home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Eurotrash“ von Christian Kracht

Zwischen Roadmovie und Abenteuerroman

Ein Mann namens Christian Kracht geht mit seiner demenzkranken, gebrechlichen Mutter auf eine Reise. Im Gepäck sind neben Hermès-Tüchern und vielen Wodkaflaschen auch viele Tabletten, welche die Mutter schon frühmorgens schluckt. Sie ist ein süchtiges Wrack mit künstlichem Darmausgang…

von Simone Hamm

Der neue Roman von Christian Kracht

„Eurotrash“ heißt Christian Krachts Roman, fast eine Fortsetzung seines Debütromans „Faserland“ aus Jahre 1995, mit dem Kracht die deutsche Literaturszene aufmischte. Auch in „Faserland“ stammte der von Exzessen ermüdete Ich-Erzähler aus reichen Hause; auch er ging auf Reisen.

„Eurotrash“, so wird triviale unbeschwerte Popmusik etikettiert. „Eurotrash“, das könnte Zürich mit seinen Banken sein, wo Mutter und Sohn 600.000 Franken abheben und in eine Plastiktüte stecken, um bequemer reisen zu können. Sie werfen das Geld mit vollen Händen zum Fenster heraus, schenken es den erstbesten Personen, denen sie begegnen. So befreien sie sich von der Vergangenheit. Sie gelangen in eine Nazi-Kommune, nehmen ihr Geld wieder mit, treffen in den Bergen drei ältere indische Touristinnen, die ihr Geld nicht annehmen wollen. Das wiederum kann die Mutter überhaupt nicht verstehen und erklärt sie zu Hexen.

„Eurotrash“, das könnte aber auch die völlig kaputte Familie des Ich-Erzählers selbst sein. Er ist ein wohlstandsverwahrlostes Kind gewesen. Sein Vater, Sohn eines Taxifahrers, hat sich bis zur rechten Hand Axel Springers hochgearbeitet und ist doch nie Teil des Jetsets geworden, da kann er seiner Frau noch so viele Taschen von Hermès oder hauchzarte Teedosen schenken. Selbst wenn der Neureiche in Villen auf Sylt und Cap Ferrat, in einem Schloss am Genfer See wohnt; er gehört einfach nicht dazu. Da kann er noch so viele Expressionisten sammeln und unter seinm Bett verstecken.

Vielleicht tut er letzteres, weil die Eltern seiner Frau stramme Nazis waren. Der Großvater des Ich-Erzählers, ein ehemaliger Sturmbandführer, hortete etwas anderes: Sado-Maso Sexspielzeug.

 „Der Zerfall dieser Familie, ja, die Atomisierung dieser Familie, als deren Tiefpunkt man den achtzigsten Geburtstag meiner Mutter im Gemeinschaftszimmer der Nervenklinik Winterthur bezeichnen muss, war von einer bodenlosen Hoffnungslosigkeit“, heißt es im Roman.

Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist alles anders als einfach. Eher widerwillig fährt der Sohn mit ihr nach Zürich:

„Sie verstand es, zu manipulieren, das war ihre große, unglaubliche Kunst, das wusste ich doch seit Jahrzehnten, sie log und drehte die Dinge so, dass alle ihr alles glaubten.“

Die Mutter wiederum leidet an Angststörungen. Heraushelfen soll ihr da der Sohn. Er soll ihr – auf der Fahrt im Taxi durch die Schweiz – Geschichten erzählen. Denn der Sohn ist ein großer Erzähler und kann sie beruhigen. So scheint sich auf einmal die Beziehung zu verkehren: Nicht sie ist die starke Frau, die ihn und alle anderen bestimmt. Jetzt ist er derjenige, den sie braucht.

Und doch kennt ihn niemand so gut wie die Mutter. Sie durchschaut ihn: „Du meinst, ich wüsste nicht, was Du dir von dieser Reise versprichst? Das hast Du doch gestern Nacht gesagt, im Schlaf, Katharsis hast Du gesagt, es werde zu einer Läuterung zwischen uns beiden kommen, hast Du gesagt, wenn Du nur in Bewegung bleiben würdest mit mir. Deine Mutter. Nimmst sie mit in ein bürgerliches Theaterstück, Tragödie mit komödiantischen Elementen, Hauptdarstellerin yours truly. Verspricht ihr wer weiß was, weil sie sich ja ständig betrinken und Tabletten vor unaushaltbaren Schmerzen schlucken muss. Und schiebt dann alles auf die Schweiz, die Nazis und den Zweiten Weltkrieg.“

Und weiter geht die Fahrt. Sie will nach Afrika. Er bringt sie zurück in die Psychiatrie. „Eurotrash“ hat etwas von Roadmovie und Abenteuerroman. Etwas Groteskes und völlig Überzogenes, ja Skurriles.

Kritiker fragten, ob Christian Kracht sich in „Eurotrash“ medial selbst inszeniert, ob er seine eigene Geschichte erzählt. Sie untersuchten den Roman auf entsprechende autobiografische Stellen. Und

Sie fragen, ob er einen Gegenentwurf habe schaffen wollen zu „Faserland“. In „Faserland“ zog ein snobistischer, empfindungsloser Snob durchs Land. Und die Kritiker fragen, ob Christian Kracht mit seinem neuen Roman einen Gegenwurf dazu schreiben wollte – von einem Ich-Erzähler, der sich einlässt auf seine Mutter.

Diesem Erzähler einfach anvertrauen und mitgehen auf diese furiose Reise. Dann wird es ein Erlebnis werden.

Christian Kracht: Eurotrash. Kiepenheuer & Witsch. 224 Seiten. 22€

Comments are closed.