangen war, nachdem er sich vorwärts getastet hatte, nachdem er der dunklen Stadt gelauscht hatte, wusste er nicht mehr, woher er gekommen war. Es war nicht Angst, was ihn befiel. Er würde den Weg zurück schon wiederfinden. Und er konnte ja auch fragen. Man würde ihn schon verstehen.
Vor der Angst spürt man Unbehaustheit, eine Verlorenheit, die die Wahrnehmung schärft. Hölderlin hatte das Gefühl, alles, was um ihn herum war, wahrnehmen zu können. Auch das, was er nicht sah oder hörte, alle Häuser, alle Menschen, die Luft und die Dunkelheit, und er spürte, wie diese Unbehaustheit hätte groß und größer werden können, wie sie zu einem dröhnenden Ton anschwellen konnte, der aus allem und jedem herausdrang.
Wie fremd ihm das hier alles vorkam ! War er nicht furchtbar fehl am Platz ? Gehörte er nicht anderswohin ? Vielleicht fragte er sich tatsächlich so. Gehörte er nicht anderswohin, dort, wo es Licht und Wärme und Weite gab?“….
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An Diotima
Schönes Leben ! du lebst, wie die zarten Blüten im Winter,
In der gealterten Welt blühst du verschlossen, allein.
Liebend strebst du hinaus, dich zu sonnen am Lichte
des Frühlings,
Zu erwarmen an ihr suchst du die Jugend der Welt.
Deine Sonne, die schönere Zeit, ist untergegangen
Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nun.
Friedrich Hölderlin
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