home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Deutsche Hörbuchpreis 2024 – Eine Preisverleihung online

Hörspielpreis im Radionetzverbund

Mit dem „Deutschen Hörbuchpreis“ werden deutschsprachige Hörbuchproduktionen ausgezeichnet, die in besonderer Weise durch ihre Qualität die Stärken und Möglichkeiten des akustischen Mediums vorführen und hervorheben und damit beispielhaft wirken. Der Deutsche Hörbuchpreis wird traditionell am Eröffnungsabend der Lit.COLOGNE, dem internationalen Literaturfest (5. bis 17. März 2024) vergeben. Diesmal wurden der Deutsche Hörbuchpreis 2024 in sieben Kategorien in einer Live-Radiosendung bei WDR 5 unter der kundigen und lebendigen Moderation von Marija Bakker bekannt gegeben. Zu den jeweiligen Produktionen erfuhr man durch die Gespräche mit den Gewinnerinnen und Gewinnern kleine Hintergrundgeschichten. Die Live-Radiosendung auf WDR 5 war auch im Deutschlandradio / Kanal „Dokumente und Debatten“ sowie auf hr2-kultur, MDR Kultur, NDR Kultur, rbbKultur, SR 2 und SWR2 zu hören, zudem im Livestream bei BR 2. Mit Ausnahme des Besonderen Hörbuchs ist der Deutsche Hörbuchpreis pro Kategorie jeweils mit 3.333 € dotiert.

Preisverleihung des Deutschen Hörbuchpreises  2024 aus dem WDR-Hörfunkstudio, Foto: ©WDR/Claus Langer

Der Verein Deutscher Hörbuchpreis als Ausrichter des Wettbewerbs verzeichnete in diesem Jahr mehr als 300 Einreichungen von Verlagen, Sendern und Produzenten. In einem mehrstufigen Verfahren hatten drei verschiedene Jurys folgende Wahl getroffen:

WDR – Deutscher Hörbuchpreis 2024 v.l.n.r.: Kai Grehn (Bestes Hörspiel), Angela Winkler (Beste Unterhaltung), Leonhard Koppelmann (Bester Podcast), Adriana Altaras (Beste Unterhaltung), Cornelius Obonya (Bester Interpret), Hans Sarkowicz und Christiane Collorio (beide Besonderes Hörbuch) Foto: © WDR/Claus Langer

Als Beste Interpretin wurde die Schauspielerin Maren Kroymann geehrt für ihre Lesung von „Das andere Mädchen“, einem autofiktionalen Text der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, erschienen bei Der Audio Verlag.

„Große Sprechkunst“ bescheinigte die Preisträgerjury der Interpretin, die diese „außergewöhnliche Erinnerungsreise“ nicht nur erzähle, sondern spiele – mit einer „klugen, souveränen Nonchalance“ und „eleganter Zurückhaltung“. Der eindringliche und dabei doch „leicht daherkommende“ Monolog treffe „uns alle ins Herz“. Die überzeugende Wahl bestätigte sich auch im Gespräch mit der so authentisch wirkenden Maren Kroymann. Die Rolle war ihr auf den Leib geschrieben. Sie erzählte, wie sie sich selbst dafür angeboten hat, natürlich, bevor Annie Ernaux den Nobelpreis bekam.

Die Schauspielerin und Sprecherin Maren Kroymann, Foto: Mathias Bothor

Den Preis in der Kategorie Bester Interpret erhielt der österreichische Schauspieler Cornelius Obonya, der für Random House Audio Raphaela Edelbauers Roman „Die Inkommensurablen“ eingelesen hat. Obonya kam sympathisch rüber im Gespräch, sah es von Anfang als Verpflichtung an, die Soziolekte Österreichs zu beherrschen, sagte er in dem Gespräch.

Bester Interpret: der österreichische Schauspieler Cornelius Obonya, Foto: DHP

Dem turbulenten Wiener Szenario am Vorabend des Ersten Weltkriegs verleihe der Interpret einen so „unverwechselbaren Sound“, dass man ein „ganzes Arsenal an Sprechernzu hören meint, urteilte die Jury. Obonyas „Klangraum“, der nicht zuletzt die vielen Dialekte der Monarchie berücksichtigt, zeichne virtuos ein „akustisches Panorama der Epoche“ und mache die Lesung „buchstäblich“ zu einem Ereignis.

Der Regisseur Kai Grehn, ein großer Fan von Nick Cave, wurde in der Kategorie Bestes Hörspiel ausgezeichnet für „The Sick Bag Song – das Spucktütenlied“, erschienen bei Zweitausendeins und Major Label (Produktion: Radio Bremen in Kooperation mit BR und SWR). Auf den titelgebenden Spucktüten notierte der durch Nordamerika tourende Musiker Nick Cave Ideen, Erlebnisse und Erinnerungen.

Mit seiner Montage aus Text und Musik verleihe der Regisseur diesen „komplex aufeinander bezogenen“ kurzen Texten, gelesen von Paula Beer und Alexander Fehling sowie gesungen von Tilda Swinton, eine „überraschend homogene Form“, rühmte die Jury.

Autorin Adriana Altaras und die Schauspielerin Angela Winkler sind die Preisträgerinnen in der Kategorie Beste Unterhaltung für ihre gemeinsame Lesung von Altaras‘ Buch „Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante“, erschienen im Argon Verlag. Wie die Zusammenarbeit in zwei verschiedenen Studios über die Entfernung funktioniert habe? Winkler habe den speziellen Humor ihrer Tante verstanden – „Eine jüdische Mischung der Weltklasse“ – und daher die eigentlich tragische Geschichte leicht gemacht, sagt die Autorin über Schauspielerin Winkler. Die gegenseitige Empathie war deutlich zu spüren.

Gemeinsamer Auftritt im Hörfunkstudio: Schauspielerin Angelika Winkler und Autorin Adriana Altaras tanzten vor Freude, Foto: DHP

„Mit großer Lebendigkeit“ verstehen es beide Sprecherinnen, ihre Charaktere aus den persönlichen Blickwinkeln heraus und auf komplett unterschiedliche Art zu „beseelen“, heißt es in der Jurybegründung. So verbinden sich die Dynamiken zu einem „äußerst unterhaltsamen Ganzen“, das die Zuhörenden „tief in diese ganz persönliche Geschichte der letzten einhundert Jahre“ führe.

Jens Wawrczeck, Der Hamburger Schauspieler und Sprecher, Foto: Christian Charisius

In der Kategorie Bestes Kinderhörbuch durfte sich der Sprecher der ungleichen Zwillingsbrüder Karl und Mo Jens Wawrczeck, der leider nicht im Studio sein konnte, über die Auszeichnung freuen. Er hat mit seiner Lesung des Titels „Sieben Tage Mo“ von Oliver Scherz, erschienen bei Hörbuch Hamburg / Silberfisch, die diesjährige Kinderjury der Stiftung Buchkultur und Leseförderung (Börsenverein des Deutschen Buchhandels) überzeugt. Die Würde des behinderten Kindes wurde durch die verschiedenen Stimmlagen, in die er sich hineinversetzte, hörbar. Wenn man wie er mit ganzem Körpereinsatz dabei sei, dann  stimme auch die Temperatur, sagte er im Gespräch mit der Moderatorin.

Die fünf Mädchen und Jungen, selbst erfolgreiche Interpretinnen und Interpreten beim Vorlesewettbewerb, lobten den Sprecher dafür, allen Figuren eine „eigene und passende Stimme“ zu geben und auch die schwierigen Momente in diesem „schönen und gefühlvollen“ Hörbuch „richtig gut spürbar“ zu machen.

Leonhard Koppelmann, Foto: ARD Mediathek

Der Preis für den Besten Podcast wurde an Regisseur Leonhard Koppelmann verliehen für seine achtteilige Podcast-Serie „V 13 – Die Terroranschläge in Paris“ (Produzent: SWR) nach der gleichnamigen Gerichtsreportage von Emmanuel Carrère, der akustisch einen Raum der Erinnerung an Freitag, den 13. („vendredi 13″) und die brutalen Ereignisse im Bataclan 2015 geschaffen hat, die in unsere Lebenswelten eingedrungen sind. Sehr beeindruckend!

Koppelmanns „akustisch brillante“ Verdichtung des Textes helfe bei der nüchternen Analyse eines nahezu unvorstellbaren Verbrechens, so die Jury, und gebe gleichzeitig dem unerträglichen Leid „auf respektvolle Weise“ Raum. Als „bedrückendes und beeindruckendes Mahnmal“ weise diese Produktion in ihren grundsätzlichen Fragestellungen weit über den Gerichtssaal hinaus.

 Das besondere Hörbuch „Jahrhundertstimmen 1945-2000“ ging u.a. an Hans Sarkowicz, ehem. Programmchef von hr 2 und Christiane Collorio als Verlegerin Der Hörverlag Foto: © WDR/Annika Fußwinkel

Für die Edition „Jahrhundertstimmen 1945-2000 – Deutsche Geschichte in über 400 Originalaufnahmen“  (Teil 2) erhält schließlich der Hörverlag die undotierte Auszeichnung in der Kategorie Das besondere Hörbuch. Für jeden Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte haben die fünf Herausgeberinnen und Herausgeber Hans Sarkowicz, Ulrich Hebert, Michael Krüger, Ines Geipel, Christiane Collorio nicht nur passende Originaltöne gefunden, sondern diese auch „kenntnisreich, nachvollziehbar und unterhaltsam“ in den historischen Kontext eingeordnet.

Die Jury sieht hier ein „Geschichtsbuch zum Hören“ realisiert, dessen „Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit“ in keinem anderen Medium erreichbar sei: „ein Standardwerk!“. In der Kategorie Sachbuch / Essayistik sind die „Jahrhundertstimmen“ auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, der ebenfalls im März verliehen wird.

Was macht eine Jahrhundertstimme aus? Nur ein Beispiel: ein anrührender O-Ton des Frankfurter Judenretters Oskar Schindler, zehn Jahre vor der Verfilmung, der einen unmittelbaren Zugang zur Identifikation mit dem Ereignis schaff. Hilfreich neben den zahlreichen interessanten Stimmen dabei wohl auch das kommentierte Booklet.

Insgesamt eine sehr lebhafte und anregende Veranstaltung, die Lust auf genaues Hinhören macht. pk

Für alle, die nicht live dabei sein konnten, lohnt es sich reinzuhören, denn diese Sendung steht ein Jahr lang zum Nachhören in der ARD-Audiothek unter:

www.ardaudiothek.de

Preisträger 2024

Comments are closed.