Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (24)
„Der Würgeengel“ von PeterLicht und SE Struck nach Luis Bunuel
Schierer Wahnsinn
von Renate Feyerbacher
Schon einmal hat das Team, der Autor und Musiker PeterLicht und die Choreografin SE Struck ein Auftragswerk des Schauspiels Frankfurt à la Luis Buñuel, realisiert. Das Werk „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ nach dem Film des Filmemachers von 1972 wurde im März 2022 uraufgeführt. Regie führte Claudia Bauer, die auch 2020 den Roman „Mephisto“ von Klaus Mann realisierte. Nun hat das Team wieder einen Film von Luis Buñuel (1900-1983) zum Theaterstück bearbeitet: „Der Würgengel“ von 1962. Gemeint hat der Regisseur die Gesellschaft zur Zeit der Franco Diktatur.
„Der Würgeengel“ von PeterLicht und SE Struck nach Luis Buñuel, Foto: Arno Declair/ Schauspiel Frankfurt
„Wenn der Film, den Sie jetzt sehen werden, Ihnen rätselhaft oder anstößig erscheint, so deshalb, weil auch Leben es ist“, so Luis Buñuel, (Zitat Programmheft S.1) In beiden Filmen führt der Filmemacher, selbst aus wohlhabendem Haus kommend, schonungslos die High Society vor. Claudia Bauer hat wie schon 2020 auch wieder Regie geführt und hat im „Würgeengel“ die jetzige bundesrepublikanische Oberschicht im Blick beziehungsweise uns alle. Das Publikum feierte die Uraufführung.
Auch, wenn man den Film „Der Würgeengel“ nicht gesehen hat, so ist schnell klar, was den Damen und Herren des Großbürgertums droht. Zunächst kommen Caterer Y (Katharina Linder) und Caterer X (Torsten Flässig) mit ihren Paketen und bleiben auf der kleinen Treppe, die zum Haus der Gastgeber führt, stehen. Maria, die Hausdame kann sie nicht bewegen, das Haus zu betreten. Sie machen sich aus dem Staub.
Nach und nach kommen die Partygäste zum Haus von Fred (Sebastian Kuschmann) und Leonora (Anna Kubin). Alle kommen ausgelassen durch die Türe des Zuschauerraums herein und steigen die kleine Treppe zur Bühne hoch. Sie haben bizarre Frisuren und tragen ausgefallene Roben (Vanessa Rust). Sie waren alle zuvor bei der Gala zum Krieg, bei der erstmals richtig verstanden wurde, worum es geht. Schnell vorbei und gleich geht es mit Umarmungen und Küsschen los. Alle sind ausgelassen.
Maria, großartig Julia Preuß, wuselt hin und her und serviert das nachhaltige, regionale Essen – Schwarzwurzeln und Steckrüben – Champagner in Pappbechern.
Kunst ist gefragt: Sabrina – schöne Stimme Katharina Linder – singt eine Arie aus Händels „Giulio Cesare in Egitto“, begleitet am Flügel von Johann – gekonnt Hubert Wild auch als Countertenor.
Die dünne Vertäfelung (Bühne Andreas Auerbach) ist Symbol für die oberflächliche Party, die ihre Teilnehmer in einem Zimmer eine Nacht gefangen halten wird. Aus der feinen Gesellschaft, die sich zunächst kultiviert benimmt, wird eine aggressive, sich prügelnde Horde.
Lange bewahrt der Doc (Andreas Vögler) die Contenance, die Ruhe. Übergriffig bewegt sich Richard (Arash Nayebbandi), Elise (Lotte Schubert) psychisch angeschlagen, nimmt sich das Leben.
Ist es die Zukunftsangst, die Menschen so ausrasten lässt? Unweigerlich hinterfragt man sich, wie würdest du dich verhalten? Wir sind alle betroffen, verblendet, Hass und Lebenslügen ausgeliefert.
Die pfiffige Maria, zunächst Opfer, dann Täterin, vertritt die Arbeiterklasse. Mit einem Beil – damit bedroht sie die Herrschaften – schlägt sie die Wand auf und Wasser fließt, auf das sich alle gierig stürzen.
Die mehrfach ausgezeichnete Claudia Bauer hat ein faszinierendes Stück auf die Bühne gebracht, das allerdings in den zwei Stunden und zehn Minuten, gewisse Längen hat. Die Führung der Personen, brillant gespielt von Mitgliedern des Frankfurter Schauspiel-Ensemble, gelingt ihr exzellent.
Musik, die Hubert Wild und Alexandra Holtsch eingebaut haben, ist eine wichtige Komponente, ebenfalls die Lichtgestaltung (Marcel Heide). Die Video-Einschübe (Jan Isaak Voges) hätte es nicht gebraucht.
Die teils humorvolle, nachdenklich machende Aufführung „Der Würgengel“ wird weiterhin gespielt.
Termine:
24. März (Publikumsgespräch),
14. und 28. April (Einführung)
„Der Raub der Sabinerinnen“ von Paul und Franz von Schönthan
Verrückter Schwank mit wenig Sinn, aber tollen Komödianten
Es ist ein Stück aus der Klamottenkiste, das aber das Publikum zwei Stunden lang zum entspannten Lachen bringt. Deutschland hat viele Theater, auch Schmierentheater und Theatergruppen, die herumziehen – manche direkt toll. Das kann von Emanuel Strieses Gruppe, die gerade in einer Kleinstadt gastiert, nicht behauptet werden. Der Herr Intendant sucht Stücke, aber auch Zuschauer. Daher beginnt er, Honoratioren des Ortes zu besuchen. Den Amtsrichter scheint er schon gewonnen zu haben und nun sucht er Gymnasial-Professor Dr. Martin Gollwitz auf. Seine Frau und Tochter sind im Badeurlaub. Striese erzwingt sich geradezu Zutritt zum Haus als der Professor Haushälterin Rosa ohne Zudringlichkeit im Arm hält.
Nun wird es lebendig: Auftritt Wolfram Koch als Theater-Intendant Striese, der die Kunst des Aufschwätzens, des über den Tisch Ziehens meisterhaft beherrscht. Eine Paraderolle für Wolfram Koch, der im Theatermacher sein komisches Talent schon bewies. Koch stiehlt den anderen Mimen ihre Schau nicht.
Wolfram Koch als Theater-Intendant Striese, Foto: Renate Feyerbacher
Lateinlehrer Gollwitz outet sich, er habe als Student ein Römerstück geschrieben, das er hoch oben im Bücherregal verwahrt, besser versteckt. Haushälterin Rosa (Heidi Ecks) kennt es allerdings schon und ist angeblich begeistert.
Der Herr Professor, ein flotter, sportlicher Isaak Dentler, klettert hoch, macht Striese den Hals lang, legt es aber wieder hoch oben ab. Der sportliche Striese lässt sich nicht abwimmeln. Die Szene wie Striese, der vorgibt, vom Stück begeistert zu sein, den sich sträubenden Gollwitz nun zur Freigabe bewegt, wird von Beiden erheiternd dargeboten.
Isaak Dentler als Herr Professor, Foto: Renate Feyerbacher
Die österreichischen Brüder Franz (1849-1913) und Paul von Schönthan (1853-1905) (gebürtige Schönthan von Pernwaldt) schrieben den Schwank „Der Raub der Sabinerinnen“ (1884) gemeinsam. Beide waren Schriftsteller, Journalisten, Franz auch Schauspieler und Theaterregisseur. Er spielte selbst den Theaterintendanten Striese. Beide waren oft in Berlin.
Ihr Theater im Theater-Stück verstanden sie vielleicht als Kritik an den Zuständen. Der kleine ernste Monolog von Striese über das sogenannte Schmierentheater, in dem er aufzählt, was jede und jeder zu tun hat, verdeutlicht das. Im 19. Jahrhundert wurden die kleinen Wanderbühnen mit ihren beschränkten Mitteln und ihrer altmodischen Spielweise als Schmierentheater bezeichnet eben als unqualifiziert. Ihre Absicht war sicher auch, dem bürgerlichen Trauerspiel, mal etwas Lustiges entgegenzusetzen. Die Regisseurin spricht von der Lust am Lachen, nicht der Sinn sei ausschlaggebend.
Lust am Lachen, die will auch die Frankfurter Aufführung vom Schwank „Der Raub der Sabinerinnen“ provozieren, welche die Regisseurin Christina Tscharyiski, an renommierten Bühnen aktiv, mit einem spielfreudigen Ensemble inszeniert hat. Auch hier wurden bewusst Schmierentheater-Momente übernommen – manchmal ein Nuance zu viel.
Tolle Idee von Bühnenbildner Stéphan Laimé eine Türe, die gedreht und geschoben werden kann, durch die in einer Szene ständig jemand durchgeht, einfach so hinzustellen, keine Wände. Sie steht eben da. Improvisation ist gefordert auch bei den Kostümen (Svenja Gassen) – schlampig bei Striese, der ständig seine Hose hochzieht, elegant bei Friederike Gollwitz, der Professoren-Gattin (Christina Geiße), die Theater verabscheut.
Genau genommen ist sie an Chaos, Verstrickungen, Lügen und Missverständnissen entscheidend mitverantwortlich. Eine übergriffige Person, auch was Tochter Paula (Annie Nowak) – Schmollmund, die sich in einen der Schauspieler (Mark Tumba) verliebt, angeht. Vor allem aber stellt sie den Schwiegersohn Dr. Neumeister (Christoph Pütthoff) zur Rede, der mit Marianne (Manja Kuhl) verheiratet ist. Michael Schütz als Karl Groß aus Berlin, auch ein überquellender Schwätzer, mischt aufklärend mit.
Christoph Pütthoff als Schwiegersohn Dr. Neumeister
Last but not not least der Papagei, dem Thorsten Drücker seine Stimme leiht und der auch live musiziert, ist wichtig. Warum, das kann in einer der nächsten Aufführungen erlebt werden.
Termine:
14.,17.,18, 22. März und mehrfach im April
„Dracula“ von Johanna Wehner nach dem Roman von Bram Stoker
Grimmig, aber nicht blutrünstig der weltbekannte Vampir
Dracula ist der berühmteste Blutsauger – ein Geschöpf des irischen Schriftstellers Bram Stoker (1847-1912). Der gruselige Roman, den sie bearbeitete, dient Regisseurin Johanna Wehner als Vorlage. Dieser Dracula ist farblos, gelangweilt, wohnt zwar in einem rumänischen, maroden Schloss mit einer mächtigen Treppe, Bühnenbild (Benjamin Schönecker – Licht Ellen Jaeger), er hat keine roten Augen, keine spitzen Zähne, trägt aber ein schönes Jackett, Kostüme (Ellen Hofmann). Im Spiegel ist sein Gesicht nicht zu sehen. Das weist ihn als Untoten aus.
Jonathan Harker, (Christoph Bornmüller) der junge englische Anwalt, der dort hinreiste, um Immobiliengeschäfte für den Grafen zu regeln, wird im Schloss festgehalten. Bestimmte Räume darf er nicht betreten, er erkennt, dass er nicht Gast, sondern Geisel ist. Seiner in England verbliebenen Verlobten Mina (Caroline Dietrich) schickt er Briefe, die schließlich ausbleiben.
Mina besucht ihre Freundin Lucy, (Judith Florence Ehrhardt), die sie schlafwandelnd erlebt. Harker gelingt nur mit Müh und Not die Flucht, er ist traumatisiert, Dracula gleich mit Schiff hinterher und legt in dem Ort an, in dem Lucy, die ständige Friedhofsbesucherin, lebt. Ihr Verlobter Arthur (Arash Nayebbandi) und der Nervenarzt John Seward (Stefan Graf) ziehen den Wissenschaftler Abraham van Helsing (Heidi Ecks) hinzu, um Lucys Verhalten zu ergründen. Van Helsing liefert Erkenntnisse, die Mina aufschreibt. Daraufhin eröffnet die Gruppe um Lucy, die Jagd auf Dracula.
Johanna Wehner hat den Roman inhaltlich schon längst verlassen. Sie konzentriert sich auf die Angst vor dem Fremden, die von der englischen Gruppe bis ins Fanatische gesteigert wird, die sogar gewalttätig werden will. „Eine „Partitur der Radikalisierung, in der das vermeintliche Monster überraschend wenig protagontisch tönt, vielmehr die scheinbar bedrohte Gesellschaft in den Blick rückt.“ (Zitat: Dramaturgin Katja Herlemann – Programmheft S. 8)
Der Vampir kann verschieden begriffen werden: zum Beispiel als Personifizierung der damals panslawistischen Bewegung, die als Bedrohung empfunden wurde. Der an der Berner Universität lehrende Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich nennt den Vampir in seinem Buch „Das Schwinden der Differenz“ „das multiple Symbol des Verdrängten, eine umfassende Allegorie der Bedrohung, die beliebige Metapher der Differenz.“ Daher ist auch sein Gesicht im Spiegel nicht sichtbar.
Hätte es dieses Stückes bedurft, um über gesellschaftliche Ängste gegen das Anderssein, gegen Eindringlinge zu verdeutlichen? Sicher nicht. Die bedeutende Regisseurin Johanna Wehner hat weder einen Thriller, noch ein Proteststück auf die Bühne gebracht. Zu viel Hektik, zu viel Hin- und Hergerenne. Aktuelle Bezüge werden nicht direkt hergestellt. Und die Musik (Vera Mohrs- Kostia Rapoport) lässt an Musical erinnern. „Froh zu sein, bedarf es wenig“, das Volkslied, das alle singen, muntert auf.
Hinter der Figur von R. M. Renfield, dem tierliebenden Nervenpatienten, bündeln sich mehrere Darsteller, die von Harker, Mina, Lucy und Holmwood, ansonsten haben alle feste Rollen. (Renfield-Syndrom bezeichnet klinischen Vampirismus).
Das Schauspiel-Team gefällt. Ein seltsamer Abend, der neugierig macht.
Vorstellungen:
9. März, 5., 6., April, 5. Mai
Kartentelefon: 069 – 212 49 49