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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Gedicht von Charles Baudelaire (1821 – 1867) zu seinem 200. Geburtstag

Der Blick des Flaneurs im Vorübergehen 

Charles Baudelaire, geboren am 9. 4. 1821 in Paris, schrieb ab 1838 Gedichte, Prosa und auch Kritiken, übersetzte Prosa von Edgar Allan Poe und veröffentlichte mit 36 Jahren die Gedichtsammlung „Les Fleurs du Mal“  („Die Blumen des Bösen“), was wegen Beleidigung der öffentlichen Moral gegen Autor und Verleger einen Strafprozess nach sich zog. Heute aber gilt Baudelaire als einer der bedeutendsten französischen Dichter und als wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne in Europa. Seine famose Gedichtsammlung hat die europäische moderne Lyrik nachhaltig geprägt und immer wieder zu Übersetzungen – auch in deutscher Sprache – angeregt. Eines der schönsten Gedichte der Fleurs du Mal trägt den für die Moderne programmatischen Titel A une Passante, dem sich herausragende Übersetzer und Dichter und Nach-Dichter gewidmet haben.

Eine Hommage an die Passantin

A une Passante steht für das blitzartige Auftauchen und Verschwinden einer hocheleganten Frau inmitten des lärmenden Großstadtgewimmels, für die schockartige Plötzlichkeit der Begegnung, für die Flüchtigkeit eines erfüllten Augenblicks der Liebe im Vorübergehen  – und dann geht es um das große Nimmermehr, die vermeintlich vergebliche Hoffnung auf Ewigkeit.

An eine Passantin“ heißt der Titel im Deutschen in einer neueren Übersetzung von Simon Werle, hatte der renommierte Übersetzer Friedhelm Kemp doch noch in seiner Prosaversion der „Blumen des Bösen“ aus dem Jahre 1975 getitelt: „An eine, die vorüberging“. Bei Walter Benjamin, der für sein Passagen-Werk bekannt ist, hieß es 1923 fast verfremdend: „Einer Dame“. Dabei diente Baudelaire Benjamin gar als Modell für seine eigene Schreib-, Arbeits- und Denkweise.

Manche Übersetzungen sind Nachdichtungen, wie die Variante von Stefan George „Einer Vorübergehenden“ von 1901 oder  „An eine, die vorüberging“ von Graf Wolf von Kalckreuth aus dem Jahre 1907, die im Ton jugendstiliger klingt bei der Analyse des Großstädtischen.

Doch zunächst einmal das Original im Französischen:

A une Passante

La rue assourdissante autour de moi hurlait.
Longue, mince, en grand deuil, douleur majestueuse,
Une femme passa, d’une main fastueuse
Soulevant, balançant le feston et l’ourlet;

Agile et noble, avec sa jambe de statue.
Moi, je buvais, crispé comme un extravagant,
Dans son œil, ciel livide où germe l’ouragan,
La douceur qui fascine et le plaisir qui tue.

Un éclair… puis la nuit! Fugitive beauté
Dont le regard m’a fait soudainement renaître,
Ne te verrai-je plus que dans l’éternité?

Ailleurs, bien loin d’ici! trop tard! jamais peut-être!
Car j’ignore où tu fuis, tu ne sais où je vais,
O toi que j’eusse aimée, ô toi qui le savais!

aus: Charles Baudelaire, Les fleurs du mal (1857-1866 )/Die Blumen des Bösen. Gedichte

Und hier drei herausragende Übersetzungen, die uns die Frage stellen: Was übersetzen wir eigentlich, wenn wir Lyrik übersetzen? Das einzelne Wort, die Form oder den Sinn? Lyrik ist vor allem Form, und es ist die Form, die gerade bei Baudelaire die visuellen Eindrücke in Versmaße und Reime fasst, was die Übersetzungskunst vor große Herausforderungen stellt.

Einer Dame

Geheul der Straße dröhnte rings im Raum.
Hoch schlank tiefschwarz, in ungemeinem Leide
Schritt eine Frau vorbei, die Hand am Kleide
Hob majestätisch den gerafften Saum;

Gemessen und belebt, ihr Knie gegossen.
Und ich verfiel in Krampf und Siechtum an
Dies Aug’ den fahlen Himmel vorm Orkan
Und habe Lust zum Tode dran genossen.

Ein Blitz, dann Nacht! Die Flüchtige, nicht leiht
Sie sich dem Werdenden an ihrem Simmer.
Seh ich dich nur noch in der Ewigkeit?

Weit fort von hier! zu spät! vielleicht auch nimmer?
Verborgen dir mein Weg und mir wohin du mußt
O du die mir bestimmt, o du die es gewußt!

Übersetzung: Walter Benjamin, 1923

„Die Arbeit über die Passagen setzt ein immer rätselhafteres, eindringlicheres Gesicht auf und heult nach Art einer kleinen Bestie in meine Nächte, wenn ich sie tagsüber nicht an den entlegensten Quellen getränkt habe. Weiß Gott was sie anrichtet, wenn ich sie eines Tages frei lasse.“, schreibt Walter Benjamin 1928 in einem Brief an Gershom Scholem  

Einer Vorübergehenden 

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib · ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum ·

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las · die hände ballend wie im wahne ·

Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

Ein strahl … dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren ·
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

Verändert · fern · zu spät · auf stets verloren!
Du bist mir fremd · ich ward dir nie genannt ·
Dich hätte ich geliebt · dich die’s erkannt.

Aus: Stefan George, Die Blumen des Bösen. Berlin (Bondi) 1901

An eine, die vorüberging

Der Straßenlärm betäubend zu mir drang.
In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft,
Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft
Den Saum des Kleides hob, der glockig schwang;

Anmutig, wie gemeißelt war das Bein.
Und ich, erstarrt, wie außer mich gebracht,
Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht,
Sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein.

Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren,
Durch deren Blick ich jählings neu geboren,
Werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn?

Woanders, weit von hier! zu spät! soll’s nie geschehn?
Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt,
Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!

Nach der Übersetzung von Graf Wolf von Kalckreuth, Insel-Verlag, Leipzig 1907. Originaltext der Übersetzung

Denn worum geht es in der (modernen) Lyrik? Was übersetzen wir, wenn wir Lyrik übersetzen? Um die Form oder den Sinn? Lyrik ist vor allem Form, eine gebundene Form, die „spricht“, besonders bei Baudelaire, dessen Lyrik bei allen bildlichen Provokationen oftmals von einer geradezu pedantischen Formenstrenge geprägt ist, vom klassisch französischen Versmaß des sechshebigen Alexandriners beherrscht, alles mit großer Eleganz, so wie er auch die sehr rigide Gattung des Sonetts in diesem unnachahmlichen Gedicht A une Passante bedient.

Das adäquat zu übersetzen, ist und bleibt eben immer eine gewaltige Herausforderung, weil allein das lautliche Material der Sprache zwangsläufig andere Akzente setzen muss, und beim Endreim schier unmöglich scheint. Auch hier trifft die Zeile des deutschen Romantikers Eichendorff „Schläft ein Lied in allen Dingen,/Die da träumen fort und fort,/Und die Welt hebt an zu singen,/Triffst du nur das Zauberwort“ zu.

Der Unterschied: Bei dem Décadent und Dandy Baudelaire ging es stärker um die Ästhetisierung des Makabren, Bizarren, Morbiden und die unerbittliche Analyse des Urbanen und Dämonischen als bei dem deutschen Romantiker. Die Gedichte von Charles Baudelaire wurden oft ins Deutsche übersetzt, haben aber nie die Perfektion von Stil, Form und Klang des französischen Sonetts erreicht, sondern jeweils andere Aspekte betont. pk

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