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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Rodelinda, Regina De Longobardi“ von Georg Friedrich Händel im Opernhaus Frankfurt

Hass, Schmerz, Liebe – Ein Auf und Ab der Gefühle

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

„Rodelinda“, Das Dramma per musica  ist die Nummer 19 von 42 Opern, die Georg Friedrich Händel komponierte. Zum ersten Mal ist sie, die am 13. Februar 1725 in London uraufgeführt wurde, in der Oper Frankfurter zu sehen. Für diese Produktion, die am 12.Mai Premiere hatte, haben sich vier Opernhäuser zusammen getan: im Teatro Real war „Rodelinda“, realisiert durch das Inszenierungs-Team, das auch in Frankfurt aktiv ist, bereits 2017 zu erleben. Über die Opéra de Lyon und das GranTeatre del Licieu, Barcelona, ist die Produktion nun hier angekommen. Begeisterter Beifall für alle Künstler.

Andreas Scholl (Bertarido) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio)

Flavio, der Sohn

Von Kinderhandschrift werden während des Vorspiels Stammbaum-Informationen auf den geschlossenen Vorhang gekritzelt: Rodelinda und Bertarido sind ein Paar, ihr Sohn Flavio ist geschätzt 12, 13 Jahre alt. Dieser Junge singt keinen einzigen Ton und spricht kein einziges Wort wird aber im Operntext von Nicola Francesco Haym, der auf einem Libretto von Antonio Salvi und auf einer Tragödie von Pierre Corneille basiert, immer erwähnt.

Flavio steht für den Regisseur Claus Guth, der für seine Frankfurter Inszenierungen „Daphne“ und „Pelléas et Mélisande“ den FAUST Theaterpreis erhielt, im Brennpunkt.

Und wie der kolumbianische Schauspieler Fabián Augusto Gómez Bohórquez die Idee des Regisseurs umsetzt, ist großartig, einmalig. „Verfolgt man das Geschehen durch seine Augen, spürt man, welch extreme Zustände die Figuren durchlaufen [..] Gerade, was die Emotionen der Mutter betrifft: Sie hält ihren Mann für tot (und ihr Sohn mit ihr), da steht er plötzlich lebendig vor ihr“. Es ist Familienkrieg total, so Guth im Gespräch mit Dramaturg Konrad Kuhn. (Programmheft). Flavio verarbeitet seine Alpträume, indem er zeichnet. Seine Kinderzeichnungen werden auf das Bühnenbild projiziert und seine Schreckensbilder von grotesken Maskenfiguren (Choreograf Ramses Sigl), die das Elternhaus mehr und mehr okkupieren, verlebendigt.

Vorgeschichte und Handlung

Es ist wichtig, die Vorgeschichte zu kennen: Ariberto, König der Langobarden, hat sein Reich zwischen seinen Söhnen Gundeberto und Bertarido aufgeteilt. Gundeberto soll in Pavia, Bertarido in Mailand herrschen. Es gibt Streit und Gundeberto ruft Herzog Grimoaldo zu Hilfe und verspricht ihm die Hand seiner Schwester Eduige. Dazu kommt es nicht, denn Bertarido tötet seinen Bruder und flieht vor Grimoaldos Übermacht. Seine Frau Rodelinda und seinen Sohn Flavio lässt er zurück.

Lucy Crowe (Rodelinda), Maskenfigur (Tänzer) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio; kniend)

Der 1. Akt beginnt mit der Trauer Rodelindas, die ihren Mann für tot hält. Grimoaldo, der neue König, wirbt um sie, wird aber immer wieder zurück gewiesen. Eduige verlangt von ihm die Einhaltung des Eheversprechens. Er will sie aber nicht mehr heiraten, denn solange er noch nicht König war, war sie nicht bereit, seine Frau zu werden. Grimoaldo holt den Rat von Herzog Garibaldo, seines angeblich Verbündeten, ein. Härte gegenüber beiden Frauen schlägt er vor. Garibaldo gaukelt Eduige Liebe vor, um selbst die Königskrone zu erlangen.

Dann taucht Bertarido verkleidet vor dem Schloss auf und sieht seine Grabplatte. Er beklagt sein Schicksal: „Dove sei, amato ben – wo bist du Geliebte.“ Diese sehnsuchtsvolle Arie wird sofort nach der Uraufführrung populär.

Grimoaldos Berater Unulfo, der Bertarido nach wie vor treu ist, rät ihm, sich noch versteckt zu halten. Er wird aber Zeuge von Rodelindas und Flavios Trauer. Grimoaldo taucht plötzlich auf und nimmt den Jungen als Geisel. Daraufhin willigt Rodelinda in die Heirat ein, um Flavios Leben zu retten, fordert aber als Hochzeitsgeschenk den Kopf von Garibaldo. Der König beruhigt ihn: er werde ihn schon schützen. Bertarido ist überzeugt, dass Rodelinda eingeknickt ist, ihm untreu wurde.

Im 2. Akt. bricht sich der Hass Bahn. Eduige, die Grimoaldo immer noch liebt, begegnet Rodelinda und misshandelt sie. Rodelinda ihrerseits fordert vom König, den sie vorgibt heiraten zu wollen, dass er vor ihren Augen den Sohn Flavio tötet. Grimoalda ist entsetzt und will dieses Verbrechen nicht begehen. Der böse Berater Garibaldo macht ihm klar, dass ein Tyrann nur herrschen könne, wenn er grausam ist. Unulfo ist schockiert über diese These, hofft aber auf Einsicht des Königs, der sich selbst bemitleidet und seinen Liebesschmerz als Metapher des eingekerkerten Herzens deutet.

Rodelindas Standhaftigkeit durchzieht die ganze Oper. Sie gibt nicht auf und behält das Heft in der Hand: „Spietati, io vi giurai – Verräter, hört meinen Schwur“. Die Figur der Titelheldin wird kompositorisch erneut gestärkt.

Bozidar Smiljanic (Garibaldo), Katharina Magiera (Eduige) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio) sowie oben Lucy Crowe (Rodelinda)

Eduige, zufällig im Garten, erkennt ihren Bruder Bertarido, der ihr zusichert, keine Königsmacht anzustreben, sondern nur Frau und Sohn retten zu wollen. Es spitzt sich dramatisch zu, als er sich seiner Frau zu erkennen gibt und Grimoaldo das Paar in Umarmung antrifft. Sofort lässt er Bertarido verhaften und ordnet seinen Tod an. Das Abschiedsduett des Paares ist voller Schmerz: „Io abbraccio – ich umarme“.

Im 3. Akt bekennt sich Eduige zu ihrem Bruder und verbündet sich mit Unulfo. Sie lässt Bertarido aus dem Kerker befreien – eine hochspannende Szene. Zum zweiten Mal glaubt Rodelinda, ihr Mann sei tot. Dieser aber ist befreit und verhindert die Ermordung des schlafenden Grimoaldos, indem er Garibaldo tötet. Bassbariton Bozidar Smiljanic, neu im Ensemble, verkörpert und singt den Bösewicht überzeugend.

Ende gut, alles gut. Die Familie ist wieder vereint. Dramaturg Konrad Kuhn nennt Händels „Rodelinda“ eine der wenigen Barockopern, „in denen die Charaktere mit einer solchen psychologischen Tiefenschärfe, dramatischen Kohärenz und zugleich musikalisch so vielfältigen Mitteln gezeichnet ist.“ (Zitat aus dem Programmheft-Beitrag „Bertarido – entthronter König, empfindsamer Liebender, großmütiger Held.“)

Bertarido ist eine zwiespältige, auch schuldhafte Figur, die erst am Ende zur Größe gelangt. Rodelinda ist dagegen eine gradlinige, standhafte, selbstbewusste Figur. Sehr modern. Die Oper ist eine Hommage an die unbedingte Liebe, aber auch an die Kraft und Stärke des Menschen, der fähig ist, solche Qualen und Schmerzen auszuhalten.

Martin Mitterrutzner (Grimoaldo) und Bozidar Smiljanic (Garibaldo)

Das repräsentative Schloss, in dem sich alles abspielt, zeigt sich von seiner Fassade, dann geht die Drehbühne in die Privaträume und ins opulente Treppenhaus, Sinnbild der Macht.

Dieses ausgefallene Bühnenbild, das immer wieder in Bewegung ist, schuf Christian Schmidt, der auch die Kostüme entwarf. Es sorgt für einen lebendigen Ablauf. Joachim Kleins Lichtdesign gelingen faszinierende Schattenspiele.

Die Natur, die neben den Schauplätzen der verbissenen Machtkämpfe eine entscheidende Rolle spielt, wird durch Videos von Andi A. Müller herbei gezaubert.

Die Musik – die Arien – die Sängerinnen und Sänger – das Orchester

Die Musik, die Arien, die Georg Friedrich Händel (1685 – 1759) komponierte, sind von betörender Schönheit. Andreas Scholl, ehemals Kiedricher Chorknabe, heute weltweit gefeierter Countertenor, der im Rheingau zuhause ist, liebt die Rolle des Bertarido mehr als die des Giulio Cesare, die er bereits an der Oper Frankfurt sang.

Nicht schöner kann Schmerz komponiert und gesungen werden wie in der Arie „“Con rauco mormorio – Mit heiserem Murmeln“. Szenenbeifall.

Den auch Lucy Crowe als Rodelinda immer wieder bekommt. Die gebürtige Engländerin, deren wunderbarer Sopran weltweit gefragt ist, sang die Rolle bereits in der Guth-Produktion in Madrid. Sie gefällt auch durch ihre einprägsame schauspielerische Darstellung. Das Abschiedsduett Rodelinda – Bertarido gesungen von Crowe – Scholl rührt ans Herz.

Glücklich endet es auch für Grimoaldo, der sich gewandelt hat. Er verzichtet und überlässt Bertarido den Mailänder Thron und will Eduige zur Frau nehmen. Martin Mitterrutzner, der Tenor aus Tirol, der sieben Jahre im Ensemble war, der zuletzt als Camille in der Lustigen Witwe sang, nun aber europaweit unterwegs ist, debütiert jetzt in einer Händel Oper. Bisher kannte man ihn vor allem als Mozart-Interpret. Auch er wurde vom Publikum für seine großartige Leistung gefeiert genauso wie Katharina Magiera als Eduige. Die bei Hedwig Fassbender an der hiesigen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ausgebildete Altistin, begann 2008 im neu gegründeten Frankfurter Opernstudio und ist seit zehn Jahren Mitglied im Ensemble. Eine schöne reife Stimme mit Tiefe..

Jakub Józef Orliński (Unulfo)

Last not least Unulfo, der ein Doppelspiel treibt, und dadurch die Fäden in der Hand hält. Die Rolle ist bestens besetzt mit dem polnischen Countertenor Jakub Józef Orlinski, der am Schluss Rad schlägt. Seine Breakdance-Künste zeigte er bereits in Händels Oper „Rinaldo

Andrea Marcon, der international anerkannte Dirigent, Cembalist und Organist, ein Spezialist für Alte Musik, entlockte dem Frankfurter Opern-und Museumsorchester zarte Töne bei Schmerz und Liebesleid und Fortissimo-Töne bei Wut und Streit. Musiziert wird auf Originalinstrumenten. Das machte den Abend aussergewöhnlich. Ein fabelhafter Hörgenuss, Händels Musik kann neu erlebt werden. Marcon war begeistert, von der Bereitschaft des Orchesters, seinem Wunsch zu folgen..

Weitere Aufführungen mit deutschen und englischen Übertiteln am 17., 19., 23., 25. und 30. April anschließend Oper lieben mit Marcon, Orlinski, Scholl und Intendant Loebe, sowie am 1. und 8. Juni.

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