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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Traumgörge“ Oper von Alexander Zemlinsky in Frankfurt

Ein Außenseiter wie der Komponist

 Von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller /Oper Frankfurt

Ausgrenzung, Anfeindung, Einsamkeit, Gewaltandrohung, aber eine erfüllte Liebe, die zu Versöhnung führt, sind Momente der Handlung in „Der Traumgörge“, Oper des österreichischen Komponisten Alexander Zemlinsky, die in Frankfurt erstaufgeführt wurde und am 25.2. Premiere hatte. Begeisterung beim Publikum auch nach einer späteren Aufführung.


vorne v.l.n.r. Dietrich Volle (Müller), AJ Glueckert (Görge), Alfred Reiter (Pastor) und Magdalena Hinterdobler (Grete) sowie im Hintergrund Ensemble, Foto: Barbara Aumüller

Görge ist der verwaiste Pfarrerssohn, der seine Zeit mit Lesen – vor allem mit Märchen –verbringt. Sie versetzen ihn in eine Traumwelt. Der alte Müller, dem er immer Geschichten erzählte, schenkt ihm die Mühle, will dafür aber, dass Görge seine Tochter Grete heiratet. Grete widersetzt sich ihrem Vater nicht, ist aber von den Träumereien ihres Verlobten Görge genervt, zerreißt sogar seine Bücher. Als ihr früherer Geliebter Hans aus dem Krieg zurück kommt und Grete einen Antrag macht, wird aus der bevorstehenden Verlobung von Görge und Grete nichts.

Hans, aber auch Grete verspotten Görge, als er von der Erscheinung einer Prinzessin in seinem Traum erzählt, die ihm erscheint, wenn er am Bach sitzt und ihn ermutigt, an die Vision einer idealen Welt zu glauben. Verspottet wird er auch von allen Dorfbewohnern, die zur Verlobung kamen, und verlässt fluchtartig den Dorfplatz. Er will seine Träume verwirklichen. (1.Akt)

Auf dem Tisch in der Bildmitte v.l.n.r. Magdalena Hinterdobler (Grete), AJ Glueckert (Görge) und Liviu Holender (Hans; in der Hocke) sowie Ensemble, Foto: Foto: Barbara Aumüller

Der Text vom gebürtigen Augsburger, dem Schriftsteller Leo Feld (1869-1924), basiert auf mehreren Quellen unter anderem auf Heinrich Heines „Der arme Peter“: „ In meiner Brust, da sitzt ein Weh […] Es treibt mich nach der Liebsten Näh, als könnts die Grete heilen; Doch wenn ich der ins Auge seh, muss ich von hinnen eilen.“ (Programmheft S.40)

Alexander Zemlinsky (1871-1942)  war der Sohn eines Schriftstellers und Enkel eines Verlegers und kannte sich bestens in der klassischen Weltliteratur aus. In den Wiener Cafés traf er Intellektuelle und Künstler und war mit ihnen befreundet. Er kannte sicher das Buch „Die Traumdeutung“ (1899) von Sigmund Freud (1856-1939), der Träume als verschlüsselte Hinweise „auf den Konflikt zwischen menschlichen Wünschen und Verboten“ sah.

Die Begegnungen mit Arnold Schönberg und Alma Schindler, die seine Schülerin war und eine Liebesaffäre mit ihm hatte, waren für ihn von großer Bedeutung. Sie trennte sich von ihm 1902, als sie Gustav Mahler kennenlernte. Das hat er nie verwunden. Zemlinsky war zwar Komponist und Dirigent, schaffte aber den großen Durchbruch in Wien nicht.

Oktober 1906 hatte er die Oper fertig gestellt, die Mahler überwiegend positiv beurteilte, aber mehrere Änderungen verlangte. Der 3. Akt wurde gestrichen und ein Nachspiel  hinzugefügt. Immerhin wurde Zemlinsky als Dirigent  an die Hofoper, die Mahler leitete, verpflichtet und konnte im Frühjahr 1907 mit den Proben von „Der Traumgörge“ beginnen, deren Premiere für den 4. Oktober vorgesehen war. Konflikte mit der Intendanz der Wiener Hofoper und Mahler führten zum Eklat und der sofortigen Trennung Mahlers von der Hofoper. Für Zemlinsky ein schwerer Schlag. Es gab keine Uraufführung, die fand erst 1980 im Opernhaus Nürnberg statt.


v.l.n.r. Michael Porter (Züngl), AJ Glueckert (Görge) und Iain MacNeil (Kaspar), Foto:Barbara Aumüller

Wie reagiert eine Gesellschaft auf Träumer, die Fiktion und Wirklichkeit vermischen? Zemlinsky, der von seinen Komponisten-Kollegen hoch geschätzt wurde, Arnold Schönberg wurde sein Schwager, war mit dem Text von Feld noch immer nicht zufrieden „Da der Text des zweiten Aktes mehr Dringlichkeit und Prägnanz verlangt“, (Programmheft S.24). Zu einer Korrektur kam es jedoch nicht und das Werk geriet in Vergessenheit. Erst viel später – 1935 – befasste sich Zemlynsky mit „Der Traumgörge“ und fand sie gut. Aber es dauerte noch Jahrzehnte, bis die Oper in Nürnberg 1980 uraufgeführt wurde. Wahrlich eine große Opern-Entdeckung, die nun in der Frankfurter Oper eine eindrucksvolle Erstaufführung erlebte.

Görge, der hoffte, seine Träume verwirklichen zu können, lebt in einem anderen Dorf, verwahrlost und trinkt. (2.Akt) Bei Gertrud, der Tochter des verstorbenen Grafen, findet er Trost. Auch sie gehört nicht zur Gemeinschaft, sondern wird der Hexerei und Brandstiftung bezichtigt.

Die unzufriedenen Bauern planen einen Aufstand gegen die Mächtigen und wollen ausgerechnet den sprachgewandten Görge zu ihrem Sprecher machen. Zunächst sagt er zu, aber lehnt dann ab, weil sie von ihm verlangen, sich von Gertrud zu trennen. Beide spüren die blinde Gewalt der Dorfgemeinschaft. Görge erkennt die Leere seiner Märchenwelt. Görge und Gertrud ziehen in die Mühle, die ihm gehört, eine Schule wird gegründet. Grete und Hans versöhnen sich mit dem Paar und bedanken sich für die Wohltaten. Görge fand seine Prinzessin. (Nachspiel)

Regisseur Tilmann Köhler, brillant seine Inszenierung „Le nozze di figaro“, nennt die Vorgänge „ein Spiegelkabinett der obskuren Figuren“ (S.7): die unsympathische Dorfgemeinschaft, deren Bewohner am Ende durch ihre Überfreundlichkeit unheimlich wirken. Die antisemitische Grundstimmung, die der Komponist in Wien um die Jahrhundertwende erlebte, machte ihn zum Außenseiter, zum Ausgegrenzten, zum Exilanten. Diese Stimmung beherrscht den Opernabend, der versöhnlich endet, dank Gertrud. Sie ist die menschlich Starke, die Görge führt.


links: AJ Glueckert (Görge) mit Kinderchor der Oper Frankfurt sowie im Hintergrund auf der Schaukel Zuzana Marková, Foto: Barbara Aumüller

Karoly Risz schuf ein nüchternes Bühnenbild, fantastisch vom Lichtdesign des Jan Hartmann beeinflusst. Gal Fefferman kreierte die Choreografie, die die Kostüme von Susanne Uhl betonen.

Zemlynskis Tondichtungen sowie seine Bühnenwerke fordern alle heraus: das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der vorzüglichen Leitung von Markus Poschner, den Chor unter Tilman Michael, den Kinderchor unter Álvaro Corral Matute und die Gesangsolisten allen voran  Aj Glueckert als Görge, der sich allerdings manchmal gegen die kompositorische Lautstärke behaupten musste.

Zuzana Marková (Gertraud; auf der Bank stehend) und AJ Glueckert (Görge; liegend), Foto: Barbara Aumüller

Überragend die in Prag geborene Sopranistin Zuzana Marková als Prinzessin und Gertrud. Die international agiernde Sängerin ist derzeit Gast in Frankfurt. Auch Magdalena Hinterdobler, seit kurzem im Ensemble, gefiel als flotte Grete und Liviu Holender als spottender Hans. Bariton Iain Macneil als aggressiver Kaspar riss zu Bravorufen hin. Ein großartiges Sängerensemble.

Die Oper „Der Traumgörge“ verlangt volle Konzentration und tiefes Eindringen in die Handlung, aber diese musikalische Entdeckung sollte man nicht verpassen.

Weitere Aufführungen am 16., 23. und 31. März

www.oper-frankfurt.de

Telefonischer Kartenverkauf: 069 212-49494

 

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