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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Le nozze di Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart in der Oper Frankfurt

Susanna mutig und nervenstark – ein Tag voller Pein, voller Missverständnisse und Liebeskummer

 von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Dieses Glanzstück der Opernliteratur, perfekt in Ton und Wort, hat auch in Frankfurt schon viele Aufführungen erlebt.

Nun hat Regisseur Tilmann Köhler das Spiel der Aufklärung, den Schritt zur Freiheit von Mozart und da Ponte tiefsinnig und poetisch neu inszeniert – ein großartiges Sängerensemble und ein fantastischer Einstand des neuen Generalmusikdirektors Thomas Guggeis.

Plakat, Foto: Renate Feyerbacher

Riesige, helle Holzwände mit hohen Pendeltüren, die einen schnellen Abgang und sofortige Wiederkehr ermöglichen, umrahmen die Bühne. Sie wurden von Bühnenbildner Karoly Risz kreiert, der mit Tilman Köhler an der Frankfurter Oper bereits zusammenarbeitete. Stühle sind die einzigen Requisiten, die mehrmals aufs flache Podest gestellt werden. Jede Aktivität ist sichtbar. Die Lichtmomente, die Joachim Klein schuf, vertiefen und verändern die Stimmung im Laufe der Oper. Noch während der Ouvertüre zeigt sich flott das gesamte Ensemble und man bekommt einen Einblick von den ausgefallenen Kostümschöpfungen der Susanne Uhl.

Die Hochzeit von Susanna und Figaro wird gleich anfangs zelebriert, aber vom Grafen abrupt abgebrochen. Er hat es sich anders überlegt. Er will seinen Verzicht auf das Recht auf die erste Nacht mit weiblichen Untertanen widerrufen. Das Spiel voller Turbulenzen beginnt.

Donato Di Stefano (Bartolo), Idil Kutay (Barbarina), Magnus Dietrich (Basilio), Elena Villalón (Susanna), Danylo Matviienko (Graf Almaviva), Adriana González (Gräfin Almaviva), Kihwan Sim (Figaro), Kelsey Lauritano (Cherubino), Franz Mayer (Antonio) und Cecelia Hall (Marzelline)

Das Leben von Librettist Lorenzo Da Ponte (1749-1838), ursprünglich Emmanuele Conegliano, war auch sehr turbulent. Vielleicht haben seine privaten Eskapaden dieses exzellente Libretto beeinflusst. Der in der Region Venetien geborene Dichter, er war in Venedig angesehen,  wurde dann aber wegen Ehebruch und eheähnlicher Gemeinschaft mit einer verheirateten Frau aus Venedig  verbannt. Er gelangte nach Wien, wo er natürlich auch Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) begegnete. Für ihn schrieb er die Libretti von „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“. Unter dem neuen Kaiser verlor er 1791 seine Stelle und er wurde ein Herumgetriebener, der schließlich in New York landete.

Er betätigte sich in verschiedenen Geschäftszweigen und engagierte sich nach wie vor für die Oper, um ihr in Amerika zum Durchbruch zu verhelfen.

Da Ponte kam den Wünschen des Komponisten nach und hielt sich eng an das politisch-intrigante Lustspiel „Figaros Hochzeit“ oder „Der tolle Tag“ des französischen Universalgenies und Autors Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1732-1799)„ das 1783 uraufgeführt und ein Jahr später in der Comédie Francaise auf die Bühne kam.

Da haben Ponte und Mozart schnell gearbeitet. In sechs Wochen war die Oper bereits fertig und wurde 1786 in Wien uraufgeführt.

Figaro biete alles, was man sich von einem Opernabend wünsche: Unterhaltung, Witz, Tiefgang und Emotionalität, betont Thomas Guggeis im Gespräch mit Dramaturg Zsolt Horpácsy. Das Geniale sei, dass Mozart die Vielfältigkeit des menschlichen Daseins in eine unglaublich komplexe Form gegossen habe. Die Arien sind verbunden mit Rezitativen, die Guggeis am Hammerklavier selbst begleitet. Hinreißend musiziert das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter dem neuen Generalmusikdirektor.

v.l.n.r.: Donato Di Stefano (Bartolo), Cecelia Hall (Marzelline), Kelsey Lauritano (Cherubino), Idil Kutay (Barbarina), Franz Mayer (Antonio), Adriana González (Gräfin Almaviva) und Elena Villalón (Susanna)

Alles spielt sich an einem Tag ab. Es sind vier Genrationen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die den Tagesablauf durcheinander wirbeln. Graf Almaviva begehrt Susanna, die Dienerin seiner Frau und Braut von Figaro. Alles setzt dieser Schwerenöter dran, um sie ins sein Bett zu bekommen. Erschwerend kommt hinzu, dass er Figaro erpressen kann, denn dieser hatte seinerzeit von Marcellina, der Haushälterin von Doktor Bartolo, Geld geliehen und ihr dafür die Ehe versprochen. Der rachsüchtige Bartolo bestärkt sie, auf dem Versprechen zu beharren.

Cherubino, Page des Grafen, ist in alle Frauen des Hofes verliebt, besonders aber in die Gräfin. Als der Graf das erfährt, kommandiert er Cherubino zum Militär ab. Die Gräfin leidet unter der Untreue ihres Mannes. Gräfin, Susanna und Cherubino sollen Figaro helfen, die Pläne des Grafen zu zerschlagen und ihn zur Vernunft zu bringen. In diesem 2. Akt passiert so viel: verstecken, verkleiden, täuschen wie in der Commedia dell‘ arte. Schließlich kommen auch noch Marcellina und Bartolo. Susannas und Figaros Hochzeit wird verschoben.

Am Abend des 3. Aktes droht der Graf damit, Marcellinas Ansprüche anzuerkennen und Susanna so zur Liebe zu zwingen. Aber das erledigt sich, als Figaro als Sohn von Marcellina und Bartolo erkannt wird. Eine doppelte Hochzeitsfeier wird geplant. Scheinbar geht Susanna auf des Grafen Begehr ein und schickt ihm einen Brief, der mit einer Nadel verschlossen ist und die er zurückschicken soll. Der Graf gab sie Barberina, die sie prompt verlor.

Danylo Matviienko (Graf Almaviva) und Adriana González (Gräfin Almaviva)

In der Nacht des 4. Aktes geht alles drunter und drüber. Figaro hat Gespräche belauscht und glaubt gehört zu haben, dass seine frisch angetraute Gattin den Grafen treffen wird. Figaro rast vor Eifersucht. „Oh, ihr betörten Männer, lernt Weibertreu kennen.“ Verkleidungen sind auch hier wieder angesagt. Die Gräfin verkleidet sich als Susanna und Susanna als Gräfin. Prompt ruft der Graf, der glaubt seine Frau in flagranti zu erwischen, alle zusammen, um ihre Treulosigkeit bloßzustellen und Verzeihung zu verweigern. Der Graf, mit seinen eigenen Mitteln geschlagen, muss am Ende um Verzeihung bitten, als er erkennt, zu welch bösem Spiel er alle getrieben hat:  „Oh, Engel verzeih mir“, zur Gräfin. Das Spiel war riskant, aber befreiend.

v.l.n.r.: Kihwan Sim (Figaro), Magnus Dietrich (Basilio), Cecelia Hall (Marzelline), Danylo Matviienko (Graf Almaviva), Elena Villalón (Susanna), Donato Di Stefano (Bartolo) und Adriana González (Gräfin Almaviva)

Das Sänger-Team, die meisten gehören dem Ensemble an, und der Chor unter Leitung von Chordirektor Tilman Michael sind in Top-Form.

Bezwingend ist Gräfin Almaviva. In diesem Jahr hat sie in Salzburg Adriana González gesungen – hoch gelobt wurde ihre Interpretation. Und nun singt sie diese Partie an der Oper Frankfurt, wo sie bereits bekannt war. Schon ihre Erscheinung ist imposant und ihr Gesang einmalig, ebenso ihr Spiel – eiskalt, abweisend in der Szene mit dem Grafen, aber auch tief melancholisch in der Trauer über seinen Ehe-Betrug. Wie in Salzburg fantastisch.

Sie und Kihwan Sim, der schon 10 Jahre zum Ensemble gehört, sind die Stars des Abends. Die Begeisterung des gebürtigen Koreaners für Mozart und die Rolle des Figaro reißen mit. Großartig seine Spielfreude. Schlicht umwerfend.

In der kubanisch-amerikanischen Sopranistin Elena Villalón, seit einem Jahr im Ensemble, hat er eine mutige, freche und  durchsetzungsfreudige Susanna, die meisterhaft die stimmlichen Höhen erreicht.

Danylo Matviienko, auch im Ensemble, beträgt sich schofel, bewegt sich elegant wie ein Dressman und begeistert durch seine schöne Baritonstimme.

Spielerisch und gesanglich überzeugend brillant bringt sich Ensemblemitglied Kelsey Lauritano als Cherubino ein. Es ist ihr Rollendebüt.

Cecilia Hall ist eine flotte Marcellina, Donato di Stefano, weltweit an den berühmten Opernhäusern und unter wichtigen Dirigenten singend, macht aus Bartolo eine Paraderolle. Ähnlich gelingt es Kammersänger Franz Mayer, fast zwanzig Jahre im Ensemble, nun Gast, als polternder Gärtner Antonio. Die Rollen Basilio und Don Curzio hat der junge Tenor Magnus Dietrich, neu im Ensemble, erfolgreich gestaltet.

Sopranistin Idil Kutay als Barbarina präsentiert die Arie mit der Nadel. Jugendlich frisch gibt sie ihr Rollendebüt. Neu ist sie im Opernstudio. Eine Entdeckung.

Regisseur Tilman Köhler am 17.9.bei Oper extra. Foto: Renate Feyerbacher

Tilman Köhler hat klug, tiefsinnig, ideenreich inszeniert. Für ihn war das Aufeinanderzugehen wichtig, das im Spiel ermöglicht wird durch die Suche nach gemeinsamen Lösungen und ständig sich verändernden Spielregeln.

Nach dem bejubelten Premieren Opernabend, begeistert aufgenommen auch von Kritikern, wurden die vier Kritikerauszeichnungen für die vergangene Spielzeit der Zeitschrift „Opernwelt“ überreicht: „Opernhaus des Jahres“ an Intendant Bernd Loebe, an Tilman Michael für den „Chor des Jahres“, für die „Uraufführung des Jahres“ an die Oper „Blühen“ des Komponisten Vito Žurajs und des Librettisten Händl Klaus und für die „Wiederentdeckung des Jahres“  an das Werk des früh verstorbenen Komponisten Rudi StephanDie ersten Menschen“.

Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“, ein Höhepunkt der neuen Spielzeit in italienischer Sprache mit deutschen Obertiteln, wird am 14., 21. Oktober, am 28., 30. Dezember und mehrfach im Januar 2024 an der Oper Frankfurt gezeigt.

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