Kristin Lohmann, „Hang up“ oder: Das Schönste, was ein Kleiderbügel werden kann
„Ich beschäftige mich mit Umformungen, die Neues erschliessen. Dafür benutze ich Alltagsgegenstände, die funktional ebenso unabdingbar wie ästhetisch unauffällig sind. Diese Materialien können auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihrer Funktion und ihrer visuellen Erscheinung nicht direkt dem Kunstbereich zugeordnet werden. Sie dienen aber zur Bewältigung des Alltags und erleichtern diesen … Meine Motivation zu den Arbeiten hole ich mir aus meiner Umwelt. Oft geben Kleinigkeiten dafür den Anstoss. Am Anfang interessiert mich zuerst nur die Wäscheklammer, dass Stück Kabel oder das Streichholz, danach beginnt der Prozess der Umformung. Durch diesen Prozess entstehen Formen, die sich erst durch die Menge und ihre Neudefinierung behaupten können.“ Soweit die Künstlerin.
Warum also nicht auch Kleiderbügel, solche aus simplem Draht, wie wir sie von den Reinigungsbetrieben nach Hause tragen.
Und wir erkennen alsbald ein wesentliches Merkmal der neueren Arbeiten der Künstlerin: Die ihrer urspünglichen Zweckbestimmung entkleideten Gegenstände entfalten, ineinander und miteinander zu neuen, sich trotz aller Fragilität selbst stabilisierenden und selbsttragenden Objekten verflochten, ein durchaus skurril anmutendes Eigenleben, sie scheinen wie von Zauberhand gebannt an der kalkweissen Wand zu schweben, bis wir bei nahem Hinsehen die feinen Nägelchen entdecken, die diese Gebilde fixieren: Installationen unmittelbar an der Wand, ein irrlichterndes Doppelleben scheinen sie zwischen Zwei- und Dreidimensionalität zu führen, von weitem betrachtet könnte man zunächst an Grafisches denken, bevor man sich beim Nähertreten ihrer Körperlichkeit vergewissert.
Und ein Weiteres erkennen wir: dass wir es mit einer Künstlerin zu tun haben, der Humor und Ironie nicht abhanden gekommen sind und der zuweilen anstatt oder neben der Eule ein anderes wundersames Wesen – es ist der Schalk – auf der Schulter sitzt.
Ach ja, die Wäscheklammern: Vor einigem hatten sie uns bereits herausgefordert, als wir uns im städtischen Atelierhaus in der Ostparkstrasse umgesehen hatten: 15.000 sollen es an der Zahl sein, verklammert und ausgelegt zu einem Rundteppich der besonderen Art von sage und schreibe 3,84 Metern Durchmesser!
Kristin Lohmann mit ihrer Arbeit „Connected“ aus dem Jahr 2004 (Foto: FeuilletonFrankfurt)
Seit Jahren frappiert die Künstlerin mit ihren auf minimalistischer Tradition aufbauenden Arbeiten ihr Publikum: Da rollte Kristin Lohmann schon mal einen Kilometer Elektrokabel zu einer riesigen Schnecke zusammen, an deren in die Mitte verlegtem Ende eine Glühbirne flackerte; da legte sie zu ihrer Diplomarbeit einen Kilometer Elektrokabel zwischen Immichenhain und Ottrau aus, und aus Immichenhain stromgespeist glimmte in Ottrau, den mühsamen Weg wenn auch mit Lichtgeschwindigkeit überwindend, wiederum eine Glühbirne (was, Sie wissen nicht, wo jene Ortschaften liegen? im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis natürlich, schämen Sie sich!).
Aber zurück zu den „Hang ups“:
Keinen Kilometer lang und auch gar nicht gerade: Wie schön kann ein weisses Haushaltskabel mit weissem Stecker und weisser Buchse sein!
Da sind simple Haushaltsgummiringe in den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau und Weiss zu einem bunten Spinnennetzgebilde miteinander verspannt, was geschähe eigentlich, wenn eine dieser Gummilitzen risse?
Mit einem solchen Zollstock wird niemand gerne messen wollen: Das Metermass ist in seiner Defunktionalisierung der ihm im gesellschaftlichen Konsens als vermeintlich vernünftig angesonnenen Aufgabe beraubt. Dimensionen schrumpfen zu einem verdichteten Gebilde, irgendwo mag sich eine Assoziation an eine klein gewordene, globalisierte Welt einstellen. Man sollte näher hinschauen auf die Dinge; auf das, was man mit Herkömmlichem messen wollte und das nun der Messung entgleitet.
Nein, Christo und Jeanne-Claude waren hier nicht am Werke, auch wissen wir nicht, ob Kristin Lohmann etwas verpackt hat oder uns mit einem Vexierbild von Verpacktem „vorführen“ möchte. Aber Scherz beiseite: Es ist die schlichte und doch so geheimnisvolle Materialität der Klebestreifen als solche, eine fantasievolle Landschaft sozusagen mit Gebirgen und Tälern, Höhen und Abgründen, die uns den Blick in einen kleinen Kosmos öffnet.
Kristin Lohmann, 1976 in Bremen geboren, absolvierte zunächst im Berchtesgadener Land eine traditionelle Holzbildhauerlehre, bevor sie im Jahr 2000 ein Studium für Raumplastik und Skulptur an der Akademie für Bildende Künste der Universität Mainz aufnahm, das sie mit dem Diplom und als Meisterschülerin abschloss. Einem Arbeitsaufenthalt in New York folgte ein dreisemestriges Gaststudium an der Frankfurter Städelschule bei Professor Ayse Erkmen. Kristin Lohmann lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Frankfurt am Main.
(Fotos, soweit nicht anders bezeichnet: Kristin Lohmann)