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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper Unter den Linden Berlin

„Siegfried“ und „Götterdämmerung“

Ohne Drachen, ohne Zauber – einfach zum Niederknien

von Simone Hamm

Dmitri Tcherniakov kommt ohne Drachen und Zauber aus. Seine Inszenierungen des „Rheingolds“ und der „Walküre“ sind bewegend und überzeugend. Mit demselben kühlem Blick durch die Laborfenster auf die Versuchsobjekte geht es weiter in „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“. Die Probanden zeigen große Emotionen. Bei Dmitri Tcherniakov zerlegt Siegfried mit dem Schmiedehammer sein einstiges Kinderzimmer. Das ungeliebte Kind, zugemüllt mit riesigen Playmobilsteinen, zündet sein zerstörtes Spielzeug an und verbrennt es. So entsteht das Schwert Nothung.

Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime) Foto: © Monika Rittershaus

Siegfried

Wotan, der Wanderer (Tomasz Konieczny), Mime (Stephan Rügamer) und Alberich (Johannes Martin Kränzle) sind alt und klapprig geworden. Der tattrige Alberich kann sich nur noch mit einer Gehilfe fortbewegen. Sehen kann er auch nicht mehr so gut. Er und Mime tragen große Brillen, die Hosen werden von Hosenträger gehalten. Der Wanderer zieht seine Kappe tief ins Gesicht. Verständnislos irren sie durch die verlassenen Institutsräume, Hörsäle und Büros des Forschungsinstituts E.S.C.H.E. Das Bühnenbild bewegt sich schneller als die drei Alten. Unaufhörlich rollen große Kästen auf zwei Ebenen über die Bühne: Büros, Labore.

In einer wunderbaren Szene fragt der Wanderer Erda (Anna Kissjudit), die Mutter seiner Tochter Brünnhilde um Rat. Sie kann ihm nicht helfen. Ihre Urmutterweisheit hat sie verloren. Die beiden sitzen in einem Konferenzraum und Wotan bietet Erda Tee an. Das ist also aus dem großen Gott geworden. Als Siegfried (Andreas Schager) dazu kommt, räumt er die Tassen schnell weg. Ganz so bürgerlich will er dann doch nicht wirken.

An der Staatsoper ist Siegfried weder strahlender Held noch reiner Tor. Er kaut Kaugummi, zieht seine Hände nur aus den Hosentaschen des blauen Adidas Jogginganzug, wenn er kämpft. Mit seinem Schwert tötet er den Riesen Fafner, der den Schatz der Nibelungen bewacht. Er erlegt den Drachen. Keine große Sache. Dann erschlägt er den ungeliebten Ziehvater Mime, nachdem er erkannt hat, dass dieser in nur benutzt hat, um an das Rheingold zu kommen.

Siegfried ist von sich selbst mehr als überzeugt. Kein Wunder, er stammt ja aus dem Tcherniakovschen Labor. Unter Wotans Aufsicht wurde wild experimentiert.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Stephan Rügamer (Mime) Foto: © Monika Rittershaus

Andreas Schager gilt als der Heldentenor schlechthin. Und wenn man ihn als Siegfried an der Berliner Staatsoper sieht, weiß man auch warum: Denn er gibt nicht nur einen Siegfried, der pure Energie ist, vor Leidenschaft und Lust strotzt, geradezu hyperaktiv über die Bühne tanzt, selten innehält. Andreas Schager durchbricht dieses Superego ständig. Aus dem Muskelprotz wird eine ungehobelte Figur ohne jede Manieren.

Nur wer die Angst nicht kennt, kann den Feuerring, der die schlafende Brünnhilde (Anja Kampe) umgibt, durchbrechen. Sie ruht im Schlaflabor bei gleißendem Licht unter einer glänzenden Rettungsdecke.

Vor deren Felsen wartet schon Siegfrieds Vater Wotan. Siegfried zerschlägt dessen Speer. Vor nichts und niemandem hat Siegfried Respekt. Der altgewordenen Wotan ahnt, dass seine Macht zu Ende geht und zieht sich zurück nach Wallhall. Siegfried schreitet durchs Feuer und weckt Brünnhilde. Zum erstmal ist er unbeholfen, tapsig. Dann siegt sein Ego. Sie feiern die Liebe.

Sie feiern die Liebe Andreas Schager (Siegfried) Anja Kampe (Brünhilde), Foto: © Monika Rittershaus

Anja Kampe ist eine gefühlvolle Brünnhilde. Andreas Schager als Siegfried singt klar, deutlich, auch bei den lautesten Orchesterpartien mit großer Strahlkraft. Johannes Martin Kränzle als altgewordener Alberich und Stephan Rügamer als kauziger, aber selbstbewußter Mime überzeugen stimmlich wie schauspielerisch. Große Stimmen erzählen vom Vergehen. Peter Rose als Fafner läßt seinen volltönenden Bass hören. Victoria Randem ist ein Waldvogel im weißen Kittel, eine Kinderpsychologin, die Siegfried verschiedene bebilderte Tafeln hinhält. Ihr Sopran ist hell, sicher und klingt sehr optimistisch. Anna Kissjudit als Erda singt mit tiefer volltönender Stimme.

Thomas Konieczny singt Wotan, den Wanderer, dem sein Imperium entgleitet, mit feinen Nuancen. Er ist ein gebrochener Mann. Er hat sich gewandelt. Einst besaß er Macht über ein Reich, jetzt schleicht er auf den Gängen des Labors herum, dass er doch geschaffen hat, und besingt diesen Niedergang in feinen stimmlichen Nuancen.

Siegfried gilt wegen vieler Rückschauen, langer Erzählungen, etlicher Wiederholungen als statischster und somit schwierigster Teil der Tetralogie. Davon ist in dieser Inszenierung nichts zu spüren. Dank der großartigen Sänger und Sängerinnen und des phantastischen und sehr differenzieren  Dirigats von Philippe Jordan ist der lange Abend geradezu kurzweilig.

Götterdämmerung 

Viele Jahre sind vergangen, seit das Rheingold gestohlen wurde. Siegfried und Brünnhilde liegen im Bett im Schlafzimmer ihrer kleinen Wohnung. Es ist die Hütte, in der einst Mime und auch Hundung lebten. Durch eine durchsichtige Wand konnte Wotan damals genau beobachten, was dort geschah. Diese Wand fehlt in Brünnhilde und Siegfrieds Heim. Wotan hat seine Macht verloren. Die drei Nornen (Marina Prudenskaya, Kristina Stanek, Anna Samuil) trippeln heran, alte Frauen mit Krückstöcken. Ungeniert nehmen sie am Esstisch Platz. Siegfried duscht lange und zeigt viel nackte Haut.

In Götterdämmerung haben die Gibichungen Wotans Forschungsräume übernommen, die sie frisch renoviert haben. Hagen (Stephan Milling) mit riesigem Feuermal im Gesicht, Gunther (Roman Trekel) und Gutrune (Mandy Fredrich) leben sorglos und unbekümmert in den Tag hinein. Wotans Untertanen hatten einst genauso gelebt.

Andreas Schager (Siegfried) Foto: © Monika Rittershaus

Siegfried gesellt sich hinzu, zeigt Brunhildes Pferd Grane – ein Plüschtier. Die Gibichungen lachen ihn aus. Gutrune kippt Rheinwein wie Wasser. Sie will, dass Siegfried einen Vergessenstrunk trinkt. Wenn er das Glas geleert hat, wird er Brünnhilde vergessen und sich in Gutrune verlieben. Und Gutrunes Bruder Gunther kann durchs Feuer schreiten und Brünnhilde zur Frau nehmen.

Bei Dmitri Tcherniakov trinkt Siegfried nicht, er schüttet das Glas, das ihm Hagen reicht, einfach aus. Er fällt nicht auf Gertrude herein. Er ist noch viel schlimmer. Er will Gertrude und gibt Brünnhilde weiter an Gunther, als sei sie ein Gegenstand. Siegfried ist schäbig, will zu den Siegern gehören, wird bald einen himmelblauen Anzug, dann einen roten Dreiteiler tragen.

Gutrunes Bruder Gunther trägt einen blauen Anzug und braune Schuhe, sieht eher aus wie ein schüchterner Angestellter statt wie jemand, der eine Wahnsinnsfrau aus den Flammen retten will.

Und das tut er auch nicht. Statt seiner geht Siegfried, zieht die Tarnkappe auf und gibt sich als Gunther aus. Zu sehen und zu hören aber ist ein schmieriger, Kaugummi kauender, Dosenbier trinkender Siegfried.

Ein schmieriger, Kaugummikauender, tBoer trinkender Siegfried Andreas Schager (Siegfried), Anja Kampe (Brünhilde) Foto: © Monika Rittershaus

Durch den Hörsaal des Instituts E.S.C.H.E. läuft ein uralter Mann, nackt, die Schultern, Rücken und Brust voller Haare. Es ist Alberich. Jetzt ganz allein, ein Bild des Jammers. Ein sehr berührender Auftritt von Johannes Martin Kränzle.

Im Stresslabor untersuchen die drei Rheintöchter Siegfried. Sie warnen vor dem Fluch des Ringes, wie zuvor Waltraute (Violeta Urmana) ihre Schwester Brünnhilde gewarnt hat. Wie Brünhilde hört auch Siegfried nicht zu, geht lieber Basketball spielen.

Wotan hat die Esche gefällt, die Äste aufschichten lassen. Genau da ist eine Art Turnhalle entstanden. In grünen Trikots mit dem Namen auf dem Rücken wird gespielt. Mit einer Fahnenstange ersticht Hagen Siegfried. Der schleppt sich noch ins Stresslabor. Alle Mitarbeiter des Instituts kommen herbei, stehen um seine Bahre.

Walhalla ist untergegangen.

Brünnhilde, wieder allein auf der Bühne wie am Ende der „Walküre“ steht vor der riesigen Zeichnung des Grundrisses des Forschungszentrum E.S.C.H.E. Sei schnippt mit den Fingern und der Grundriss zerfällt und zerfließt wie Staubkörner. Ihr allein gelingt es, dem Forschungslabor zu entkommen. Sie wird frei sein.

Unter sie wird frei sein. Anja Kampe (Brünhilde), Foto: © Monika Rittershaus

Anja Kampe gibt eine zutiefst menschliche Brünnhilde. Zunächst singt sie zart, hält sich manchmal fast zurück, um am Ende noch all die Kraft in Stimme und Ausdruck zu legen ob ihrer Verzweiflung über den ungeheuren Verrat Siegfrieds.

Es wurde viel geschrieben darüber, dass Anja Kampe die Spitzentöne nicht voll aussinge. Doch sie interpretiert Brünnhilde nicht als Heldin, sondern als verletzliche Frau. Leise und dann wieder ihr Leid laut heraushingen, sehr bewegend.

Andreas Schager ist ein Siegfried, der sich entwickelt. Er bleibt ein Großmaul, passt sich aber an – in Habitus und Kleidung. Er ist eiskalt, wenn er Brünnhilde verläßt. Seine große, immer feste Stimme zeugt stets von übergroßer Selbstsicherheit.

Die Gibichungen überzeugen stimmlich ebenso wie die Nornen und die Rheintöchter. Musikalisch ist dieser Ring unter Philippe Jordan eine einzige Meisterleistung. Das gilt für die Sänger wie für das Orchester. Perfekt hat Philippe Jordan Wagners soghafte Musik dirigiert.

Johannes Martin Kränze (Alberich) Foto: © Monika Rittersaals

Dmitri Tcherniakov hat eine überaus kluge, logisch stringente, sehr moderne Interpretation des Rings gewagt. Er hat ein atemberaubendes Bühnenbild geschaffen, verschiebbare Räume mal mit, mal ohne Wände, eine kalte Liebeslaube, ein großes Versuchslabor. Elena Zaytseva hat die Kostüme entworfen. Die Darsteller altern, die Mode wechselt. Schlichte Strassenkleidung von den sechziger Jahren bis heute. In der Götterdämmerung werden handys gezückt. Tcherniakov hat auf veritable Drachen, geschmiedete Schwerter, den goldenen Schatz und Zaubertränke verzichtet. Es geht ihm nicht darum, ein Epos, das fast jeder Opernbesucher kennt, noch einmal nachzuerzählen.

Er legt Wagners Heilsversprechen als Liebe zur Freiheit aus.

Der Ring ist noch einmal zu sehen. Es gibt noch Karten, auch für einzelne Vorstellungen.

Rheingold  27.3.

Walküre   28.3.

Siegfried   30.3.

Götterdämmerung   1.4.

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