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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wim Vandekeybus „Infamous Offspring“ bei Tanz.Köln/ Schauspiel Köln

Der Gott, die Kinder und die unbändige Wut

Von Simone Hamm

So habe ich die Geschichte des Göttervaters Zeus, seiner Frau Hera und der Kinder, die Zeus mit anderen, sterblichen Frauen gezeugt hat, noch nie gesehen. Als wilden, rauschhaften, grausamen Tanz. Als Spiel von Leidenschaft, Eifersucht und Tod, Ausgrenzung und Hass. Die Kinder sehnen sich nach der Anerkennung des Vaters Zeus. Dafür spielen sie sich gegeneinander aus, dafür morden sie. „Infamous offspring – infame Nachkommen“ hat de belgische Choreograf Wim Vandekeybus diesen Abend genannt.

„Infamous Offspring“  Wim Vandekeybus / Ultima Vez, Foto: Wim Vandekeybus, Danny Willems

Die britische Dichterin Fiona Benson hat die antiken Mythen in die heutige Zeit übertragen. „Infamous offspring“ ist ihr Theaterdebut. Aus der göttlichen wird eine moderne Patchworkfamilie. Hera (Lucy Black) und Daniel Copeland (Zeus) sind nur auf der Leinwand zu sehen, entfernt, entrückt, unerreichbar. In  großartigen Dialogen streiten Gott und Göttin, in ihren Monologen wird Hera nachdenklich und Zeus manchmal fast selbstironisch.

Auf einer anderen Leinwand ist Tiresias, der blinde Seher, zu sehen. Flamenco Legende Israel Galván stellt ihn dar. Nur der glänzend silberne Oberkörper des Mannes, der in den Flamencoschuhen so unglaubliche Schritte macht, ist zu sehen. Er steckt in einer flachen, runden Trommel. Galván spielt mit Kastagnetten, trommelt mit Schuhen, der Hand, den Fingern vor den Augen. Er ist der Rätselhafte, der den Takt vorgibt. Dazu schnelle, harte, stampfende, vorwärtstreibende Musik von Warren Ellis.

Musik, lyrische Texte, Tanz, Videos verschmelzen unmerklich miteinander.

Vim Vandekeybus hat für „Infamous offspring“ eine völlig neue Tanzgruppe zusammengestellt. Junge dynamische Tänzer und Tänzerinnen aus aller Welt tanzen unter dem riesigen Screen, auf dem Zeus und Hera streiten.

Szene aus: Infamous Offspring, Foto: Wim Vandekeybus, Danny Willems

Lucy Black als Hera hat auch in ihrem blinden Zorn auf den untreuen Zeus etwas wahrhaft Majestätisches. Daniel Copeland als Zeus bekennt sich zu seiner Gier, hat sich abgefunden mit seinen ungeratenen Sprößlingen, die er Freaks nennt. Drogenabhängig wie Dionysos, ein Krüppel wie Hephaistos, den Hera vom Götterberg verbannte.

Iona Kewney, Malerin, Performancekünstlerin und Kontorsionistin (Schlangenfrau) aus Schottland ist Hephaistos. Sie bringt noch weitere Aspekte in das Universum von Wim Vandekeybus ein: Malerei und Artistik. Nervös, kaum fähig, sich ganz aufzurichten, auf dem Kopfe stehend, auf den Händen laufend, Arme, Beine, Leib grotesk ineinander verschlungen, gelingt es ihr, zwischen atemberaubenden Akrobatikkünststücken immer wieder mit Kohlestift auf einer großen Leinwand  Figuren, Hermes geflügelte Fersen, Skelette zu zeichnen. Sie flucht viel und ihr schottischer Akzent steht in grobem Kontrast zur feinen britischen Aussprache von Zeus und Hera.

Hephaistos ist zerbrochen an der Härte der Eltern. Er wird brutal von Ares, dem Kriegsgott emporgehoben und zu Boden geworfen. Adrien Thõmmes verkörpert Ares herrisches Wesen von der Bartspitze bis zu den Zehen. Auch über Ares klagt Hera, er sei schon grausam gewesen, bevor er habe überhaupt laufen können.

Die Götterkinder fliegen über die Bühne. Sie springen weit und hoch und werden erst in letzter Minute aufgefangen. Sie tanzen allein, zu zweit, nur selten in der Gruppe. Dann aber absolut akkurat, perfekt. Immer sind sie in Bewegung.  Manchmal wusste ich nicht, in welche Ecke ich zuerst gucken sollte, da kam schon wieder jemand angeflogen.

Es ist ein gewalttätiger Abend. Und doch kann sich ihm niemand entziehen. Antrieb der Götter sind Sex und Macht. Das scheint sich bis zur heutigen Zeit kaum geändert zu haben. Antrieb der Patchworkfamilie, der Kinder sind ebenfalls Sex und Macht. Dahinter aber liegt die unüberhörbare, unübersehbare Sehnsucht nach Liebe, nach Anerkennung durch die Eltern. Athene (Cola Ho Lok Yee) fleht Zeus an, sie in die Götterwelt zu holen, sie sei doch sein Liebling.

Zeus erhört sie ebensowenig wie seine anderen Kinder. Im Gegenteil. Er nimmt die Gestalt seiner Tochter Artemis ein, Göttin der Jagd und Hüterin Frauen. Paola Taddeo ist ein hinreißende facettenreiche Artemis, schön und erotisch. Doch sie kann geradezu sadistisch werden. Zeus steigt herab und vergewaltigt als Artemis die schöne Nymphe Callisto, dargestellt von Maria Zhi Tortosa Soriano.

Währenddessen erinnert sich Hera an die ersten Nächte mit Zeus. So soll es wieder sein. Sie bittet ihn, das Leben zurückzuspulen. Vergeblich.

„Infamous offspring“ ist ein sehr intensiver Abend. Ein Abend, der die Zuschauer nicht schont und die Tänzer schon gar nicht. Ein Abend, wie ich ihn lange, lange nicht mehr erlebt habe. Schonungslos. Unter die Haut gehend. Nachdenklich stimmend. Mit einem brillantem Ensemble.

Ein Abend, der nachwirkt.

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