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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Beste Anregungen im Deutschen Architekturmuseum (DAM) für die Theaterzukunft

Ein Interimshaus für die Oper in Bockenheim könnte mehr als ein Zwischenmodell sein

Von Uwe Kammann

Horrende Summen, irrwitzige Kosten: Die „Süddeutsche Zeitung“ spart nicht mit vehementer Kritik an den Zahlen, die heute in der Regel für den Neubau und/oder die Sanierung von Kulturbauten aufgerufen werden. Von Berlin über Köln bis München ist das die Regel. Frankfurt macht keine Ausnahme, seit eine erste Machbarkeitsstudie vor drei Jahren den Sanierungspegel für die Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz auf bald eine Milliarde Euro hat steigen lassen.

Blick in die Ausstellung des DAM: „Interim Oper Frankfurt“, Foto: Petra Kammann

Auch die vom Kulturdezernat einberufene Stabstelle Zukunft Städtische Bühnen hat aktuell einen ähnlichen Kostenrahmen für eine gehobene Sanierung veranschlagt. Daraufhin fiel – auch nach deutlichem Votum durch Kulturdezernentin Ina Hartwig – die Grundentscheidung in der Stadtverordnetenversammlung: keine Sanierung, sondern Neubau, wahrscheinlich zu realisieren in zwei getrennten Häusern für Schauspiel und Oper.

Jetzt dreht sich die Diskussion um mögliche Standorte für die Neubauten, wobei die Platzierung eines der Häuser am herkömmlichen Platz mehrheitlich gesetzt scheint, auch wenn die CDU weiterhin einen Bauplatz im Osten favorisiert, noch hinter der Europäischen Zentralbank: auf einem Grundstück, das bis 2028 vom Baustoffhändler Raab-Karcher per Pachtvertrag belegt ist. Als möglicher Standort für eines der Häuser wird immer wieder der Platz am Bockenheimer Depot ins Spiel gebracht, idealerweise dort, wo sich jetzt die Unibibliothek befindet, deren Bücherschatz in fünf, sechs Jahren zum Unicampus ins Westend wandern soll.

Wegen des Denkmalschutzes für die vom Universitätsbaumeister Ferdinand Kramer entworfene Bibliothek würde es sicher lebhafte Proteste gegen einen Abriss geben – allerdings mit schlechten Argumenten. Denn für das Gebäude – städtebaulich nun wirklich keine Zierde – ist eine sinnvolle Nachnutzung kaum denkbar, und Kramer-Denkmäler gibt es in der Nachbarschaft zuhauf. Wiederum bleiben alle bisherigen Kulturcampus-Ideen an dieser Stelle absehbar nur sehr luftige Großballons, mehr nicht.

Was hingegen auf diesem dem Land gehörenden Grundstück möglich wäre (immer: Abriss der Bibliothek vorausgesetzt), zeigt eine ebenso kleine wie feine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM), in der Giebelspitze des Idealhauses untergebracht, das DAM-Architekt Oswald Mathias Ungers einst in die Mitte des Museums ‚gepflanzt’ hat.

Blick in die Ausstellung des DAM: „Interim Oper Frankfurt“, Foto: Uwe Kammann

Was dort zu sehen ist, dürfte manchem die Sprache verschlagen. Denn unter dem Arbeitstitel „Interim Oper Frankfurt“ haben studentische Arbeitsgruppen aus Hamburg vier bemerkenswerte Entwürfe für eine vorübergehende Behausung der Oper konzipiert und in Zeichnungen sowie in Modellen realisiert. Und zwar in einer Form, bei der zumindest zwei dieser vorgeschlagenen Lösungen spontan ausrufen lassen: Ja, das sind überzeugende Visionen mit realisierungsnaher ‚Erdung’.

Und dies mit einer architektonischen Sprache und Markanz, die hinzufügen lässt: So könnte man sich auch eine endgültige Gestalt der Spielstätte vorstellen (wobei das Schauspiel in der Nachbarschaft des Depots noch sinnvoller unterzubringen wäre als die Oper). Vor allem ein „Qube“, also ein Bau in der Großform eines Würfels, überzeugt sofort, auch und gerade mit seinem städtebaulichen Bezug zum elegant gekurvten Turm der KfW-Bank auf der Gegenseite der Zeppelinallee.

„Cube“ als Interimslösung – das Modell, Foto; Uwe Kammann 

Entstanden sind die Arbeiten in der Academy for Architectural Culture (aac) unter der Leitung von Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz vom hochrenommierten und weltweit erfolgreichen Hamburger Architekturbüro gmp (welches die aac als Stiftung trägt). Wie professionell die Arbeit der Studenten war, lässt sich auch am Zeitrahmen ablesen: lediglich vier Wochen brauchten sie, um ihre Vorüberlegungen zu strukturieren, sie zu verdichten und dann in eine architektonische Form zu bringen, auf der Grundlage von Basisüberlegungen zur künftigen Funktion eines Opernhauses und den daraus abgeleiteten inneren Organisationsstrukturen und Raumlösungen.

Der noch bis zum 23. Februar zu sehenden Präsentation wird vom 25. April bis zum 24. Mai eine weitere folgen, die ebenfalls auf die Findigkeit und die Vorstellungskraft von Studenten setzt. Dann dreht es sich unter dem Titel „“Neue Bühne(n) am Willy-Brandt-Platz?“ um Ideen, die Studenten des Master-Studiengangs Architektur an der Frankfurt University of Applied Sciences unter der Leitung des Architekten Prof. Jean Heemskerk entwickelt haben. Allerdings unter breiteren Aspekten als die aac-Arbeitsgruppen. Die Entwürfe reichen, wie das DAM sagt, von der Großskulptur im städtebaulichen Zusammenhang über eine Teilsanierung der jetzigen Theater-Doppelanlage bis zu einem Bühnenhochhaus als „weltweites Alleinstellungsmerkmal“.

Ein weitere studentische Variante, Foto: Uwe Kammann

Auch diese Präsentation wird, wie die vorhergehende, vom Kulturdezernat unterstützt. Und ist damit die dritte hilfreiche Auseinandersetzung des DAM in Sachen Städtische Bühnen. Denn das Architekturmuseum hatte ja – ganz zentral in dieser so wichtigen Überlegens- und Diskussionsphase zur Zukunft des die Frankfurter Mitte so prägenden Baus der Nachkriegsmoderne – eine Ausstellung konzipiert, die unter dem Titel  „Große Oper – viel Theater?“ eine Reihe von Theater-, Opern- und Konzertbauten (weit- und tiefreichende Sanierungen inklusive) in ganz Europa vorgestellt hat. Mit großem Erfolg, der inzwischen weit ausstrahlt, weil auch andere Städte von diesen sehr anschaulichen Vergleichen profitieren wollen.

Sehr hilfreich waren bei dieser Vergleichsausstellung auch die Statistiken zu den Größen, zu den Kosten und zu den Laufzeiten der Projekte. Auch diese Angaben werden viele Besucher (und Experten!) beeindruckt, mehr noch verblüfft haben, vor allem bei den Kosten. Denn eine so gelungene (und 2019 mit dem DAM-Architekturpreis ausgezeichnete) Sanierung und Umgestaltung des Dresdener Kulturpalastes schlug mit knapp 90 Millionen Euro zu Buche, der Neubau des Schauspielhauses in Kopenhagen mit etwas über 100 Millionen Euro, die Umgestaltung der Oper in Lyon mit 90 Millionen, der Neubau von Theater und Konzerthaus in Heidelberg mit 73 Millionen, das Musiktheater in Linz mit 205 Millionen, ein Konzerthaus im polnischen Szczecin mit 32 Millionen oder die Renovierung des National Theatre in London mit 112 Millionen Euro.

Ein anderer Vorschlag: ein stark gestaffelter Bau, Foto: Uwe Kammann

Natürlich variieren die Größen der Häuser, aber klar ist: Es muss nicht immer oder mindestens die Halbmilliardengrenze angepeilt werden wie in Paris (Philharmonie), auch nicht die 636-Millionen-Grenze überschritten werden wie beim Opernhaus in Oslo. Von der Milliarden-Zielgraden, wie jetzt bei der Sanierung der Stuttgarter Oper avisiert, ganz zu schweigen.

Die Stabstelle in Frankfurt hat unter der Leitung von Michael Guntersdorf für den Neubau eines jeweils eigenständigen Schauspielhauses und einer ebenso eigenständigen Oper vergleichsweise moderat kalkuliert, mit einem Ansatz von 511 Millionen für beide Häuser zusammen. Dazu käme allerdings noch ein Risikoaufschlag von 54 Millionen Euro. Und, nicht zu vergessen, ein gemeinsames – örtlich ausgelagertes – Produktionszentrum wäre bei diesem Modell die notwendige Ergänzung, Kostenpunkt: knapp 100 Millionen.

Dass die Kosten für einen Theaterbau nicht unbedingt mehrere Hundert Millionen betragen müssen, das legen die Studentenmodelle für das Bockenheimer Depot nahe (auch wenn es keine bezifferten Kosten für die Entwürfe gibt). Es kann – das springt sofort ins Auge – auch ganz anders gehen: mit einer einfachen, auf klaren Konstruktionsprinzipien beruhenden und mit preiswerten Materialien zu realisierenden Bauweise. Zu den Vorgaben des aac-Workshops der Studenten gehörten: schnelle Bauzeit, modulares Bauen, flexible Nachnutzung, mögliche Demontierbarkeit und Neuerrichtung an einem anderen Ort, einfache Strukturen. Zugrundegelegt wurde ein Raumprogramm (bei 1300 Sitzplätzen), das auf den Begebenheiten der bestehenden Frankfurter Oper beruht, allerdings auf ein Minimum reduziert, „bei maximal möglicher Qualität des Spielbetriebs mit seinen technischen Grundvoraussetzungen“.

Was angesichts der sonst üppigen Forderungen und Realisierungen bei Kulturbauten wie die Quadratur des Kreises klingt: Es ist, das zeigen die Entwürfe – denen ja offensichtlich der höchst erfahrene Großarchitekt seinen Segen gegeben haben muss –, durchaus möglich. Es gibt, das wird klar, beste Bedingungen fürs Theaterspielen bei einem stark verminderten Kostenaufwand des gebauten Rahmens. Was ja, alles in allem, nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer sparsamen, preiswerten Finanzierung ein ganz großer Vorteil sein kann.

Die Spielstädte Bockenheimer Depot könnte mit einer Interims- oder einer Dauerlösung ergänzt werden, Foto: User:Philipp Gross / adjusted by Eva K. [CC BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

Denn hier verweist Laura Weissmüller im bereits erwähnten Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ auf einen wichtigen Punkt, mit der auch bereits hier in „FeuilletonFrankfurt“ aufgeworfenen Frage: „Muss es wirklich immer die aufwendigste Technik sein? Brauchen all unsere Gebäude überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit den höchsten Komfort, die beste Ausstattung, das neueste Equipment?“ Und mit völligem Recht erinnert sie, überaus naheliegend, an das bestehende Frankfurter Beispiel: „Gerade Oper und Schauspiel Frankfurt haben mit der Spielstätte Bockenheimer Depot, einem ehemaligen Straßenbahndepot, gezeigt, zu was sie auf einer Low-Tech-Bühne fähig sind.“

In der Tat, so ist es. Und nicht nur hier, sondern in vielen anderen Städten, an vielen anderen Spielstätten zeigt sich, dass die Bescheidenheit des Rahmens einen außerordentlichen Reichtum der Inhalte beflügeln kann. Auch dieses Wissen gehört in die jetzige Frankfurter Diskussion, die auch das weiterführen wird und soll, was bereits in einigen Symposien breit erörtert worden ist: Welche Formen des Theaters wird es in Zukunft gegen?

Sind es die bekannten, die herkömmlichen – die aber schon heute in vielfältiger Form aufgebrochen sind? Sind es neue, noch unbekannte? Auf den bisherigen Symposien klang das nicht so. Und als kürzlich eine Frankfurter Theatermacherin aus der freien Szene propagierte, wichtig und dringlich für die Theaterzukunft sei ein Prozess des „Entlernens“, hörte sich das zwar ungewöhnlich und radikal an, aber in welche künftige alltägliche Praxis das münden soll, blieb nebulös.

Denkmalgeschützt: Bau der Zentralbibliothek, Universitätsbibliothek „Johann Christian Senckenberg“ – Architekt: Ferdinand Kramer (1965 fertiggestellt), Foto: aus Wikicreative commons

Hier wird dann womöglich die kommende Präsentation der Frankfurter Studenten neue Wege aufzeigen. Die jetzigen vier Entwürfe zeigen, soweit  sich dies an den Grundrissen und inneren Schnitten ablesen lässt, im Ganzen eher konventionelle Lösungen, auch dort, wo mehr Offenheit angesprochen wird. Wahrscheinlich ist das ohnehin ein eher modisches Ziel, dessen Sinn und Zweck stark überschätzt werden. Denn letztlich verlangt das Theaterspiel eine hohe Konzentration, auf der Bühne und im Zuschauerraum. Experimentalformen, die anderes wollten und auf Expansion in alle Richtungen drängen, sind Randerscheinungen geblieben. Und die vielbeschworenen Cafés? Sind natürlich rund um das Theater ebenso gut untergebracht. Deren Leben braucht die Bude nicht unbedingt im Innern. Wohl aber: eine effiziente Gastronomie für die Pausen.

Klar, dass die studentischen Entwürfe noch kein im einzelnen differenziertes Raumprogramm vorstellen können, auch wenn Grundideen entwickelt werden, wie sie an den Schautafeln abzulesen sind. Das besonders Bemerkenswerte allerdings, und das macht die Präsentation mehr als wertvoll: Es zeigt sich, dass man keine Wolkenkuckucksheime entwerfen muss, um etwas Vielversprechendes auf den Weg zu bringen. Deshalb sollte es zum Pflichtprogramm aller Kulturpolitiker und aller (am Ende ja entscheidenden) Stadtverordneten in Frankfurt gehören, sich diese Modellausstellung im Architekturmuseum anzusehen. Eine Ausstellung, zu der zwar der Arbeitsbegriff „interim“ gehört, die aber durchaus das Potential hat, auf Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit zu verweisen.

Übrigens, bei allen Zahlenräuschen, die derzeit im Schwange sind und mit ihren irren Milliardennebeln schwindlig machen können, sollte man sich an einen Theaterneubau erinnern, den niemand geringerer als Gottfried Böhm errichtet hat; jener Architekt, der mit dem hochangesehen Pritzkerpreis ausgezeichnet wurde und dessen 100. Geburtstag das DAM gerade mit einer wunderbaren Ausstellung zu einem seiner Hauptwerke, der Wallfahrtskirche in Neviges, feiert.

Das Hans Otto Theater in Potsdam von Gottfried Böhm, Foto: Petra Kammann

Böhm hat nämlich in der Stadt Potsdam ein Theater gebaut, das mit seinen weit ausschwingenden roten Betondächern über den gläsernen Fassaden zu den schönsten gehört, die es weltweit gibt. Im Innern ist es dem Prinzip des schwarzen Kastens verpflichtet, wunderbar streng, ohne jeden Firlefanz. Es ist der ideale Rahmen, um den Kern des Theaters zu umfangen und zu steigern: das lebendige Spiel, die an den Augenblick gebundene Darstellung von Mensch und Gesellschaft durch Menschen.

Was hat das Potsdamer Theater – das sich übrigens nicht in der Stadtmitte befindet, sondern sich im Tiefen See spiegelt, mit Blick auf den Babelsberger Park – schlussendlich gekostet, als es 2006 eröffnet wurde? Bitte dreimal beim Blick auf die Zahl durchatmen und es trotzdem glauben: knapp über 26 Millionen Euro. Noch einmal in Worten: sechsundzwanzig Millionen. Großzügig hochgerechnet, wäre es heute wahrscheinlich die doppelte Summe.

Richtig, das Hans-Otto-Theater mit der Adresse Schiffbauergasse 11 ist nicht besonders groß, bis zu 500 Besucher finden Platz, bei einer großen Variabilität in der Saal- und Bühnennutzung. Aber der Bau schließt auch einen großzügigen Werkstattbereich mit ein, den auch die Bühnen Brandenburg und Frankfurt/Oder im Verbund nutzen.

Von Frankfurt über Potsdam nach Frankfurt: Das wäre doch mal eine schöne Reise. Um mindestens eines zu lernen: Die preußische Tugend der Sparsamkeit kann sehr Schönes hervorbringen. Das würde übrigens auch gelten, wenn dieses Prinzip an anderer Stelle verwirklicht würde. Auch am Willy-Brandt-Platz würden die studentischen Prototypen für ein modernes Theater der Sparsamkeit eine beste Figur abgeben.

Und ein weiteres könnte man auf dem Umweg über Potsdam als besonderen Wert beherzigen: Alter kann durchaus adeln. Gottfried Böhm lebt schließlich noch. Und den Zeichenstift hält er, wie berichtet wird, immer noch täglich in den Händen.

Böhm und die Architekturstudenten aus Hamburg: Das wäre doch eine ideale Kooperation. Man wird ja noch träumen dürfen …

 

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