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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eva Hesses Zeichnungen im Museum Wiesbaden

Ästhetische Arbeiten von sinnlicher Ausstrahlung – Shootingstar der Avantgarde

Von Hans-Bernd Heier

Eva Hesse zählt zu den bedeutendsten avantgardistischen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Die experimentierfreudige Künstlerin hat ein Gesamtwerk von einzigartiger Ästhetik und Sensibilität hinterlassen. „Ihre Arbeiten, vor allem ihre Skulpturen, entsprachen dem Lebensgefühl einer Generation, die zum Ende der 1960er-Jahre die etablierten gesellschaftlichen Normen zu durchbrechen versuchten“, erläutert Jörg Daur, stellvertretender Direktor des Museums Wiesbaden und Kurator der sehenswerten Schau.

Der Ausstellungsflyer

Siebzehn Jahre nach der herausragenden Retrospektive mit dem schlichten Titel „Eva Hesse“ stellt das Museum Wiesbaden das Schaffen der Ausnahmekünstlerinerneut in den Mittelpunkt einer Ausstellung. In der damaligen großen Überblicksschau waren auch Hesses fragile plastische Objekte zu bewundern, die heutzutage eine Ausleihe nur selten zulassen. Im Fokus der aktuellen Ausstellung stehen Zeichnungen. Die über 70 Zeichnungen und Collagen,die keine Titel tragen, werden ergänzt durch fünf Skulpturen und drei Gemälden aus dem Sammlungsbestand des Museums Wiesbaden. Die präsentierten Arbeiten bieten einen exzellenten  Einblick in das gerade einmal fünfzehn Jahre umspannende vielseitige Werk der US-amerikanischen Künstlerin.

Das kurze Leben Eva Hesses (1936-1970) war von traumatischen Ereignissen überschattet: Mit ihrer Familie – der Vater war jüdischer Strafverteidiger – floh die in Hamburg Geborene 1939 vor den Nationalsozialisten in die USA. Die künstlerisch begabte Mutter litt unter schweren Depressionen. Nach der  Scheidung der Eltern beging die Mutter Selbstmord – kurz vor Evas zehntem Geburtstag. Die Künstlerin selbst starb mit gerade einmal 34 Jahren an einem Hirntumor.

 

Kurator Dr. Jörg Daur beim Presserundgang

Nach ihrem Abschluss an der Junior High School in New York beschließt Hesse Künstlerin zu werden. Sie studiert an der Cooper Union School und an der Yale School of Art and Architecture, unter anderen bei den Professoren Josef Albers und Rico Lebrun. Auf Einladung des Textilunternehmers und Mäzens Friedrich Arnhard Scheidt kehrt sie 1964 nach Deutschland zurück. Für ein 15-monatiges Atelierstipendium reist sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer Tom Doyle, nach Essen-Kettwig. Diese Zeit sollte für ihren künstlerischen Weg von zentraler Bedeutung werden.

In dem Atelier, einem stillgelegten Teil der Scheidtschen Textilfabrik, entstehen Zeichnungen und Gemälde mit Motiven der dort herumliegenden Maschinenteile. Wichtiger noch: aus den dort vorgefundenen Materialresten fertigt sie spielerisch die ersten dreidimensionalen Objekte. Diese Arbeiten bereiten den Weg für jene Werke, mit denen die junge Amerikanerin berühmt wurde.

Im Verlaufe der Jahre 1964/65 vollzog Hesse in ihrem Werk einen fundamentalen Wandel. Nach der Rückkehr in die USA wandte Hesse sich ganz plastischen Arbeiten zu und experimentierte mit neuen Formen und Materialien, darunter Polyester, Glasfaser und Latex. Die vielseitige Künstlerin hat ihr Werk während ihrer kurzen Schaffenszeit laut Daur „völlig umgekrempelt“. Die fragilen Arbeiten verhalfen ihr in der New Yorker Kunstszene rasch zum Durchbruch. Sie wird zum Shootingstar der Avantgarde. Museumsdirektor Dr. Alexander Klar schreibt in dem Begleitbuch „Eva Hesse – Unheimlich lustig“ begeistert: „Eva Hesse ist ein Zaubername der neueren Kunstgeschichte. Mit  ihr verbindet sich ein künstlerisches Werk, das zeitlos poetisch, spielerisch, treffsicher und schlafwandlerisch präzise ist“. Und er schreibt weiter: „Eva Hesses Werk in all seinen Ausprägungen zeigen zu können, macht uns froh und stolz“.

Cover des Begleitbuchs zur Ausstellung

Im Gegensatz zur Malerei, die sie nach ihrem Deutschland-Aufenthalt aufgab, begleiteten die meist kleinformatigen Zeichnungen den gesamten Schaffensprozess der wegweisenden Künstlerin. Es entstanden Entwurfsskizzen, Zeichnungen und Collagen mit einem ganz eigenen, persönlichen Charakter. Hesse sah in den Medien allerdings keine gravierenden Unterschiede: „Wo hört die Zeichnung auf, wo fängt die Malerei an? Ich frage mich, ob meine Zeichnungen nicht eher Gemälde sind, nur kleiner und auf Papier. Die Zeichnungen könnte man mit Fug und Recht Malerei nennen, und auch einige meiner Skulpturen könnten den Namen Malerei tragen.“

Eva Hesse hat ein reiches zeichnerisches Oeuvre hinterlassen.Die Ausstellung, die bis zum 23. Juni 2019 zu sehen ist, zeigt in einem chronologisch angelegten Rundgang Arbeiten aus allen Schaffensphasen: frühe Studienskizzen neben malerischen Gouachen und Aquarellen, dazu expressive Tusch- und Farbstiftzeichnungen, Collagen wie auch Konstruktionszeichnungen und Entwürfe für skulpturale Arbeiten. Die ersten Zeichnungen, Aktstudien, die Hesse noch als Kunststudentin  fertigte, entstanden 1954 und die letzten Arbeiten 1969 entstanden kurz vor ihrem frühen Tod. Der Fokus der Schau, welche die Besucherinnen und Besucher begeistern dürfte, ist laut Kurator Daur „auf einzelne in faszinierender Zartheit ausgeführten Blätter mit ihren lebendigen Formen, der feinästhetisch ausbalancierten Farbigkeit und Leichtigkeit gerichtet“.

Eine Auswahl von Gemälden und Skulpturen aus der Sammlung des Museums Wiesbaden ergänzen die Schau. Das Landesmuseum besitzt insgesamt 11 Werke der bedeutenden Avantgarde-Künstlerin, darunter fünf Skulpturen und je drei Gemälde und Zeichnungen und damit das größte museale Konvolut ihrer Werke außerhalb der USA. Den Großteil der Leihgaben hat das Allen Memorial Art Museum, Oberlin College (Ohio) aus seinen reichen Beständen beigesteuert.

Die beeindruckende Überblicksschau „Eva Hesse- Zeichnungen“ wurde organisiert in Zusammenarbeit mit dem „Estate of Eva Hesse“, der Galerie Hauser & Wirth, sowie dem „Allen Memorial Art Museum“, Oberlin College, und ist bis zum 23. Juni 2019 im Museum Wiesbaden zu sehen.

Weitere Informationen unter: www.museum-wiesbaden.de

Alle Fotos: Hans-Bernd Heier

 

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