Anny und Sibel Öztürk: „ring ring ring“
Wieder einmal nähert sich eine bemerkenswerte Ausstellung in Frankfurt am Main ihrem Ende, am kommenden Sonntag, den 13. Februar, ist – leider – Schluss mit den „New Frankfurt Internationals. Stories and Stages“. Noch wenige Tage also ist Zeit, sich im Frankfurter Kunstverein und im MMK-Zollamt umzuschauen, um zumeist aktuelle Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Stadt und Region zu sehen und zu erleben.
Und wieder einmal fiel es schwer und erwies sich im Grunde als eine Unmöglichkeit, eine kleinere Auswahl aus dem grossen Spektrum zu treffen. Heute möchten wir, stellvertretend für die breite Palette an Interessantem und Sehenswertem, eine fantastische Arbeit des Künstlerinnen- und Schwesternpaars Anny und Sibel Öztürk vorstellen, deren Poesie wie zugleich bedrängender Wirkmächtigkeit sich kaum jemand wird entziehen können.
Es blitzt und zuckt türkisfarbenkalt im verdunkelten grossen Ausstellungsraum im Obergeschoss des Kunstvereins. Die zwei hölzernen, mit Traversen beschlagenen, an Freileitungsträger, aber auch an Christuskreuze erinnernden Masten, der eine am Boden liegend, der andere in Schräglage halb aufgerichtet – oder halb gestürzt -, gebieten eine respektvolle, ja zögerliche Annäherung. Sind es hochenergetische, aus metaphysischen Dimensionen gespeiste Strömungen und Kräfte, die da aufscheinen, sind es Geistesblitze einer kosmischen Mächtigkeit, oder sind es ganz einfach Telefonmasten, deren niedergerissene Drähte aufglühen, mit Transformator und Zubehör aus Bastelläden generierte niedervoltige elektrische Entladungen in LED-Kabeln, an Porzellanisolatoren gespannt? Folgt dem Mysterium die Entzauberung?
Ausstellungsansichten: Anny und Sibel Öztürk, ring ring ring, 2009, LED-Kabel, Holz, Metall, Licht, Sound, Porzellan, Courtesy the Artists
Und dann: Eine in Bildern und Texten auf Leinwand festgehaltene poetische Erzählung, wir vermuten, sicherlich kaum zu Unrecht, mit durchaus autobiografischem Hintergrund. Die Texte seien, so betonen denn auch die Künstlerinnen-Geschwister, ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeiten.
Ausstellungsansichten: Anny und Sibel Öztürk, 12 (ring ring ring), 2010, Tusche, Tinte und Acryl auf Leinwand, Grössen variabel, Courtesy the Artists
Man wird sich Zeit lassen müssen in dieser Installation, ein Stück eigener Lebenszeit darin verbringen, sie wird gewiss nicht vergeudet sein. Wir kommen ins Grübeln über unsere eigene aduleszente Vergangenheit, den Weg, den wir – aus Eigentrieb oder beeinflusst – beschritten haben, über die Eltern, die Familie, die gesellschaftlichen Räume. Wir möchten aus der letzten dieser, uns berührenden, Bildtafeln zitieren: „… Wir gehen an Häusern vorbei, in denen die Familien beim Abendessen zusammensitzen, gemeinsam lachen oder reden. Und alle sind sie miteinander verbunden, geradezu verwoben mit Erinnerungen und Geschichten, die einen Stadtteil damals zu einer Gemeinschaft machten. Geradezu symbolisch sind sie miteinander verbandelt, aus jedem Haushalt gehen mehrere Kabel zu den Strom- und Telefonmasten hoch, die die Strassen miteinander verbinden, verknoten sich dort zu wirren, aber dichten Spinnennetzen, zu Formationen, Nestern … Sie sind fest miteinander verbunden und ergänzen einander, wie Gefährten auf einem langen Weg durch die Stadt. Sie sind aufeinander angewiesen“.
Um Kommunikation geht es also und um das Miteinander. Gemeinschaft auf der einen und Zerfall in Individualität auf der anderen Seite sowie ein Zerbrechen aller Kommunikation scheinen uns das Thema dieser grossartigen Installation zu sein. Aber geht nicht darüber hinaus von den Kreuzen, als die man die Telefonmasten auch verstehen könnte, eine geheimnisvolle Spiritualität aus?
Anny, 1970 in Istanbul geboren, studierte von 1995 bis 2001 als Meisterschülerin an der Städelschule. Sibel wurde 1975 in Eberbach am Neckar geboren und studierte von 1997 bis 2003 ebenfalls an der Städelschule, als Meisterschülerin von Professor Ayse Erkmen. Die mit ihren Installationen europaweit bekannten Schwestern arbeiten im Frankfurter Künstlerhaus „atelierfrankfurt„. Vom 25. dieses Monats an werden sie dort jeden Freitag einen „Salon noir des artistes“ betreiben – mit Ausstellungen und Gesprächen, Musik und Tanz und natürlich: Kochen.
Wir haben – über Anny und Sibel Öztürk hinaus – Arbeiten von Michele Di Menna, Shane Munro und Claus Richter vorgestellt; an der kooperativen Aktion von Frankfurter Kunstverein und Museum für Moderne Kunst, der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – sowie der Rhein-Main-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung waren darüber hinaus beteiligt: Katinka Bock, Shannon Bool, Thomas Erdelmeier, Ximena Aburto Felis, Carsten Fock, Dani Gal, Heike Gallmeier, Murray Gaylard, Nathalie Grenzhaeuser, Mauricio Guillén, Janus Hochgesand, Leonard Kahlcke, Daniel Kannenberg, Thomas Kilpper, Dirk Krecker, Maria Loboda, Marina Naprushkina, Martin Neumaier, Sarah Ortmeyer, Mario Pfeifer, red park, Michael Riedel, Dan Starling, Rebecca Ann Tess, Nina Tobien, Tris Vonna-Michell, Jeronimo Voss, Eva Weingärtner, Adrian Williams, Barbara Wolff, Leo Wörner, Holger Wüst und Naneci Yurdagül.
Ausstellung im Frankfurter Kunstverein und im MMK-Zollamt, nur noch bis zum 13. Februar 2011.
(Installation und Gemälde ©Anny und Sibel Öztürk; Fotos: FeuilletonFrankfurt)