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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Before, With und After Rubens: „Antwerpen Barock 2018“

Von Rubens inspiriert  – Barocke Fülle und Vanitas

Ein Besuch in Antwerpen, der Stadt an der Schelde, lohnt die Reise gleich mehrfach…
Für Afficionados zeitgenössischer Kunst und Liebhaber des Barock ein paar ausgewählte Tipps und Ansichten

von Petra Kammann

↑ „Baroque Murals“ – Graffiti des jungen Streetartkünstlers  Yvon Trottoir auf  Antwerpener Hauswänden wie hier am Meir

↓ Im AMUZ, in der Sankt Augustinkirche, wird barock getafelt und geschlemmt (alle Fotos: Petra Kammann)

Barock geht es nicht nur am Main zu, wie zuletzt komisch mit Michael Quast als „Horribilis von Huckevoll“ in Höchst. Das barocke Lebensgefühl scheint im blutleeren Zeitalter virtueller Erfahrungen wegen der Betonung auf der starken Sinnlichkeit besonders ausgeprägt zu sein. Und Peter Paul Rubens ist nun mal die Verkörperung des Barocks schlechthin.

Das frisch restaurierte Selbstporträt von Rubens im Atwerpener Rubenshaus, wo die Ausstellung „Rubens‘ Return“ läuft

Rubens, der Maler, Diplomat, Unternehmer und Skulpturensammler ist noch heute eine wichtige Inspirationsquelle für zeitgenössische Künstler. Er hat die religiösen und politischen Konflikte und Leidenschaften der Zeit in verschiedenster Hinsicht selbst er- und durchlebt und auf seine Werke übertragen. Das macht seine Arbeiten noch heute so aktuell. In Frankfurt nimmt bis zum 5. August die Ausstellung After Rubens auf die vergangene fulminante Städel-Schau „Rubens. Kraft der Verwandlung“ Bezug.

Da präsentieren die Absolventen der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – 31 Künstlerinnen und Künstler – seit 10 Jahren erstmals wieder ihre zeitgenössischen Arbeiten aus verschiedenen Medien und Disziplinen im Museum Städel. Philippe Pirotte, der Rektor der Städelschule stammt übrigens aus Antwerpen, wo Peter Paul Rubens (1577 – 1640) einst wichtige Jahre seines Lebens gelebt und geschaffen hat…

Das Atelier des Malers im Rubenshaus. Blickfang ist Rubens‘ Gemälde „Martyrium des heiligen Andreas“ aus der Fondaciòn Carlos de Amperes in Madrid 

In Antwerpen, wo der Barockfürst unter den herausragenden flämischen Malern über die Jahre unendlich produktiv war, bildet in 2018 ein komplettes Barockfestival den Auftakt zu drei Themenjahren, mit denen Flandern unter dem Motto „Flämische Meister 2018–20“ drei verschiedene Epochen herausragender Kunstgeschichte jeweils in den Mittelpunkt stellt.

Das kulturelle Großprojekt „Flämische Meister“ legt seinen Schwerpunkt auf das Leben und Vermächtnis flämischer Künstler wie  van Eyck, Bruegel und Rubens, welche im 15., 16. und 17. Jahrhundert –wie auch andere namenhafte Künstler – diese Epoche prägten. In diesem Jahr dreht sich alles um Rubens, um den herum in diversen Ausstellungen Sinnlichkeit und urbane Modernität inszeniert wird.

Im kommenden Jahr wird eine solche Inszenierung Pieter Bruegel den Älteren (1525/30–69), 2020 schließlich  Jan van Eyck (1390–1441) gewidmet sein, dem der berühmte Genter Altar zugeschrieben wird, der nach einer gründlichen Sanierung dann auch wieder in die örtliche St. Bavo-Kathedrale zurückkehren wird.

↑ Das Rubenshaus mit dem barocken Portikus wird gründlich restauriert
↓ Das Rubensdenkmal ganz zentral in Nähe der Liebfrauen-Kathedrale 

 

In der Stadt Antwerpen hat vor allem das künstlerische Multitalent Rubens verschiedenste Spuren hinterlassen, sei es in der Malerei – er malte den „Himmel auf Erden“ und die Hölle war ihm ebensowenig fremd –,  als auch in der Architektur wie zum Beispiel in der St. Carolus Borromäuskirche  am Hendrik Conscienceplein. Sie galt geradezu als Schulbeispiel  für kirchliche Barockarchitektur. Leider gingen dort 1718 bei einem Brand auch 39 seiner Gemälde im Inneren verloren.

Aber auch im repräsentativen Rubenshaus an der Wapper, wo der Maler 25 Jahre lang mit seiner Familie lebte, arbeitete und hohe Gäste empfing – seine diplomatischen Beziehungen in Europa auch bei den Friedensverhandlungen in England waren legendär – hatte er ein Stück Italien in die südlichen Niederlande mitgebracht.

Während der Gartenpavillon wie auch der italienisch inspirierte barocke Portikus gerade restauriert werden, kann man in seinem ehemaligen Atelier nun auch wieder das frisch restaurierte Selbstporträt des Malers in voller Schönheit anschauen.

↑ Die von Rubens prächtig gestaltete Fassade der St. Carolus-Borromäuskirche, einer ehemaligen Jesuitenkirche, war mit 43 seiner Gemälde ausgestattet. Bei einem Brand gingen jedoch 39 verloren
↓ Das Innere und das Altarbild blieben erhalten  

Heute sind in der Stadt an der Schelde ständig 50 Werke des Malers und Multitalents präsent, der mit der Stahlkraft seiner Farben eine völlig neue Formensprache in die damaligen Niederlanden eingeführt hat, und manche Gemälde empfinden wir heute ob der stark bewegten Szenen als geradezu „filmisch“. Rubens hat auch sonst jede Menge Spuren in der Stadt gelegt, deren Einflüsse bis heute wirksam sind.

Reminiszenz an Gewalt und Agggression und das Bedürfnis nach Schutz kommen in Berlinde de Bruyckeres, „In Flanders Fields“ aus dem Jahre 2000 zum Ausdruck – nur einer der Räume im M HKA 

Das Barockjahr 2018 soll sowohl den Stadtbewohnern als auch den Besuchern zeigen, „dass man dem Phänomen Rubens und Barock nirgendwo näher kommen kann als in Antwerpen“. Sie sollen es förmlich spüren und selbst erfahren können. Daher strebt Caroline Bastiaens, die Kulturdezernentin der Stadt Antwerpen, nach ebenbürtigen Artefakten aus dem Hier und Jetzt.

Das Festival soll auf die Spuren sicht- und erfahrbar machen, die „Rubens in der Stadt, den neuen Werken der Künstler und der DNA der Antwerpener hinterlassen hat“. Bastiaens möchte einem internationalen Publikum  Spitzenqualität, Innovationen und überraschende Visionen anbieten.

Originalinstrumente aus der Zeit werden im Rockox-Haus aufbewahrt

Deshalb feiert die Stadt Antwerpen bis Dezember 2018 nicht allein ihr barockes Kulturerbe, sie verbindet es auch mit einem vielfältigen Programmangebot mit 10 Projekten zur Bildenden Kunst, 22 Musikprojekten mit mehr als 50 Konzerten, 12 Theater-und Musiktheaterproduktionen, 3 neuen Stadtwanderungen, mehreren Vortragsreihen und einer Reihe Antwerpener Originalprodukte aus der Zeit des Barock.

Vor allem wurden zeitgenössische bildende Antwerpener Top-Künstler wie u.a. Jan Fabre und Luc Tuymans aufgefordert, den zeitgenössischen Dialog mit den alten Meistern des Barock aufzunehmen. Auch der Foodfotograf Tony Le Duc, dessen großformatige Fotos Parallelen zu den Stilleben des „Goldenen Zeitalters“ eines Frans Snijders aufweisen, rücken die kulinarischen Besonderheiten in den Vordergrund, welche für die Barockzeit so typisch sind. Le Duc hat sich das Kochbuch von Antonius Magirus von 1612 vorgenommen und von prominenten Küchenchefs nachkommen lassen. Seine Foto- „Cokeryen“ sind im Snijders-Rockkoxhuis neben den Gemälden aus dem 17. Jahrhundert zu erleben.

Ziel der Stadt dabei ist es auch, die Begegnung zu vielversprechenden Ausstellungen und neuen künstlerischen Kreationen zu führen, von denen einige gelungene auf Dauer ins Stadtbild integriert werden sollen.

↑ Luc Tuymans, der Künstler aus Antwerpen, war im M HKA auch als Kurator tätig; hier beim Rundgang durch die Ausstellung vor der Statue „St. John the Apostle“ aus dem Jahre 1758, von Johann Georg Pinsel aus der LVIV National Art Gallery

↑ Die beeindruckende humanistische Bibliothek nach dem Vorbild des Erasmus von Rotterdam im Museum Plantin-Moretus, der Wohnstätte und Druckerei von Christoph Plantin aus dem 16. Jahrhundert, der u.a.  Werke von Rubens druckte

Das Rückgrat des Stadtfestivals bildet daher eine Reihe von Ausstellungen, die teils sogar bis in den Januar 2019 hineinreichen, in denen Rubens und der Barock mit zeitgenössischer Kunst und Gegenwartskünstlern konfrontiert werden. Und das verstreut in sieben Museen der Stadt: im Rubenshaus, im Museum aan den Stroom (MAS), im Skulpturenpark Middelheimmuseum, wo u.a. auch der Künstler-Choreograph William Forsythe präsent war, im Museum Plantin-Moretus, im Fotomuseum FOMU, im Snijders&Rockoxhaus und im M HKA in Zusammenarbeit mit dem Königlichen Museum für Schöne Künste KMSKA – werden Ausstellungen international bekannter Künstler und Werke gezeigt. Beim Festivalprogramm mit über 100 kulturellen Aktivitätenangeboten kann man ernsthaft von einer konzertierten Aktion sprechen, welche  die lebendige Auseinandersetzung mit dem Vorbild des Barock unterstreicht.

Luc Tuymans hat zu der Ausstellung „Sanguine/ Bloedrood“ das Werk des  US-amerikanischen Künstlers Edward Kienholz „Five Car Stud“ (1969-1972), das den Rassismus drastisch vor Augen führt, nach Antwerpen geholt, das schon in der documenta 5  für Aufsehen sorgte. Seine Frau  und künstlerische Partnerin Nancy Reddy Kienholz kam eigens zum „Aufbau“ in einem Kuppelzelt an den Antwerpener Platz

So stellt etwa Luc Tuymans im Museum für Moderne Kunst in Antwerpen (M HKA) Werke zeitgenössischer international anerkannter Spitzenkünstler wie Takashi Murakami, Isa Genzken, Edward Kienholz oder Tobias Rehberger einer Auswahl von Barockkunstwerken wie denen von Francisco de Zurbarán, Caravaggio oder Anthony van Dyck  und anderen Werken aus der Sammlung des Königlichen Museums für Schöne Künste Antwerpen gegenüber. Der Titel der Ausstellung „Sanguine/Bloedrood„schlägt eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Künstlern aus den verschiedenen Epochen. Tuymans sagt, ihm gehe es in der Auseinandersetzung mit den Barockmeistern um den „Energiestrom zwischen Leben und Tod“, der für die barocken Werke so charakteristisch sei.

↑ Ausstellung der Barocklady Michaelina Wautier (1604-1689), einer Zeitgenossin von Rubens, im Museum an de Strom (MAS)

Im Museum aan de Stroom (MAK) wird bis zum 2. September die erste herausragende Übersichtsausstellung des Oeuvres der Barockkünstlerin Michaelina Wautier (1604–1689), einer so vielseitigen Künstlerin, die in einer Zeit aufwuchs, in der weibliche Künstler äußerst selten waren, gezeigt. Eine echte Entdeckung! Die bemerkenswerte Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Rubenshaus.

↑ Michaelina Wautier, „Zwei Mädchen als die Heilige Agnes und Dorothea“

Jan Fabre, einer der wichtigsten zeitgenössischen und entsprechend selbstbewussten Künstler Belgiens wiederum, wird ab dem 15.8.2018 in der St.-Augustin-Kirche gleich drei Altargemälde von Rubens, Jordaens und van Dyck “ durch eigene, neue Arbeiten ersetzen“, die heute im Bestand des Königlichen Museum für Schöne Künste sind,. Doch das provokative „Enfant terrible“ Fabre zeigt sich hier eher demütig, wenn er bekennt: „Ich bin ein Zwerg in einem Land der Riesen“, sagt er mit Blick auf die drei Großmeister. Man kann ihm kaum widersprechen…

Zusatzinfos:

Das ganze Jahr über wird ein ebenso umfang- wie abwechslungsreiches barockes Veranstaltungsprogramm voller Musik, Theater, Street Art, Tanz und Performances angeboten, das gemeinsam mit vielen Antwerpener Künstlern und Initiativen entwickelt wurde. Die Palette reicht dabei vom prachtvollen Ambiente der Sankt Borromäuskirche bis zu den „Baroque Murals“, den vier großen bemalten Hauswänden im Stadtzentrum, die junge, vom Barock inspirierte Graffiti Künstler gestaltet haben, bis hin zum Weihnachtskonzert mit dem Antwerp Symphony Orchestra am Ende des Jahres.

Zudem wird im Laufe des Jahres 2018 noch der Grundstein  für ein neues interaktives Besucherzentrum am Rubenshaus gelegt. Das „Rubens Experience Center“ ist dann ab dem Jahr 2020 zu besichtigen.

Neben Stadtführungen auf den Spuren von Peter Paul Rubens und seinem Barockvermächtnis können Besucher die Stadt an der Schelde mit der Barock Festival Card auf eigene Faust entdeckenSie erhalten damit freien Eintritt in alle Ausstellungen und Kirchen, die sich am Themenjahr „Antwerp Baroque 2018“ beteiligen, sowie einen Handy-Guide und einen Stadtführer mit wichtigen Serviceinformationen zu allen Locations.

Alle Fotos: Petra Kammann

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