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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hans Ticha: Maler, Grafiker, Zeichner, Buchillustrator

Politisch, gesellschaftskritisch, fein-derb, witzig, ironisch, ideenreich, eigenwillig
Ein Gespräch mit dem Künstler

Von Renate Feyerbacher

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Ausstellungsansicht in der Büchergilde Buchhandlung und Galerie, Frankfurt: „Musiker“, 2011, Öl auf Leinwand

Der Maler, Grafiker und Buchillustrator Hans Ticha wurde und wird in diesem Jahr mit mehreren Ausstellungen geehrt. Der Anlass: Anfang September 2015 wurde er 75 Jahre. Bis Ende September widmete ihm die Frankfurter Büchergilde Buchhandlung und Galerie eine Ausstellung mit Zeichnungen, Vorzeichnungen, Gemälden und Druckgrafiken. Die Berliner Galerie Läkemäker hatte bereits zuvor auf der Art Karlsruhe 2015 Gemälde des Künstlers gezeigt, und bis zum Sommer 2015 präsentierte das Literaturhaus Magdeburg eine Sonderausstellung „Hans Ticha – Grafik, Buchkunst und Illustration“. Am 12. Dezember 2015 schliesslich wird das Stadtmuseum Jena eine grosse Ausstellung mit Arbeiten Tichas unter dem Titel „Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Bücher“ eröffnen, die bis Mitte März 2016 laufen wird.

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Hans Ticha (li.) und Wolfgang Grätz, Inhaber der Büchergilde Buchhandlung und Galerie, Frankfurt

Seit 1993 wohnt Hans Ticha nahe Frankfurt in einem kleinen Reihenhaus-Anwesen – vorne ein Wohnhaus, dahinter Atelierräume, dazwischen ein idyllischer Garten mit wunderschönen Pflanzen, die alle einen Herkunftsnamen haben. Seine Katze, würdevoll ausgestreckt, denkt nicht daran, der Besucherin Platz zu machen. Obwohl bereits im Vorbereitungsdruck für die genannte Ausstellung im Stadtmuseum Jena lässt der Künstler keine Ungeduld erkennen.

Hans Ticha, dessen Werke ich 1994 bei einer Ausstellung der Galeristin Gisela Heier auf der Rheininsel Rettbergsaue vor Wiesbaden kennenlernte, ist ein bescheidener Künstler, mag keinen Rummel um seine Person, hat zwar einen Internetanschluss, den er aber nur notgedrungen nutzt. Erscheint er bei einer Ausstellungseröffnung seiner Werke, dann stellt er sich jedoch geduldig und aufgeschlossen allen Fragen der interessierten Besucher. Diese Präsenz ist selten. Beliebte Worte nach Fragen, die er mit leiser Stimme überlegt beantwortet, sind: „Na ja.“ Damit relativiert er überschwängliches Lob oder Einschätzungen von Ereignissen. Zitate wie „Ausnahmekünstler“ oder auch Worte des einstigen FAZ-Kulturkritikers Eduard Beaucamp quittiert er mit einem: „Na ja, gut“. Witzig, ironisch und manchmal sarkastisch sind seine Formulierungen. So sind auch seine Werke.

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Hans Ticha in seinem Garten

Hans Ticha, 1940 in Tetschen-Bodenbach, dem heutigen Decín/Tschechische Republik geboren, erlebte als Kind die Vertreibung. Die Mutter musste ins Lager und Zwangsarbeit leisten. Der Vater war im Krieg und galt als vermisst. Die Mutter wurde psychisch krank. Zwei Familienmitglieder kamen ums Leben. „Nachkriegsereignisse, wobei die Tschechen sich nicht besonders fein aufgeführt haben.“ Nach der Entlassung aus der Zwangsarbeit gelangte die Familie in die Nähe von Leipzig, nach Schkeuditz. Die Mutter sorgte dafür, dass der Junge vorzeitig in die Schule kam, weil es da „ein Brötchen“ gab. Hans Ticha war daher immer der Jüngste in der Klasse und legte bereits mit 17 Jahren das Abitur ab. Nach der Reifeprüfung traute er sich jedoch noch nicht, auf eine Kunsthochschule zu gehen, sondern studierte zunächst in Leipzig Pädagogik und arbeitete als Lehrer. Was er im Nachhinein für gut hält.

Bereits mit 19 Jahren illustrierte er sein erstes Buch „Das Schildbürgerbuch“. Diese Eigenproduktion mit Linolschnitten von hoher Qualität nahm er in sein Werkverzeichnis auf, weil sie plötzlich hoch gehandelt wurde.

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Ausstellungsansichten im Atelier Hans Ticha

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Mit 25 Jahren begann er das Studium an der Hochschule für Bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee. Damals hatte man versucht, sie nach Bauhaus-Prinzip aufzubauen. Der holländische Architekt Mat Stam, der in Frankfurt am Main die zwischen 1929 und 1932 erbaute Hellerhof-Siedlung entworfen hatte, war 1950 deren erster Rektor. Ticha heute: „Stam haben sie weggeekelt.“

Die Professoren, der Maler Kurt Robbel, von Mat Stam an die Hochschule geholt, und der namhafte Buchillustrator Werner Klemke – Ticha: „der sich nie sehen liess“ – , dessen Nachlass sich im Offenbacher Klingspor-Museum befindet, waren unter anderem seine Lehrer. Er beschäftigte sich mit Gebrauchsgrafik: „Da war ich etwas aus der Schusslinie, denn die, die Malerei unterrichteten, Fritz Dähn und Walter Womacka, da dachte ich, das überstehe ich die Jahre nicht. Ich habe mich mit Grafik durchgewurschtelt. Das Malen habe ich zuhause gemacht, hab mich so gut wie nie sehen lassen. Ich habe eingewickelt meine Bilder gezeigt. Das führte sofort zu riesigen Diskussionen.“ Fünf Jahre hat Hans Ticha in Berlin-Weißensee studiert: „Na ja, da wird im Westen immer behauptet, dass die Ausbildung so toll war an den Kunsthochschulen. Das ist ein Gerücht. Ich habe die Hochschule als Autodidakt verlassen. Da ist nicht viel passiert.“

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„Wohle des Volkes“, 1983, Öl auf Leinwand

Hans Ticha hatte mit dem sozialistischen Realismus nichts zu tun. Im Gegenteil. Er hatte den russischen Konstruktivismus zum Vorbild: die Künstler Kasimir S. Malewitsch (1878-1935), Begründer des Konstruktivismus, und Eliezer „El“ Lissitzky (1890-1941). Von ihm besass er ein seltenes Buch. Beide Künstler fielen während der Stalin-Zeit in Ungnade. Auch Oscar Schlemmer (1888-1943), Fernand Léger (1881-1955) und Willi Baumeister (1889-1955) beeinflussten ihn. Alles Vorbilder, die nicht ins sozialistische Kunstverständnis passten. In den 1950er Jahren war es dann die Pop-Art, die aus den USA und England nach Europa kam, die ihn interessierte.

Wie gesagt, er malte vieles zu Hause im Verborgenen. Allerdings wurden seine Sportbilder akzeptiert. Sie wurden 1986 im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Barcelona 1992 ausgestellt. Das IOC ehrte ihn mit dem Grand Premio für Malerei. Das Schlossmuseum Weimar kaufte das Gemälde „Mannschaft“ 1975, und in die (Ost-)Berliner Nationalgalerie gelangten 1982 zwei Bilder. Das war geradezu mutig.

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Ausstellungsansichten im Atelier Hans Ticha

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„Tennisspieler“, 1995

Später, von 1970 an als freischaffender Künstler (zunächst in Berlin, anschliessend in Mainz und ab 1993 in der Nähe von Hanau) widmete er sich vor allem auch der Buchillustration. An die 100 Bücher hat Hans Ticha illustriert.

Allein in der DDR, dort waren es um die 70 Bücher, die wichtigsten verlegt vom renommiertesten Verlag, dem Aufbau Verlag, erhielt er etwa 25 Auszeichnungen. War er so angepasst? „Das ist das Merkwürdige, dass bei der Buchillustration wesentlich mehr Freiheiten in formaler Hinsicht existierten. Das war verblüffend. Ein Buch, das in Zehntausender Auflage erschien, da haben sie nicht so genau hingeguckt als bei einer Ausstellung, wo mal 20 Leute hinguckten. Das fanden sie als das ideologisch Wichtigere. Das war sonderbar.“ Stets realisierte er eigenständige Bild-Geschichten und keine Illustrationen, die lediglich dem Text entsprechen.

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Aus dem Kalenderbuch der Büchergilde (1999)

Andere Bilder hätten Hans Ticha dagegen ins Gefängnis bringen können. Er hatte befürchtet, auch deshalb ins Visier der Stasi gekommen zu sein, weil über ihm echte Dissidenten wohnten: Die Bürgerrechtler Gerd und Ulrike Poppe. Sie wurde 1983 wegen „Verdachts auf landesverräterische Zersetzungsmassnahmen“ verhaftet, jedoch nach sechs Wochen nach Protesten aus dem In- und Ausland wieder freigelassen. Ulrike Poppe wollte nach der Wende eine eigenständige sozialistische DDR. Heute ist sie „Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“. Damals schaffte sich Ticha Gardinen an, da die Stasi vis à vis eine Wohnung gemietet hatte. Dreimal gab es merkwürdige Einbrüche in seinen Arbeitsraum, die in seiner Stasi-Akte nicht vermerkt sind.

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Ausstellungsansichten im Atelier Hans Ticha

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Die Lebensdaten sind für die Kunst von Hans Ticha prägend. Ab Ende 1970 beschäftigte er sich mit politischen Themen. Seine Motive fand er in Zeitungen oder im Fernsehen (in der Sendung „Aktuelle Kamera“). Er sammelte Berichte über Parteitage oder Militärparaden und setzte sie bildlich um. Es waren DDR-Rituale: Immer wieder klatschende, erhobene Fäuste, Bruderküsse, Propaganda-Schreihälse. Er spielt mit Realismus und Surrealismus. Die Farbe ist Protest gegen das Grau der DDR. Sie ist grell und oft monochrom. Er erzählt aber auch Alltagsgeschichten, manchmal gegenständlich-konstruktiv, jedoch nicht aus dem Bauch heraus: „Man muss schon einen Plan haben.“

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Ausstellungsansicht im Atelier Hans Ticha, rechts „Frau mit Hut am Meer“, 1973, Öl auf Leinwand

Und immer wieder kommen Instrumente vor, oft sind es Blasinstrumente – erinnernd an Militärparaden, aber auch feinsinnig der Kultur verpflichtet. „Sein Menschenbild, die Idee eines menschlichen Sozialismus sind Merkmale, die Hans Ticha in seiner Darstellungskraft beflügeln und ihn dazu befähigen, Zwangsgesellschaften als hohle, aufgeblasene Phantome zu persiflieren“ (Wolfgang Grätz, Büchergilde).

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Spontan-Zeichnung Hans Tichas vom 27. Juni 1998 in das Gästebuch der Autorin

Nach der Wende hat es Hans Ticha nicht in Berlin am Prenzlauer Berg gehalten. Es sei keine gute Zeit gewesen. Viele Künstler sassen auf dem Trockenen. Neunundneunzig von hundert Verlagen stellten den Betrieb ein. Dennoch beteiligte er sich 1990 an der Biennale in Venedig (im Rahmen der Spezialausstellung „Ambiente Berlin“).

Die Diskussionen um die DDR-Kunst, auch angestossen von Georg Baselitz, der zunächst an der Hochschule Berlin-Weißensee unter anderem bei Walter Womacka studierte, aber von der Hochschule verwiesen wurde und nach West-Berlin ging, vergifteten das Kunst-Klima. Baselitz und andere hatten unterstellt, dass jede erfolgreiche Kunst im Osten ideologisch manipuliert gewesen sei. Er spitzte zu: „Es gibt keine Künstler in der DDR.“ Und er hatte hinzugefügt, Künstler aus der DDR seien „ganz einfach Arschlöcher.“ Lange dauerte der erbitterte Bilderstreit zwischen Ost und West. Es wurde vergessen, dass viele in der DDR ausgebildete Künstler, die sie verlassen hatten – Sigmar Polke, Gerhard Richter, A. R. Penck, Volker Stelzmann und andere – , zur westlichen Kunstentwicklung wesentlich beigetragen haben.

Den Höhepunkt beziehungsweise den Tiefpunkt des Bilderstreits nannte Wolfgang Thierse die Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ 1999. Hans Ticha verlangte damals die Herausgabe seiner Arbeiten: „Üble Diffamierungsschau“. Thierse, der die Ausbürgerung von Wolf Biermann seinerzeit nicht unterzeichnet hatte, von der Humboldt-Universität verwiesen wurde und nach der Wende von 1998 bis 2005 Präsident beziehungsweise Vizepräsident des Deutschen Bundestages war, hat sich in einem öffentlichen Vortrag am 4. April 2013 im Alten Rathaus Leipzig mit den Künsten im doppelten Deutschland auseinandergesetzt: eine informative Analyse der damaligen Ost-West-Konflikte im Bereich der Bildenden Kunst, die heftiger waren als die im literarischen Bereich.

Hans Ticha war Gegner verschiedener Phänomene in der DDR, und auch heute arbeitet er gegen Konformismus, Medienmanipulation, Verlust der Persönlichkeit. Die Zuspitzung ist sein ureigenstes Metier. Leere Hüllen sieht er allüberall.

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Im Atelier Hans Ticha: „Cards“, 1996

Sein Formenreichtum, seine Experimentierfreude sind unerschöpflich.

Die Buchgestaltung ist nach wie vor sein wichtigstes Gebiet. Fünf Bücher illustrierte er allein in der Edition Büchergilde Gutenberg Frankfurt. Das sind Joachim Ringelnatz: „Und auf einmal steht es neben dir“- Gesammelte Gedichte, 1996/2007, Ernst Jandl: „Aus dem wirklichen Leben –  gedichte & prosa“, 2000, für das er den 3. Preis bei den „Schönsten Büchern“ erhielt, Erich Kästner: „Gedichte“, 2003, Kurt Tucholsky: „Augen einer Großstadt“, 2006, Christian Morgenstern: „Alle Galgenlieder“, 2014.

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Buchtitel der Büchergilde Gutenberg (Illustrationen zu Gedichten von Ernst Jandl, oben rechts Flachdruckgrafik „Meinl Kaffee“ aus der Vorzugsausgabe A) und der Edition Büchergilde 2006 (Illustrationen zu Kurt Tucholsky „Augen in der Großstadt“)

Die Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt und Leipzig ehrte ihn vor Jahren mit Ausstellungen. Der Walter Tiemann-Preis 1998, der Kulturpreis des Main-Kinzig-Kreises 2001 und die Hans-Meid-Ehrenmedaille, 2007, ein Jahr vor dem darauffolgenden Preisträger Tomi Ungerer, wurden ihm verliehen.

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Grafik Ottos Mops, 2004 Holzschnitt

Am 12. Dezember eröffnet die grosse Jubiläumsausstellung im Stadtmuseum Jena; sie läuft dort bis zum 20. März 2016 

Abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Buchtitel © Büchergilde Gutenberg und Edition Gutenberg; Fotos: Renate Feyerbacher

 

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