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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Mobilitätsdezernent: „Es geht um gute Funktionalität“

Ein Interview mit Wolfgang Siefert – Das Ziel: „eine menschengerechte Stadt“ 

Das Interview führte Uwe Kammann

Aktivisten-Parole beim Bau der neuen Altstadt, Foto: Uwe Kammann

Kammann: Ein großes, auch sehr umstrittenes Thema in Frankfurt ist die Verkehrswende. Welches ist das Grundziel dieses Vorhabens?

Frankfurter Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert (Die GRÜNEN), Foto: Stadt Frankfurt

Siefert: Zunächst möchte ich zwischen Verkehrswende und Mobilitätswende, zwischen Verkehrsplanung und Mobilitätsplanung unterscheiden. Früher gab es nur eine Verkehrsplanung, es wurde gefragt, welche Verkehre liegen mit welchen Verkehrsträgern an und welche Infrastruktur wird dafür gebraucht. In der Mobilitätsplanung geht man von den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen aus. Dabei versucht man zu steuern, welche Verkehre überhaupt entstehen. Ein klassisches Beispiel ist der Schulweg. Viele Elterntaxis haben ihren Grund darin, dass Eltern befürchten, der Schulweg der Kinder zu Fuß oder per Fahrrad sei nicht sicher. Das führt zu großem Verkehr. Die Schlussfolgerung der Mobilitätsplanung ist, erst einmal einen sicheren Schulweg zu schaffen. Damit entfällt das Bedürfnis, das Kind mit dem Auto zur Schule zu bringen. Es gibt also einen Unterschied in den Ansätzen und den Begrifflichkeiten. Das Ziel ist, alle Mobilitätsbedürfnisse, die jeder zu Recht hat, effizient und bestmöglich zu erfüllen.

Die SPD, Teil der Koalition, fordert auf ihrer Website für Frankfurt eine autofreie Innenstadt. Ist das Konsens in der Koalition?

Wir sprechen lieber von einer autoarmen Innenstadt. Autofrei kann sie nie sein. Es gibt beispielsweise die Lieferverkehre und Rettungsdienste, natürlich auch die Anwohnenden, die in der Innenstadt leben. Sie alle haben immer noch und auch in Zukunft Bedürfnisse, mit dem Auto zu fahren.

Nicht immer einfach: zu Fuß durch die Stadt, Foto: Uwe Kammann

Auf einer Podiumsdiskussion im letzten Oktober haben Sie beim Oeder Weg, der ein hoch umstrittenes Beispiel der Wende war und ist, von einer provisorischen Umgestaltung gesprochen. Wie provisorisch ist die Maßnahme tatsächlich? Kann sie als offener Versuch gewertet werden? 

Es ist kein Versuch, das ist ganz wichtig. Das ist ein Begriff aus dem Verkehrsrecht. Provisorisch deshalb, weil wir die dort umgesetzten Maßnahmen nicht gleich in der Form eines Um- oder Einbaus realisiert haben. Denn dann wäre nichts mehr rückgängig zu machen, wenn sich herausstellen würde, dass noch Änderungsbedarf bestünde. Alle Maßnahmen sind aber schon auf Dauer angelegt. Dabei halten wir uns an die gültigen Regelungen der Straßenverkehrsordnung und der anderen bestehenden Rechtsnormen. Das Modell eines Verkehrsversuches ist in Deutschland nur schwer rechtssicher herzustellen.

Eine neue Maßnahme aus dem letzten Jahr sind abgestufte Geschwindigkeiten, mit 20, 30, 40, 50 Stundenkilometern. Viele sehen darin eine Überforderung der Autofahrer und eine weitere Aufforstung des Schilderwaldes. Ist auch das provisorisch?

Da gibt es einen ganz anderen Hintergrund. Wir gehen davon aus, dass am Ende der Schilderwald lichter wird. 50 ist nach wie vor die Regelgeschwindigkeit, entsprechend der geltenden Straßenverkehrsordnung. Eine neue Straßenverkehrsordnung, welche den Kommunen mehr Flexibilität eingeräumt hätte, ist leider im Bundesrat angehalten worden. Wenn wir uns an Recht und Gesetz halten, müssen wir folglich jene Mittel wählen, die momentan möglich sind. Dann muss man abschichten.
50 ist die Regelgeschwindigkeit, Tempo 40 kam über den Plan zur Luftreinhaltung, um Fahrverbote zu vermeiden. Untersuchungen haben ergeben, dass für die Luftqualität eine Geschwindigkeit von 40 wesentlich besser als 50 ist. Das versetzte uns in die Lage, Tempo 40 anzuordnen. Das hatte Erfolg, wir halten die erlaubten Höchstwerte fast durchgängig ein. Damit haben wir Fahrverbote für Lastwagen oder Dieselautos verhindert. Das trifft für Hauptstraßen zu, auf denen vorher 50 galt. Das Tempo 30 wird in Wohngebieten schon seit vielen Jahren in entsprechenden Zonen angeordnet, das wollen wir in dieser Form beibehalten und fortführen.

Und das ungewöhnliche Tempo 20?

Das ist ein neues Thema in der Innenstadt mit verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen, wo die ersten Tempo-20-Zonen umgesetzt sind. Basis ist eine schon länger bestehende Regelung der Straßenverkehrsordnung, die bisher nur in kleineren Kommunen angewendet wurde. Wir sind hier die erste Großstadt. Das wird zur Lichtung des Schilderwaldes führen. Wir machen das in allen kleinen Straßen der Innenstadt, wo bislang teilweise 50 galt, teilweise auch 30 oder wo teilweise eine Spielstraße ausgeschildert ist. Dort gibt es bislang Beispiele, wo auf 500 Metern vier verschiedene Geschwindigkeiten gelten. Es gibt dort auch noch Ampelanlagen, die aus Zeiten stammen, als das erforderlich schien. Dort kann man sich nur darüber wundern, dass diese Ampeln noch laufen, ebenso über die unterschiedlichen Geschwindigkeitsanordnungen. Da helfen uns die neuen Tempo-20- Zonen. Diese Regelung wollen wir in der Innenstadt in all diesen Bereichen einführen, sodass es am Ende folgendes Bild geben wird: auf allen Hauptstraßen 50 oder wegen der Luftreinhaltung 40, dann in den Wohngebieten Tempo 30, und in den Nebenstraßen der Innenstadt Tempo 20.

Was Schilder alles signalisieren können, Foto: Uwe Kammann

In Paris gibt es eine einheitliche Begrenzung von 30 in der Innenstadt. Ein Modell auch für Frankfurt?

Wie bereits erwähnt, hat der Bundesrat eine neue Straßenverkehrsordnung angehalten. Insofern dürfen wir das nicht. Wobei von den Schadstoffwerten her Tempo 40 besser ist als Tempo 30, das könnte ich mir schon vorstellen. Bislang bezieht sich die Handhabe in Deutschland, um ein geringeres Tempo als 50 anzuordnen, auf eine besondere Situation, beispielsweise bei Schulen oder Krankenhäusern, jeweils mit kurzen Strecken; oder auf eine Maßnahme zur Luftreinhaltung.

Das bisherige Ergebnis der Mobilitätswende ist in Frankfurt an vielen roten Streifen abzulesen, an zusätzlichen Markierungen, an Pfosten und Pollern, an Bügeln und Straßenmöbeln zum Sitzen, an Pflanztrögen aus Roststahl. An diesem Erscheinungsbild gibt es viel Kritik. Dass man sich über Autofahrer sogar lustig macht wie an einem Parkplatz an der Braubachstraße, stößt ebenfalls übel auf. Gibt es Absprachen mit anderen Ämtern, wie all diese Elemente aussehen sollen?

In der Tat, es gibt lauten Protest. Aber nehmen wir den Oeder Weg. Dort gibt es eine neutrale, unabhängige Untersuchung der Frankfurt University of Applied Sciences (FUAS). Den Endbericht erwarten wir dieses Jahr. Der im letzten Jahr vorgelegte Zwischenbericht kam zu einem ganz anderen Bild. Danach sind sehr viele Menschen mit der Umgestaltung zufrieden. Sie haben das Gefühl, dass nun am Oeder Weg eine viel höhere Lebensqualität herrscht, mit sichereren Gehwegen, mit sichererem Radfahren. Für Autos gibt es weiterhin die Möglichkeit, dort zu fahren und auch zu parken. Denn wir wollen die Autos nicht vertreiben.

Manifestationen der Wende: Bügel, Markierungen, Poller, Foto: Uwe Kammann

An den dort aufgestellten Cortenstahl-Behältern gab und gibt es Kritik, sie seien hässlich. Aber das ist, wie immer, auch Geschmackssache. Auf jeden Fall ist es ein sehr hochwertiges Material, von Architekten sehr geschätzt. Dafür, dass es im Oeder Weg nur eine provisorische Gestaltung ist, finde ich sie optisch extrem gelungen. Im letzten Frühling haben wir gesehen, dass die Leute dies alles gut annehmen und sich über die gute Aufenthaltsqualität freuen. Die meisten Geschäftsleute finden es auch besser als vorher.

Aufenthaltsqualität ist ein Stichwort, das in vielen Pressemitteilungen aus Ihrem Haus zu lesen ist. Welches sind dafür in Ihren Augen die Hauptkriterien?

Im öffentlichen Raum steht prinzipiell zunächst Mobilität im Vordergrund, mit dem Ziel, dass jeder seine Mobilitätsbedürfnisse sicher, bequem und in angemessenem Tempo erfüllen kann. Über Jahrzehnte wurde alles dem Auto untergeordnet. Zufußgehenden, Radfahrenden, Kindern wurden immer nur die Restflächen zugestanden. Unser Ziel ist nun, Mobilität für alle zu ermöglichen. Es geht um gute Funktionalität, aber auch um gute Gestaltqualität, nicht zuletzt auch um vernünftiges Klima. Die Sommer werden immer heißer, damit auch die Plätze, die keine Schattenmöglichkeiten haben. In der Innenstadt ist es oft mit Bäumen schwierig, weshalb andere Lösungen notwendig sind. Alles zusammen, in einer angemessenen Gestaltung, sorgt am Ende für Aufenthaltsqualität. Dazu kommen Angebote wie Geschäfte und Gastronomie. Aber im Vordergrund steht immer die Mobilität.

Einladung zum Aufenthalt in der Braubachstraße, Foto: Uwe Kammann

Zu den prominenten Kritikern bei den Punkten Gestaltung und Ästhetik gehört der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler. Er plädiert für „ganz normale“ Straßen, wie er es ausdrückt. Sein Institut für Stadtbaukunst hat kürzlich auf einem Kongress in Düsseldorf unter großer Zustimmung für „schöne Straßen“ als städtisches Grundelement geworben. Gibt es unter diesen Gesichtspunkten Kontakte und Konsultationen mit dem Architekten und dem Institut oder mit auch anderen Institutionen, die sich mit Gestaltung befassen? Wie lässt sich der öffentliche Raum unter ästhetischen Kriterien beurteilen?

Christoph Mäckler kenne ich sehr gut. Als Stadtverordneter war ich auch mit dem Dom-Römer-Projekt befasst, wo er im Gestaltungsbeirat eine wertvolle Rolle gespielt hat. Wir sind nicht immer einer Meinung, verfolgen aber am Ende dasselbe Ziel. Er stellt sich grundlegende Umbauten vor, die ich im Moment in dem Tempo nicht liefern kann. Demnächst haben wir die Bockenheimer Landstraße auf dem Programm, mit einem festen Umbau. Ein Projekt, mit dem sich auch Prof. Mäckler wird anfreunden können. Wir arbeiten mit vielen Institutionen zusammen, wie mit der bereits erwähnten FUAS. Mit dem Institut für Stadtbaukunst haben wir im Bereich Mobilität noch keine Projekte. Vielleicht kommen wir auch noch zusammen.

Sitzgelegenheit am Straßenrand, gut gesichert, Foto: Uwe Kammann

Unabhängig von der Gestaltung gibt es auch vehemente Grundsatzkritik an der jetzigen Verkehrs- und Mobilitätspolitik, so von der Fraktion BFF/BIG im Stadtparlament, so von Bürgerinitiativen wie „Vorfahrt Frankfurt“. Einige Stichworte dieser Kritik: reine Verlagerung des Autoverkehrs, Erzeugung von Umwegen und damit auch Belastung der Wohnviertel, vermehrte und erhöhte Emissionen, Schwächung des lokalen Handels, Beeinträchtigung der Gewerbetreibenden, Mobilitätstrennung in arm und reich. Kurz zusammengefasst: Angeprangert wird eine massive Spaltung der Gesellschaft statt eines multifunktionalen und rücksichtsvollen Miteinanders. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Sie stimmt nicht. Wesentliche Maßnahmen lassen wir wissenschaftlich begleiten. Dazu haben wir sehr breite Bürgerbeteiligungen durchgeführt, auch beim jetzigen Masterplan Mobilität. Nach meinem Gefühl verwechseln gerade diejenigen, die so laut sind, Bürgerbeteiligung mit der Erwartung, jeder könne seine eigenen Interessen durchsetzen. Doch erst einmal bedeutet sie lediglich, dass jeder gehört wird, seine Ideen und Anregungen einbringen kann und diese in der Abwägung berücksichtigt werden. Das tun wir im Rahmen der Regeln und des geltenden Rechts. Die große Mehrheit der Bevölkerung findet das auch gut. Im neuen ADAC-Städteranking waren wir in der Beurteilung durch Einwohnende sowohl beim Teilindex PKW, als auch im Gesamtindex Mobilität auf dem zweiten Platz. Insofern: Die Argumentation von „Vorfahrt Frankfurt“ und anderen, dass wir gegen eine Mehrheit in Frankfurt agieren, ist einfach nicht korrekt.

Ein Auto für Fahrradliebhaber, Foto: Uwe Kammann

Noch einmal zum Grundkonflikt. In den 1960er Jahren galt das Motto der autogerechten Stadt, jetzt wird die fahrradfreundliche Stadt propagiert. Ist das eine Zuspitzung in beide Richtungen, die mit dem typischen Pendelausschlag verbunden ist? Ist das der jeweilige Zeitgeist, auch Ergebnis einer massiven Lobbyarbeit, die früher vom ADAC, jetzt vom ADFC und anderen Fahrradverbänden betrieben wurde und wird?

Wir sprechen von der menschengerechten Stadt, wo alle Bedürfnisse berücksichtigt werden. Wir haben Jahrzehnte hinter uns, wo nur die Bedürfnisse der Autofahrenden im Vordergrund standen. Das ändern wir. Aber das heißt nicht, dass wir das Auto verteufeln. Es hat nach wie vor einen berechtigten Platz bei den Verkehrsmitteln. Die Mobilitätswende findet schon seit vielen Jahren statt, auch ganz unabhängig vom Frankfurter Radentscheid im Jahr 2019. Der Radentscheid war nur eine Folge der sich längst vollziehenden Mobilitätswende und dem veränderten Nutzungsverhalten. Zwischen 2008 und 2018 ist Frankfurt um 100.000 Einwohner gewachsen. Untersuchungen haben ergeben, dass in dem genannten Zeitraum die Menschen 41 Prozent mehr an Wegen zurückgelegt haben. Die Straßenflächen aber sind gleichgeblieben. Der Modalsplit, also die Aufteilung der Verkehrswege und -mittel – ob Auto, Fahrrad, ÖPNV, zu Fuß – hat sich erheblich verändert. Die Zahl der Radfahrenden in Frankfurt hat sich allein zwischen 2010 und 2018 verdreifacht. Mit 40.000 Stimmen gab es eine große Unterstützung für den Radentscheid.

Element der Verkehrstrennung: ein Modalfilter, Foto: Uwe Kammann

Allerdings sind das weniger als zehn Prozent der wahlberechtigten Frankfurter.

40.000 Unterschriften, das ist nun wirklich ein Wort. Davon sind die kritisierenden Initiativen weit entfernt. Kern des Entscheids ist die Aussage: Wir wollen Rad fahren, aber wir wollen auch sichere Radwege haben. Die Zufußgehenden wiederum haben sich zu Recht beschwert, dass Fahrräder auf dem Gehweg unterwegs waren. Was wiederum den einfachen Grund hatte, dass es keine vernünftigen Radwege gab, weil alles auf das Auto ausgerichtet war. Die sich daraus ergebenden Veränderungen, die wollen die Menschen, und wir kommen darum auch gar nicht herum. Man stelle sich nur vor, dass alle neu Hinzugezogenen mit dem Auto kämen. Dann würde in der Stadt gar nichts mehr funktionieren.

Parken für Poller in der Braubachstraße, Foto: Uwe Kammann

Realität ist: Wir müssen mit dem öffentlichen Raum auskommen, den wir haben. Wenn wir die immer noch steigenden Mobilitätsbedürfnisse abwickeln wollen, werden wir uns auf flächensparende Verkehrsmittel fokussieren müssen. Am wenigsten flächensparend ist das Auto, das dazu noch immer größer wird. Die noch steigenden Mobilitätsbedürfnisse werden wir nicht weiter mit dem Auto abwickeln können. Auch was Parkplätze und Parkhäuser angeht, so geht einfach mehr nicht. Aber alle, die auf das Auto angewiesen sind, können weiter in die Stadt kommen. Wir haben über 10.000 Plätze in den Parkhäusern der Innenstadt, die will niemand abschaffen.

Unabhängig von den Zahlen: In Veröffentlichungen und Diskussion wird bei diesem Thema oft von einem Kulturkampf gesprochen. Bei avancierten Wende-Städten wie früher Berlin oder heute Hannover ist das mit dezidiert grüner Politik verbunden. Dazu werden dann Stichworte wie Verbot, wie Regulierung, wie Gängelung, wie Umerziehung assoziiert. Die Fraktion BFF/BIG spricht von einer ideologisch getriebenen Umverteilung des Verkehrsraums. Kritisiert werden fehlende Vernunft, fehlendes Augenmaß. 

Was wir hier in Frankfurt machen, ist maßvoll und demokratisch legitimiert. Es fußt auf dem Stadtverordnetenbeschluss zur Fahrradstadt Frankfurt, der mit Stimmen der Grünen, der SPD und der CDU verabschiedet worden ist. Insofern führe ich nur das aus, was 2019 beschlossen wurde. Zum Ausgangspunkt gehört: Das Fahrrad ist lange vernachlässigt worden, es hatte einen gewissen Nachholbedarf.

Einsamer Radler auf der Europaallee, Foto: Uwe Kammann

Zur Kritik gehört, dass viele Bürger das Fahrrad gar nicht oder kaum nutzen können, weil es mit vielen Einschränkungen verbunden ist und von wechselnden Voraussetzungen abhängt. Da geht es um die Wetterbedingungen, um eine eingeschränkte Gesundheit oder körperliche Beweglichkeit, um das Alter oder eine fehlende Fahrgeschicklichkeit. Es geht auch um Entfernungsgrenzen oder begrenzte Transportmöglichkeiten, nicht zuletzt auch um familiäre Bedürfnisse und soziale Kontakte über den Nahbereich hinaus.

Dazu sage ich einfach: Diese Menschen sollen auch andere Möglichkeiten nutzen. Ein Großteil der Menschen, die in Frankfurt unterwegs sind, haben keine dieser genannten Eigenschaften, für die anderen kann auch der ÖPNV oft eine gute Alternative sein.

Noch einmal zurück zum Stichwort Bürgerbeteiligung. Der neue Masterplan Verkehr ist von 3000 Beteiligten befürwortet worden, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. Bei meiner Recherche sagte mir eine Reihe von Bürgern, sie hätten sich bei begleitenden Diskussionen, so in den Ortsbeiräten, in der Regel bevormundet gefühlt, teilweise sogar abgekanzelt, süffisant und von oben herab. Einwände, Bedenken und Kritik seien oft von Vertretern in den Ortsbeiräten spürbar nicht ernst genommen worden. Sind diese Beobachtungen und Wahrnehmungen zu punktuell?

Auf einen so pauschalen Vorwurf kann man kaum reagieren. Früher gab es so genannte Gesamtverkehrspläne, da existierte gar keine Bürgerbeteiligung. Noch nie in Deutschland wurde ein Plan wie der jetzige Masterplan Mobilität mit einer so breiten Bürgerbeteiligung erstellt. Wobei wir ja nicht nur eine Bürgerversammlung gemacht haben. Es gab Online-Beteiligungsmöglichkeiten, es gab drei Bürgerforen, wir hatten eine per Los bestimmte Bürgergruppe, es gab rund 1.100 offene Kommentare, auch 20.000 quantitative Bewertungen, der Fachbeirat hat rund 40 Stunden getagt. Oft ist es, wie schon gesagt, ein Problem, dass die Leute Bürgerbeteiligung mit einem Verfahren verwechseln, bei dem sie ihre Interessen 1 zu 1 durchzusetzen können. Nochmals, der Ausgangspunkt ist eindeutig: Wir haben nur einen Straßenraum, der nicht größer wird. Bislang war er zu 80 Prozent dem Auto gewidmet. Kritik an einer Umverteilung kann ich verstehen. Aber Beteiligung heißt nun mal, dass am Ende alle Interessen bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Im Masterplan ist dokumentiert, dass teilweise noch viel weitergehende Interessen formuliert wurden. Jetzt liegt ein von einer Fachagentur ermitteltes Ergebnis vor. Die Rahmenbedingungen waren gesetzt, mit den Hauptpunkten der begrenzten Fläche und den vielfältigen Mobilitätsbedürfnissen.

Kaum genutzt: rote Radspur auf der Berliner Straße, Foto: Uwe Kammann

Beim Stichwort Umverteilung gibt es mit der Berliner Straße ein prominentes Streitobjekt. Wenn der durchschnittliche Modalsplit Auto/Fahrrad mit 80:20 angenommen wird, so ist dort zu sehen, dass der Straßenraum mit 50:50 aufgeteilt ist. In Leserbriefen wird angemerkt, dass oft nur ein einsamer Fahrradfahrer auf der roten Hälfte unterwegs ist. Wie passt das zusammen?

Das ist nicht entstanden, um den Autofahrern Platz wegzunehmen, sondern das ist die Folge des Umbaus der Straßenbahnhaltestelle am Börneplatz. Der wiederum geht auf den Beschluss zurück, längere Straßenbahnen einzusetzen. Die jetzigen zusätzlichen zehn Meter der Haltestelle an der Battonstraße lassen keinen Platz mehr für zwei Autofahrspuren. Folglich macht es keinen Sinn, vorher auf der darauf zulaufenden Berliner Straße zwei Fahrspuren zu belassen. Denn dann gäbe es ein Knäuel an der Verengung.

Stadtraum und Aufenthaltsqualität im Normalstatus, Foto: Uwe Kammann

Ein weiteres Umbauprojekt ist die bereits erwähnte Bockenheimer Landstraße. In meinen Augen ist sie schön, funktioniert gut, hat seit langem, seit ihrer Umgestaltung im Zuge des U-Bahn-Baus, feste Radwege mit Abstandsschwellen zur Fahrbahn. Es gibt Befürchtungen, dass der geplante verengende Umbau zu massiven Staus führen wird, auch zu gefährlichen Konflikten an den zahlreichen Zufahrten zu den Grundstücken, wenn Radfahrer auf breiteren Radwegen schneller unterwegs sind, auch doppelspurig, weil sie sich dabei leichter überholen können. Warum soll der augenscheinlich gut funktionierende Status quo geändert werden?

Diese Straße hat viele Gefahrenpunkte, gerade wegen der vielen Grundstückszufahrten. Die Radwege entsprechen keiner Norm, sind viel zu schmal, man kann nicht überholen, zudem gibt es zunehmend breitere Lastenfahrräder. Deshalb der Beschluss, die Straße umzugestalten, auf Grundlage einer ausgefeilten Planung. Doch wird man dort auch weiterhin mit dem Auto fahren können. Zunächst aber wird dort ohnehin eine Baustelle eingerichtet, um eine Fernwärmeleitung zu legen. Danach muss die Straße sowieso erneuert werden.

Ein weiterer vieldiskutierter Streitpunkt ist die vorgesehene Sperrung des Mainkai am Nordufer des Flusses. Gegner dieser endgültigen und dauerhaften Sperrung sehen darin ein Symbol- und ein Prestigeprojekt, um die Wende weg vom Auto deutlich zu markieren. Dabei sei es nicht funktional, diese wichtige Ost-West-Straße zu sperren. Dies habe negative Auswirkungen auf den Verkehr in Sachsenhausen, bewirke auch unmittelbar angrenzend Nachteile, so bei der Ausfahrt aus der Dom-Römer-Tiefgarage, die dann nur noch über den engen Weckmarkt und die Fahrgasse möglich sei.

Der Mainkai-Umbau ist keine Maßnahme aus der Mobilitätswende, es geht vielmehr um städtebauliche und stadträumliche Aspekte. Befürworter der vollständigen Umnutzung begründen dies mit bisheriger Verschwendung des öffentlichen Raums, auch einer Verschandelung des Herzens der Stadt. Am Mainkai ist der Eiserne Steg direkt mit dem Römerberg verbunden. Für uns Verkehrsplaner bedeutet die Umnutzung eine Herausforderung. Am Ende wird es darum gehen, dass der Autoverkehr nicht irgendwie verlagert wird, sondern in der Stadt weniger Autos fahren. Richtig ist, dass Verkehre nicht von heute auf morgen verschwinden. Es braucht also Zeit. Aber es gibt einen politischen Beschluss, und ich bin beauftragt, bis zum Ende der Wahlperiode eine Lösung vorzustellen, wie es dort gehen kann. Nochmals unterstrichen: Es ist eine stadträumliche Idee, keine der Mobilitätswende.

Eine ganz normale Straße mit Grünstreifen am Fluss: der Mainkai, Foto: Uwe Kammann

Unabhängig vom Auftrag, wie ist Ihre persönliche Meinung?

Viele Städte haben die Verbindung zum Fluss zurückgeholt, nicht nur in Köln und Düsseldorf, sondern auch im Ausland. Das sehe ich positiv.

Wobei Köln und Düsseldorf für die dortigen vielbefahrenen Bundesstraßen aufwendige Tunnel gebaut haben.

Solche Tunnellösungen sind heute nicht mehr realisierbar. Aber unter stadträumlichen Gesichtspunkten halte ich das Ziel, den Mainkai autofrei zu gestalten, für eine richtige Idee. Und ich bin sicher, dass wir den Autoverkehr abwickeln können. Das funktioniert bei zeitweiligen Umnutzungen für die großen Veranstaltungen schon seit Jahrzehnten. Warum sollte es nicht das ganze Jahr gehen?

Ein weiterer Plan besteht darin, sogenannte Superblöcke einzurichten. Das sind Quartiersinseln in der Stadt von vielleicht 400 mal 400 Metern, die für die meisten Autos von außen nicht mehr zugänglich sind. Ein Vorbild dafür ist Barcelona, auch Berlin hat solche Großkieze schon eingerichtet.

Es geht darum, den Durchgangsverkehr herauszuhalten. Es ist eine ähnliche Idee wie auch am Oeder Weg, der sich nicht mehr als Durchgangsstraße eignet, aber immer noch von Autos befahren werden kann. Im Endeffekt bedeuten die Superblocks nichts anderes als die Idee – allerdings räumlicher betrachtet –, ganze Quartiere vom Durchgangsverkehr zu befreien. Im Übrigen haben wir in Frankfurt schon früher ähnliche Lösungen realisiert. Im Westend, im Nordend, im Ostend haben wir schon in den 80er Jahren über Diagonalsperren Durchgangsverkehr verhindert, gleichsam Superblocks geschaffen. Deshalb sind die von den Stadtverordneten beschlossenen Pläne mit den Superblocks Fortführungen der Existierenden. Die weiteren Quartiere sollen aber sicher mit moderneren Mitteln umgestaltet werden.

Blockade einmal anders …, gesehen in Frankreich,  Foto: Uwe Kammann

Dies führt zu einer Frage, die auf der Anschauung in der Natur beruht. Dort gibt es viele Netzsysteme, mit unterschiedlichen Fadenstärken und Verknotungen. Die Blutversorgung in Körpern geschieht über ein fein austariertes Arteriensystem. Werden Knoten entfernt, werden Adern verschlossen, ergeben sich erhebliche Störungen. Auch das Prinzip der kommunizierenden Röhren besagt, dass ein erhöhter Druck bei A sofortige Wirkungen bei B hervorruft. Beim System mit Insellösungen erscheint es analog unvermeidlich: Die Bewohner im Inneren der Superblöcke werden von Verkehr entlastet, die an den Außenrändern und in den Zwischenräumen hingegen werden zusätzlich belastet. Am von vielen Wohnungen gesäumten Alleenring lässt sich das Ungleichgewicht beobachten. Fördert der Abschottungsplan, grob gesprochen, eine Zweiklassengesellschaft?

In verschiedenen Nebenstraßen ist bei unseren Maßnahmen im Oeder Weg oder Grüneburgweg eine gewisse Mehrbelastung entstanden. Aber die durchgeführten Zählungen zeigen, dass die Verkehre in der Summe sehr deutlich zurückgegangen sind. Die Antwort auf die Frage, wie sich ein Mensch bei der Wahl eines Verkehrsmittels entscheidet, wird lauten: Es muss sicher, bequem und angemessen schnell sein. Würde man die schon seit 40 Jahren bestehenden Verkehrsberuhigungen wieder rückgängig machen, würden die Leute wieder mehr mit dem Auto fahren. Wenn die Erfahrung in ganz Europa ist, dass neue Straßen neuen Autoverkehr schaffen, dann gilt auch: Neue Radwege schaffen Radverkehr, neue Fußwege schaffen Fußverkehr, und ÖPNV schafft entsprechend ÖPNV-Nutzende.

ÖPNV und Fahrrad als Berliner Symbiose, Foto: Uwe Kammann

Das wichtigste Gebot der Straßenverkehrsordnung findet sich im Paragraphen 1. Er fordert gegenseitige Rücksichtnahme, zielt also auf ein zivilisiertes Miteinander ab. Das ist leider bei einer Reihe von Verkehrsteilnehmern nicht zu beobachten, egal ob sie am Autosteuer sitzen oder das Fahrrad oder gar einen e-Roller benutzen. Den ÖPNV erleben manche auch nicht als Hort des rücksichtsvollen Umgangs. Ist gegenseitige Rücksichtnahme ein Generalschlüssel für vernünftige Mobilität?

Der Anteil von Rücksichtslosigkeit scheint überall gleich. Der wesentliche Unterschied ist: Wenn Radfahrende oder e-Scooter-Fahrende sich nicht an die Regeln halten, gefährden sie in der Regel nur sich selbst. e-Scooter-Fahrende gefährden auch andere, aber meist nicht mit tödlichen Folgen. Beim Autofahren ist das anders.

Fahrrad-Abstellplatz an der Konstabler Wache, Foto. Uwe Kammann

Für viele Menschen sind gerade e-Scooter die Pest, weil sie oft kreuz und quer auf dem Bürgersteig liegen. Die Nutzer wollen von Tür zu Tür, stellen die Dinger unmittelbar am Zielort ab. Paris hat die kommerziellen Roller jetzt verboten. Wäre das hier überhaupt rechtlich möglich?

Bei den kommerziellen Rollern gäbe es schon die Möglichkeit, sie zu unterbinden. Wir haben uns absichtlich nicht dafür entschieden, weil es sich um ein gutes neues Mobilitätsangebot handelt. Wir wollen das über eigens eingerichtete Abstellplätze regulieren. Wo es sie bereits gibt, hat sich die Situation schon erheblich verbessert. Es müssen allerdings noch ganz viele dazukommen. Die Regel ist: Im Umkreis von 100 Metern außerhalb der Plätze darf kein Roller mehr abgestellt werden. Dafür müssen die Anbieter in ihrer Software Vorkehrungen treffen. Aber es ist ein Problem, wenn ein korrekt abgestellter Roller von anderen Menschen einfach weg- oder umgeworfen wird.

Eine Schlussfrage: Ihr Vorgänger, Stefan Majer, wurde im letzten Juli mit dem Lob verabschiedet: „empathisch, verständnisvoll, nicht herablassend“. Sind das alles Eigenschaften, die auch Sie, auf Ihre Person gemünzt, gerne am Ende Ihrer Amtszeit hören würden?

Das sind zumindest alles gute Eigenschaften. Eine Journalistin hat mich neulich als unprätentiös bezeichnet. Das fand ich auch ganz schön.

Auch das gibt es noch: ein Auto ohne SUV-Gene, Foto: Uwe Kammann

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