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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Interview mit dem Architekten Andreas Moser von cma cyrus|moser|architekten, Frankfurt

Wohnhochhäuser und Städtisches Leben am Puls der Zeit

Zwischen Bockenheim und Westend an der Frankfurter Senckenberganlage ganz in der Nähe des Tyrannosaurus Rex entsteht seit einiger Zeit ein neues Hochhaus, das One Forty West – ein Hochhaus, das Wohnen, Gastronomie und Hotel auf über 51.000 Quadratmetern in der Vertikalen verbindet. Setzt das vom Frankfurter Büro cma Cyrus Moser Architekten entworfene Gebäude gerade wegen dieser Mischung neue Maßstäbe für neue Bauten in der Mainmetropole? Petra Kammann sprach mit dem Architekten Andreas Moser über die Möglichkeiten heutigen Bauens in der Stadt, über Projektentwickler und Markenbotschafter.

Architekt Andreas Moser, Foto: Petra Kammann

Petra Kammann: Als Architekt bauen Sie an der Geschichte einer Stadt mit. Was hat der Brand von Notre-Dame bei Ihnen ausgelöst?

Andreas Moser: Notre-Dame gehört natürlich zu den international bekannten Ikonen der Baugeschichte, die Zeitzeugen der damaligen Weltordnung sind. Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie das so rekonstruieren werden, dass am Ende nur noch die Geschichte bleibt, dass es gebrannt hat. Unsere heutigen Häuser hingegen funktionieren ganz anders, weil wir heute völlig andere Bedürfnisse haben. Mich interessiert Baugeschichte nur insofern, als man da positive Anleihen machen kann. Heute wird kein Notre-Dame mehr gebaut, nicht nur, weil wir vergessen haben, dass das eine sehr schöne Bauform war. Wenn mal eins unserer Häuser brennen würde, fände ich das auch sehr schlimm. Aber es ist formalgeschichtlich eben nur ein Haus und keine Kathedrale. Insofern kann ich mich nicht dem Baumeister von Notre-Dame vergleichen.

Den meisten Architekten gefällt die neue Frankfurter Altstadt nicht. Haben Sie damit auch ein Problem?

Es gibt Architekten, die mit sehr vielen Themen ein Problem haben. Ich gehöre nicht dazu. Das heißt nicht, ich würde alles bauen, sondern wir haben eine klare Vorstellung von dem, was wir bauen wollen. Ich kann aber auch akzeptieren, dass es andere Ansätze gibt. Aber man sollte keinen Dogmen folgen. Es geht um die Bedürfnisse. Im Mittelalter war es eben ein Bedürfnis, eine Kirche zu bauen. Und wenn ich an dem Puls der Zeit und an dem Bedürfnis der Bürger bleibe, dann werde ich, wenn ich wachsam durch die Welt gehe, immer wieder neue Ausdrucksformen dafür finden. Ob das ein tragfähiges Konzept sein wird, ist davon abhängig, wie schnell sich die Bedürfnisse der Gesellschaft ändern. Wenn man sich das Römer-Areal anschaut, kann man natürlich geteilter Meinung dazu sein. Ich finde es sehr schön, dass sie es gebaut haben, weil die Diskussion aus der Theorie in die Praxis gekommen ist. Das allein zählt für mich.

Senckenberg-Quartier in Blickrichtung Messe, Foto: cma

Kommen wir zu den Frankfurter Hochhäusern. Sie bauen gerade im Senckenberg-Areal einen Wohnturm, das One Fourty West. Hat der Hochhausentwicklungsplan von 2007 noch eine Bedeutung für Sie? Sehen Sie, dass Frankfurt sich überhaupt hochhausmäßig noch weiter entwickeln kann?

Auf jeden Fall. Frankfurt hat bauhistorisch nicht so viel zu bieten. Und dazu gehört nun mal die charakteristische Skyline. In den Hochhäusern waren meist die Banken, die allerdings gerade eine Art Niedergang erleben. Ansonsten ist Frankfurt ein kleines Dorf, nicht einmal eine Millionenstadt. Wenn wir subjektiv darunter leiden, mit welchen Problemen wir zu tun haben, dann spielt das im internationalen Vergleich eine geringe Rolle. Wir hatten gerade eine Delegation aus Beijing hier. Da handelt es sich um eine Metropole, die in den letzten fünf oder zehn Jahren um circa 5 Millionen Einwohnern gewachsen ist. Berlin hat auch heute noch keine 4 Millionen Einwohner und auch nicht einmal in seinen besten Hochzeiten. Beijing wächst dagegen innerhalb von 5 Jahren um die Größe von Berlin.

Ist die Architektur in den asiatischen Megacities denn für Sie ein Vorbild? 

Wir sind im internationalen Vergleich einfach nicht mehr als eine hessische Metropole, stehen global aber in einem größeren Kontext. Die regionalen Märkte funktionieren nun mal nicht mehr. Die Skyline von Frankfurt ist bemerkenswert, weil es in Deutschland keine andere Stadt gibt, die sie hat. Der Hochhausrahmenplan ist ein typisch deutsches, bestens organisiertes Instrument, um das Wachstum in einer kleinen Stadt wie Frankfurt möglichst erträglich zu gestalten. Der Hochhausrahmenplan ist aber nun mit seinen Baufeldern am Ende. Für uns Architekten hat das keine so große Auswirkung, eher bei den Bestellern der Hochhäuser, den Projektentwicklern. Die brauchen die „Spielwiese“, wo sie die Hochhäuser hinstellen können. Und wenn es einen Markt dafür gibt, kalkuliert der Entwickler das Risiko von vornherein mit ein und wird das Produkt entstehen lassen. Wir Architekten sind „nur“ diejenigen, die ihn bei der Umsetzung der Idee begleiten. Wir versuchen, die Bedürfnisse, die in der Gesellschaft vom Entwickler gelesen worden sind, in eine entsprechend gute Ausdrucksform zu bringen, die auch in der Gesellschaft eine positive Resonanz findet.

Sie sprechen als Architekt ganz selbstverständlich von Entwicklern. Sie selbst arbeiten mit Groß & Partner. Sind Projektentwickler heute denn die Voraussetzung dafür, dass sich eine Stadt wie Frankfurt überhaupt weiter entwickeln kann?

Auf jeden Fall. Wenn Sie sich fragen, welche Privatperson eine Investition von zwei- oder dreihundert Millionen Euro tätigen kann, würden mir nicht so viele Menschen einfallen. Hier wird ja kein Öl produziert. Insofern würde ich wetten, dass die Skyline dürftiger aussehen würde, wenn es bestimmte Entwickler nicht gäbe. Man muss begreifen, dass solche Häuser nicht aus einem Gutmenschentum heraus entstehen. Wir leben nun mal in einem zum Utilitarismus verkommenen Kapitalismus. Und jeder, der eine Investition tätigen kann, tut das, um am Ende damit Geld zu verdienen. Solche Projekte kann es ohne Entwickler einfach nicht geben.

Blick vom One Forty West auf Frankfurter Hochhäuser, Foto: ©Commerz Real

Nun besteht ja eine Stadt aus Dichte und Freiraum, was eine wichtige Voraussetzung zum Atmen ist. Insofern nehme ich an, dass Sie als Architekt auch an kleineren Objekten wie Privathäusern oder Mehrfamilienhäusern Interesse haben. Sieht es da genauso aus?

Ja. Es gibt immer eine Trias mit sich gegenseitig bedingenden Elementen: auf der einen Seite den Auftraggeber, der ein Mehrfamilienhaus bauen möchte, dann den Architekten und Bauaufsicht oder Stadtplanungsamt als Vertreter der Gesellschaft. Der braucht dann zunächst einmal ein entsprechendes Grundstück. Doch sind auch diese Grundstücke sehr rar gesät, weil wir keine freien Flächen mehr haben. Also ist der Preis dafür sehr hoch. Der hohe Grundstückseinstand bewirkt bei der Villa ein niedriges Restkapital für das Erstellen des Hauses, da nur ein Budget vorhanden ist. Beim Anlageobjekt dagegen muss soviel Miet-/ verkaufbare Fläche wie möglich erzeugt werden, um durch den höheren Ertrag die hohen Einstiegspreise für das Grundstück zu kompensieren.

Da ist der Architekt völlig außen vor. Da geht es rein um die mathematische Betrachtung. Am Ende haben dann alle das Ziel: „Maximiere mir den Profit“. Zunächst begleitet institutionell das Stadtplanungsamt oder die Bauaufsicht als Interessensvertreter der Gesellschaft den Ausgleich der privaten und gesellschaftlichen Interessen. Und dann erst kommen die Architekten ins Spiel, die versuchen, eine konstruktive Lösung zu finden, die für beide Seiten befriedigend ist.

Natürlich bringen wir auch unsere eigenen Interessen mit, d.h. wir können dabei versuchen, Auftraggebern das Aberwitzige auszureden, denn in dieser Phase werden häufig Scheindiskussionen geführt. Das heißt: Noch bevor wir starten, wurden uns schon die Beine hinter dem Kopf zusammengebunden, dabei sollen wir aber während der Mediation noch eine elegante Figur machen. Wir stellen uns dann öffentlich zur Schau, müssen uns für alles in Frage stellen lassen, versuchen gleichzeitig aber, Qualität ins Spiel zu bringen.

Wenn wir zurückblicken, so gab es im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhunderts in Frankfurt auch schon einmal so etwas wie einen Stadtentwicklungsplan, aus dem u.a. das Westend, die Alte Oper, der Alleenring etc. hervorgegangen sind, dann in den 1920er und 30er Jahren „Das Neue Frankfurt“. War das eine Art Vorläufer dessen, was Sie gerade beschrieben haben?

Ich komme nochmal auf den Hochhaus-Rahmenplan: Da gibt es hier nur noch ungefähr fünf, sechs offene Baufelder. Und dann ist Schluss. Die Stadt hat erkannt, dass wir jetzt einen neuen Hochhausrahmen brauchen. Den Hochhausrahmenplan fortzuschreiben, wird in der ständig komplexer werdenden Gesellschaft allerdings immer schwieriger. In der Zwischenzeit wird es wohl darauf hinauslaufen, dass man unabhängig von der Entwicklung und der Verabschiedung dieses neuen Hochhausplans eine Zwischenzeit ausrufen wird, in der man städtebauliche Verträge und neue Baufelder im Einzelnen prüfen wird, um sie in einem Gesamtkonzept aufgehen zu lassen, um kontraproduktive Entwicklungen zu verhindern. Deswegen ist es sinnvoll, den Plan fortzuschreiben, weil er ein Anlageprodukt, gleich in welcher Nutzung, nach sich zieht. Denn in den kommenden Jahren wird in Frankfurt immer noch weitergebaut werden, dafür brauchen wir nun mal viel Flächenpotenzial.

Unabhängig von dem doch insgesamt eher kleinen Hochhausareal, ist die Dichte in Frankfurt eigentlich nicht sehr ausgeprägt. Sehen Sie noch andere Erweiterungsmöglichkeiten?

Wir sind meines Wissens von der Einwohnerzahl die fünftgrößte Stadt Deutschlands, liegen flächenmäßig aber ganz hinten auf der Skala. Hinzukommt, dass sich im Kleinbürgertum Frankfurts herauskristallisiert hat, dass man Liebgewonnenes nicht gerne für Schlechteres abgeben möchte. Der neutrale Begriff der Dichte kann also zunächst einmal der eigentliche Wegbereiter für Nutzungsmischung, Begegnung, Austausch, Urbanität, Geisteshaltung sein. So gesehen würde ich es sehr begrüßen, wenn wir in Frankfurt sehr vieles nachverdichten könnten. Wegen der fehlenden Flächenressourcen entstanden früher aus völlig anderen Bedürfnissen Gartenstadtsiedlungen wie die von Ernst May. Das kann für nach vorne gerichtete Stadtentwickler und Architekten heute in Punkto Dichte jedoch kein Leitbild mehr sein, das sich in der dargebotenen Bauform wiederholen ließe. Wohl aber lässt sich das Bedürfnis nach Lebensqualität, nach Wohlfühlen verstehen und auch anders umsetzen. Man kann es auf die heutige Zeit transformieren, indem man versucht, mit mehr Dichte das Gleiche nachzuspielen. Aber das lässt sich nicht miteinander vergleichen. Dichte ist etwas, was in den Köpfen der Menschen – oft auch zurecht – negativ belegt ist, weil Projektentwickler Dichte so gesehen haben, dass man jeden beliebigen Mist bauen kann, der die Bedürfnisse der Gesellschaft nicht berücksichtigt, weil nur der Gewinn im Vordergrund stand, was zu dem Urteil führte: Dichte ist schlecht. Aber wir brauchen ein Umdenken in den Köpfen der Entscheider, der Entwickler und der Gesellschaft. Anders können wir neue Ideen nicht weiter nach vorne bringen.

Von der Skybar des One Forty West aus lässt sich die Dichte des Frankfurter Zentrums besonders gut ermessen©Commerz Real

In Frankfurt gibt es Hochhaus-Cluster wie zum Beispiel das Deutsche-Bank-Areal, Architekturbüros wie das von Bjarke Ingels, das nun auch hier beteiligt ist oder ingenhoven architects, haben bewiesen, dass es selbst in New York, Torronto oder Singapur möglich ist, interessante Objekte mit diverser Nutzung und sozialer Abstufung innerhalb eines größeren Gebäudes zu schaffen und dabei noch ein Stück Natur hereinholen. Wäre das nicht ein gutes Modell für Frankfurt?

Das eine sind hybride Gebäudenutzungen, bei denen wir verschiedene Funktionen in ein Gebäude bringen. Das andere ist beispielsweise der Tower 90 von unserem Kollegen Magnus Kaminiarz, der versucht, einen bosco verticale aus Mailand im hiesigen Stadtteil nachzubauen. Unsere Aufgabe als Architekten ist es, die gebaute Umwelt so zu strukturieren, dass sich der Bürger als Mitglied der Gesellschaft darin zurechtfindet. Und wir sind auch der Meinung, dass Stadt eine gewisse Diversität haben muss, d.h. wir brauchen sowohl die Dichte, aber vor allem auch die Nutzungsmischung in einer Stadt. Mit einer reinen Schlaf- oder Arbeitsstadt machen wir jedenfalls die Stadt in unseren Augen kaputt. Das, was wir als flache, als low-rise-Stadt begreifen, in ein Hochhaus zu übersetzen, ist eine sehr verlockende Herausforderung. Das machen wir im Falle von One Fourty West. Auch der Omnitower von Bjarke Ingels macht es. Unser neuer Messe-Eingang von der Europa-Allee aus wird es ebenfalls tun. Damit beschäftigen wir uns seit vier Jahren. Natürlich ist es ein tolles Ansinnen, die Nutzung der flachgebauten Stadt in die Vertikalität zu übertragen. Doch macht es leider den Bau auch komplizierter und teurer. Insofern ist ein Hochhaus, was nach deutschen Bauregeln sehr viele Auflagen hat, nicht für jede Nutzung geeignet. Wenn man in ein Hochhaus, das ohnehin schon teuer ist, den sozialen Wohnungsbau einziehen lassen möchte, dann geht das nur über eine Querfinanzierung. Will ich als privater Bauherr einen solchen sozialen Wohnungsbau in ein Hochhaus reinnehmen, dann weiß ich, dass meine Selbstkosten bei ungefähr 23, 24 Euro pro Quadratmeter liegen, um das Produkt betreiben zu können. Das kann aber natürlich kein Sozialhilfe-Empfänger bezahlen.

Bräuchten wir nicht für solche Konzepte eigentlich einen Stadtbaumeister? Wäre so etwas wünschenswert? Oder ist das alles bereits beim Planungsdezernenten Mike Josef bestens aufgehoben, weil er den sozialen Interessensausgleich schon zu seiner Sache gemacht hat?

Natürlich sind viele mit der Möglichkeit innerhalb der Diversität überfordert. Da wir aber in Frankfurt relativ mündige Bürger sind, gibt es zum Beispiel einen Städtebaubeirat oder die Diskussion über einen Gestaltungsbeirat. Deswegen ist die Idee, die Mike Josef verfolgt, richtig, wenn er der reinen Gewinnmaximierung des Investors etwas entgegensetzt. Er begreift sich als Wächter über die soziale Gerechtigkeit der Stadt und akzeptiert nicht den Eigennutz, wenn die Allgemeinheit im Gegenzug dafür nichts bekommt. Diese Karte spielt er sehr gut. Das haben nun die Entwickler mit in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.

Nochmal: Könnte man heute überhaupt noch so etwas wie ein „Neues Frankfurt“ à la Ernst May schaffen?

Suchen wir die Verbindung theoretisch oder in die real existierende Welt? Da kollidiert die Phantasie des Einzelnen mit dem faktisch Realisierbaren. Wir wollen uns nicht in aberwitzigen Diskussionen verlieren. Wir begnügen uns damit, uns mit der konkreten Aufgabe so zu beschäftigen, dass wir das Bestmögliche dabei herausholen. Die Schwierigkeit, in der Politik ist es häufig, bestimmte Personen zu umgehen. Es gibt zu viele Pöstchen und verschiedene politische Parteien. Wenn wir uns auf das politische Geschehen einlassen würden, hätten wir vermutlich bislang kein einziges Haus gebaut, stattdessen vielleicht fünf Bücher geschrieben und würden von Podium zu Podium weiter gereicht. Wir widmen uns der realen Architektur und lassen uns dafür auch kritisieren oder loben, je nachdem, wie die Leute es finden.

Bieten für Sie Areale wie der Riedberg oder das Europa-Viertel, die durch wenig städtische Mischstruktur gezeichnet sind, denn interessante Alternativen?

Das Riedberg-Bashing ist jetzt durch. Der Riedberg hat damals den Ansatz einer Gartenstadt gewählt, die wir von außen immer kritisieren können. Allerdings ist einer empirischen Erhebung nach die Zufriedenheit der dort lebenden Menschen sehr hoch. Der Riedberg führt die Idee einer Ernst-May-Siedlung in die heutige Zeit weiter, die wir uns aber eigentlich nicht mehr leisten können, weil wir heute dafür die Fläche nämlich gar nicht mehr haben. Aber ich will die Entscheidung, die vor 20/30 Jahren gefällt worden ist, nicht kritisieren, weil die damaligen Entscheider heute ohnehin nicht mehr in Amt und Würden sind. In einer Zeit, in der die Internationalisierung Frankfurts und damit auch die Anhängigkeit von globalen Prozessen im Bewusstsein noch nicht so präsent war, hat man noch Stadterweiterung klassischer Art am Stadtrand betrieben. Damals hat man aber schon der eigenen Vision nicht mehr getraut und von möglichen sechs Etagen eine runtergenommen. Man glaubte, die Menschen könnten sich dafür nicht begeistern und konnte sich nicht vorstellen, dass die Fläche jemals so knapp werden würde, wie sie heute ist. Dadurch stimmten die Proportion von Stadtraum zu Traufkante nicht mehr.

Und für diese neuen Proportionen waren dann auch die Boulevards viel zu groß…?

Genau, das nächste war dann die Europa-Allee. Aber ich muss unter den Themen, die in der Vergangenheit entschieden worden sind, nicht leiden. Ich kann als Architekt nur versuchen, es hier und jetzt zu richten.

Gelungenes Beispiel einer von cma individuell gestalteten Villa, Foto: cma

Wo liegt denn für Sie die jeweilige Herausforderung, je nachdem, ob Sie ein Einfamilienhaus, ein Mehrfamilienhaus oder ein hybrides Hochhaus bauen?

In meinem etwa 20-jährigen Berufsleben in der eigenen Firma habe ich bis zu 90 % Menschen kennengelernt, die zu Beginn unserer Zusammenarbeit sagten, sie wären eigentlich auch gerne Architekt geworden. Dem habe ich immer entgegengehalten: Und warum sind Sie es nicht geworden? Als wir uns vor 20 Jahren in Frankfurt als cma selbständig gemacht und noch keine Rolle gespielt haben, war der Markt noch zwischen drei bekannten Büros aufgeteilt. Da haben wir dann u.a. Villen gebaut, womit wir uns lange beschäftigt haben. Denn, wenn jemand eine Villa bauen will, sind die Voraussetzungen dafür einfach phantastisch. Das Haus wird in der Regel von Menschen gebaut, die für ihren beruflichen Erfolg einen Ausgleich für ihre Familie und die eigene Zufriedenheit suchen. In der dritten Lebensphase möchten sie gerne etwas zurückgeben, was ich auch bestens verstehe. Da kann der Architekt einen großen Katalog von Bedürfnissen aufnehmen und für die Menschen ein Umfeld bauen, das ihnen energetisch viel zurückgibt, damit sie mit sich und ihrem Leben im Einklang sind.

 Das klingt ein wenig nach Feng Shui oder wie meinen Sie das?

Schauen Sie sich mal in Asien ein kleines Haus an. Da nehmen Sie jede Liebe zum Detail wahr. Ganz anders ist es in einer deutschen Standardwohnung aus den Jahren zwischen 1980 und 2000. Da komme ich zum Beispiel in ein standardisiertes Bad und finde dort eine Zelle zur körperlichen Hygiene vor. Das bringt mich dazu, darüber nachzudenken, wer ich eigentlich bin. Bin ich nur ein Schmutzträger, der mal gereinigt werden muss? Allein eine Blume oder eine Kerze würde schon dazu führen, dass man sich in dem gleichen Raum etwas wohler fühlen würde. Wenn Sie dieses Beispiel auf eine gestaltete Landschaft übertragen, die einem ein Zuhause geben soll, dann kann ein schön gestalteter Raum Energie ausstrahlen, was den Menschen sehr viel bedeutet. Wenn ich die Bedürfnisse des einzelnen Individuums aufnehme, das bereit ist, dafür eine entsprechende Summe Geldes zu zahlen, ist das natürlich eine sehr schöne Aufgabe. Überträgt man das auf andere Projekte, dann werden die Bedürfnisse natürlich anders formuliert.

Mehrfamilienhaus in der Lindenstraße, Foto: cma

Beim One forty West haben Sie die Funktionen Wohnen, Parken, Gastronomie und Hotellerie miteinander verbunden. Der Turm steht zudem in Messenähe am Rande des Westends. Befriedigt diese Mixtur schon das Bedürfnis der Bewohner nach Urbanität? Haben Sie den Kulturcampus, der in der Nähe gebaut wird, in Ihre Planungen mit einbezogen?

Wir können nun mal nicht mitbestimmen, wo wir bauen. Wir sind schon sehr froh, dass wir das gesamte Senckenberg-Quartier bebauen dürfen, was im Verhältnis zur Stadtfläche natürlich relativ klein ist. Die Haltung, die wir vertreten, ist: Stadt funktioniert nur, wenn eine kritische Masse überschritten wird. Der Kulturcampus, bei dem der Name die Idee repräsentiert, bleibt vielleicht auch nur in der Idee stecken. Zunächst einmal muss die räumliche Anordnung der Baumasse selbst funktionieren. Da haben wir schon sehr städtebaulich gedacht, weil wir wussten, dass der Entwickler darauf aus war, einen klaren Eingang vom Senckenberg-Areal zu haben, aber keine Öffnung zur Robert-Mayer-Straße. So ähnlich wie bei dem Tower 185 an der Ludwig-Erhardt-Anlage, wo es vorne reingeht. Wie der Turm dann rechts und links davon in den städtischen Raum eingebunden ist, das interessiert die Stadt dann nicht mehr. D.h. die Masse, die dort hingestellt wird, versucht so etwas wie Stadt zu antizipieren. Dazu braucht es aber auch die Umgebung, ein Viertel wie Bockenheim oder das Westend. Deswegen war unsere Leitidee die Diffusion, d.h. das Öffnen der Gebäude an den Rändern, was dazu einlädt, etwas Anderes außerhalb des Gebäudes zu entdecken. Wir organisieren also die bauliche Möglichkeit, ohne die Gewissheit zu haben, es dort tatsächlich stattfinden zu lassen.

Was wäre denn vonnöten, damit genau das funktioniert?

Ein Dialog mit dem Auftraggeber und mit der Stadt. Ein Beispiel: 99 West ist das Hochhaus, das wir aktuell in der Planung haben. Mit dem One Forty West ist es das zweite über 100 Meter hohe Gebäude. Da erleben wir, dass der Nutzungsplan keine bindende Wirkung hat, weil er lediglich sagt, was möglich ist, aber nicht, was sein muss. Er bietet also eine Möglichkeit an, die aber nicht genutzt werden muss. Selbst wenn eine kulturelle Nutzung im Erdgeschoss geplant ist, heißt das noch lange nicht, dass die dort auch stattfindet. Hier gab es einen Ankermieter, der seine Kantine im Erdgeschoss unterbringen wollte – damit die Nikotin-Frischluftfanatiker auch immer auf die Straße gehen können.

Die Stadt wiederum hat von diesen typologischen „Autisten“ die Nase voll. Also stehen dann abends um 18 Uhr nur „tote Steine“ in der Stadt herum und blockieren den Platz. Da ist dann auch kein städtisches Leben zugelassen. Und Kultur gibt es auch nicht. So kommt es, dass wir unserem Auftraggeber manchmal sagen: Können wir hier nicht einen Kompromiss suchen und damit auch etwas für den städtischen Raum tun? Nimm doch Deine Kantine da unten raus, die ist mit Milchglasfenstern zugeklebt, und da ist keine öffentliche Nutzung, nur eine scheinöffentliche Nutzung. Deswegen wird da auch kein Co-working-space entstehen, was sonst häufig als Renditeträger mit eingebaut wird. Das wird auch nicht akzeptiert. Wir haben einfach die Auflage, eine freie Zone zu bekommen, der Betreiber muss einen freien Nutzen mit einplanen und zur Verfügung stellen. So sähe dann ein kleiner Teilerfolg aus.

Könnte man dort zum Beispiel ein Theater mit einbauen?

Diese Position ist wieder eine politische, die erst mal einer Findungsphase bedarf, in der grundsätzlich geklärt werden muss, welchen Stellenwert die Kultur in unserer Gesellschaft hat und wer sie bezahlt. Wir haben gerade eine gutgehende Konjunktur. Da wären wir natürlich in der Lage, aus den Mitteln städtischer Kassen viel zu investieren, doch ist der nächste Abschwung schon greifbar. Kultur aber braucht Kontinuität. Wie kann man die garantieren und darstellen? In Frankfurt gibt es für ein Theater viele Standorte – im Ostend, an der Honsellbrücke, auf dem Kulturcampus oder am Bockenheimer Depot. Oder man lässt das Theater einfach da, wo es ist. Wichtiger wäre es, sich erst mal überlegen, wer das Ganze dann finanzieren kann. In unserem Fall hat der Investor einfach einen Ankermieter gehabt, für den er das Haus baut. Der sieht natürlich keinen Sinn darin, sich erst einmal 7 Jahre lang in politische Diskussionen zu verstricken.

Markenbotschafter Sebastian Herkner im Senckenberg-Quartier, Foto: ©Commerz Real

Welche Rolle spielt für Ihr Gebäude denn so jemand wie der Markenbotschafter wie Sebastian Herkner, mit dem Sie ja zusammenarbeiten? Welches Terrain bereitet er für Sie vor? Gestaltet er die Wohnungen, um das erwünschte Kaufpublikum zu animieren? Und wirkt sich das auf den Preis der Wohnung aus?

Menschen können sich nicht über zwei, drei, vier Jahre einen leeren Rahmen vorstellen. Sebastian Herkner ist ein Markenbotschafter. Der Nutzungsmix in diesem Haus war die Vorgabe, die nun diversifiziert  werden muss. Getrieben von der Immobilienökonomie der Wertschöpfungskette, ist der Beginn zunächst einmal die Architektur. Ohne einen starken Entwurf zu Beginn würde die Wertschätzungskette erst gar nicht ans Laufen kommen. Dann aber beginnt die sogenannte Individualisierung, die das Objekt für den Markt vorbereitet. Und das funktioniert in der Kultur genauso wie beim Shopping. Jeder hat seine Triggerpunkte, die dann von außen bedient werden. Da gibt es zum Beispiel den Typ: „Ich bin intellektuell, kauf gar nix und ess makrobiotisch“ oder den Typus: „Ich brauch sieben Autos“. Jeder Jeck ist eben anders. Beides aber funktioniert nach dem gleichen Prinzip.

Beim Wohnungskauf wird also eine Zielschicht angetriggert, die sagt, was sie als besonders empfindet und für was sie bereit ist, Geld auszugeben. In dieser Vermarktungsphase ist der Architekt völlig uninteressant. Da ankert der Käufer nicht mehr mit der äußeren Erscheinung, sondern mit dem, was für ihn den inneren Wert des Gehäuses darstellt. Dazu gehört eben die besondere Gestaltung, das Interiordesign welches von IF Group gestaltet wurde. Der Verkäufer verkauft danach dann dem Endkunden ein Wohlfühlambiente. So kommt in der Person des Markenbotschafters die Individualisierung und Emotionalisierung des Produktes ins Spiel. Durch ihn wird das Objekt Haus dann zum Subjekt gemacht als Teil einer Geschichte, die erzählt wird. Wenn Sie so wollen, ist Sebastian Herkner die neue Patricia Urquiola, die spanische Meisterin des Stil-Mix.

Und da wir den Gestalter Sebastian Herkner gut kennen, verkörpert er für uns im Verkauf dieses Alleinstellungsmerkmal. In den Köpfen entsteht dann die Idee: Sebastian Herkner und ich. Wir kennen uns. Wir leben in der gleichen Zeit. Wir arbeiten für die gleichen Bedürfnisse. So wird er dann Teil einer Geisteshaltung und eines Images, die man als sympathisch empfinden, und mit dem man sich identifizieren kann. Dann muss man über das eigentliche Produkt gar nicht mehr sprechen. Der Kunde empfindet das gleich als doppelt sympathisch, dass ihm nicht nur die „nackte“ Verkaufsmappe vor die Nase gehalten wird, sondern der Sympathieträger plus der Geisteshaltung gleich mitgeliefert wird.

Andreas Moser im Besprechungsraum des cma-Büros, Foto: Petra Kammann

Was bedeutet für Sie heute ein schönes Haus?

Früher konnte man sich die Welt noch einfach erklären. Da gab es den „Goldenen Schnitt“, den man als schön empfunden hat oder die Materialität usw… Wenn Sie heute ein Büro – sagen wir mit 40 Mitarbeitern – aufbauen, dann haben Sie selbst dort diese einfache Übereinstimmung nicht mehr. Allein die Mitarbeiter erklären ihnen, wie die Wahrheit aussieht, die jeweils anders lautet. Manche empfinden etwas als schön. Kann sein, dass viele Menschen unser Gebäude aber auch als hässlich empfinden. Es geht also nicht nur um die formalistische Betrachtung von Schönheit, sondern darum, dass Architektur eine gebaute Regel ist, bei der viele wirtschaftliche Voraussetzungen und Zwänge vorgegeben sind. So steht bei unserem Turm zum Beispiel die Wohnfassade in einem spannungsvollen Kontrast zu dem unteren Teil. Wir haben eine Regel ersonnen, wonach die Wohnfassade als Linie diagonal um das Haus herum mäandriert, was dazu führt, dass dies nach außen auch sichtbar wird. Wenn der Betrachter das entdeckt, kann er sich entscheiden, ob er das schön findet oder nicht. Für uns ist entscheidend, dass durch die mäandrierenden Balkone jede Wohnung nur einmal existiert. Durch die Einzigartigkeit der Balkone variieren auch die Wohnungsgrundrisse, die jeweils einzigartig sind. Mal gibt es einen großen, mal einen kleinen, mal zwei Balkone etc.. Durch die Lufträume dazwischen hat man außerdem auch die Möglichkeit, sich mit dem Nachbarn darunter, den man sonst nie sehen würde, zu unterhalten. Es entstehen also vertikale Nachbarschaften.

Wie sieht es denn mit den ökologischen Standards aus? Haben Sie an Begrünung gedacht?

Na klar, die Standards haben wir alle drin. Aber wir begrünen das Haus nicht wie den Bosco verticale, dieses einmalige Modell in der Mailänder Industriezone, das ich mal als Ökotalmy bezeichnet habe. Wenn man so ein Haus baut, dann kann das nur funktionieren, wenn der Betreiber ein Konzept für die Pflege solcher Grünanlagen hat. Da kann zum Beispiel der Gärtner nicht über den Fahrstuhl kommen und bei Ihnen an der Tür klopfen und sagen: Kann ich mal mit meinem Karren hier durch die Wohnung fahren und alles dreckig machen? Dann muss der von draußen nach oben kommen. Dazu braucht man extra eine Fassadenfahranlage, die auch noch in der Lage ist, einen 3-4 Tonnen schweren Baum auszutauschen, falls der mal kaputtgeht. D.h. ich muss sehr viel zusätzliches Geld ausgeben und dabei gegenüber den Konkurrenzprodukten bestehen.

Wie sieht denn die Größe der jeweiligen Wohnung im Verhältnis zu den Kosten aus? 

Die Wohnungen haben die Größen 50, 70, 80, 100, und 140 Quadratmeter. Wenn jemand dann trotzdem eine 600-Quadratmeter-Wohnung haben will, dann ist das natürlich kein Problem. Einen Sonderfall kann man durch Zusammenlegung der Standardwohnungen immer bedienen. Die Produkte sind aufgrund ihrer Hochpreisigkeit aber immer so konzeptioniert, dass man den bezahlbaren Luxus für die Größe der Wohnung nicht erreichen könnte.

Wen hatten Sie bei der Planung im Auge? Welche Bewohner sind denn die Zielgruppe?

Natürlich sind wir in einer sehr gehobenen Käuferschicht, die sich das leisten kann. Und sicher ist eine Wohnung dort für eine 5-köpfige Familie nicht so praktisch, weil die in der Regel andere Bedürfnisse hat. Die Nutzungsqualität des Raumes liegt darin, dass sich jeder optimal einrichten kann. Je weniger Geld ich habe, desto mehr geht es um die reine Befriedigung von Bedürfnissen. Und je teurer es wird, desto mehr verschiebt sich das in Richtung der Besserverdienenden, die sich mal irgendwann in ihrem Leben dafür entschieden haben, dass ihnen das wichtig ist. Die möchten sich dann in jeglicher Hinsicht ein „smart home“ gönnen, nicht nur in Sachen Elektrotechnik, und sich den Luxus erkaufen, dass alles um sie herum vorhanden ist. Sprich: Unten kann man essen gehen, da ist auch ein Gym, ein Café, eine wine bank undund …

Hat das Stadtplanungsamt auch die Auflage gemacht, eine Kita zu berücksichtigen?

Die Vorgaben vom Stadtplanungsamt werden selbstverständlich eingehalten. Wir planen auch eine Kita. Erst sollte sie achtzügig sein, dann sechszügig. Und die wird jetzt auch gebaut. Wenn man unsere Situation mit der anderer Länder vergleicht, findet man in Deutschland plötzlich alles so schön. Aber hier müsste alles immer noch besser sein, da finden wir vor lauter Langeweile immer nur das Haar in der Suppe. Und wenn dann so ein Kulturcampus über 10 Jahre lang mit Bürgerbeteiligung entwickelt und die Erwartungshaltung ins Unermessliche geschraubt wird, wird es schwierig, sinnvoll zu planen.

Ich als Architekt habe da auch nicht die Möglichkeit, moralisch zu argumentieren. Wenn ich das wollte, dann dürfte ich auch nicht an einem Wettbewerb teilnehmen. Wenn ich aber am Wettbewerb teilgenommen habe, schon 350 000 Euro investiert und mit über dreieinhalbtausend Stunden an der Entwicklung des Produkts gearbeitet habe, dann wäre es unsinnig, sich erst nach dem Gewinn des Wettbewerbs die moralische Frage zu stellen. Wenn man ein Wohnhochhaus oder ein Bürohochhaus für eine Gesellschaft baut, dann ist sie so ist wie sie ist. Sonst muss man den intellektuellen Diskurs früher anfangen. Das heißt nicht, dass ich dazu bereit wäre, irgend ein menschenverachtendes Projekte zu bauen.

Andreas Moser vor dem Modell des One Forty West, Foto: Petra Kammann

Könnte das One Fourty West ein Modell für weitere Hochhäuser in Frankfurt sein? Wieviel Entwicklungsmöglichkeit steckt da drin? Oder ist das ausschließlich für Reiche interessant?

Die Idee, dass diese Wohnhochhäuser den Druck vom Wohnungsmarkt nehmen würden, stimmt nur bedingt, weil sie nicht für alle zugänglich sind. Wenn dieselben Investoren auf dem freien Markt aber woanders kaufen würden und hier wegblieben, dann würden solche Produkte ja noch teurer werden. Und dann könnten diejenigen, die das jetzt gerade noch bezahlen können, sich eine solche Wohnung auch nicht mehr leisten.

Aber eine Grundsatzentscheidung ist getroffen. Reine Wohnhochhäuser mit monofunktionaler Nutzung würden dazu führen, dass Produkte in der Stadt stehen, die genauso autistisch sind wie Häuser, die sich nach außen abgrenzen und meinen, dass sie alleine alles könnten. Und deswegen sollen nach unserem Wissensstand sie ohne zusätzliche Auflagen jetzt nicht mehr realisiert werden, zumal die Gefahr besteht, dass der Kapitalstrom von ausländischen Investoren nur zum Erwerb eines Anlagevermögens dient. Insofern ist es ein Verdienst von Mike Josef und seinem Planungsdezernat, hier mit neuen Rahmenbedingungen anzusetzen. Wir, als Büro cma, können heute natürlich nicht beurteilen, ob daraus ein Zukunftsmodell wird, weil solche Entscheidungen immer wieder von der Politik und von wirtschaftlichen Entwicklungen abhängen. Wir leben im Moment in einer Gesellschaft der Erbengeneration, in der es uns noch relativ gut geht. Aber das Erbe unserer Vorfahren kann leicht wegschmelzen. Und Wohnungen werden sicher wertstabil bleiben. Wenn aber die Basis einmal weg ist, dann wird die Schere zwischen Arm und Reich erst so richtig auseinanderklaffen und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft produzieren. Das wird auch in Europa für Zündstoff sorgen, wenn wir nicht aufpassen.

Von der Planung bis zur Realisierung im hier und jetzt dauert es ganz schön lange. Arbeitet die Zeit nicht ständig gegen Sie? Wie sieht das mit der Planungs- und Realisierungsphase auf dem Senckenberg-Areal aus?

Wir sitzen seit etwa zwei-drei Jahren dran.

Und wenn es dann soweit ist, entspricht das womöglich nicht mehr den politischen Gegebenheiten.

Wir sind ja nicht von Anfang bis Ende dabei. Wir sind nur die Rakete, die man am Anfang einmal startet, um das Haus schön & stabil zu machen. Wenn die Vision dann steht, kommt der Wirtschaftlichkeitsprozess in Gang. Und es kommen weitere Planer dazu. Dann erst geht es in die Ausführung. Der ursprüngliche Planer ist dann nur noch insofern ein „Investitionsrisiko“, weil sich der Architekt in die Schönheit des eigenen Produktes verliebt hat. Dann muss der Architekt außen vorgelassen werden, um die Wertschöpfungskette nur ja nicht zu gefährden. Wie gesagt: Wir stoßen mit unseren Plänen die Entwicklung nur an, dies aber maßgeblich.

Sie übernehmen also nicht die Bauleitung?

Wir begleiten das Projekt in einem sogenannten Designtransfer. Wir engagieren uns natürlich für unser Projekt wegen der emotionalen Verbundenheit zum Gebäude. Da spielen wir für den Entwickler nochmal Polizei und schauen nach dem Rechten, damit das Erscheinungspotenzial des Hauses nicht kaputt gemacht wird. Für uns Architekten sind unsere Häuser aber auch so etwas wie Kinder, deren Entwicklung wir gerne verfolgen. Wir haben diesen Beruf gewählt, weil wir uns dazu berufen fühlen. Deswegen sind wir auch nur so leidensfähig. Ich kann aber auch guten Gewissens sagen, dass es uns Spaß macht. Denn wir hoffen, dass die Menschen, die in unseren Gebäuden leben und arbeiten, vielleicht irgendwo ein Stück von dieser Freude mitnehmen können.

Gibt es in Frankfurt für Sie ein Gebäude, das Sie als vorbildhaft empfinden?

Ein Vorbild habe ich eigentlich nicht. Über die Entwicklung des Turms in der Senckenberg-Anlage könnte ich allerdings aus der Retrospektive ein Buch schreiben… Es steht in einem Feld, das viele Pole hat. Die Wechselwirkung der Pole unter- und zueinander beeinflusst die jeweilige Entscheidung. Um das lesen zu können, muss man viele strategische Entscheidungen fällen. Und dabei kann man nicht die eigene Moral über Bord werfen. Man kann am Ende nur hoffen, dass das Haus mit der Idee deckungsgleich wird. Das Feld, auf dem man sich bewegt, verändert sich ständig. Deswegen muss die gestalterische Entscheidung immer wieder neu justiert werden und sich den verändernden Bedürfnissen anpassen. Da sich die Bedürfnisspirale in digitalen Zeiten rasant ändert – wir haben an allen Ecken und Enden einen ständigen Erkenntniszugewinn –, können sich weltweit plötzlich Gemeinschaften von brutalen Individualisten zu einer globalen Lobby zusammentun. Deren Bedürfnisse dürfen nicht verebben, sondern müssen in die Welt gestrahlt werden. Deswegen ist die Kontinuität des Denkens sehr wichtig, wie man sich einem Problem nähert.

Kommen wir nochmal auf das Entwurfsstadium zurück. Arbeiten Sie da noch analog mit der Hand und machen Skizzen? Oder fangen Sie schon gleich mit Renderings an, die so etwas wie die architektonische Wirklichkeit vorgaukeln?

Beides. Die Skizze ist ein sehr gutes Kommunikationsinstrument, weil es interpretationsoffen ist. Aber auch hier trifft zu: Entwurf ist keine Einzelleistung. Er entsteht im Dialog. Sie können der grandioseste Denker sein. Gegen eine Schwarmintelligenz haben Sie keine Chance. Da wir nicht in der Diktatur, sondern im Pluralismus leben, heißt für uns die Devise: das Bessere ist des Guten Feind.

Gehört für Sie die Architektur zur Kunst?

Gehört die Kunst zur Kunst in Zeiten von Leuten, die das kommerzialisieren? Unverständnis entsteht immer aus Entwicklungen, die von außen unter falschen Vorzeichen betrachtet wird. Die Architektur ist genauso Kunst, wie sie auch nicht Kunst ist. Das hat sie mit der Kunst gemein. In meiner Welt gibt es Leute, die die Antennen für Strömungen in dieser Welt haben. In der Architektur liegen Genialität und Banalität so nahe beisammen wie Intelligenz und Wahnsinn. Der schlechteste Künstler kann durch einen geschickten Galeristen zum erfolgreichsten Künstler und seine Produkte können damit zur Kunst erhoben werden. Unser Ausgangspunkt ist zunächst einmal ein Blatt weißes Papier. Darauf bereiten wir die Umgebung vor. Denn wir müssen uns damit auseinandersetzen, die Bedürfnisse von heute und morgen neu zu interpretieren und uns neu erfinden. Und ich hoffe, ich kann in 20 Jahren sagen, wir haben vielleicht nicht alles richtiggemacht, aber vieles.

Das Architektenduo Oliver Cyrus  und Andreas Moser

Wie sieht denn die Aufgabenteilung zwischen Ihnen und Ihrem Büropartner Cyrus aus?

Zusammen sind wir ganz. Ich kann Tendenzen, Strömungen, Ästhetik gut vorwegnehmen, habe einen ausgeprägten Sinn für Design und Kreation, würde aber niemals sagen, dass ich den besseren Sinn dafür habe. Wenn man den Stein weit wirft, muss der andere einen wieder erden. Das geht nur im Wechsel. Wir haben unsere Dialog-Kultur so stark entwickelt, dass wir nur gemeinsam zu besseren Ergebnissen kommen. Da gelangen wir zwangsläufig nicht immer hin, aber wenn wir einen Wettbewerb gewinnen, dann ist das für uns der Beweis dafür, dass es uns gelungen ist, unseren Diskurs, den wir über tausende von Stunden in ein Projekt eingebracht haben, zumindest in eine gebaute Realität übertragen können.

Weitere Infos unter: 

https://www.cma-arch.de/site/projects/de

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