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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jugendstil und Art Deco in Brüssel beim BANAD Festival

Von Simone Hamm

Privatleute öffnen Ihre Häuser für architekturinteressierte Touristen. Das „Brussels Art Nouveau & Art Deco“ Festival ist noch bis zum 31. März 2019 eine einzigartige Gelegenheit, neben Führungen durch meist nicht öffentlich zugängliche Gebäude, Vorträgen, Veranstaltungen, Familienaktivitäten und einer Antiquitätenbörse, neue Orte zu entdecken, die zu den Juwelen zweier Brüsseler Baustile gehören. 

Art-Nouveau-Treppenhaus des Hotel Tassel: © EB

Wer an Brüssel denkt, dem fällt erst einmal die „Grand‘ Place“ ein, das „Männeken Piss“ und vielleicht auch noch die überdachte „Einkaufsgalerie St.Hubert“. Dann Schokolade. Und die guten Restaurants. Eines davon ist „La Quincaillerie“, einst ein altes Eisenwarengeschäft, gebaut um die Anfang des 20. Jahrhunderts, ein Jugendstilgebäude. Bestimmt hat jeder Brüsselbesucher bei einem Spaziergang durch die Stadt schon einmal vor einem Jugendstilhaus gestanden, die verschnörkelten Balkone gesehen, die bunten Fenster bewundert. Etwa die des Hotel Tassel.

Ein bauchiger Erker wölbt sich an der Fassade aus dunklen und ockerfarbenem Stein. Die Fensterscheiben des schmalen Stadthauses sind aus buntem Glas. Kleine eiserne Säulchen trennen die Scheiben von einander. Durch eine große Glaskuppel, durch etliche Oberlichter und bunte Fenster fällt viel Licht in die große Halle, von der alle Zimmer abgehen. So hatte bis dahin noch niemand gebaut. Alles ist Licht. Der Ingenieur Emile Tassel hatte den Architekten Victor Horta beauftragt, ihm ein Stadthaus zu bauen. Das Hotel Tassel – und Hotel bedeutet hier schlicht Haus (Hôtel kann im Französischen auch Stadthaus bedeuten), nicht Hotel – , erbaut 1893 – 94 gilt als das erste Art Nouveau-Haus in Brüssel. Art Nouveau, wörtlich die neue Kunst, damit bezeichnet man in Belgien, Frankreich, Italien und England den Jugendstil.

Typisch für den Art nouveau for floralen Elemente, hier im Solvay, © EB

Einmal im Jahr, an drei Wochenenden im März, öffnen in Brüssel etliche Privatleute ihre Art Nouveau-Häuser für Besucher. So kann man auch Gebäude erkunden, die nicht zu Museen umfunktioniert worden sind. BANAD heißt dieses Türe öfffnen. BANAD ist die Kürzung von „Le Brussels Arts Nouveau & Art Déco.

Die Wände des Hotel Tassel sind in warmen Gelb und hellen Rot gehalten, darauf findet man verschnörkelte graue Linien. Keine geraden Linien, alles ist geschwungen. Wie die Dekorationen aus Eisen, mit denen das Treppengeländer verziert sind, wirkt das floral. Auch die Stützpfeiler sind aus Gußeisen. Sie wirken nicht schwer, sie sind filigran. Glas, Stahl und Metall, das waren die Materialen, die der Architekt Victor Horta verwandte, wenn er seine prächtigen Häuser baute.

Horta hat im ganzen Haus Eisen benutzt. Innen wie außen. Die Nachbarn haben das nicht verstanden. Denn Eisen hat man bis dahin nur für Bahnhöfe und Fabriken und Eisenwarenhandlungen benutzt, nicht aber für Privatwohnungen.

Ende der fünfziger Jahre wollte der damalige Besitzer Jean Delhaye, der noch mit Horta zusammengearbeitet hatte, das Haus an die Stadt Brüssel verkaufen. Doch die lehnte ab. Andere Hortahäuser wie das prächtige Maison du Peuple, das Haus des Volkes, Hotels, Wohn- und Warenhäuser wurden bis weit in die sechziger Jahre hinein einfach abgerissen.  Der neue Besitzer des Hotel Tassel war ein pragmatischer Mann. Die Wände mit den prächtigen Ornamenten wurden schlicht weiß getüncht, neue Mauern gezogen. In die kleinen Zimmer zogen Studenten. Heute arbeiten in dem aufwendig restaurierten Haus Lobbyisten.

Das bekannteste Haus von Victor Horta, das Haus van Eetvelde, © EB

Der Architekt Victor Horta hatte zunächst Musiktheorie in Gent studiert, flog dann aber wegen schlechten Benehmens vom Konservatorium. Als er begann, Architektur zu studieren, ging er nach Paris und wollte zunächst Innenarchitekt werden. Er war nicht nur tief beeindruckt von den Impressionisten und Pointiliisten, er sah auch zum ersten Mal von den Pariser Architekten Gebäude, die mit Glas und Eisen gebaut worden waren. Nach dem Tode seines Vaters kehrte er 1880 nach Belgien zurück und beendete sein Studium in Brüssel. Das Hotel Tassel gilt als Schlüsselwerk des Art Nouveau in Brüssel.

Lichteinfall zum Garten hin im Max-Hallet-Haus, © EB

Der Immobilienmakler Michel Gilbert war schon immer fasziniert vom Jugendstil. Als er die Gelegenheit hatte, eines der seltenen Horta Häuser zu kaufen, schlug er sofort zu. Vier Horta Häuser hat er zwischenzeitlich renoviert, drei von ihnen besitzt er noch. Das prächtigste ist das Max Hallet-Haus in der Stadt. Dort wohnt er die Woche über mit seiner Frau und seinen zwei vier und fünf Jahre alten Kindern. Er sagt, dass seine Kinder von Kopf bis Fuß „in Horta baden“. Michel Gilbert ist weit über Brüssels Grenzen hinaus bekannt dafür, dafür dass er das Erbe Hortas bewahrt.

Jedes Detail ist hier von Horta entworfen worden: Die Türgriffe, die Möbel, die Tische mit den geschwungenen Beinen, die Spiegel, die Teppiche, die Mosaike in den Bädern. Michel Gilbert hatte zunächst nichts als die in rot und gelb gehaltenen Seidentapeten an den Wänden. Inzwischen hängen dort große abstrakte Gemälde, ein bewusster Gegensatz zum üppigen, überbordenden Jugendstil.

Manchmal ist ihm ein bisschen mulmig, wenn er Fremde eintreten läßt, denn man hat ihm schon kleine Figurinen gestohlen. Aber andererseits schätzt er auch die Gespräche mit den Besuchern. Da gibt es viel, was man austauschen kann. Und so hält er  trotzdem weiterhin seine Türen offen.

Die Villa Empain in Brüssel, Foto: © EB

Die Zeit des Art Nouveau währte nur kurz: um die vergangene Jahrhundertwende. Danach veränderte sich der Baustil zum Schlichteren hin. Man baute schneller, einfacher und eben auch schnörkelloser. Das Art Déco wurde geboren. Auch solche Häuser gibt es noch in Brüssel, wie etwa das Konzerthaus BOZAR oder die Villa Empain, heute ein Kulturzentrum, dass sich der Völkerverständigung verpflichtet fühlt, das bildende Künstler und Musiker aus Europa und aus dem nahen Osten einlädt. Hier sind die Geländer nicht mehr verschnörkelt, sondern haben geometrische Muster und die Erker sind eckig. Die Hauswände an den Seiten der freistehenden Villa sind abgerundet. Alles wirkt klar und betont schlicht.

Der Konzertsaal des BOZAR von Henry Le Boeuf, © EB

Art Déco ist also klarer und weniger verspielt als der Art Nouveau. Eines aber steht in beiden Kunstepochen ganz oben an: es ist das von oben einfallende Licht.

Der Banker Alan Branche lebt mit seinem Partner in einem schneeweißen Art Déco Haus, erbaut von Maxime Brunfaut. Er genießt es, in einem Haus zu leben, in dem es in allen Zimmern und im Treppenhaus hell ist. Überall sind Fenster, Lichtschächte. Denn in Belgien kann es – anders als in Spanien beispielsweise, wo man sich eher vor der Sonne schützen möchte – im Winter ziemlich dunkel sein.

Eingang zum Art-Déco-Haus von Brunfaut, © EB

Der Mann aus New York hat sich einen langjährigen Traum verwirklicht. Und auch er will ihn teilen. Gebäude von architektonischer Bedeutung, meint er, müsse man ganz einfach für Besucher öffnen. Und er tue das ja nicht jeden Tag, sondern nur an ein paar Wochenenden im Jahr, beim BANAD Festival eben im März.

Eingangsbereich der Villa Empain in Brüssel © EB 

Vielleicht noch interessant zu wissen, wer aus NRW nach Brüssel fährt: Thalys ist Kooperationspartner vom Festival BANAD. Bei Anreise mit dem Thalys erhalten Besucher 25 % Preisnachlass auf Ihre Ticketbuchungen für die Innenbesichtigung von Jugendstil und Art-Deco Gebäuden. Mehr Infos unter: www.thalys.com/de/de/reiseziele/banad

Von Frankfurt aus gibt es Direktverbindungen mit dem ICE.

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