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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

53. Biennale Arte Venedig 2009 (1) – Der Deutsche Pavillon

Von Erhard Metz

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Da steht er also, der Portikus des Deutschen Pavillons in den Giardini Pubblici, mit seinen vier vorgebauten Säulen im Stil der nationalsozialistischen Architektur des Jahres 1938, in welchem der Bau seine heutige Gestalt erhielt: der Pavillon, an dem sich Kurator und Künstler des diesjährigen deutschen Beitrags zur Biennale, Nicolaus Schafhausen und Liam Gillick also, weidlich abarbeiten. Schafhausen würde sogar gerne die Abrissbirne gegen den Pavillon schwingen sehen – da gäbe es denn noch sehr vieles mehr an Nazi-Architektur abzureissen in Deutschland und anderswo, fangen wir gleich mit dem Haus der Kunst in München an und hören bei den als Ministerien genutzten Gebäuden in Berlin – denken wir nur an das riesige vormalige Reichsluftfahrt- und heutige Bundesfinanzministerium – noch lange nicht auf. Und die Bundesregierung brauchte über den Abrissbirnenherstellern gewiss keinen staatswirtschaftlichen Schutzschirm aufzuspannen.

Über das Konzept nationaler Pavillons hinaus missfällt Schafhausen und Gillick auch die übrige repräsentative, palladianischen Proportionen folgende Architektur des Gebäudes mit seiner von einer Apsis abgeschlossenen Zentralhalle und den symmetrisch angelegten Sälen zur Linken und zur Rechten. Nun, es sind Räumlichkeiten, wie man sie seinerzeit für Gemäldeausstellungen konzipiert hatte. Die diesjährige Biennale präsentiert jedoch fast ausschliesslich Installationen und kaum an eine Wand zu Hängendes.

Liam Gillick konterkariert diese Architektur mit seiner Installation, indem er sie mit endlos aneinandergereihten küchenmöbelartigen Einbauten aus powrem Tannenholz durchkreuzt. Sofortige Assoziationen an Billigware für Selbstabholer und Selberschrauber aus dem bekannten Möbelhaus mit den vier grossen Buchstaben lassen sich nicht vermeiden.

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Billigware verhängt auch das Eingangsportal des Pavillons: Fliegenabwehrende Plastikstreifen, wie man sie vor sommerlichen Campingwagentüren und auf Zeltplätzen antrifft.

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Die Arbeit des Künstlers – er betitelt sie „Wie würden Sie sich verhalten? Eine Küchenkatze spricht“ – erschliesst sich vornehmlich demjenigen, der seine und des Kurators These nachvollziehen will, der Deutsche Pavillon stelle einen „ideologisch aufgeladenen Ort“ dar, oder dem von Gillick höchstselbst vorgetragenen Text folgt, „dass da etwas Böses in dem Gebäude ist“.

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Ja, und da sitzt sie, die Küchenkatze, hoch auf den Schränken, wir werden noch auf sie zurückkommen.

Gillick liess sich für seine Installation durch seine heimische Küche inspirieren, die er als „improvisiertes Studio“ nutzt; ferner von der Katze seines Sohnes (Gillick ist mit der anglo-amerikanischen Künstlerin Sarah Morris verheiratet, deren Arbeiten derzeit im Frankfurter Museum für Moderne Kunst gezeigt werden), die – also die Katze natürlich – „stets versuchte, seine Arbeit zu unterbrechen“, wie es im Katalog heisst. Und von der berühmten „Frankfurter Küche“ der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky.

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„Frankfurter Küche“? 1926 holte der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May, der nach dem Ersten Weltkrieg weite Teile der richtungweisenden, heute oft denkmalgeschützten Frankfurter Siedlungsstrukturen für die wohnungsuchende Bevölkerung gestaltete, Margarete Schütte-Lihotzky in das Hochbauamt der Stadt, wo sie den Prototyp der „modernen“ Einbauküche entwickelte und rund 10.000 Mal in die kleinen Arbeiterwohnungen der Mayschen Häuser einbauen liess.

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Die Architektin, kämpferische Antifaschistin, verliess Deutschland bereits 1930. Im Jahr 1941 nahm die Gestapo in Wien Schütte-Lihotzky, mittlerweile Mitglied der Österreichischen Kommunistischen Partei KPÖ, fest. Ein Gericht verurteilte sie zu 15 Jahren Zuchthaus. Ende April 1945 befreiten US-Truppen sie aus ihrem Gefängnis im bayerischen Aichach.

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Gillick, „europäischer Sozialist“ (der Künstler über sich), hat die „Frankfurter Küche“ im Wiener Museum für Angewandte Kunst wiederholt besucht und sich mit ihr auseinandergesetzt. Es gibt sie also, zumindest im Ansatz: eine Beziehung, ja Verbindung der Architektur des Pavillons mit der von Gillick zitierten, jetzt in seiner Arbeit ins Groteske überhöhten Küchenstruktur Schütte-Lihotzkys und dem politischen Leben der Architektin, die nach dem Zweiten Weltkrieg als immer noch bekennende Kommunistin in den westlichen Ländern keine Aufträge mehr erhielt. Erst spät fand ihr schöpferisches Werk einige Anerkennung: 1980 erhielt sie den Architekturpreis der Stadt Wien.

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Die Katze: sie spricht. Das heisst nicht sie, sondern der Künstler Gillick spricht: Seine Stimme verhallt allerdings, vermutlich absichtsvoll, im weiten Zentralraum des ungeliebten Pavillons. Da spielt es denn auch keine Rolle mehr, dass Gillick den Text nur in Englisch vorträgt.  Der Text liegt am Eingang des Pavillons auch in deutscher Sprache aus; die – ausgestopfte – Katze hält das Papier zwischen ihren Zähnen. Leider trifft man den vom Künstler gesprochenen Text auf der Homepage des Deutschen Pavillons ebenfalls nur in Englisch an (Nachtrag 27. Juni: nun, seit kurzem, auch in Deutsch!).

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Gillick erzählt ein in der Zukunft spielendes poesiereiches Märchen von einer sprechenden Katze, einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen. Die Beziehungen zwischen der Katze, den Kindern und den anderen Menschen, die zunächst „sehr stolz auf ihre sprechende Katze“ sind, verändern sich. Die Katze wird husten, lachen und auch weinen, aber auf ihrem Küchenschrank sitzen bleiben. Am Ende wird sie schniefen, und der Atem der Kinder wird ihr nahe sein, aber sie wird ihn nicht stehlen, wie manche Menschen denken. „Es sind Gebäude wie dieses, die den Menschen den Atem stehlen“ sagt Gillick.

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An verschiedenen Tagen beobachteten wir, wie sich das Publikum zügig, kaum innehaltend oder fotografierend, durch die blutleer-kühle, eher abweisende Installation bewegte und den Pavillon rasch wieder verliess.

1938, vor 71 Jahren, wurde der Deutsche Pavillon zu seiner heutigen Gestalt umgebaut; 1945, vor 64 Jahren, endete mit dem Zweiten Weltkrieg die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Deutschland und das Bild Deutschlands in der Welt haben sich seither auf das Grundlegendste und Tiefgreifendste verändert. Kann der diesjährige, von Nicolaus Schafhausen kuratierte Beitrag Deutschlands zur Biennale dieser Tatsache gerecht werden?

Gibt es im Jahr 2009 wirklich nichts Wichtigeres in Deutschland, Europa und der Welt, mit dem sich Kuratoren und Künstler auseinandersetzen könnten, als die Architektur dieses Gebäudes? Ja, gibt es. Beispiele dafür folgen in den nächsten Berichten von der diesjährigen Biennale in Venedig.

(Installation: © Liam Gillick; Fotos: Erhard Metz)

→ 53. Biennale Arte Venedig 2009 (2) – John Baldessari

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