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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Musikalische Matinee in der Goethe Universität mit der rumänischen Pianistin Maria Sintamarian

Am 5. Mai 2019 fand eine musikalische Matinee mit der jungen hervorragenden rumänischen Pianistin und mehrfachen Preisträgerin internationaler Klavierwettbewerbe, Maria Sintamarian, im Gästehaus der Frankfurter Goethe-Universität in der Frauenlobstraße mit Werken von Johann Sebastian Bach, Alexander Skrjabin, Josef Haydn, Giörgy Kurtág und Maurice Ravel vor vollem Saal statt. Organisiert wurde das Konzert von der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit Viviane Goergen, Pianistin, Musikcoach, Konzertorganisatorin und Begleiterin junger außergewöhnlich begabter Pianistinnen und Pianisten.

Maria Sintamarian, Professor Jürgen Bereiter-Hahn und Viviane Goergen

Viviane Goergen, die das Konzert moderierte, blickt zurück auf das besondere Spiel der Pianistin:

Am Anfang des Konzerts standen das Präludium und Fuge BWV 863 Nr. 18 in gis-Moll von Johann Sebastian Bach aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Klaviers, mit dem sich Bach 1722 um die Stelle des Thomaskantors in Leipzig beworben hatteAuf dem Titelblatt des Autographs von 1722 vermerkte Bach: „Das Wohltemperirte Clavier oder Præludia und Fugen durch alle Tone und Semitonia … zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget von Johann Sebastian Bach. p. t.: Hochfürstlich Anhalt-Cöthenischen Capel-Meistern und Directore derer Camer Musiquen. Anno 1722.“ Robert Schumann äußert sich später folgendermaßen: „Das ‚wohltemperirte Clavier‘ sei dein täglich Brot. Dann wirst du gewiß ein tüchtiger Musiker“. Bachs Wohltemperiertes Klavier wurde zu einem Meilenstein der europäischen Musikgeschichte.

In der ersten Fassung, wird überliefert, habe es sich beim Präludium und Fuge BWV 863 Nr. 18 um eine Komposition in g-Moll gehandelt, die Bach durch einige Korrekturen in gis-Moll umgewandelt habe. Das gis-Moll-Präludium verbreitet eine stark verinnerlichte Stimmung und der Themenkopf der 41 Takte enthaltenden vierstimmigen Fuge ist ein Zitat des Liedbeginns „Christ lag in Todesbanden“.

Die Pianistin Maria Sintamarian, die in Bari/Italien den J. S. Bach-Preis gewonnen hat, gestaltete im Präludium die einzelnen Phrasen sehr bewusst und gekonnt und füllte sie mit großer Musikalität aus. Auch führte sie das Publikum beispielhaft durch die vierstimmige polyphone Struktur der gis-Moll-Fuge. Jede Stimme war minutiös herausgearbeitet und musikalisch perfekt ausgestaltet.

Alexander Nikolajewitsch Skrjabins Musik ist keine typische russische Musik. Sie lässt eher an das Fin de siècle erinnern. Viele Einflüsse, beispielsweise von Chopin, Debussy, Webern, Wagner etc. sind bei ihm zusammen gekommen. Nichtsdestotrotz ist seine Musik höchst eigenwillig und genial.

Wie Chopin komponierte auch Skrjabin 24 Etüden, die allerdings in vier Werke aufgeteilt sind. Mit 23 Jahren schrieb er bereits das Opus 8, das ein überragendes Werk aus dieser jungen Zeit ist. Es ist eine Hommage an Frédéric Chopin. Die Etüden sind nicht durch jugendliche Leichtigkeit gekennzeichnet, sondern weisen einen starken  Hang zum Zerstörerischen auf. Kraftvolle Etüden stehen neben lyrischen. Sylvia Schneider schreibt: „Apokalyptisches trifft auf Schmeichlerisches. Gegensätzliches wird zum Prinzip“.

Zwischen der Etüde Nr. 7 in b-Moll, presto tenebroso, agitato, die an Schuberts „Erlkönig“ erinnert, und der 9. Etüde „Alla ballata“ mit Oktaven, die eindeutig auf Chopins dramatisches g-Moll-Präludium hinweist und durch eine extreme Virtuosität, ein Gehetztsein, eine Atemlosigkeit ein regelrechtes Inferno inszeniert, steht die Nr. 8 in As-Dur Lento (Tempo rubato). Sie verbreitet eine starke Melancholie und ist in hellen, fast entmaterialisierten Klängen gehalten. Sie ist von feinster Schönheit.

Auch in der Etüde Op. 8 von Alexander Skrjabin führte Maria Sintamarian mit großer Souveränität durch die kompositorischen Strukturen des Werkes und spannte mit sehr viel Liebe, Feingefühl und Ausdruckskraft die sinnlichen, zarten, manchmal nicht endenwollenden Melodiebögen, ohne die lauten Passagen zu verachten. Mit sorgfältig ausgewählten Klangfarben verlieh sie dem Werk diesen wehmütigen und besonderen Charme.

Josef Haydns Klavierschaffen ist sehr reichhaltig und vielseitig. Es hat die Folgezeit stark geprägt und einen hohen Stellenwert eingenommen. Haydn war ein Genie, der Erstaunliches und Eigenartiges hervorbrachte. Wie es damals üblich war, hat er die technischen Grundlagen des Komponierens bei Philipp Emmanuel Bach erlernt. Aber bei ihm tauchte nach einer gewissen Zeit jene spontane Kreativität auf, die direkt aus der Intuition heraus fließt und am Rationalen vorbeigeht.

Im Zentrum seines Klavierschaffens stehen die 52 Sonaten. Joseph Haydn fing zaghaft mit dem Sonatenschreiben an, als er schon um die dreißig war. Die As-Dur Sonate HOB. 46 wurde 1786 gedruckt. Wahrscheinlich entstand sie wesentlich früher, bereits in 1776.

Haydn inspirierte sich an den Erneuerungen des Klavierbaus seiner Zeit und an den daraus entstandenen neuen Möglichkeiten der Instrumente. Aus dem gefälligen Divertimento von früher entwickelte er die neue Sonatenform und experimentierte mit ihr. In der As-Dur Sonate stoßen wir gleich auf mehrere dieser bemerkenswerten Erneuerungen. Er wählt ungewöhnliche Tonarten aus. Nach dem Kopfsatz in As-Dur komponiert er den langsamen zweiten Satz in Des-Dur. Mit sieben Fermaten schmückt er den ersten Satz aus. Die rechte Hand perlt über die ganze Tastatur. Jede Menge Triller und Praller verzieren das Werk. All das ist pianistisch höchst effektvoll. Trotzdem ist sie kein Virtuosenwerk, sondern es handelt sich um feine filigrane pianistische Effekte. Die As-Dur-Sonate ist ein regelrechtes Meisterwerk.

Mit spielerischer Leichtigkeit und Freude ging Maria Sintamarian an diese Haydn-Sonate heran. Ihr klarer frischer Anschlag passte wunderbar zu den Läufen, den Prallern, den Trillern. Mit einem Schmunzeln im Gesicht verlieh sie mancher Passage einen geradezu humorvollen Charakter. Der zweite Satz war tief empfunden und bildete damit einen beeindruckenden Kontrastpunkt zum ersten und dem dritten brillanten Satz.

Konzentriert als auch voller Leichtigkeit beherrscht Maria Sintamarian ihr Spiel

György Kurtág begann 1973 mit der Komposition seines Klavierzyklus „Játekók“, auf Deutsch „Spiele“, einer Mischung aus Klavierschule, musikalischem Tagebuch und kompositorischem Schlüsselwerk. Kurtág hat sich darin nicht nur von den Großen der Musikgeschichte inspirieren lassen, sondern auch von den ganz Kleinen: 1979 kam der Zyklus bei der Editio Musica Budapest heraus.

Kurtág versteht sein gesamtes Schaffen als Dialog mit der Vergangenheit. Er schafft sein Werk vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit, der Beschränktheit, vielleicht sogar der Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens. Er schreibt: „Der Mensch ist nur eine Blume“.

Auf der anderen Seite inspirierte György Kurtág das spontane Spiel der Kinder. Er versuchte, sich wieder in den Geist eines Kindes zu versetzen, für das das Klavier ein Spielzeug ist. In seinen Werken geht es um die Freude am Spiel, die Freude an der Bewegung. In seinem Vorwort gibt er zu bedenken: „Wir sollen uns wieder an die freie Deklamation … und alle improvisatorischen Möglichkeiten erinnern. Lasst uns doch die schwierigsten Passagen wieder mutig spielen, ohne die Angst vor einem Fehler. Wir sollen wieder kreativ sein … nur für unsere eigene Freude“.

Hartmut Lück schreibt über Kurtágs Musik: „Sie ist zerbrechlich, schutzlos, wie unbeholfen tastend durchs Weglose, schwankend zum Rande des Verstummens hin – aber dabei glühend vor emotionaler Intensität“.

György Kurtágs „Präludium und Walzer in C“ aus Jatekók überwältigte das Publikum. Nach dem Spiel mit den Obertönen und den verlorenen Tönen verblüffte das Perpetuum mobile. Noch nie hatte das Publikum eine solche Ansammlung von Glissandi erlebt. Maria Sintamarian strich mit verblüffender Leichtigkeit, Liebe und Zärtlichkeit über die ganze Klaviatur, ob von oben nach unten und umgekehrt, ob über weiße oder schwarze Tasten, ob in  Crescendi oder Diminuendi, ob kürzer oder länger. Durch diese permanenten Glissandi-Bewegungen entstand ein erstaunlich lebhaftes, faszinierendes und wellenähnliches Klangebilde. Györg Kurtág hätte an dieser spielerischen Darbietung bestimmt größte Freude empfunden.

Den Blumenstrauß an die Pianistin überreicht Professor Jürgen Bereiter-Hahn

Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales“ sind 1911 bei Durand in Paris veröffentlicht worden. „Wie der Titel es ausdrücklich beschreibt, ist es meine Intension, einen Zyklus von Walzern zu schreiben nach dem Beispiel von Schubert“, schreibt Ravel. In der Tat hat Franz Schubert 1823 den Titel „Valses nobles“ und „Valses sentimentales“ für seine Walzer verwendet, die aber  getrennt veröffentlicht wurden. Erst später hat man sie zusammen herausgegeben. Außer dem Titel haben die Werke keine Gemeinsamkeiten. Es wurde ein ganz echter und reiner Ravel. Impressionismus und Modernismus mischen sich, ergänzt durch Ravels eigene rhythmische Kraft.

Über die Klavierfassung schreibt Henri de Regnier folgenden Satz: „Die köstliche und immer wieder neue Freude an einer unnötigen Beschäftigung“. Das Werk wurde am 8. Mai 1911 in Paris in einem Konzert mit anderen zeitgenössischen Werken vom Pianisten Louis Aubert uraufgeführt, dem es auch gewidmet ist. Die acht Walzer bilden einen Zyklus. Die bemerkenswerte Delikatesse, der lockere, raffinierte Satz der Stücke und die harmonischen Kühnheiten, die in bitonalen Effekten im siebten ihren Höherpunkt finden, kennzeichnen die Walzer.

Unter dem Titel: „Adélaide ou le langage des Fleurs“ („Adelaide oder die Sprache der Blumen“) wurden die Walzer 1912 auch als Orchesterfassung herausgegeben und es wurde ihnen eine Choreographie unterlegt.

In den „Valses Sentimentales et nobles“ von Ravel konnte man sich wiederum von der robusten,  virtuosen, aber auch differenzierten Technik von Maria Sintamarian überzeugen. Aus einer beachtlichen musikalischen Tiefe heraus belebte sie die sensibel ausgearbeiteten Passagen. Die verschiedenen Charaktere der Walzer wurden sorgfältig zur Geltung gebracht. Brillanz paarte sich mit Tiefempfundenem und gekonnt Geführtem. Maria Sintamarian gehört zu diesen in unserer Zeit immer seltener werdenden ernsthaften Pianistinnen, die die Musik in den Vordergrund stellen und es wagen können, ein Konzert im Leisen ausklingen zu lassen.

Fotos: Erhard Metz und Ivonne Rochau-Balinge

→ Die Pianistin Maria Sintamarian im Hauskonzert von Viviane Goergen
→ Viviane Goergen spielt Werke früher Komponistinnen: Marguerite Roesgen-Champion, Mélanie Bonis, Germaine Tailleferre, Marie Jaëll, Vítezslava Kaprálová, Otilie Suková-Dvořákova

 

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