Furiose Barockoper um Krieg und Liebe im Bockenheimer Depot
Eine Repräsentation des Krieges: „Rinaldo“ Dramma per musica von Georg Friedrich Händel
Eine außergewöhnliche Spannung lag über der fast drei Stunden dauernden Premiere am 16. September 2017. Dann brach der Beifall los – stürmisch mit Bravos, lauten Rufen feierte das Publikum am Ende das gesamte Opernteam und die Musiker.
Text: Renate Feyerbacher und 2 Fotos
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt
v.l.n.r.: Daniel Miroslaw (Eustazio), Julia Dawson (Goffredo; mit Bart und Gehstöcken) und Brandon Cedel (Argante; sitzend, in schwarzem Mantel) sowie Tänzer
Steil steigt die Bühne im Bockenheimer Depot an und endet im Nichts. Kein einziges Requisit, nur die Lampen an den Pfosten spielen hin und wieder eine Rolle. (Annemarie Woods Bühnenbild – Joachim Klein Licht). Die Schatten an den Wänden des Bockenheimer Depots sind eindrucksvolle Ergänzung der Bühnen-Lichtspiele.
Die Handlung spielt im Heiligen Land zur Zeit des ersten Kreuzzuges 1099. Der christliche Ritter Rinaldo und der Sarazenen-König Argante kämpfen miteinander. Argante schleudert den Feind über die Schulter nicht einmal, sondern mehrfach. Ist es ein Tänzer oder der Sänger des Rinaldo? Später erfahre ich von Jakub Józef Orliński, den Rinaldo-Interpreten, dass er Breakdancer ist. Auch die anderen Krieger kämpfen professionell mit Schwertern und Stöcken. Geradezu authentisch sind die Kampfszenen. Der amerikanische Regisseur Ted Huffman und der Choreograf Adam Weinert haben ein Meisterstück von Tanz und Bewegung geschaffen wie es in Opern selten zu sehen ist.
Die Handlung der Märchenoper:
Schwer an Stöcken, mehr sich schleppend als gehend, fordert General Goffredo vom Helden Rinaldo, der seine Tochter Almirena liebt und diese ihn, Entsagung. Nur durch sie kann Ruhm erlangt werden. Erst wenn er König Argante besiegt habe, sei an Heirat zu denken. Das passt Rinaldo überhaupt nicht. Argante, der im Zweikampf erlag, bittet Goffredo um eine dreitätige Waffenpause, um mit seiner Geliebten, der Zauberin Armida, Königin von Damaskus, eine neue Kampf-Strategie zu entwickeln. Mit Donner, Blitz und Nebel erscheint diese umtanzt von ihren drei Furien und macht Argante klar, dass Rinaldo beseitigt werden muss, um den Sieg zu erlangen.
Das Zweisamkeit-Idyll von Rinaldo und Almirena in einem verzauberten Wald wird durch Armida gestört. Die Furien wie Boten Amors tanzen mit kleinen Bäumen in der Hand um das Liebespaar. Eine herrlich-poetische Szene, bezaubernd ausgeführt, die jedoch in Almirenas Entführung durch die Zauberin gipfelt.
liegend: Jakub Józef Orliński (Rinaldo) und Karen Vuong (Almirena) mit Tänzerinnen sowie rechts oben Elizabeth Reiter (Armida)
Goffredos Truppen dringen in Armidas Reich. Rinaldo lässt sich jedoch von Sirenen bezirzen und ihm versprechen, ihn zu Almirena zu führen. Goffredo und sein Bruder Eustazio warnen vergebens. Rinaldo sitzt in der Falle.
Argante dauert die jammernde Almirena, verliebt sich in sie und will sie verführen. Und seine Geliebte Armida ist fasziniert von Rinaldos Schönheit und wild bestrebt, ihn zu verführen.
„Dein Herz ist ein wüstes Land, totgehetzt von Rauschbegehren“ Rolf Dieter Brinkmann
Rinaldo weist Armida zurück, die daraufhin trickst und sich in Almirena verwandelt.
Jakub Józef Orliński (Rinaldo) und Elizabeth Reiter (Armida; in schwarzem Kleid) sowie Tänzerinnen
Als er den Betrug erkennt, tobt er. Fest entschlossen ist die Zauberin nun, Almirena zu töten, vergebens fleht Rinaldo, sie zu verschonen.
Goffredos Truppen befreien das Paar und die Zauberin verschwindet mit Getöse. Rinaldo, der lieber zum Traualtar geschritten wäre, als in die Schlacht zu ziehen, ist nach gutem Zureden Almirenas entschlossen, zu kämpfen und zu siegen. Derweil gibt es einen heftigen Streit zwischen der Königin von Damaskus und dem Sarazenen-König, die sich aber wieder versöhnen und auf die Schlacht vorbereiten, die sie verlieren. Rinaldos und Almirenas Glück ist perfekt..
Elizabeth Reiter (Armida) und Brandon Cedel (Argante) mit Tänzerinnen
Ein Fest der Barockmusik
Der Text der Oper von Giacomo Rossi, im Szenarium von Aaron Hill, nach dem Epos „La Gerusalemme liberata“ (1574) von Torquato Tasso ist sowohl kriegerisch-herb, als auch lyrisch. Er trägt die Musik.
„Rinaldo“ ist Georg Friedrich Händels (1685-1759) erstes italienisches Werk für das Musiktheater. Ein englisches Auftragwerk. Diese Musik reisst mit: brilliante Arien, herrliche Soli der Blockflöten, der Barockoboe, des Barockfagotts und der kräftige Einsatz der Naturtrompeten. Die Continuogruppe, Cembalo, Laute, Violoncello und Barockfagott , die Streicher, die Pauken und das Schlagwerk, sie alle hat Simone Di Felice, bisher Solorepetitor, nun Kapellmeister der Oper Frankfurt, präzise, emphatisch, mit vollem Körpereinsatz geleitet.
Tänzerinnen, Jakub Józef Orliński (Rinaldo) und Elizabeth Reiter (Armida)
Ted Huffman, in New York zuhause, auf den führenden Bühnen Europas aktiv, gibt sein Deutschlanddebüt. Seine Personenführung ist exzellent. Mitgebracht aus New York hat er den Choreografen Adam Weinert, der auch zum ersten Mal in Frankfurt arbeitet. Der klassisch ausgebildete Tänzer kann viele Auszeichnungen sein eigen nennen. Opulent ist das Kostüm der Armida, jugendlich das von Almirena. Argante ist dunkel gekleidet im Gegensatz zu den hellen Kostümen von Rinaldo und seinen Mitstreitern. General Goffredo hat die gebürtige Frankfurterin Raphaela Rose, die auch ihr Frankfurter Operndebüt gibt, aber schon am Schauspiel aktiv war (LINK „Macbeth“) als Greis mit bodenlangem Bart ausgestattet – wie eine Persiflage des Heerführers.
Bis auf Jakub Józef Orlińki gehören alle Sängerinnen und Sänger zum Ensemble der Oper Frankfurt. Sopranistin Karen Vuong ( LINK „Betulia liberata“, „Carmen“) als liebende, kluge Almirena singt das Lamento „Lascia ch’io pianga“, die bekannteste Arie des Händel’schen Werkes, überzeugend-anrührend. Sopranistin Elizabeth Reiter (Link: „La Damoiselle élue /Jeanne D’Arc au bûcher“) ist die Gegenspielerin Armida. Stark in der Raserei, fein in der Verführungsszene.
↑ Elizabeth Reiter und Jakub Józef Orliński nach der Premiere
Beide Fotos: Renate Feyerbacher
Die kanadische Mezzosopranistin Julia Dawson muss als behinderter Heerführer Goffredo körperlich viel leisten. Ihre schöne Stimme hatte manchmal kleine Irritationen. Die Bass-Sänger Brandon Cedel als Argante und Daniel Miroslaw als Eustazio gefallen durch eine dunkle, wohlklingende Stimmlage.
Welch unvergleichlich traumhaft-schöne Stimme: Countertenor Jakub Józef Orliński zieht als Rinaldo alle Register – stimmlich wie körperlich – und da kann er es mit den acht großartigen Tänzerinnen und Tänzern durchaus aufnehmen. Der junge Pole, ausgebildet in Warschau und New York, mittlerweile weltweit unterwegs, gastiert erstmals an der Oper Frankfurt. Wieder ein toller „Sängerfang“ des Intendanten. Mühelos bewältigt Orliński die Koloraturen, mühelos den Abstieg in eine tiefere Stimmlage. Sehr lyrisch-fein gestaltet er die Liebesszenen, bestimmend und klar die Auseinandersetzungen.
Diesen einmaligen Opernabend im Bockenheimer Depot, wie geschaffen für diese Inszenierung, sollte man sich nicht entgehen lassen. Weitere Vorstellungen am 22., 24., 27., 29. September und am 1. und 3. Oktober.