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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die Meistersinger von Nürnberg“ in der Oper Frankfurt

Wortschlacht zwischen Hans Sachs und Sixtus Beckmesser

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Die letzte Inszenierung von Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg gab es an der Oper Frankfurt 1993 – unter der Regie von Cristof  Nel und dem Dirigat von Michael Boder. Nun hat das Team um Johannes Erath mit Dirigent Sebastian Weigle die Oper neu interpretiert. Die musikalische und sängerische Leistung wurde bejubelt, die Regie provozierte einige Buhrufer. Zu unrecht, wie ich meine.

AJ Glueckert (Walther von Stolzing; links in weißem Anzug) sowie die Meister (auf den Stühlen) und die Lehrbuben (darunter)

Richard Wagner (1813-1883) hatte sich vorgenommen, eine lustig-komische Oper zu schreiben. Lustig ist sie nicht geworden, vielmehr nachdenklich und problembeladen. Dramaturg Zsolt Horpácsy spricht von „unerträglicher Leichtigkeit“. Geradezu unerträglich ist vielmehr die Tatsache, dass Goldschmied Veit Pogner seine Tochter Eva als Preis beim Sänger-Wettbewerb am jährlichen Johannistag verhökert. Eva muss fürchten, dass Stadtschreiber Sixtus Beckmesser, der Eva liebt und am Wettbewerb teilnimmt, gewinnt. Denn Eva liebt den Junker Walther von Stolzing, der nach Nürnberg zog, nachdem er mit Hilfe ihres Vaters sein Gut verkauft hatte. Eva und Stolzing verlieben sich Hals über Kopf. Das kann dem Vater Veit Pogner doch nicht ganz entgangen sein. Wie also kommt er dazu, seine Tochter anzubieten? Zwar wird ihr zugestanden, den Gewinner abzulehnen, aber dann hat sie unverheiratet zu bleiben. Die Frauenverachtung und die Machtgelüste sowie die Großtuerei des Vaters sind unerträglich.

Schadenfreude, Gewalt, Bloßstellung und Verhöhnung Beckmessers kennzeichnen die gesamte Oper. Sind es Spott und Hohn, die Wagner als seinen Humor ausgibt? Den Text hat er selbst gedichtet. Erfreulich, dass mal Bürger und keine Götter, Gnomen und Zwerge im Spiel sind. Aber auch diese Bürger sind bissig, beleidigend, gewalttätig, das sind Wagners Götter und Unterweltgesellen auch, nur nicht so spießig wie die Meistersinger. Walther von Stolzing, der ein Meistersinger werden will, stellt sich zum Probesingen und wird abgelehnt. Die komplizierten Regeln der Singkunst, aufgestellt von den Meistern, hat er nicht beachtet. Nur Schuster-Poet Hans Sachs, einer von ihnen, plädiert für den Junker Stolzing, weil ihm das Lied gefiel, das zwar alt, jedoch neu klang. „Dem Vogel, der heut‘ sang, dem war der Schnabel hold gewachsen: macht‘ er den Meistern bang, gar wohl gefiel‘ er doch Hans Sachsen“ (2.Aufzug 3.Szene – Fliedermonolog)

vorne v.l.n.r. AJ Glueckert (Walther von Stolzing), Claudia Mahnke (Magdalene), Michael Porter (David) und Magdalena Hinterdobler (Eva) sowie im Hintergrund v.l.n.r. Nicholas Brownlee (Hans Sachs) und Michael Nagy (Sixtus Beckmesser)

Witwer Sachs, der Eva ebenfalls liebt, aber aufgrund seines Alters verzichtet und das junge Paar vor Augen hat, beobachtet genau den Ablauf der Geschehnisse und beginnt mit Tricksereien. Beckmesser und Sachs können sich nicht leiden, sind dennoch eng verbunden , geradezu wie aneinander gekettet. Immer wieder halten sie sich gegenseitig den Spiegel vor. Beckmesser platzt in der 5. Szene des 2. Aufzugs buchstäblich der Kragen. Er nennt Sachs einen boshaften, neidischen, sich schlauer dünkenden Gesellen, der selber gerne Merker wär, aber nicht gewählt wurde: „so lang‘ ich noch bei den Meistern was gelt‘, ob Nürnberg ‚blüh‘ und wachs‘, das schwör‘ ich Herrn Hans Sachs: nie wird er je zum Merker bestellt.“ Ohne Zweifel: Sachs treibt mit Beckmesser ein böses Spiel.

v.l.n.r.: Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) und Nicholas Brownlee (Hans Sachs)

Eine turbulente Nacht bahnt sich an. Schon die Auseinandersetzung der Beiden, hat die Nachbarn aufgeschreckt. Beckmessers Ständchen für Eva, die Magdalene bat, sich für sie ans Fenster zu setzen, ist laut. David, Lehrbube bei Hans Sachs, der Magdalene liebt und endlich heiraten möchte, vermutet in ihm einen Nebenbuhler und gerät in Rage. Eifersucht lässt ihn zum Knüppel greifen. Eva und Walther von Stolzing wollen fliehen, aber Sachs verhindert das. Es kommt zur Massenprügelei. Danach Johannisnachtruhe.

Beckmesser beschwert sich bei Sachs, findet das unfertige Gedicht des Walther von Stolzing, das er für Sachsens Werbelied hält. Sachs schenkt es ihm, prompt wird es Beckmesser beim Wettsingen mit eigener Musik vorsingen. Mit argen Tricksereien will Sachs Eva und von Stolzing helfen. Es gelingt ihm. Der Ritter gewinnt den Wettbewerb, lehnt aber die Meisterwürde ab. „Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst!“ mahnt und belehrt ihn Hans Sachs.

 v.l.n.r. Michael Porter (David), Claudia Mahnke (Magdalene), cholas Brownlee (Hans Sachs), Magdalena Hinterdobler (Eva) und Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) sowie Ensemble

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von „noch“- Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. In dieser Funktion war er sage und schreibe fünfzehn Jahre. Nach Ende dieser Spielzeit nimmt er Abschied von Frankfurt. Im kurzen Opernvideo bedankt er sich für die Jahre, die er mit einem der besten Orchester arbeiten durfte.

Zu den Meistersingern hat er eine besondere Beziehung: 55 mal hat er sie bei verschiedenen Inszenierungen dirigiert, davon Jahre bei der seltsamen Regie von Katharina Wagner in Bayreuth. Weigle und die Musiker wurden damals begeistert gefeiert wie auch nun bei der Premiere am 6. November in Frankfurt. Alle Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters zeigten sich am Ende auf der Bühne. Es ist die Liebe zum Detail zu spüren. Herrlich kommt der Wagnersche Klang zur Geltung und könnte auch  musikalische Gegner des Komponisten locken.

Regisseur Johannes Erath, häufiger Gast in Frankfurt, der zuletzt 2019 Szymanwoskis Król Roger inszenierte, kennt Sebastian Weigle schon lange. Als Weigle 1998 an der Wiener Volksoper Die Meistersinger leitete, spielte Erath im Orchester noch die Geige. Sein Regie-Konzept ist modern, manchmal auch surreal. Die Führung der Figuren ist psychologisch ausgefeilt. Auf den Ballast der Historie geht er nicht ein. Ganz anders dagegen Barrie Kosky in seiner legendären Bayreuther Inszenierung von 2019. Da gehen sich Hans Sachs (Michael Volle) und Sixtus Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) auch ganz schön auf die Nerven so auch bei Eraths Neuinszenierung in Frankfurt, aber anders. Die Dialoge der Beiden sind unglaublich geschärft. Hinzukommt die Fokussierung auf Gewalt und Missbrauch gegenüber dem Stadtschreiber Beckmesser und auch gegenüber Eva, die von vielen Männern ausgenutzt wird.

An Eraths Seite ist Bühnenbildner Kaspar Glarner. Er nennt Die Meistersinger ein „Monsterprojekt und eine absolute Herausforderung für alle Abteilungen eines Opernhauses“. Fahrbare Hochsitze für die Meister, Rollstühle, bewegliche Hauselemente, eine vollgekritzelte schwarze Rückwand, das alles hat sich Kaspar Glarner einfallen lassen, der oft mit Regisseur Johannes Erath zusammenarbeitet. Unvergesslich ihre gemeinsame Arbeit bei Arnulf Herrmanns Werk Der Mieter (2017).

Die Kostüme von Herbert Murauer, auch kein Unbekannter in Frankfurt, sind ausgefallen, teils witzig und frech. Wie so oft begeistern die Schattenspiele von Joachim Klein und Bibi Abels Videos.

Der Gesang: zunächst wieder ein großes Lob auf den Chor der Oper Frankfurt, der zu den größten in Deutschland gehört. Die Chormitglieder, die aus der ganzen Welt kommen, haben eine professionelle Gesangsausbildung. Seit acht Jahren wird dem Chor unter Leitung von Tilman Michael, assistiert von Álvaro Corall Matute, höchstes Lob zuteil. Bei der Opernwelt Umfrage erhielt er 2022 den Titel „Chor des Jahres“.

Chordirektor Tilman Michael am Premierenabend, Foto: Renate Feyerbacher

Last but not least die Sängerinnen und Sänger der Neuinszenierung an der Oper Frankfurt: Goldschmied Veit Pogner, auf dem Hochstuhl sitzend, vergibt seine Tochter Eva als Preis beim Wettsingen am Johannistag. Andreas Bauer Kanabas, seit neun Jahren im Ensemble, dabei häufig weltweit unterwegs, setzt seinen grandiosen Bass voll ein. Es ist sein Debüt in dieser Rolle. Wunderbar.

Der amerikanische Bassbariton Nicholas Brownlee als Hans Sachs eine Entdeckung! Sein Kontrahent Sixtus Beckmessen wird von der Koryphäe Michael Nagy interpretiert. Eine tolle Besetzung. Großartig, wie sich die Beiden sprachlich duellieren. Rollendebüt für Beide wie für fast alle anderen Gesangsteilnehmer der Vorstellung. Ensemblemitglied Brownlee, mit vielen Preisen ausgezeichnet, sprang im Februar mit großem Erfolg in der Wiener Staatsoper ein. Nagy, einst Ensemblemitglied in Frankfurt, ist inzwischen weltweit gefragt (u.a. in Salzburg, Bayreuth, Berlin, Tanglewood Festival (USA). Dem amerikanischen Tenor AJ Glueckert gelingt ein überzeugender Walther von Stolzing.

Geradezu als Liebling gefeiert, wird Michael Porter als David. Auch sein Tamino vor wenigen Wochen löste Begeisterung aus. Die Entwicklung des amerikanischen Tenors seit Eintritt ins Frankfurter Opernstudio vor Jahren ist einmalig.

Die junge Sopranistin Magdalena Hinterdobler begeistert  als Eva sowohl gesanglich als auch schauspielerisch. Grandios ihre Ausbildung: Hochschule für Musik und Theater München, Bayerische Theaterakademie August Everding bei Andreas Schmidt und in der Liedklasse von Helmut Deutsch. Kein Wunder, dass sie zu den gefragtesten Nachwuchssängerinnen derzeit gehört. Ab nächstem Jahr wird sie das Ensemble verstärken.

Magdalena Hinterdobler am 23. Oktober bei Oper extra, Foto: Renate Feyerbacher

Claudia Mahnke, die derzeit in Berlin Fricka (Das Rheingold) singt, jüngst zur Kammersängerin ernnanntes Ensemblemitglied, wird für Magdalene bejubelt.

Auch die anderen Meister: Thomas Faulkner, Samuel Levine, Barnaby Rea, Jonathan Abernethy, Hans-Jürgen Lazar, Andrew Bidlack, Sebstain Geyer, Anthony Robin Schneder, Bozidar Smiljanic vermitteln große Ansprache. Franz Mayer singt den Nachtwächter und zehn Lehrbuben – ebenfalls stark besetzt – machen Die Meistersinger zu Nürnberg zu einem denkwürdigen Theaterabend.

Weitere Vorstellungen:

am 20. und 27. November, am 3.,12 – da gibt es im Anschluss Oper im Dialog,– und  am 9. und 17. Dezember.

Die Zuschauer müssen sich auf 5 Stunden und 30 Minuten mit zwei Pausen einstellen. Nach wie vor wird ein Mundschutz während der Aufführung empfohlen.

Informationen: www.oper-frankfurt.de

Vorverkauf Kasse: 069-212-49494

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