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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Scheiße am Ärmel, Hundekot im Tütchen

Der tätliche Angriff auf die Ballettkritikerin Wiebke Hüster ist auch ein Angriff auf die freie Meinungsäußerung.

Von Simone Hamm

Der FAZ-Ballettkritikerin Wiebke Hüster hatte Marco Goeckes Choreografie „Dutch Mountains“ nicht gefallen. Sie schrieb: „Das Stück ist wie ein Radio, das den Sender nicht richtig eingestellt kriegt. Es ist eine Blamage und eine Frechheit, und beides muss man dem Choreographen umso mehr anlasten, als Virtuosität und Präsenz der Tänzer des Nederlands Dans Theater nach mehr verlangen.

Gegenbeispiel: Die Bochumer Johann Simon-Inszenierung von „Iwanow“ mit Jens Harzer und Thomas Dannemann wurde von FAZ-Kritiker Simon Strauß gelobt; Foto: Monika Rittershaus

In der Pause zu seiner neuen Choreografie in Hannover „Glaube, Liebe, Hoffnung“ begegneten sich die beiden im Foyer. Er soll ihr vorgeworfen haben, für Abonnementskündigungen verantwortlich zu sein und habe ihr Hausverbot erteilen wollen. Dann eskalierte die Situation. Offenbar zog Goecke (Besitzer eines kleines Hundes) eine Papiertüte mit Hundekot aus der Tasche und warf sie der Kritikerin ins Gesicht. Eine Attacke mit Exkrementen, so etwas gab es bislang noch nicht in den Theaterfoyers. Ekelhaft im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber es ist nur der Höhepunkt von Herabsetzungen von Kritikern. In Frankfurt legte ein Schauspieler dem FAZ -Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier erst einen „Theater Schwan“ auf den Schoß, und entriß ihm dann seinen Spiralblock.

Die Intendantin Karin Beier erklärte im Deutschlandfunk, „schlechte Kritiken klebten einem wie Scheiße am Ärmel“.

Die Rohheit und Brutalität, die in Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ und in Kommentaren im Netz beklagt wird, hat also auch Einzug gehalten in die sogenannte Hochkultur.

Es ist gewiss schwer zu ertragen, wenn man lange an einem Stück gearbeitet, lange geprobt hat. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass es gut geworden ist und einem Kritiker, einer Kritikerin gefallen muss.

Ich bin gut ausgekommen mit Karin Beier, habe ein einstündiges Feature über sie für WDR und NDR gemacht. Aber ich schätze ihre Inszenierungen. Sind Kritiker also nur noch wohlgelitten, wenn sie loben?

Denn niemand hat sich erregt über die Aussage des FAZ -Theaterkritikers  Simon Strauß, der schrieb, wenn man nur einen einzigen Tag im Jahr Zeit habe, um ein Theaterstück zu sehen, dann solle man nach Bochum fahren und „Iwanow“ in der Inszenierung von Johann Simon mit Jens Harzer anschauen. Denn ein größeres Lob kann man einem Ensemble kaum machen.

Kritiker sind nicht den Regisseuren, Choreografen, Dirigenten gegenüber verantwortlich, sondern dem Publikum. Wenn sie angegriffen werden von offenbar größenwahnsinnigen Künstlern, stimmt das ganz und gar nicht mehr. Das ist nicht nur ein Angriff auf die Kritiker und Kritikerinnen. Das ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Die Städtischen Bühnen Frankfurt haben seinerzeit den Arbeitsvertrag mit dem wütenden Schauspieler beendet. Die Staatsoper und das Staatsballett Hannover suspendiert Marco Goecke mit sofortiger Wirkung und erteilt im Hausverbot. In einer Stellungnahme heißt es:

Der Ballettdirektor hat durch seine impulsive Reaktion gegenüber der Journalistin Wiebke Hüster am vergangenen Samstagabend gegen alle Verhaltensgrundsätze der Staatsoper Hannover verstoßen, Frau Hüster persönlich zutiefst beleidigt und damit das Publikum, die Mitarbeitenden des Hauses und die allgemeine Öffentlichkeit auf das Extremste verunsichert.

Damit hat er der Staatsoper und dem Staatsballett Hannover massiv geschadet. Daher suspendiert die Theaterleitung ihn mit sofortiger Wirkung und erteilt ihm bis auf Weiteres ein Hausverbot, um Ballettensemble und Staatstheater vor weiterem Schaden zu schützen.“

 

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