‚WERTHERS WELT – DAS WERTHER-JAHR 1774‘ zum 250. Jubiläum von Goethes erfolgreichem Werther-Roman
Das Jahr 1774 in Bildern, Büchern und Geschichten
Eine Ausstellung für Kenner im Handschriftenstudio des Deutschen Romantik-Museums
Blutjung war Johann W. Goethe, gerade mal 25 Jahre alt, als er 15 Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution mit ,Die Leiden des Jungen Werthers‘ einen Roman über einen Suizid aus unerfüllter Liebe schrieb, und damit einen gewaltigen Publikumserfolg erzielte, der ihn schlagartig europaweit berühmt machte. Offensichtlich traf der Frankfurter Dichter damit wohl den Nerv der Zeit oder in den „richtigen Echoraum“, wie Prof. Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, sagte, denn 1774 sei das „Inkubationsjahr der Romantik“ gewesen. In der kalendarisch angelegten Ausstellung im Handschriftenstudio des Deutschen Romantik-Museum werden im Laufe des Jahres 2024 Monat für Monat wechselnd in jeweils 5 Vitrinen Bücher, Porträts und Handschriften von 1774 gezeigt.
Johann Wolfgang Goethe. Porträtstich nach einer Zeichnung von Georg Friedrich Schmoll (Bad Ems, 16. Juli 1774), gedruckt in Johann Caspar Lavaters ‚Physiognomischen Fragmenten‘, Band 3 (1777) © Johannes Saltzwedel und Erstveröffentlichung von „Die Leiden des jungen Werthers“ vom Freien Deutschen Hochstift zur Verfügung gestellt
Was war das Besondere an dem Jahr 1774? Wie muss man sich nun die Welt von vor 250 Jahren vorstellen? In Frankreich herrschte noch das sogenannte ancien régime. Und doch habe da schon eine Art von „Epochenwandel“ eingesetzt, so Bohnenkamp-Renken. Und sie zitiert Goethe selbst, der in ‚Dichtung und Wahrheit‘ die Wirkung seines ‚Werthers‘ beschrieb und begründete: „Die Wirkung dieses Büchleins war groß, ja ungeheuer, und vorzüglich deshalb, weil es genau in die rechte Zeit traf. Denn wie es nur eines geringen Zündkrauts bedarf, um eine gewaltige Mine zu entschläudern, so war auch die Explosion welche sich hierauf im Publicum ereignete, deshalb so mächtig, weil die junge Welt sich schon selbst untergraben hatte, und die Erschütterung deswegen so groß, weil ein Jeder mit seinen übertriebenen Forderungen, unbefriedigten Leidenschaften und eingebildeten Leiden zum Ausbruch kam.„ Gibt es da heute etwa Parallelen?
Prof. Anne Bohnenkamp-Renken schildert die Erschütterungen des „Inkubationsjahres“ 1774, Foto: Petra Kammann
Was passierte denn 1774 sonst so in Europa und der übrigen Welt? Welche Stimmung herrschte unter den Intellektuellen, die mit Goethe in Kontakt standen? Was erregte die Gemüter? Das möchte die Ausstellung Tag für Tag dokumentieren. Zu sehen sein werden im Laufe des Jahres unter anderem kostbare Erstdrucke von Schriften Goethes: neben dem ‚Werther‘ das ‚Moralisch-politische Puppenspiel‘, die Farce ‚Götter, Helden und Wieland‘, die zweite Auflage des ‚Götz von Berlichingen‘ sowie mehrere Exemplare des Dramas ‚Clavigo‘, außerdem Drucke, in denen Texte des jungen Goethe erschienen, zum Beispiel die Damenzeitschrift ‚Iris‘. Mithin. Eingeweihten Germanisten und Kennern des „Werther“ werden mit dieser Schau sicher zusätzliche Einblicke verschafft.
Goethe ist zweifellos der bekannteste unter den ausgestellten Dichtern, wenn auch nur einer der bedeutenden Autoren dieses herausragenden Jahres 1774, in dem eine Reihe wichtiger Werke publiziert wurden wie etwa Johann Gottfried Herders provokanter Essay ‚Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit‘, Friedrich Gottlieb Klopstocks ‚Gelehrtenrepublik‘, Jakob Michael Reinhold Lenz’ Drama ‚Der Hofmeister‘, Theodor Gottlieb von Hippels mäanderndes Buch ‚Über die Ehe‘ oder Justus Mösers ‚Patriotische Phantasien‘, um nur einige herauszugreifen. Diese wie auch französische, englische oder lateinische Schriften aus Literatur oder Wissenschaft zeigt und erklärt die Ausstellung im monatlichen Wechsel im gerade begonnenen Jahr. Die meisten Objekte entstammen einer Privatsammlung. Darüber hinaus wird allmonatlich eine besondere Handschrift aus den Sammlungen des Freien Deutschen Hochstifts präsentiert.
Chronik des Monats Januar 1774 im Handschriftenstudio, Foto: Petra Kammann
Begleitet wird die Schau von einer nüchternen Tageschronik, die wie im Januar von der Heirat der 17-jährigen Maximiliane von Laroche, die den 38-jährigen Frankfurter Kaufmann Peter Anton Brentano ehelichte und mit dem sie in wenig glücklicher Ehe zwölf Kinder gebar, berichtet. Wir erfahren zwar, dass Goethe im Kreis der Mutter Sophie von Laroche verkehrt, weniger jedoch zum Thema Maximiliane oder Charlotte Buff, die ebenso Vorbild für Lotte im Werther war, auch wenn die reale Begegnung erst im Sommer stattfindet. Die Aneinanderreihung von Fakten hat etwas unverbindlich Kaleidoskopartiges.
Es folgen der Ausbruch des Vesuvs am 12. Januar 1774, der von Jakob Philipp Hackert zweifellos später so anschaulich und aufwühlend in Szene gesetzt werden wird. Der Zündstoff, der in dem spannenden Jahr 1774 steckt, teilt sich optisch in der aus konservatorisch einsichtigen Gründen dunklen Dachstudierstube des Romantik-Museums wenig mit. Der Besuch der Schau erfordert viel Geduld und Vorkenntnis, um die Dinge in Beziehung setzen zu können.
Natürlich lernen wir eine Menge und sollten eigene Schlüsse daraus ziehen so über Kapitän James Cooks kühne Entdeckungsfahrten durch die Südsee oder auch über die bürgerliche Rebellion in Nordamerika. Und dann erfährt man etwas über die damalige Rokoko-Frisurenmode in Paris oder über die Opferschale aus purem Gold im bretonischen Rennes. Zu Goethes Geburtstag am 28. August wird ein Brief aus dem Briefwechsel mit dem Düsseldorfer Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi zu sehen sein so Goethes Brief vom 31. August 1774 an Friedrich Heinrich Jacobi mit der ersten Niederschrift der Hymne ‚Wandrers Sturmlied‘. Des weiteren wird im Handschriftenkabinett über Erweckungseifer, Wunderkuren, Scharlatanerien und Erpressungen, aber auch von bahnbrechenden Neuerungen bis zur Pockenimpfung oder der Erfindung des Recyclingpapiers berichtet werden.
Man darf gespannt sein. Der monatliche Gang in das Deutsche Romantik-Museum, in dem insgesamt so viel Anschauliches vermittelt wird, ist den Besuch allemal wert, weil man dort immer etwas Neues entdeckt. Wer Näheres über den Ausstellungskurator Handschriftensammler und Goetheforscher Johannes Saltzwedel erfahren will, sollte einen Blick in sein zuvor erschienenes Buch werfen, in dem man nachverfolgen kann, was im Laufe des Jahres 1774 passierte. pk
BESUCHERINFORMATIONEN
Die Ausstellung „Werthers Welt“ in zwölf Teilen zum 250. Jubiläum von Goethes Roman ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ ist vom 12. Januar bis 30. Dezember 2024 im Handschriftenstudio des Deutschen Romantik-Museums, Großer Hirschgraben 21, 60311 Frankfurt am Main zu sehen.
ÖFFNUNGSZEITEN
Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr
Geänderte Öffnungszeiten: 29.3. (Karfreitag), 24., 25., 31.12., 1.1. geschlossen
www.freies-deutsches-hochstift.de
Die Ausstellung wird von Dr. Johannes Saltzwedel kuratiert und beruht auf seinem Buch ‚Werthers Welt‘, das 2023 im zu Klampen Verlag erschienen ist,
Das Buch zur Ausstellung:
Johannes Saltzwedel
Werthers Welt.
Das Jahr 1774 in Bildern, Büchern und Geschichten
zu Klampen Verlag
312 Seiten,
Hardcover Format: 15,00 x 23,50 cm Euro (D) 38,00
ISBN 9783866749962
Zweifellos werden die zusätzlichen Veranstaltungen zum Thema 250 Jahre Werther wie der mit Michael Quast und Joachim Seng etwas mehr Leben in das Geschehen bringen.
VERANSTALTUNGEN & FÜHRUNGEN 250 JAHRE WERTHER –
Mi, 24. Januar, 19 Uhr
„DER ARME WERTHER, WIE VIEL LEIDEN …“
Ein Abend im Werther-Fieber mit Michael Quast und Joachim Seng
Vor 250 Jahren traf das Buch eines jungen Dichters den Nerv der Zeit: ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ von Johann Wolfgang Goethe. Im Frankfurter Goethe-Haus niedergeschrieben, verhalf es der im Ausland wenig beachteten deutschen Literatur auf Weltniveau. In ganz Europa grassierte, nachdem bereits früh die ersten Übersetzungen ins Französische, Englische und Italienische erschienen waren, das „Werther-Fieber“, während allerlei Pastoren und Kirchenvertreter Goethes Erfolgsroman als Teufelswerk brandmarkten. In bewährter Form werden Michael Quast und Joachim Seng aus zeitgenössischen Rezensionen vortragen, Szenen aus ausgewählten Parodien und Wertheriaden zu Gehör bringen und natürlich auch Goethe selbst zu Wort kommen lassen.
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
10 € / 5 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts
Do, 6. Juni, 19 Uhr
VERWEILE DOCH! WERTHER WELT: HERDER UND SYBILLE
Führung zur Studioausstellung ‚Werthers Welt – Das Werther-Jahr 1774‘ mit Johannes Saltzwedel
Eher als vielen anderen verrät Goethe im Juni 1774 seinem Freund Christian Heinrich Boie, was als nächstes von ihm gedruckt erscheinen wird: Das Trauerspiel ‚Clavigo‘ und ‚Die Leiden des jungen Werthers‘. Im Handschriftenstudio ist in diesem Monat das Original des Briefes zu sehen. Ein weiterer Originalbrief dokumentiert den künstlerischen Alltag in der Opern-Metropole Neapel; daneben kann man sogar eine Tischdecke aus dem Jahr 1774 anschauen. Besonders eindrucksvoll aber ist, wie sich in diesem Monat Urzeit und Prophetie begegnen: Johann Gottfried Herder erzählt in seinem Werk ‚Älteste Urkunde des Menschengeschlechts‘ den Schöpfungsbericht neu und bringt zudem seinen funkelnden Essay ‚Auch eine Philosophie der Geschichte‘ heraus; währenddessen arbeitet er schon an einer Deutung der Johannes-Apokalypse. Parallel zu dieser biblischen Weissagung der Endzeit ist eine sehr seltene Postille zu sehen, die in Reimen schildert, wie die weise Sybille einst dem König Salomon die Zukunft voraussagte – eine aus dem Mittelalter.