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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die 24. lit.Cologne. Das internationale Literturfestival in Köln – Ein Rückblick

Die Feier des Vorlesens

von Simone Hamm

Auf der lit.Cologne feiern Schriftsteller, vortragende Schauspieler, zahlende Zuschauer (die Eintrittspreise sind heftig) die Literatur, die Debatten und nicht zuletzt sich selbst. Die 24. lit.Cologne ist mit 185 Veranstaltungen die bislang größte. Sie dauerte vom bis 5. bis 17. März, damit auch einen Tag länger als sonst.

Bernardine Evaristo in der Kulturkirche, Foto: Hieronymus-Roenneper

Es gab Themenabende (Rapmusik, Currywurst. Liedtexte, das Leben im Ruhrgebiet), Musik, und viele schreibende Musiker und Schauspieler wie Chili Gonzales und Jörg Hartmann, politische Debatten wie die Eröffnungsveranstaltung, in der Robert Habeck und Michel Friedmann nach den Wurzeln des Antisemitismus in Deutschland fragten.

Und der, so Friedmann, solle nicht immer wieder mit dem Nahostkonflikt in Zusammenhang gebracht werden. Er wolle über Judenhass in Deutschland sprechen. Habeck sprach über den „gesunden Volkskörper“ der Nazis, dem das streitbare jüdische Leben und Denken widersprochen hatte. Friedmann betonte, dass Antisemitismus deutlich älter sei als der deutsche Faschismus.

Die Macher der lit.Cologne: Rieke Brendel, Bjarne Mädel, Cordula Stratmann, Rainer Osnowski, Foto: Hieronymus Rönneper

Stars traten auf, etwa Sandra Hüller, die aus Hollywood in die Mülheimer Stadthalle kam und Texte von Wolfgang Hermsdorf las. Und es gab die gute alte klassische Lesung.

Rüdiger Safranski hat ein Buch über Kafka geschrieben („Kafka.Um ein Leben schreiben“, Hanser). Er ist ganz nah bei Adorno, dem es widerstrebte, „Kafka zum Auskunftsbür,… der je nachdem ewigen und heutigen Situation des Menschen (zu erniedrigen)“. Modische Bücher, in denen Kafka zum Lebenshelfer wird, lehnt Safranski genauso ab, wie es seinerzeit schon Theodor W. Adorno tat.

Und auch die Dutzende von Interpretationen, die jeder Kafka Erzählung, jeder Roman über sich ergehen lassen muss, hat Safranski einfach beiseite geschoben. Er erzählt aus Kafkas Leben und zitiert dazu aus seinen Schriften. Das ist wohltuend einfach und sehr klug zugleich. Kafka ist wieder Kafka.

Ich hätte mir von der Moderatorin mehr Fragen zu seiner Herangehensweise gewünscht, zumal Safranski ja auch Philosoph ist. Das hätte dem Abend gewiss mehr Tiefe gegeben.

Stattdessen fragte sie nach Kafkas Liebesleben, von dem Safranskii anschaulich erzählte wie auch von Kafkas Kampf mit dem Vater. Er fragte, ob man wirklich Kafkas Ehelosigkeit allein auf den Vaterkonflikt zurückführen könne.

Der Schauspieler Sabin Tambrea verkörpert in dem Film „Die Herrlichkeit des Lebens“, der gerade in die Kinos gekommen ist, Kafka im letzten Jahr seines Lebens (Regie: Georg Maas und Judith Kaufmann, nach dem Roman von Michael Kumpfmüller). Tambrea las die Novelle „Das Urteil“, die oft als Geburtsstunde des Literaten Kafkas bezeichnet wird. Er las diesen Vater-Sohn-Konflikt unaufgeregt, mit leisen Untertönen und schaffte so eine große Spannung.

Die koreanische Autorin Han Kang, Foto: Foto: Baek Dahum/Aufbau Verlag

Aus Korea war Han Kang gekommen, die ihren Roman „Griechischstunden“ (Aufbau Verlag) vorstellte. Ihre Übersetzerin Ki-Hyang Lee ist gerade auf der Leipziger Buchmesse mit dem Übersetzerpreis ausgezeichnet worden. Sie hat Bora Chungs „Der Fluch des Hasen“ ins Deutsche übertragen. In der Jurybegründung heißt es: Dass wir den Reichtum der südkoreanischen Gegenwartsliteratur erleben können, ist ein großer Verdienst von Ki-Hyang Lees unermüdlicher Arbeit.“

Han Kang gilt als die wichtigste koreanische Gegenwartsautorin und ist auch die bekannteste. Leise und eindringlich sprach sie über die junge Frau, die in „Griechischstunden“ ihre Sprache ganz langsam verliert. Die Protagonistin entscheidet sich gerade deswegen, noch eine neue Sprache zu lernen,

Altgriechisch, eine Sprache, die so gar keine Bezüge zum Koreanischen hat. Der Griechischlehrer sieht nur noch schemenhaft und wird sein Augenlicht verlieren. Han Kang hat eine zarte Liebesgeschichte über zwei Menschen, über Verlust und Ängste, über Sehnsucht und vorsichtige Annäherung geschrieben. Nina Kunzendorf las aus dem Roman, der aus zwei Perspektiven geschrieben ist und gab einen Eindruck von der stilistischen Schärfe dieses sehr zurückhaltend, fast leise geschriebenen Romans.

Han Kang erzählte, dass sie eine Schreibblockade gehabt hatte, mehr noch, dass sie außer Marcel Proust und Jorge Luis Borges keine Romane mehr habe lesen können. Diese Erfahrung habe sie in „Griechischstunden“ verarbeitet. Wie es sei, wenn man sich nicht mit der Welt versöhnen könne, wenn Gefühle brüchig würden. Dann verlöre man die Sprache, die einen mit der Welt verbände.

Eine Premiere gab es in der Kulturkirche in Köln-Nippes. Bernardine Evaristos Buch „Zuleika“ (Tropen Verlag) war noch nicht zu kaufen, als sie ihn vorstellte. Das Versopus „Zuleika“ spielt in Londinium, dem von den Römern besitzen London im Jahre 211.

Evaristo wollte zeigen, dass es schon in römischer Zeit people of colour gegeben hat und nicht erst, wie manche meinen, seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit Zuleika, die als 11-jährige mit einem dickleibigen reichen Römer verheiratet worden ist , schafft Evaristo eine kluge, schlagfertige Frau, die sich einrichtet in ihrem Leben. So wird die Tochter eines Ladenbesitzers die Geliebte des Kaisers, „The Emporor’s Babe“, wie das Buch im Original heißt.

Ein Roman in Versen, das sollte niemand erschrecken. Evaristos rhythmisierter Text ist wie ein langer, cooler Song.

Die lit.Cologne erfahrene Angela Spitzig moderierte heiter und voller Bewunderung für Evaristo. Sie lobte auch Tanja Handels grandiose Übersetzung. Jeder Protagonist hat seine ganz eigene Sprache. Der Kaiser spricht gebrochenes Englisch, Zuleika streut Amerikanismen in ihren jugendlichen Slang ein, Straßenkinder sprechen anders als die der Wohlbetuchten, die schottischen Sklavinnen haben wieder einen anderen Akzent. Bernardine Evaristo spielt mit unseren Vorurteilen. Hier hat eine schwarze Frau zwei weiße Sklavinnen und sie behandelt sie wirklich nicht gut.

Es gibt einen Transvestiten namens Venus, der eine Bar hat und jede Menge Freu- und Sexorgien. In Köln las Davina Donaldson leider nur die jugendfreien Stellen. Aber wie! Sie war ganz  kurzfristig eingesprungen und las hinreißend.

Über hunderttausend Interessierte waren gekommen, um zuzuhören. Bei den Lesungen herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Die lit.Cologne mit ihrer Mischung aus Populären und Politischen, schweren Romanen und leichten Abenden ist eine einzige Erfolgsgeschichte.

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