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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Archiv für Oktober, 2015

200 Jahre Städel (8)

2015, Oktober 7.

… und zum 200. Geburtstag ein weiteres Geschenk!

Von Erhard Metz

Aus Anlass seines 200-jährigen Jubiläums und der aktuellen Sonderausstellung „Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“ erhielt jetzt das Städel Museum Frankfurt ein weiteres grosszügiges Geschenk: dieses Mal von der DZ Bank aus deren Kunstsammlung für zeitgenössische Fotografie. Es handelt sich um ein Gemeinschaftswerk des 1949 geborenen Allround-Künstlers (Fotografie, Malerei, Zeichnung, Installation, Skulptur) Richard Prince und der Fotografie-Künstlerin Cindy Sherman mit zwei Fotografien als Diptychon. Es kann ab sofort in der Abteilung des Museums für Gegenwartskunst besichtigt werden.

Die beiden zu einem Diptychon verbundenen Porträts zeigen Richard Prince und Cindy Sherman introvertiert in einer Art Denkerpose jeweils in schwarzem Anzug und Krawatte, mit gleicher Perücke und gleich stark geschminkt. Beide Porträts wirken androgyn. Es fällt nicht leicht zu unterscheiden, wer Prince und wer Sherman ist. Jeweils der (die) eine hat die (den) andere(n) fotografiert – ein Beitrag zur in den 1980er Jahren aufgekommenen Gender-Debatte.

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Richard Prince (*1949) und Cindy Sherman (*1954) „Untitled (Richard Prince and Cindy Sherman)“, 1980, aus der Serie „Double Portrait“, Farbfotografie, 2-teilig, je 50 x 80 cm, DZ Bank Kunstsammlung im Städel Museum, Frankfurt am Main; © Richard Prince und Cindy Sherman

Das Werk zählt mit zu den zentralen Arbeiten der 1954 in New Jersey geborenen Künstlerin, „die sich konzeptuell mit wesentlichen Fragen zu Identität, Rollenbild oder Sexualität auseinandersetzt“ (Städel Museum). Es ist eine – von Städel-Direktor Max Hollein höchstpersönlich als „Geburtstagsgeschenk“ ausgesuchte – in der Sammlung willkommene Arbeit, die das 2008 in das Museum gelangte Konvolut von 220 zeitgenössischen Fotografien aus der DZ Bank-Kunstsammlung um ein Glanzstück ergänzt.

Das Städel Museum und die DZ Bank als Sponsor und Förderer verbindet seit jeher – neben den gemeinsamen Grundwerten als jeweils dem öffentlichen Gemeinwohl verpflichtete Institutionen – eine fruchtbare Partnerschaft in der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kultur.

→ 200 Jahre Städel (1)

→ 200 Jahre Städel-Stiftung – Städel Museum Frankfurt am Main

„Transit“ von Anna Seghers – ein Projekt im Theater Willy Praml

2015, Oktober 6.

Damals – heute – morgen: ein Menschheitsthema

Von Renate Feyerbacher

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Foto: Renate Feyerbacher

„Transit“ heisst der Roman, den Anna Seghers 1940/1941 in Marseille begann und im mexikanischen Exil vollendete. Regisseur, Autor und Schauspielpädagoge Paul Binnerts hat eine Bühnenfassung erarbeitet, die im Theater Willy Praml in der Naxos-Halle gezeigt wird. Eingebunden ist das Projekt in den Themenschwerpunkt „Transit 2015-2017“ des Kulturfonds Frankfurt RheinMain.

Transit – Durchreise. Ein alltägliches Geschehen? Ja und Nein! Derzeit nimmt sie an Dramatik zu. Transit erhoffen sich hunderttausende Flüchtlinge durch Ungarn, Slowenien, Kroatien. Sie wollen nach Österreich, nach Schweden, vor allem aber nach Deutschland, wo sie aufgenommen werden und bleiben wollen. Sie kommen vor allem aus dem Kriegsgebiet Syrien, sie kommen aus Afghanistan, aus Eritrea, aber auch aus osteuropäischen Ländern. Das Theaterprojekt „Transit“ hat eine aufrüttelnde Aktualität. Die Geschichten wiederholen sich heute.

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Theater Willy Praml und Wu Wei Theater: „Transit“, Ensemble, Foto © Seweryn Zelazny Weiterlesen

„Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (13)

2015, Oktober 4.

Leo Copers: IROM ETRA ORP TSE MUROCED TE ECLUD

Am heutigen 4. Oktober 2015 endet die 10. „Blickachsen“-Skulpturen-Biennale in Bad Homburg, Frankfurt und einigen Orten im Rhein-Main-Gebiet. Für Besucherinnen und Besucher, die noch das eine oder andere Werk etwa in den Bad Homburger Parkanlagen sehen möchten, ist dies kein Unglück, denn anders als bei Ausstellungen in geschlossenen Räumen, die dann zugesperrt werden, wird der Abbau der Objekte im Freien unter aller Augen stattfinden und sich über eine gewisse Zeitspanne erstrecken.

Dennoch nehmen wir heute Abschied – wo anders als auf dem Friedhof der Kunstmuseen, den Leo Copers im Kurpark Bad Homburg unweit des Schwanenteiches eingerichtet hat. Es sind 111 der grossen Ausstellungshäuser der Welt, denen er einen Grabstein gesetzt hat, ein jeder sauber nach allen Regeln der Steinmetzkunst gearbeitet und graviert.

Natürlich befinden sich das Städel Museum wie die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen K20 / K21, der Louvre wie das Centre Pompidou unter den Verstorbenen. Das Museum Ludwig in Köln bleibt ebenso wenig vom Hinscheiden verschont wie das berühmte New Yorker MoMa oder die britischen Tate-Häuser. Ja und sogar das Middelheimmuseum in Antwerpen, Ko-Veranstalter der diesjährigen Blickachsen, ist sanft entschlafen.

Leo Copers‘ Arbeiten sind ein Protest: Die Museen hätten sich, so das Credo des Künstlers, zu einem „lärmerfüllten Marktplatz“ entwickelt, manche Ausstellungen hätten lediglich einen „Spektakelwert“, unterworfen dem „allgegenwärtigen Diktat grosser Namen“. Aber ebenso kritisiert er das Museum als ein „Mausoleum der Künste“.

Leo Copers, 1947 in Gent geboren, studierte (ebenso wie Peter Rogiers) an der Sint Lukas-Hochschule in Brüssel und darüber hinaus an der Kunstakademie in Gent. Der Künstler lebt und arbeitet im belgischen Wetteren.

Und nun zum Titel der Installation „IROM ETRA ORP TSE MUROCED TE ECLUD”? Lesen wir ihn doch einfach von hinten nach vorn: “Dulce et decorum est pro arte mori” – Süss und ehrenvoll ist es, für die Kunst zu sterben. Eine Persiflage auf den Satz “Dulce et decorum est pro patria mori” – Süss und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben – aus den “Carmina” des römischen Dichters Quintus Horatius Flaccus (65-8 v.Chr.), kurz Horaz. Eine vom Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts aufgegriffene dümmliche Verherrlichung des “Heldentods”, von Wilfred Owens (1893-1918) zitiert in seinem berühmten wie bitter aufschreienden Gedicht “Dulce et decorum est” über das Verrecken eines Soldaten beim Gaseinsatz im ersten Weltkrieg.

Aber wo ist der Grabstein für das Museum für Moderne Kunst Frankfurt MMK? Ist ihm einer der namenlosen Steine gewidmet, hat der Künstler es schlicht vergessen – oder lebt es als eines der wenigen hier nicht bestatteten – und deshalb quicklebendigen – Kunstmuseen fort?

Abbildungen: Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg; Fotos: FeuilletonFrankfurt

Die “Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main enden am heutigen Sonntag, 4. Oktober 2015

→ “Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (1)

„Blickachsen 10″ in Bad Homburg und Rhein-Main (12)

2015, Oktober 2.

Alice Aycock: „Hoop-La“ auf dem Schmuckplatz

Von Erhard Metz

Es ist vermutlich die an Volumen grösste Skulptur der diesjährigen „Blickachsen“, und sie steht an einem der für eine solche Plastik prominentesten Standorte der Kurstadt: auf dem sogenannten Schmuckplatz, zwischen Kurpark und Kaiser-Friedrich-Promenade gelegen, eingerahmt von den zwei Denkmälern für eben jenen tragisch erkrankten „99-Tage“-Kaiser Friedrich III. (1831 – 1888) und seine Gemahlin Victoria (1840 – 1901), Prinzessin von Grossbritannien und Irland, nach Friedrichs Tod Victoria Kaiserin Friedrich genannt.

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„Hoop-La“, 2013, Aluminium, bemalt, Auflage von 1, Ex. E.A. 1/1, 579 x 518 x 731,5 cm

Es ist spannend, was man alles in dem monumentalen, in klarem Weiss lackierten Werk von Alice Aycock entdecken kann – lassen wir zunächst die Veranstalter der Blickachsen zu Wort kommen: “ ‚Hoop-La‘ ist eine von sieben monumentalen Skulpturen Aycocks, die 2014 unter dem Titel ‚Park Avenue Paper Chase‘ die Park Avenue in New York säumten. Dynamische Strukturen natürlicher wie auch technischer Phänomene sind die Ideenvorlage für diese Arbeiten, in denen die Künstlerin optische Erscheinungen etwa von Wellen oder Wasserstrudeln, von Luftwirbeln oder der rotierenden Bewegung einer Turbinenwelle in ihrem Bewegungsverlauf einfängt. So stehen die Skulpturen für Naturgewalten und die Kraft technischer Innovation genauso wie für das Pulsieren grossstädtischen Lebens.“ Weiterlesen

Emil Cimiotti im KunstRaum Bernusstraße

2015, Oktober 1.

Ein Pionier der Nachkriegsskulptur mit neuen Arbeiten im KunstRaum Bernusstraße

Von Hanneke Heinemann
Kunsthistorikerin

Emil Cimiotti tut gut daran zu betonen, dass er kein „informeller“ Bildhauer sei, ist doch auch in den Auflösungs- und Durchdringungsprozessen seiner Werke die Form immer Hauptakteur, heute vielleicht sogar stärker denn je. Er ist ein geehrter und von vielen Professoren und Ausstellungsmachern geschätzter Pionier der Nachkriegsskulptur und gleichzeitig ein Überwinder des Informel, der mit einer erstaunlichen Vitalität bis zum heutigen Tag innovative, lebendige Werke hervor bringt.

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(v.l.) Aus der Reihe Macchiato: Papierrelief, 2015, Tusche auf Zeichenkarton
Palmyra, 2012, Bronze auf Stahl, Unikat
Schwebend, 2014, Bronze auf Stahl, Unikat
Aus der Reihe Segmente: Papierrelief, 2015, Tusche auf Zeichenkarton

Die Technik, die er noch heute in abgewandelter Form anwendet, unterscheidet ihn von vielen seiner Kollegen: Er arbeitet im Wachsausschmelzverfahren mit verlorener Form, das Einzelstücke entstehen lässt. Trotz vielleicht ähnlich erscheinender Gestalt sind die Plastiken nicht zu wiederholen. Der geschmeidige Werkstoff folgt fast unvermittelt der Bewegung der Hand und konserviert einen abstufungsreichen Zustand zwischen Flüssigkeit und Festigkeit. Hatte Emil Cimiotti in frühen Jahren das weiche, leicht und recht spontan zu bearbeitende Wachs mit Paraffin und Kolophonium stabilisiert, benutzt er heute leicht nachgebende, aber trotzdem tragfähige Filzstoffe, die er beispielsweise in Wellenbewegungen versetzt oder sie spannungsreich über- und aneinander legt. Er testet Entgrenzung und die Auflösung von Form und Gestalt aus und nimmt sie aber auch absichtsvoll wieder zurück, um auf vertraute Grundformen zurückzukommen. Kraftvolle Prozesse in Struktur und Textur verbinden sich mit Statik und Tektonik zu ausgewogenen Formfindungen. Weiterlesen