Frauen im Fokus: „Resistance & Sensibility“ – Italienische Fotografie im Forum Frankfurt (FFF)
Weibliche Fotografien aus der „Collezione Donata Pizzi“
Von Petra Kammann
„Resistance & Sensibility“ heißt die Ausstellung des Fotografie Forum Frankfurt (FFF), die rund 150 Arbeiten italienischer Fotografinnen von 1965 bis heute zeigt. Die 2014 begonnene Collezione der italienischen Fotografin, Bildredakteurin und in Mailand lebenden Sammlerin Donata Pizzi gehört weltweit zu den wenigen Sammlungen, die ausschließlich Werke von über 70 Fotografinnen verschiedenster Generationen enthält.
Die Sammlerin Donata Pizzi im Gespräch mit Celina Lunsford, der Künstlerischen Leiterin des Fotografie Forums; Foto: Petra Kammann
Wo anfangen, wenn man sich in eine Ausstellung begibt, in der fünf Jahrzehnte italienischer Fotografie verschiedener Generationen mit 150 völlig unterschiedlichen Arbeiten präsentiert werden. Nur eines verbindet sie. Das ist die weibliche Sicht. Doch wo ist da der rote Faden, was das Medium Fotografie angeht?
Spiegelt die Fotografie durchgängig ein genaues Abbild der Wirklichkeit, der Gesellschafts- und Zeitgeschichte, des Empfindens verschiedener Generationen? Ja und nein. Die nicht gerade riesigen Räume des Fotografie Forums sind aber bestens genutzt, die Themen gut zueinander geordnet und miteinander vernetzt.
Die italienische Sammlerin Donata Pizzi, die vor Begeisterung nur so sprüht, ist eben selbst Fotografin, hat als Bildredakteurin für Magazine gearbeitet, bevor sie 2014 begonnen hat, besondere Fotos von Frauen aus dem Zeitraum 1956 bis 2015 zu sammeln, sie hat den Blick, auch den für das Besondere und Andere.
Donata Pizzi erläutert das irritierende Hochzeitbild der Fotografin Tomaso Binga, Foto: Petra Kammann
Die vergleichsweise junge, 2014 begonnene Sammlung der 1957 geborenen italienischen Fotografin, Bildredakteurin und Sammlerin Donata Pizzi aus Mailand gehört zu den weltweit wenigen existierenden Sammlungen mit Werken von ausschließlich Fotografinnen – 270 Werke insgesamt von 70 Künstlerinnen. Tendenz steigend.
Die Sammlerin setzt dabei weder auf große Namen, noch auf Genres, noch auf Fotografen einer bestimmten „Schule“. Sie lässt sich gerne selbst von einem je individuellen Bild antriggern. „In den Arbeiten (…) finde ich einen lebhaften Wunsch, soziale, visuelle und sprachliche Konventionen zu hinterfragen, ebenso einen engagierten und einfühlsamen Blick, der fähig ist, die Geschichten und Leidenschaften von Menschen tief zu verstehen.“
Darum wohl hat sie selbst sich auch am Wochenende nach der Eröffnung im Frankfurter Fotografie Forum als Cicerona angeboten. Die Sammlung hat hier nämlich ihre erste Station im Ausland. Es macht Spaß, ihren Erläuterungen zuzuhören. Pizzi kennt natürlich die Geschichte jedes einzelnen Bildes, weil sie selbst es subjektiv und mit unbestechlichem Blick ausgewählt hat, sie setzt auf den kleinen Irritationseffekt, das ironische Detail, dass man beim genauen Schauen etwas Neues, Hintergründiges etwas Überraschendes entdeckt, das in einem nachwirkt. Kurzum, den künstlerischen Mehrwert.
Dabei macht sie u.a. auf die kleine ,Foto-Installation‘ von Tomaso Binga aufmerksam. Die Künstlerin, die eigentlich Bianca Pucciarelli in Menna hieß, hatte in den 70er Jahren einen Männernamen angenommen, um auch damit auf die Ungleichbehandlung von Mann und Frau, von Künstlerin und Künstler aufmerksam zu machen. Dazu inszenierte sie in den 1970er Jahren in Rom eine vielbeachtete Performance: Sie ließ eine Hochzeitsanzeige drucken und gab damit die Vermählung von Tomaso Binga und Bianca Menna bekannt. Dazu fotografierte sie sich einmal als Braut und einmal als Bräutigam. Das Motiv in den gerahmten Hochzeitsfotos ist Binga selbst als ihr eigenes Modell. Da inszeniert sie sich also wechselweise als Mann und als Frau und … heiratet sich selbst.
Das kann durchaus verstörend wirken. Um ihre Beschäftigung mit der Genderidentität und um soziale Stereotypen glaubhaft zu machen, benutzt Comani Fotografie, Text, Zeichnungen, Archivmaterial, Zeitungsausschnitte usw. in ihren multimedialen Arbeiten. Schon hier ist der Rahmen des reinen fotografischen Abdrucks der Wirklichkeit gesprengt wie auch in etlichen anderen ausgestellten Arbeiten, die eines jedoch immer wieder eint: die weibliche Perspektive der Dinge.
Donata Pizzi erläutert die Reportagefotografie der 60er Jahre, Foto: Petra Kammann
Im Fokus der Schau steht dabei das Leben von Frauen mit ihren Hoffnungen und Illusionen, Empathien, Beziehungen, Kämpfen und Grenzüberschreitungen. Aber auch Bilder von Frauen in politischen Terrorgruppierungen oder frühe Aufnahmen von Transvestiten von Lisetta Carmi, deren Erscheinen zum Zeitpunkt Ihrer Veröffentlichung zwischen 1965 und 1972 sofort zensiert wurde. Die fotografischen Arbeiten aus der „Collezione Donata Pizzi“ zeigen verschiedenste Facetten von Alltag, Gesellschafts- und Zeitgeschichte wie die Kämpfe für Gleichberechtigung oder Geschlechterfragen.
„Resistance & Sensibility“, mit „Widerstand und Einfühlsamkeit oder Lebendigkeit“ könnte man vielleicht den Titel der vielfältigen Schau übersetzen, präsentiert natürlich nicht nur wichtige Phasen und Themen der jüngeren italienischen Fotografie. Donata Pizzi hat ganz bewusst bei den späten sechziger- und frühen siebziger Jahren mit ihrer Sammlung angesetzt, in einer Zeit, als sich die Frauen erst nach und nach die Fotografie eroberten. Da will sie vor allem auch mit ihrer Sammlung die Lücke der Präsentation von Fotografinnen in ihrem Land schließen.
Manche der früheren Fotos der Ausstellung erinnern in ihrer dokumentarisch-erzählerischen Tradition an die italienischen Schwarz-weiße-Filme des Neo Realismo, an Pasolini- oder Fellini-Filme. Es ist der Blick, mit dem zum Beispiel Paola Agosti aus Turin Arbeiterinnen, Mitglieder des italienischen Widerstands und Mitstreiterinnen der Frauenbewegung, aber auch die ländliche Armut dokumentiert. „Und die im Dunkeln“… Dazu gehören Letizia Battaglias schockierende Zeugnisse von den Taten der sizilianischen Mafia.
La bambina e il buio. Baucina 1980 © Letizia Battaglia
Als eine der ersten Fotojournalistinnen in Italien beschreibt die 1935 in Palermo geborene Letitia Battagli in ihren Bildern nicht nur die blutigen Jahre der sizilianischen Mafia, ebenso mutig leitete sie auch von 1974 bis 1991 als erste Frau das Fotografenteam der kommunistischen Zeitung L’ORA in Palermo und gründete die Agentur Informazione Fotografica. Sie gewann zahlreiche Preise, darunter den W. Eugene Smith Grant for Humanistic Photography und den Cornell Capa Infinity Award des International Center of Photography. Auch das ein starkes Statement für eine der frühen emanzipierten Fotografinnen.
Andere Bilder wirken dagegen malerisch und haben doch auch einen speziellen, fast nostalgischen Ausdruck. Die aus Reggio Emilia kommende, heute 43-jährige Künstlerin Simona Ghizzoni erkundet mit ihrer Fotografie in Langzeitprojekten ihre Fragestellungen, welche die weibliche Identität und die verborgenen zeitgenössischen Realitäten sowie ihre persönlichen Geschichte und soziale Themen thematisieren. In ihrer Serie Odd Days reflektiert sie über ihre eigene inzwischen überwundene Magersucht. 2008 gewann sie damit den World Press Photo Award. Heute lebt die Künstlerin in Rom und entwickelt mit der Journalistin Emanuela Zuccalà seit 2015 ein Foto- und Videoprojekt über Genitalverstümmelung.
Simona at my Place, 2019. Aus der Serie »Odd Days« © Simona Ghizzoni
In den Arbeiten der 1987 in Bangkok geborenen Alba Zari können wir sehen, inwieweit sich die Fotografie von der schlichten Wiedergabe der Realität entfernt hat und mit verschiedenen Mitteln experimentiert. Da macht sich die Künstlerin, die als Regisseurin und Dokumentarfilmerin selbst auch ein nomadisches Leben führt, mittels Selbstporträts und Bilderkennungssoftware auf die Suche nach ihrem biologischen Vater. Eines ihrer Arbeitsthemen, die Suche nach ihrer Herkunft, prägt auch ihre introspektive und konzeptuelle Arbeit mit der Fotografie, was sie übrigens 2017 unter dem Titel The Y-Research of Biological Father auch als Buch veröffentlicht hat. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Italien und London.
Blick auf Alba Zaris Arbeit „The Y-Research of Biological Father“, Foto: Petra Kammann
Farbenfroh, heiter und ironisch wirken die Selbstporträts und inszenierten Räume der 1982 in Lucca geborenen Francesca Catastini, in die auch ihre langjährige Begeisterung für Verhaltensforschung und Medizin einfließt. Die Vielseitigkeit des Mediums Fotografie nutzt sie dabei auch zur ironischen Behandlung ihrer Themen und gewann vor kurzem in Wien den Photo Book Award. Die in der Toskana lebende Künstlerin spielt mit Archetypen und Abbildungen, die unser Leben gestalten und unsere Vorstellungen prägen. Ihr geht es um Imaginationsräume, für sie auch in die Natur aufsucht.
Medusa, 2014. Aus der Serie »The Modern Spirit is Vivisective« © Francesca Catastini
Unmöglich, hier alle verschiedene Positionen dieser spannungsreichen Ausstellung vorzustellen. Einen Schwerpunkt der Arbeiten bilden zweifellos die Positionen des Feminismus, aber eben auch die Befragung von Klischees des typisch Weiblichen, so wenn Paola Mattioli 1974 eine Puderdose ihrer Mutter mit Fotos demonstrierender Frauen beklebt. Da lohnt sich der mehrfache Besuch, zumal die Sammlerin im März noch einmal nach Frankfurt kommt.
Die Ausstellung „Resistance & Sensibility“ ist bis 26. April im Fotografie Forum Frankfurt, Braubachstr. 30–32, zu sehen. Öffnungszeiten: Di bis So 11 bis 18 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr. Öffentliche Führungen jeweils mittwochs, 18 Uhr
Wichtig vielleicht der Hinweis, dass es einen Vortrag von Donata Pizzi am 14.0.3. um 18 Uhr gibt, nochmals Führungen mit Donata Pizzi am 15.03 um 15 Uhr und mit der Kuratorin Celina Lunsford am 29.03.2020 um 15 Uhr , dann am 17.03 eine Podiumsdiskussion mit der Fotografin Katharina Dubno und Donata Pizzi in Zusammenarbeit mit dem Frauenreferat, welches die Ausstellung auch „großzügig“ unterstützt hat.