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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Dark Matter II – Grandioser Tanzabend in Köln

Die Zwischenräume, von denen wir leben

Von Simone Hamm

Ana Paula Camargo tanzt allein auf der riesigen schwarzen Bühne im gedämmten Licht. Den Kopf stolz erhoben, trotzt sie den Zeilen des Liedes, das die französische Chansonette Barbara singt: „Weil sie sich geliebt haben, sind die Verdammten der Liebe gestorben, sie sind aus Liebe gestorben. SIDA hat sie getötet.“ SIDA  ist das französische Wort für AIDS und das Wortspiel „Si d’amour as mort „(„wenn du aus Liebe gestorben bist“) und SIDA (AIDS) ist unübersetzbar. Die Botschaft aber kommt an. Obwohl schon fünfzehn alt, hat diese Choreografie nichts von ihrer Dramatik verloren. Ana Paula Camargo Trauer ist majestätisch.

Starker Solo-Trauertanz von Ana Paula Camargo – „Tué“ Foto: © Robert Robinson

 

Mit Musik der französischen Chansonsängerin Barbara beginnt Marco Goeckes Tanzabend „Dark Matter II“. Solisten des Stuttgarter Balletts, des Saarländischen Staatsballetts, dem Staatsballett Hannover und Riva & Repele führen seine Choreografien auf. Meist sind es Soli und Duette. Goecke ist ein Meister darin, Soli zu kreieren.

Mit dem Solo von Ana Paula Camargo vom Staatsballett Hannover zu der traurig schönen Musik Barbaras beginnt „Dark Matter II“. Camargos Hände flattern, fliegen, winken irgendwie nervös. Sie zuckt mit den Schultern, Schultern kugeln sich. Sie breitet die Arme aus. Die Bewegungen sind extrem kleinteilig und meist extrem schnell. In diesem Stil, den Marco Goecke kreiert hat, werden alle an diesem Abend tanzen. Die Tänzer stehen oft auf halber Spitze, wenn die Füsse nicht gerade über den Boden fegen.

Goecke – das ist Ballett pur. Es gibt kein Bühnenbild, alle Tänzer tragen schwarz. Die Männer tanzen mit nacktem Oberkörper. Einmal sind Pailletten an der schwarzer Hose zu sehen, ein anderes Mal silberne Schlüssel. Mit seinen Fingern schließt der Tänzer eine Tür auf, eine Tür ins Nichts.

Ich weiß, dass Goecke für  „dark matters“ steht. Deshalb ist die Bühne meist im Halbdunkel, ohne aggressive spots. Und doch hätte ich mir manchmal ein wenig mehr Licht auf der kargen Bühne gewünscht.

„Eyes open/shut your eyes“ soll aufmerksam machen auf die winzigen Momente, in denen wir die Lider schließen, ohne es überhaupt zu merken. Diese Bruchteile von Sekunden sind für Marco Goecke das, was für Peter Handke die kleinen Zwischenräume sind, von denen er lebt. Auch mit geschlossenen Augen schauen wir.

„eyes open/shut your eyes“  ist das neueste Stück, es stammt aus dem Jahre 2022. Zur betörenden Musik von Anohni (früher Antony) and the Johnson tanzen Sasha Riva und Simone Repele, die Oberkörper nackt, das Haar zurückgegelt. Jede Bewegung eines jeden Muskels ist zu sehen. Perfekter Gleichklang perfekter Körper.

Szene aus:“Midnight Raga“, Foto: © Ursula Kaufmann

Marco Goecke kann auch humorvoll sein. In seinem preisgekrönten Werk „Midnight Raga“ tanzen Rosario  Guerra  und Louis Steinmetz vom Staatsballett Hannover, wieder zwei Männer mit nackten Oberkörper und zurückgegeltem Haar. Aber sie haben so ihre Schwierigkeiten miteinander. Die Brust oder der Kopf des einen kann zum Hindernis für den anderen werden.

Matteo Miccini, Solotänzer am Stuttgarter Ballett führt Goeckes Signature Stück auf: „Äffi“. Damit wurden Goecke und seine Bewegungsprache 2005 schlagartig einem größeren Publikum bekannt. Zur brüchigen Stimme des alten Johnny Cash zum song „hurt“ lässt Goecke einen jungen, schönen Mann tanzen. Zunächst steht er mit dem Rücken zum Publikum, beugt sich vor, hebt die Hände über die Schultern. Später wird Miccini hin und her springen, leidenschaftlicher tanzen. Er schreit. Und dann pfeift und flötet er seine Angst einfach weg. Ein immer noch, immer wieder starkes Stück über Trauer und Vergänglichkeit.

Szene aus „Whitout“, Foto: © Robert Robinson

Die Tänzer des Saarländischen Staatsballett zeigten ein Potpourri aus Bob Dylan Songs „Whiteout“. Männer zupfen an Frauen, stellen sich hinter sie, schlenkern mit den Beinen. Die Paare werden langsamer, inniger. Einer tanzt vorn an der Bühne. Im Halbschatten sind andere andere Tänzer mit gegensätzlichen Bewegungen zu sehen.

Marco Goecke ist hoch geflogen und tief gesunken, als er eine Kritikerkollegin mit dem Kot seines Dackels beschmierte, weil sie nicht so über seinen Tanzabend berichtet hatte, wie er sich das vorstellt hatte. Seinen Job als Ballettdirektor des Hannoverschen Staatsballett war er daraufhin los. Und sympathisch hat ihn das auch nicht gerade gemacht.

Er sei ausgebrannt gewesen, ausgelaugt, entschuldigte er sich. Jetzt ist er in Köln nach der Aufführung von „dark matter II“ wieder auf die Bühne gekommen und wurde bejubelt.Sei es, weil man heute schnell vergisst, sei es, weil man Choreografien auf und Verfehlungen neben der Bühne auseinander halten kann oder, weil er einfach einer der besten Choreografen ist.

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