„John Baldessari. The Städel Paintings“ im Frankfurter Städel Museum
Schnipselmann & Schnitzeljagd –
John Baldessaris ironische Meisterwerk-Kommentare
Krönender Abschluß „200 Jahre Städel“
Kurator Martin Englert und Städelchef Max Hollein vor John Baldessari (*1931) Movie Scripts/Art: A hand suddenly grips railing, 2014, Diptychon; Inkjet-Print und Acrylfarbe auf Leinwand, 273,7 x 189,2 cm, Marian Goodman Gallery © John Baldessari; Foto: Petra Kammann
Von Petra Kammann
Meisterwerke von Genies können etwas Einschüchterndes haben, in der Kunst wie in der Literatur. Wie wollte man Goethe übertrumpfen? Man muss nur selbstbewusst und respektlos genug mit den Meistern umgehen. So etwa hat sich der Pop-Artist Andy Warhol frech aus dem berühmten Tischbein-Porträt den Kopf mit Hut herauskopiert, stark vergrößert und ihn mit grellen und frischen Farben neu aufgebaut. Entstanden ist so eine neue Ikone im „Zeitalter der Multiplizierbarkeit“, ohne die man das Tischbein-Gemälde kaum mehr denken kann … Und jemand wie der DDR-Autor Ulrich Plenzdorf wollte Goethe auch nicht allein den Ruhm für „Die Leiden des jungen Werther“ überlassen. Wie der Autor den „ollen Werther“ in sein eigenes Werk „Die neuen Leiden des jungen W.“ einbaut, ist so provokativ wie witzig: Held Edgar sitzt im Dunklen auf der Toilette und findet kein Papier. Also missbraucht der ein dünnes Büchlein, von dem er Titel- und Deckblatt sowie die letzten paar Seiten als Toilettenpapier gerade zur Hand hat. Dass es sich dabei um Goethes Werther handelt, kann er zwar nicht mehr feststellen, liest das Buch dann doch noch, lässt jedoch kaum ein gutes Haar daran. Das Aufmüpfige, das dem Autor Probleme mit der Zensur verursacht hat, der respektlose Umgang mit traditionellen Kultwerken, hatte in der westlichen Welt weniger dramatische Folgen.
So war dem kalifornischen, inzwischen 84-jährigen Künstler John Baldessari, der als Vater der Konzeptkunst gilt, mehr Erfolg und Anerkennung beschieden. Er erhielt nicht nur unzählige Auszeichnungen, sondern auch Ausstellungen in renommierten Museen wie dem Metropolitan Museum in New York oder der Tate Modern in London. Und er wurde mit dem Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig und 2012 mit dem Kaiserring der Stadt Goslar ausgezeichnet. Als Pionier der Konzeptkunst hatte Baldessari schon Mitte der 1960er Jahre alles infrage gestellt: die Malerei, den Markt, den Mythos des Künstlergenies – und auch den guten Geschmack oder das, was Kunstkenner wohl dafür hielten. Der Maler schlug einen radikalen Weg ein. So wurde er 1970 so richtig durch seine provokative Tat bekannt, als er nämlich seine Gemälde, die er bis 1968 geschaffen hatte, offiziell in einem Krematorium verbrennen ließ.
John Baldessari (*1931) Movie Scripts/Art: One must act quickly, 2014, Diptychon; Inkjet-Print und Acrylfarbe auf Leinwand, 159,5 x 274,3 cm, Marian Goodman Gallery © John Baldessari
Seitdem gehört der Mix von Gemälden, Zeichnungen, Fotografien, Videos, Wörtern und Aussagen zu seinen neuen Ausdruckmitteln. Baldessari kombinierte aus Schrift und Bild auf der Leinwandoberfläche weitere Aussagen zu dem, was man eigentlich sieht. Schrille Farbflächen ersetzen Teile von Bildern, das Fehlende fällt dabei besonders ins Auge. Auch hat er immer wieder einzelne Bilder teilübermalt und somit in eine Kombination und einen neuen Zusammenhang gebracht. So setzte er Schrift bzw. Wörter und Texte als ebenbürtige Aussagen neben die Abbildungen. Es entstanden großformatige Diptychen. Dabei verbindet der Künstler – wie nun in der neuen Schau „John Baldessari. The Städel Paintings“ bis zum 24. Januar 2016 im Städel zu sehen – die stark vergrößerten, ausgerissenen Details der Meisterwerke, welche er mit kräftigen Farben koloriert, mit kommentierenden Texten.
Baldessari und das Städel seien schon seit mehreren Jahre wegen der zeitgenössischen Bestimmung von Fotografie und Malerei im Gespräch gewesen, sagt Kurator Martin Engler, Sammlungsleiter Gegenwartskunst des Städel, und so habe sich Baldessari nach langen Gesprächen anlässlich des 200-jährigen Städel-Jubiläums entschließen können, sich mit den Meisterwerken des Museums auseinanderzusetzen. Entstanden ist dabei eine 16-teilige Diptychon-Serie, eine Hommage an das Museum oder eher noch vielleicht an die qualitativ hochwertige Malerei, die dort versammelt ist und der die Herausnahme eines unbemerkten hochvergrößerten Details nichts anhaben kann. Im Gegenteil, der Betrachter achtet nun um so mehr auf die Details des Originals. So entstand also ein Gegen- und Miteinander, das sowohl die alte wie auch die neue Kunst gleichermaßen in ihrem kunsthistorischen wie institutionellen Bezugssystem befragt.
John Baldessari (*1931) Movie Scripts/Art: Hang in there, 2014, Diptychon; gefirnisster Tintenstrahldruck mit Acrylfarbe auf Leinwand, 273,7 x 169,6 cm, Kadist Art Foundation, Foto: John Baldessari studio © John Baldessari studio
Den mit Tintenstrahldruck ausgeplotteten Teilen der isolierten Ausschnitte aus Meistergemälden – wie dem „Paradiesgärtlein“, von Lucas Cranachs „Venus“, Justus Junckers „Stillleben mit Birne und Insekten“, Agnolo Bronzinos „Bildnis einer Dame mit Schoßhündchen“, Adam Elsheimers tanzenden Frauengestalten oder der in Maria Lassnigs Händen ruhende Schimpansenkopf – stellt Baldessari willkürliche Schnipsel aus Hollywood-Drehbüchern gegenüber, die in ihrer absurden Ausschnitthaftigkeit den Arbeiten eine gesellschaftspolitische Note verleihen, weil sie die Unangemessenheit der Rezeption von Kunst deutlich machen. Denn bei Baldessaris Movie Scripts/Art geht es nicht nur um das Spannungsverhältnis zwischen Malerei und Fotografie, zwischen Text und Bild, sondern die in Schreibmaschinenschrift gedruckten Dialoge nehmen wörtlich Bezug auf die Abbildungen, und immer wieder geht es auch um die Absurditäten eines zügellosen Kunstmarkts, dessen Luxusbedürfnis der so kommentierende Künstler ironisch aufs Korn nimmt. Etablierte Wahrnehmungsmuster werden mit einem Augenzwinkern in einen neuen Kontext gestellt.
John Baldessari (*1931) Movie Scripts/Art: …With a fly crawling on it, 2014, Diptychon; Inkjet-Print und Acrylfarbe auf Leinwand, 174,3 x 273,4 cm, Marian Goodman Gallery © John Baldessari
14 der 16 so entstandenen großformatigen Baldessari-Werke hängen im oberen Stockwerk des Ausstellungshauses und lediglich zwei dieser Arbeiten, die mit einem Detail auf ein Werk der Städel-Sammlung Bezug nehmen, hängen neben ihren Vor-Bildern bei den Alten Meistern: Bartolomeo Venetos um 1520 entstandenes „Idealbildnis einer Kurtisane als Flora“ und Justus Junckers „Stillleben mit Birne und Insekten“ von 1765, bei dem der hinzugefügte Text sich auf den interessierten Blick Madelenes auf das Gemälde einer Birne bezieht und deren Gegenüber das für ihn wenig spannende Bild mit einem lakonischen „Not funny“ kommentiert. Bei Veneto hat sich Baldessari die fein gelockten güldenen Strähnen der Dame und ihre graziöse Hand mit Blumen herausgepickt. Im Text nebenan geht es um ein Paar während einer Autofahrt, bei der die Frau auf einer Reklametafel eben dieses Motiv entdeckt und seufzt, sie möchte auch so gut malen können, würde es aber gar nicht erst versuchen. Darauf die banale Antwort ihres Begleiters: „I’m thinking about it, baby!“ Größer könnte der Kontrast nicht sein.
(li.) John Baldessari (*1931), Movie Scripts/Art: I wouldn’t even try, 2014, Diptychon; Inkjet-Print und Acrylfarbe auf Leinwand, 248 x 274,3 cm, Marian Goodman Gallery © John Baldessari; (re.) Bartolomeo Venetos um 1520 entstandenes „Idealbildnis einer Kurtisane als Flora“; Foto: Petra Kammann
Damit schimmert ex negativo bei Baldessari die Ansicht durch, dass Kunst wohl eine Könnerschaft voraussetzt. Durch die heitere Leichtigkeit der Präsentation öffnet Baldessari Spiel-Räume für die Lust am Ausprobieren, die Lust am Fragmentarischen, und er erhöht gleichzeitig die Lust, die echte Könnerschaft des Originals wiederholt in Augenschein zu nehmen. Eine Schnitzeljagd durch das Museum schärft dann auch den Blick für die anderen Meisterwerke. So ist in diesem Jahr das Städel der Star unter den deutschen Museen – fast hollywoodreif.
„John Baldessari. The Städel Paintings“, Städel Museum, bis 24. Januar 2016
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Städel Museum
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel (1)
→ „Dialog der Meisterwerke“ im Städel: Eröffnungsansprache von Daniel Kehlmann
→ 200 Jahre Städel-Stiftung – Städel Museum Frankfurt am Main
→ Jubiläumsausstellung im Städel Museum Frankfurt „Monet und die Geburt des Impressionismus“
→ 200 Jahre Städel (1)