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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden

Kühl inszeniert, bravourös gesungen, perfekt dirigiert

„Das Rheingold“ und „Die Walküre“

von Simone Hamm

Dmitri Tcherniakov inszeniert Richard Wagners Ring des Nibelungen streng, intellektuell, kühl. Ohne Götter, ohne Teufel, ohne Mythologie. Der Zauber geht an diesen Abenden allein von der Musik aus. Und diese Idee geht auf.

Anett Fritsch (Freia), Lauri Vasar (Donner), Claudia Mahnke (Fricka), Rolando Villazón (Loge), Michael Volle (Wotan), Siyabonga Maqungo (Froh) Foto: Monika Rittershaus

Es ist keine naturalistische  Inszenierung, die beschreibt, was besungen wird, also verdoppelt. Da ist kein Rhein, da kommt kein Rauch aus den Nüstern des Drachen. Die Berge voller Gold, welche  die Riesen auftürmen und die Augenklappe Wotans müssen in der Phantasie der Zuschauer entstehen.

In „Das Rheingold“ hat Nibelung Alberich das Rheingold geraubt, das die Rheintöchter bewacht haben. Es verleiht ihm unendliche Macht, hat aber einen hohen Preis. Er wird der Liebe auf immer entsagen. Göttervater Wotan muss die Riesen für den Bau der Götterburg Walhall entlohnen. Deshalb raubt er mit Hilfe des Feuergottes Loge das Rheingold und den Ring, den Alberich daraus geschmiedet hat. Alberich verflucht jeden, der den Ring tragen wird.

Bei Tcherniakov ist Wotans Walhall ein Forschungsinstitut mit dem Kürzel E.S.C.H.E. Das also ist die neue Weltesche. „Untersuchung menschlicher Verhaltensmodelle in einer Testgruppe“ steht auf den Kulissen. Wotan (Michael Volle) ist hier Konzernchef. Die Menschen und die Riesen sind bloße Versuchsobjekte – so wie die Kaninchen in den Käfigen im Zwischenstock. Noch ein Stockwerk höher hat Wotan seinen holzgetäfelten Konferenzraum. Seine Entscheidungen mögen falsch sein, aber unbeirrt hält er daran fest.

In Dimitri Tcherniakovs Inszenierung ist Alberich (Jochen Schmeckenbercher) ein verkabelter Mensch, an dem experimentiert wird. Er trägt den Helm, den er doch erst erschaffen wird, schon in der ersten Szene wie eine Elektronenhaube auf seinem Kopf. Und Walhall, das doch erst fertig gebaut werden wird, steht schon. Auch die zeitlichen Abfolgen durchkreuzt Tcherniakov und auch das geht auf. So wirklich logisch-stringent ist der Ring ja ohnehin nicht.

Drei Damen führen im unterirdischen Versuchslabor kaltherzig Protokoll. Sie notieren, wie Alberich in Rage kommt. Er reißt sich von dem Stuhl, an dem er festgebunden ist, und von den Elektroden los, er schlägt auf die Arbeiter ein. Unbeirrt schauen ihm die Forscherinnen in Kitteln mit Flipboard in den Händen dabei zu. Er verwüstet das Labor, entsagt der Liebe, raubt das wichtigste technische Equipment, den Nibelungenschatz.

Solche wilden Szenen sind selten in Rheingold. Meist bleibt die Inszenierung ruhig und statisch, geht ganz auf das Innere der Figuren. Bewegt ist vor allem das Bühnenbild. Das hat Tcherniakov selbst entworfen. Die Bühne hebt und senkt sich und dreht sich und verschiebt sich, wird zu verschiedenen Räumen im Stil der sechziger Jahre, einem Stresslabor, einem Hörsaal, einer Werkstatt, einem Atrium mit Esche, dem Weltenbaum, einem Raum voller Käfige, in denen lebendige Kaninchen hocken. Auch die Kostüme sind aus den Sechzigern (Ausstattung: Elena Zaytseva), Straßenkleidung: Kellerfaltenrock und ausgestellte Hosen. Mit dem Fahrstuhl fährt Wotan vom Konferenzraum hinunter zum Versuchslabor. Bis ins kleinste Detail stimmt das Bühnenbild. Die Aufzugsknöpfe leuchten.

Staatskapellmeister Thomas Guggeis und Michael Volle als Wotan harmonieren perfekt. Guggeis gibt ihm – wie allen anderen Sängern – großen Raum.Die Musik bleibt dezent, filigran, leicht wenn sie es sein soll, schwillt an, wenn die Dramaturgie es verlangt und schafft so eine ungeheure Spannung. Frankfurt kann sich auf seinen neuen Generalmusikdirektor der Oper freuen! Die Staatskapelle Berlin musiziert auf allerhöchstem Niveau.

Michael Volle (Wotan), Stephan Rügamer (Mime), Rolando Villazón (Loge), Komparserie, Foto: Monika Rittershaus

Michael Volle, gerade noch als Falstaff an der New Yorker MET gefeiert ist, ist ein großartiger Wotan. Seine Stimme ist unverkennbar, ein warmer Bariton, der jede Nuance des Gefühlslebens des Gottes wiedergibt: Zorn, Selbstmitleid, Scham, Liebe. Jochen Schmeckenbecher zeigt ausdrucksstark den wütenden, aber auch den enttäuschten  Alberich. Wut und Enttäuschung färben seine Stimme. Mime (Stephan Rügamer) lässt sich von diesem Bruder quälen, bäumt sich aber bisweilen auf. Auch stimmlich. Anna Kissjudit gibt die Erda dunkel, tief und warmherzig. Das ist phänomenal. Anett Fritsch verleiht ihrer Freia einen packenden Sopran. Sie ist voller Sorgen, aber sie will es nicht an ihrer Stimme erkennen lassen. Die Riesen Fafner (Peter Rose) und Fasolt (Mika Kares) singen ihre satten Bässe voll aus, sie sind wahrhaftige Riesen.

Rolando Villazón ist der Feuergott Loge, der die Machtstrukturen durchschaut. Er singt nicht mehr wie zu seinen besten Zeiten, aber das weiß er sehr gut in seine Rolle zu integrieren. Er ist witzig, schmierig, schleimig, hinreißend und hat viel Freude am Spiel. Die Rheintöchter Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja bringen unterschiedliche Timbres mit und sind doch perfekt aufeinander eingestimmt. Claudia Mahnke als Fricka (Mezzosopran) singt so schön, dass man fast bereit ist, ihr die arme, betrogene Ehefrau abzunehmen, aber sie weiß genau, wie sie sich durchsetzen kann. Dann klingt sie heller und schärfer.

Gott Donner (Lauri Vasar) hat einen starken, festen Bariton, Gott Froh Siyabonga Maqungo im Gegensatz dazu einen leisen Tenor. Und alle singen sie klar und deutlich, der Text ist gut verständlich, natürlich auch dank Thomas Guggeis‘ aufmerksamen Dirigat.

 

Nach dem „Rheingold“ vom Vorabend folgt die „Walküre“

Siegmund und Sieglinde, die Zwillinge aus dem Wälsungengeschlecht, die Kinder Wotans, verlieben sich ineinander. Wotans Ehefrau Fricka stößt sich an der Liebe der beiden. Sieglinde ist mit Hunding verheiratet. Fricka, viele Male von Wotan betrogen, will, dass das Liebespaar bestraft wird, weil Sieglinde eine Ehebrecherin ist. Obwohl Wotan das eigentlich gar nicht möchte, gibt er schließlich nach. Seine Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, soll Hunding bei einem Kampf mit Siegmund zum Sieg verhelfen. Sie widersetzt sich dem Wunsch des Vaters und wird von ihm in Schlaf versetzt.

Robert Watson (Siegmund), Vida MikneviciutÄ (Sieglinde), Mika Kares (Hunding), Foto: Monika Rittershaus

In Berlin wird ein Fahndungsfoto eingeblendet. Es zeigt Siegmund. Ein sichtlich gealteter und ergrauter Wotan blickt durchs Fenster auf das Haus, in dem Sieglinde und Hunding leben. Es hat keine Wände. Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer kann man einsehen, nur ein paar Metallstreben trennen die Räume voneinander. Intimität gibt es nicht. Alles wird überwacht. Jeder wird zum Versuchsobjekt unter dem kalten Blick des Göttervaters. Und wehe dem, der es wagt, das Experiment zu durchkreuzen.

Nach Siegmund wird gefahndet, Hunding ist Polizist. Siegmund fällt ins Haus ohne Wände und Sieglinde zu Füßen. Sie erkennen einander. Sieglinde mixt dem ungeliebten Hunding einen Schlaftrunk und die Geschwister fliehen in die unterirdischen Versuchslabore. Sie haben Angst, sie fühlen sich leidenschaftlich zueinander hingezogen. Sie zeigen die widerstreitenden Gefühle. Dann stoßen Siegmund und Hunding aufeinander. Sie kämpfen. Irgendwo hinter der Bühne. Unsichtbar. Schwarz uniformierte Männer warten auf Siegmund, die auf ihn einschlagen, ihn töten werden.

Im Auditorium zwei Stockwerke höher begrüßen sich Walküren im langen Mantel und Trainingshosen durch Abklatschen. Dazu der Walkürenritt. Kein Pathos. Brünnhilde kommt hinzu, die ermattete Sieglinde am Arm. Als der herannahende Wotan das sieht, bekommt er einen Tobsuchtsanfall, schlägt mit Stühlen um sich. Längst ist er zum tragischen Helden verkommen, was er zu wissen scheint. Seine Wut auf Brünnhilde ist auch eine Wut über sich selbst, die Ränke, die er geschmiedet hat. Er ist zerrissen. Er verbannt seine Lieblingstochter, entfacht ein Feuer um die Schlafende. Brünnhilde zieht aus ihrem Rucksack einen Filzstift und malt pinkfarbene kleine Flammen auf die zu einem Kreis zusammengestellten Stühle. Doch die leise Ironie kann über die Tragik nicht hinwegtäuschen.

Michael Volle (Wotan), Anja Kampe (Brünnhilde), Foto: Monika Rittershaus

Der lange Abschied von Wotan und Brünnhilde ist tief berührend. Sie ringen miteinander, sie trösten einander, sie schicken sich ins Unvermeidliche. Wotan entschwindet mitsamt dem Hörsaal langsam in den Hintergrund. Brünnhilde bleibt allein auf der jetzt tiefschwarzen Bühne zurück.

Auch in der Walküre setzt Michael Volle als Wotan Maßstäbe. Er ist ein rächender Gott und ein liebender zugleich und diese Gefühlsschwankungen gibt er stimmlich präzise und genau wieder. Anja Kampes Darstellung der Brünnhilde ist sehr bewegend. Ihre Stimme klingt warm und voll, beweglich und doch klar. Sie ist vielseitig als trotzige, als liebende Tochter  und in jeglicher Hinsicht owohl stimmlich als auch darstellerisch souverän. Ihre Walkürenschwestern unterstützen sie nicht, aber sie leiden mit ihr.

Robert Watson als Siegmund legt in seine Stimme, was seine Figur hergibt: er ist ein zutiefst unglücklicher, gebrochener Mensch, der kaum, dass er die große Liebe gefunden hat, sterben wird.Vida Mikneviciuté ist eine stimmgewaltige Sieglinde. Ihr Sopran ist glockenhell. Sie transportiert Erregtheit, Nervosität, Angst, Trauer. Mika Kares als Hunding überzeugt mit seiner dunklen Stimme. Er ist keiner, der zweifelt und das drückt er in seinem klaren  Gesang aus.

Gleb Filshtinsky in „Rheingold“ und „Walküre“ eine immer stimmige Beleuchtung gesetzt, grell die Laborräume, in warmen Farben das Auditorium, obwohl Wotan dort grausamer noch handelt als im Labor.

Dimitri Tcherniakov hat die Personen exzellent geführt, er ist für das faszinierende Bühnenbild verantwortlich. Ihm ist eine außerordentliche Regiearbeit gelungen. Der 30jährige Thomas Guggeis hat sehr einfühlsam dirigiert. Musikalisch ist dieser Ring einfach grandios.

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