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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Boomtown Bordeaux – Weltkulturerbe und Zeitgenossenschaft einer alten Handelsstadt

Dynamische Metropole an der Garonne

Von Petra Kammann

Bordeaux ist bekannt für seine UNESCO-geschützten Monumente und seine erlesenen Weine. Viele Reisende sehen zunächst nur die Highlights wie das Grand Théâtre aus dem 18. Jahrhundert, die Kathedrale, das historische Sklavenhandelsgebiet oder den Fluss. Natürlich spielen die Geschichte, die Kultur, die Mythen, die Architektur eine gewichtige Rolle in der alten Handelsstadt. Heute kann man dort dank einer absolut modernen Infrastruktur auch einfach nur flanieren, unbekanntere Viertel entdecken und fast überall bestens essen, trinken und einkaufen. In Bordeaux ist die sprichwörtliche französische Lebensart zuhaus, auch für junge Menschen.

Einer der größten Plätze Europas liegt im Zentrum der Stadt: die Place des Quinconces an der Stelle des ehemaligen Schlosses Château Trompette mit dem Denkmal für die Girondisten, Foto: Petra Kammann

Zu Zeiten des deutschen Dichters Friedrich Hölderlin (1770-1843) muss es sehr beschwerlich gewesen sein, Bordeaux zu Fuß zu erreichen. Und doch muss die Stadt an der Garonne für den deutschen Dichter eine unwiderstehliche Anziehungskraft gehabt haben. Kurz nach der Französischen Revolution hatte er sich 1801 von Stuttgart aus auf die Wanderung nach Bordeaux gemacht, um  dort eine Hauslehrerstelle anzunehmen. Es sollte seine letzte Reise sein. Zu Fuß und über Stock und Stein.

In seinem späten Gedicht „Andenken“ kommentiert er seinen Pilgergang dorthin so: „Der Nordost wehet, /Der liebste unter den Winden/ Mir, weil er feurigen Geist/ Und gute Fahrt verheißet den Schiffern./ Geh aber nun und grüße/ Die schöne Garonne,/ Und die  Gärten von Bordeaux/ Dort, wo am scharfen Ufer/ Hingehet der Steg und in den Strom/ Tief fällt der Bach, darüber aber/ Hinschauet ein edel Paar…“

Dem bedeutenden Bordelaiser Dichter und Staatsmann wurde eine Straße gewidmet, Foto: Petra Kammann

Bei dem vernunftbegabten französischen Essayisten Michel de Montaigne (1533-1592) heißt es in seinem Buch „Experimente“: „Es gibt keinen günstigen Wind für jemanden, der nicht weiß, in welchen Hafen er einlaufen will.“ Der Dichterphilosoph wurde in der Nähe von Bordeaux im Südwesten Frankreichs geboren und diente nicht nur als Berater des „Parlement de Bordeaux“, zweimal wurde er Bürgermeister von Bordeaux und pflegte Freundschaft mit herausragenden Denkern und Staatsmännern seiner Zeit.

Die eingemeißelten Schiffe in der „Bourse de commerce maritime“ verweisen auf den bedeutenden Hafen für die Handelsstadt, Foto: Petra Kammann

In der so prächtigen wie mächtigen Stadt an der Garonne, die in den Atlantik mündet, prangen an etlichen Häusern Schiffe oder Jakobsmuscheln als Zierelemente und verweisen auf den historischen Pilgerweg nach Santiago. Die Stadt mit ihrer wechselhaften Geschichte, die durch die Heirat von Eleonore von Aquitanien (1124-1204) mit Henry II. von England (1133-1189) zeitweise englisch war und den bedeutendsten europäischen Hafen hatte, ist aber noch viel älter. Schon in der Römerzeit stand sie wie heute im Zeichen des Weinanbaus. In ihrer Ausstrahlung ist sie bis heute zu gleich ganz jung und altehrwürdig.

Jakobsmuscheln an der barocken Fassade Eglise Notre-Dame in Nähe des Grand Théatre, Foto: Petra Kammann

Heute ist sie – anders als zu Zeiten Hölderlins – bestens erreichbar. Von Frankfurt aus ist man buchstäblich in siebeneinhalb Stunden mit dem Hochgeschwindigkeitszug am Bahnhof Bordeaux-St-Jean. Allerdings fährt er nur einmal pro Woche. Ich habe mich von der ebenfalls am Atlantik weiter nördlich liegenden Bretagne aufgemacht. Da dauert die Fahrt mit dem Auto fast genauso lange wie die mit dem Zug von Frankfurt aus. Dafür nimmt man die Landschaft beim Schauen aus dem Autofenster anders wahr – grün und hügelig.

Mobilität ist in Bordeaux in allen Variationen garantiert, Foto: Petra Kammann

Einmal dort angekommen, ist man jedoch überrascht, dass man sein Auto getrost an einem sicheren Platz stehen lassen kann. Denn in Bordeaux gibt es ein wunderbar übersichtlich gestaltetes Straßenbahn- und Bus-Netz, das einen mühelos von A nach B bringt. Dazu ist jede Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel wie eine Standrundfahrt, bei der man das Treiben und die Schönheit der Gebäude mühelos verfolgen und anschauen  kann.

Leicht zugängig: Die Trambahnstation gleich hinter der Kathedrale, Foto: Petra Kammann

Mit einem Bordeaux Metropole City Pass (24 h,  2 oder 3 Tage, (24 Stunden : 34€ – 48 Stunden : 44€ – 72 Stunden: 50 €). Für Kinder und Jugendliche:  (6-17 Jahre: 24 Stunden: 19€ – 48 Stunden: 26€ – 72 Stunden: 31€) kommt man fast überall hin. Sorglos steigt man in die bestens gestaltete ankommende Tram, den Bus oder das Schiff (die „Navette fluviale“) ein, und hält kurz den QR-Code vor das dafür vorgesehene Lesegerät.

Auch luftig und elektrisch lässt sich die Stadt mit einem privat organisierten Tuktuk erkunden, Foto: Petra Kammann

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man mit dem Citypass auch komplikationslos und preisgünstig zu den herausragenden  Gebäuden, wie direkt vor die gotische Kathedrale mit ihrem alleinstehenden Turm zum Beispiel, in die attraktive Cité du Vin, in 5 verschiedene Museen und Monumente und man kann sogar im Office de Tourisme noch eine Stadtführung buchen. Wenn das kein gelungenes und durchdachtes Stadtmarketing ist! Das macht die Entdeckungen natürlich leichter, zumal bei sommerlicher Hitze um die 30°C plus, wenn kein Lüftchen mehr weht.

Blick in das CAPC, Musée d’Art Contemporain, ehemalige Lagerhalle für Kolonialwaren, mit zeitgenössischer Kunst wie derzeit „Retenue“ der kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga, Foto: Petra Kammann

Das heutige Bordeaux ist das Ergebnis eines langen, dynamischen Transformationsprozesses, der dem von Paris nicht ganz unähnlich ist. Zuletzt war es der langjährige Bürgermeister Alain Juppé, der diesen Prozess vorangetrieben hat. Öffentliche Gebäude und die der großen Unternehmen können in dem großzügig angelegten Grundriss der Stadt ihre ganze Pracht entfalten. Und im alten bescheideneren Teil der Stadt wie Mériadeck oder Chartrons, wurde und wird die Umgebung entsprechend aufgemöbelt.

Das Grand Théatre ist bestens erreichbar. Unmittelbar vor dem Theater laufen die Straßenbahnschienen entlang, Foto: Petra Kammann

Die niederländische Stadtführerin Janneke erzählt begeistert, dass sie, als sie vor Jahren von Paris nach Bordeaux zog, die Stadt noch aus dunklen Häuserfassaden bestand. Inzwischen wurde der so typische hellbeigefarbene Kalk- und Sandstein an den meisten Häuser wieder gesäubert, so dass der Klassizismus etlicher Fassaden wieder bestens zur Geltung kommt.

Das Riesenrad auf der Place des Quinconces, Foto: Petra Kammann

Die Place des Quinconces mit ihren 125.000 Quadratmetern markiert in vielerlei Hinsicht den Mittelpunkt der Stadt. Hier an der Stelle des ehemaligen Schlosses Château Trompette laufen die verschiedensten Fäden zusammen, die Straßenbahnlinien B, C, und D, und auf dem riesigen Platz, der bis an die Garonne führt, finden sportliche Ereignisse und festliche Events aller Art statt. An einer Ecke liegt das Office de Tourisme, das für Touristen alle möglichen Angebote bereithält.

Der Brunnen des Girondisten-Denkmals mit den allegorischen Figurengruppen, Foto: Petra Kammann

Das Girondisten-Denkmal auf der Place des Quinconces mit der 43 m hohen Siegessäule und der darunterlegenden Fontäne, an deren Spitze eine bronzene Statue symbolisch ihre Ketten für die Freiheit bricht, erinnert wiederum an die Abgeordneten der Gironde, die während der Französischen Revolution Opfer des Terrors wurden. Es  ist umgeben von reich ausgestalteten allegorischen Figurengruppen wie Ignoranz und Falschheit.

Bestens geeignet, um qualitativ hochwertigen Wein kennenzulernenlernen – Blick in die „Bar au vin“, Foto: Petra Kammann

Ihm gegenüber kann man in der einmaligen, im Art Déco-Stil gestalteten Bar au Vin pausieren. Da gibt es günstig den besten Bordeaux-Wein zum Kennenlernen und Probieren: Rotwein, trockenen Weißwein, lieblichen Dessertwein, Roséweine, einen frischen Clairet ganz ohne Sulfite oder einen frischen Crémant, der eine große Ähnlichkeit zu echtem Champagner aufweist. Die Weine werden von den dortigen Sommeliers empfohlen und im Glas serviert und zu kleinen Spezialitäten wie Brot und Rillettes gereicht.

Diese Bar wird daher wohl auch von vielen jungen Menschen frequentiert. Ein in der Wand eingemeißelter Spruch des Schriftstellers und Résistance-Kämpfers Gabriel Delaunay lautet: „Il y a une civilisation du vin. C’est celle où les hommes veulent se connaître afin de ne pas se combattre.“ („Es gibt eine Kultur des Weines, in der sich die Menschen kennenlernen wollen, damit sie sich nicht bekämpfen.„) Ein passender Einstieg, um auf die etwa 3 km umfassende Spur des Weins in der Stadt aufmerksam zu machen.

Spenden Frische bei brütender Hitze, die Bäume an der Place des Quinconces, von wo aus man bis zur Garonne flanieren kann, Foto: Petra Kammann

Namensgebend für den Platz waren die Bäume, welche nach dem Muster nebeneinanderliegender Würfel mit der Augenzahl Fünf gepflanzt wurden und Chlorophyll spenden. Eine solche  Anordnung heißt auf Französisch eben Quinconce.

Herrlich ist es, zum Garonne-Ufer zu spazieren und zu erleben, wie unbefangen bei der Hitze sich die Kinder vor der Place de la Bourse auf dem „Miroir d’eaux“, einer einer knapp 3500 m² großen Wasserfläche aus Granitplatten, vor der Silhouette der alten Brücke von Bordeaux zum rechten Ufer tummeln, sich bestens  vergnügen, wenn sie in ihr bewegliches Spiegelbild schauen. Auf das Granitpflaster strömt in regelmäßigen Abständen Wasser und läuft wieder ab.

Der Miroir d’eaux mit dem Pont de Pierre im Hintergrund findet Anklang bei Groß und Klein, Foto: Petra Kammann

Ein wirklich gelungenes Highlight der Ufergestaltung, das der Landschaftsarchitekt Michel Corajoud entworfen hat und das vom Brunnenspezialisten Jean-Max Llorca umgesetzt wurde. Spektakulär ist der Erfolg bei Einheimischen wie auch bei Besuchern der Stadt. Nun dreht die Metropole nicht mehr wie in der Vergangenheit dem Fluss den Rücken zu. Denn aus dem ehemaligen Industriehafen am Flussufer, an der zuvor eine fünfspurige Straße plus Gitter den Hafen und die Garonne von der Stadt trennte, ist eine einladende Uferpromenade zum Radeln und Vergnügen für Jedermann geworden.

An der Place de la Bourse, Foto: Petra Kammann

Und dreht man sich um, so bekommt man nun auch zwischen dem Quai de la Douane und dem Quai Louis XVIII. die Börse mit der Fassade aus dem 18. Jahrhundertan an der Place de la Bourse zu sehen. Ein lohnenswerter Blick auf das kulturelle Erbe! Wo heute auf dem großen Platz Menschen flanieren, war in der Vergangenheit der Blick auf das prächtige Gebäude von den davor parkenden Autos verstellt worden.

Nun macht das Stadtwandern auch hungrig, und ich folge einem Insidertipp, den ich um nichts in der Welt vermissen möchte: in die „Auberge urbaine“, ins „Zéphirine“ in die Rue de L’abbé de l’Epée. Jung, freundlich, familiär wird man hier gleich im Comptoir gourmand von Bertrand Arnauld empfangen und anschließend platziert.

Er erklärt kurz das mit Kreide aufgeschriebene Überraschungsmenu, das leicht und frisch vom Ex-Sternekoch Romain Corbière vor aller Augen zubereitet wird, während sich der exzellente Pâtissier Nicolas Cailleaud schon mit dem besonderen Nachtisch beschäftigt.

So schlicht und elegant wie diskret, das Zéphirine, Foto: Petra Kammann

Authentisch, schlicht und gut ist dort nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die Küche, deren Ausgangspunkt eine Familiengeschichte ist. Das Trio-Startup der besonderen Klasse lässt die kulinarischen Erfahrungen der Familie wieder aufleben. Bertrand und seine Frau Marie-Zéphirine, einst verantwortlich in der Hotellerie Châteauform, die Schwester von Romain Corbière, der wiederum seine Ausbildung bei Alain Ducasse genossen hat und einst Küchenchef des Grand Hôtel, dem ersten Hotel am Platze, war. Sie haben sich zusammengetan, die aufbewahrten Rezepte des Urgroßvaters Zéphirin studiert, die sie heutigen Bedingungen anpassen und die nun täglich modernisiert werden.

Meisterkoch Romain Corbière in familiärer Atmosphäre, Foto: Petra Kammann

Ihr Konzept: Es gibt ein Menu und ein Überraschungsmenu (Fisch oder Fleisch, je nach Wahl) mit den entsprechend passenden Weinen. Es ist nicht nur eine Freude, dem Küchenchef beim sorgfältigen Zubereiten der Saußen zuzusehen, sondern auch, wie liebevoll und konzentriert jedes einzelne Gericht so effektvoll auf dem Teller arrangiert, dass eine Komposition entsteht. Schließlich isst auch das Auge mit.

Es anschließend voller Charme serviert zu bekommen, und den Eigengeschmack und die Finessen der lokalen Produkte zu genießen, ist ein kleines Glück auf Erden. Il fait bon vivre à Bordeaux. Ja, hier lässt es sich leben. Wie schön, wenn man dann auch noch beschwingt zu Fuß in sein Marty ArtHotel zurückgehen kann, das ebenfalls von einer jungen freundlichen Start-up-Truppe geführt wird!

Blick ins Marty Hotel, Foto: Petra Kammann

Was steht da auf dem Kissen in der mit junger Kunst ausgestatteten Empfangshalle? Aha, ein vielsprechender Spruch des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Anatole France (1844-1924): „Si le chemin est beau, ne nous demandons pas où il mène“. („Wenn der Weg schön ist, fragen wir uns nicht, wohin er führt“). 

 

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