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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schönbergs letzte große Oper Moses und Aron

Höhepunkt der Reihe „Focus33“ an der Bonner Oper

von Simone Hamm

Ein Felsengebirge, aus dem Schafe wie Scherenschnitte aufklappen wie in einem Bilderbuch. Darüber ein dunkler Himmel. Moses, unter einem riesigen Puppenkopf verborgen, hütet seine Schafe. Der Dornbusch brennt. Eine große Glühbirne gibt Licht. Auszug der Israeliten aus Ägypten. Die Aufführung von Arnold Schönbergs unvollendeter Oper „Moses und Aron“ in der Inszenierung von Lorenzo Fioroni beginnt zunächst wie eine naive Bibelerzählung. Mit einem überwältigenden Bühnenbild von Paul Zoller.

MOSES UND ARON von Arnold Schönberg, Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin, Foto: © Sebastian Hoppe

Arnold Schönberg hat seine Oper „Moses und Aron“ nicht vollendet. Erst 1957 ist sie szenisch uraufgeführt worden. Dennoch wird sie in Bonn in der Reihe „Focus 33“, in der von den Nazis verbotene Opern gezeigt werden, gespielt – aus gutem Grund.

Schönberg hatte die ersten beide Akte 1930 – 32 geschrieben. Seine Zwölftonmusik galt bei den Nazis als entartete Kunst, Schönberg war Jude, musste in die USA emigrieren. „Moses und Aron“ ist der Höhepunkt der an Höhepunkten nicht armen Reihe „Focus 33“.

Schönberg hat das Libretto selbst verfasst. Moses soll den Menschen die Existenz eines einzigen, ewigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren, unvorstellbaren Gottes verkünden. Er steht für Gesetz, Strenge, Reinheit des Gedankens. Er ringt um Worte. Moses denkt, Aron fasst diese Gedanken in Worte.

Moses ist ein Wahrheitssucher, fast ein Demagoge. Er hält daran fest, Gott sei abstrakt „Du sollst Dir kein Bildnis machen“. Moses beharrt darauf, dass Gott unerklärbar sei.

Aron glaubt, dass man die Menschen so ganz gewiss nicht für einen neuen Gott begeistern könne. Er schafft einfache, klare Bilder und erreicht damit die Menschen. Dafür muss er Wunder tun, Moses Hirtenstab in Schlangen verwandeln. Das ist in fast unheimlichen schwarz-weiß Videos zu sehen (Videos: Christian Weissenberger).

Chor des Theater Bonn Gastchor: Vocalconsort Berlin Choreinstudierung: Marco Medved,  Dramaturgie: Polina Sandler

Die Choristen stecken in schwarzweißen Kostümen aus dem späten 19 Jahrhundert.  (Kostüme: Sabine Bickenstorfer). Aron überzeugt sie. Sie legen die Überkleidung ab und stehen da in weißen Unterkleidern. Sie sind das auserwählte Volk.

In Bonn gibt es kein goldenes Kalb, nur goldene Gegenstände, die Aron während der vierzigtägigen Abwesenheit von Moses einsammelt, um das goldene Kalb zu gießen. Es gibt keine orgiastischen Momente, es werden keine vier nackten Jungfrauen geopfert, wie es im Libretto steht.

Moses ist allein in einer weißen Zelle, einer Art Atelier. Er krümmt sich, er leidet. Er beschmiert Wände und seinen Körper mit schwarzgrauer Farbe, wirft seinen nackten Körper gegen die Wände. Im Hintergrund werden die Zahlen eins bis zehn eingeblendete, die zehn Gebote, die er vom Berge geholt hat. Hier wird Moses Körper selbst zur Gesetzestafel.

Dietrich Henschel (Moses),  Martin Koch (Aron), Foto:© Sebastian Hoppe

Gegenstände poltern von der Decke auf ihn herab. Moses wird verletzt. Dazu sind die Gesänge der um das goldene Kalb Tanzenden zu hören. Das könnte eine performance aus den siebziger Jahren sein. Günther Brus und Marina Abramovic haben Pate gestanden. Es ist das Ringen Moses mit seinem Gott. Es ist auch das Ringen des Künstlers um die Wahrheit. Am Ende ersticht Moses sich.

Im dritten Akt, der nie vollendet wurde, sollte Moses wieder das Heft in die Hand nehmen, Aron sterben. Niemand weiß, warum Schönberg diesen dritten Akt nie realisiert hat. War er sich unsicher?

Dietrich Henschel geht als Moses an seine körperlichen Grenzen. Der Bariton gibt seiner Sprechrolle Kraft und Dynamik. Der Tenor Martin Koch als Aron mit seiner klaren, hellen Stimme ist sein perfekter Widerpart.

Dietrich Henschel als Moses, Foto: © Sebastian Hoppe

Der wohl fast 100-köpfige Chor, unterstützt von Berlin, hat – unterbrochen von den Pandemiejahren – seit 2019 an dieser Oper mit Chorleiter Marco Medved geprobt. Er hat Unglaubliches zu leisten und schafft das mit Bravour.

Dirk Kaftan dirigiert vielschichtig, entdeckt in dem spröden Zwölftonwerk Sinnliches, hat viel Raum für Zwischentöne.

Das gesamte Ensemble leistet Außerordentliches und reißt das Publikum mit.

Lorenzo Fiorinis Inszenierung verzichtet mutig auf die Darstellung der ekstatischen Anbetung des goldenen Kalbes, auf die ganz große Szene und zeigt stattdessen einen verzweifelten Moses in einer Kemenate. Und das geht auf.

Moses scheitert. Aron hat gesiegt. Die Bildlichkeit ist der Abstraktion überlegen, der Kompromiss der hehren Theorie. Damit ist „Moses und Aron“ in der Gegenwart angekommen.

 

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