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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ulli Crespo Grönland eiskalt“ und ihre Schenkung an das Museum für Moderne Kunst MMK

Ewiges Eis: monumental und erhaben und eine feine kleine Kunstsammlung

Von Petra Kammann

Die Fotos, welche die Fotokünstlerin Ulrike Crespo, Psychologin, Sammlerin und Stiftungsgründerin der Crespo Foundation, kurz vor ihrem Tod in Grönland unter schwierigsten Bedingungen machte, werden derzeit im Frankfurter Zollamt MMK präsentiert. Dem Frankfurter Museum MMK für moderne Kunst vermachte Crespo neben einem Teil ihrer eigenen Fotos außerdem 20 wertvolle Werke ihrer persönlichen Sammlung zeitgenössischer Kunst, die nun im im Zollamt MMK zu sehen sind.

Vielfalt der Eisformen – 13 monumentale Fotografien von Ulrike Crespo, alle ohne Titel, 2015, sind im Zollamt MMK  zu sehen (Digitaldruck auf Stoff, 2021, unterschiedliche Größen, von 120 x 80 cm bis 250 x 300 cm), Foto: Petra Kammann

Ulli Crespo, wie sie bei Freunden und Vertrauten hieß, war eine außergewöhnliche Person und schon seit den Anfängen des MMK dem Museum sehr verbunden. Mit dem Grundsatz ihrer Stiftung, „Menschen stark zu machen“, hat die vorausschauende Förderin mit ihren nachhaltig wirksamen Kunst- und Bildungsprojekten viel zur Entwicklung Frankfurts als lebens- und liebenswerter Kulturstadt beigetragen. Die Enkelin des Kunstmäzens Karl Ströher, des Mitinhabers der Wella AG, starb Ende 2019 mit nur 68 Jahren.

Die Fotografin Ulrike Crespo, Foto: Crespo Foundation

2001 hatte die ausgebildete Fotografin und Mäzenin die Crespo Foundation gegründet, die sich in den verschiedenen Gebieten wie Soziales, ästhetische Bildung und Kunst engagierte. Crespo hatte darin große Teile des Verkaufserlöses des im Familienbesitz befindlichen Wella-Konzerns gestiftet. Eines der vielfältigen Projekte bietet Bildungsstipendien für Migrantinnen, ein anderes fördert kulturelle Bildung an Schulen. Unterstützt hat sie die unterschiedlichsten Museen und Theater in Frankfurt, den Tanz, die Musik und die Literatur mit dem Wettbewerb WORTMELDUNGEN für nachwachsende Schreibende. Ihre Ausstrahlung war offen, emphatisch und voller Humor.

Ulrike Crespo, 1950 in Fulda geboren, wuchs in Darmstadt auf und zog nach dem Studium (Französisch, Kunstgeschichte und Archäologie in Lausanne und Genf) 1980 nach Frankfurt, wo ein Studium der Psychologie und die Approbation als Psychotherapeutin folgte, während sie sich seit den 90er Jahren zusätzlich der Fotografie widmete. Als Fotografin war sie fasziniert vom Packeis, von Gletscherbrocken, zerklüfteten Klippen und Fjorden, kurzum vom Licht und von skulpturalen Gebilden aus Eis. 2015 reiste sie daher nach Grönland auf eine abenteuerliche „picture taking expedition“, um diese bizarren Gebilde teils mit einem wackeligen Helikopter aus der Luft, teils von einem schwankenden Boot aus aufzunehmen.

Glücklich über die Schenkung: MMK-Museumsdirektorin Susanne Pfeffer, Foto: Petra Kammann

Die auf dieser Reise nach Grönland entstandenen Fotografien dokumentieren die arktische Landschaft entlang der Ostküste von Maniitsog über Kangaamiut, Sisimut bis nach Ilulissat sowie den sogenannten Russel-Gletscher im zentralwestlichen Grönland in der Nähe von Kangerlussuaq. Ob des gewaltigen Eindrucks wie auch für die atemberaubende Vielfalt der Eisblöcke versagt einem beim Anblick der der Monumentalität, die in der Größe der Abzüge ihre Entsprechung findet, die Sprache. Fast.

„Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören“, heißt es 1912 in den Duineser Elegien bei Rainer Maria Rilke. Diese ambivalente Erfahrung lässt sich auch auf die Kunst des 20. Jahrhunderts übertragen, die Ulrike Crespo ganz persönlich gesammelt hat mit ihrem untrüglichen Blick für das, was vorübergeht, was verschwindet und das, was sich als Bild ins Gedächtnis eingräbt, so wie möglicherweise die Erinnerung an die gigantischen Eisblöcke, die aber schön langsam in ihrer Wucht und Größe dahinschmelzen…

Michael Neff hat die Szenografie der Ausstellung entworfen und erzeugt mit den großformatigen Abzügen bildstarke Eindrücke, Foto: Petra Kammann

Oftmals ist das, was Crespo auf ihren Bildern zeigt, nicht ganz deutlich zu sehen. Ein über die Aufnahmen gezogener Nebelschleier lässt bisweilen die Konturen verschwimmen, was den Eindruck des geradezu Mystischen und Erhabenen noch verstärkt und an romantische Vorbilder wie Caspar David Friedrichs berühmtes Gemälde „Das Eismeer“ oder an verschiedene Gerhard-Richter-Gemälde denken lässt. Die blitzenden Polarlichter auf dem Wasser erzeugen so etwas wie eine ständige Bewegung der Motive. Gleichzeitig herrscht auf den Bildern eine große Stille.

Crespos Sensibilität solchen Situationen gegenüber hat die künstlerisch Wahrnehmende auch stets mit den merkfähigen Bildern und Aussagen zeitgenössischer Künstler verbunden, deren Werke sie ihren persönlichen Vorlieben entsprechend sammelte. Schon während ihrer fortschreitenden Krankheit hat sie diese Sammlung der von ihr gegründeten Crespo Foundation großzügig als Schenkung hinterlassen.

Aber auch das Frankfurter MMK, dem sie sich von Anfang an verbunden fühlte, hat sie bedacht. Und zwar mit einem Konvolut von 20 Werken aus ihrer umfangreichen Sammlung zeitgenössischer Kunst: Die Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen durfte sich das Museum sogar selbst aussuchen. Diese Auswahl kann man nun in einem feinen kleinen und intimen „Kunstkabinett“ hinter den atemberaubenden riesengroßen Fotografien anschauen, das eigens am Ende der Halle aufgebaut ist. Passend zum Grundbestand des MMK findet man dort besondere Werke, die sorgfältig von Mario Kramer kuratiert wurden.

Dr. Mario Kramer, MMK, und Christiane Riedel, Vorstand Crespo Foundation, Foto: Petra Kammann

Von Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr an diesen Ausnahmekünstler erinnert, sind es die frühen Zeichnungen, Akte, Herminen, Hirschmotive und Vorzeichnungen zur Jungfrauen-Skulptur. Ein Siebdruck des vielbegabten Beuys-Schülers Walter Dahn, Bildhauer, Maler, Zeichner, Fotograf, Filmemacher, Musiker und Hochschullehrer, hat in seinem „Eulenspiegelbild“ u.a. Hans Baldung-Grien-Motive verarbeitet. Von Thomas Bayrle gibt es hochsensible Autobahngeflechte  –  und ein „Piet-Mondrian-Gewebe“. Übrigens besitzt das MMK die größte Sammlung von Bayrle.

Subtil gemalt der sechsteilige Zyklus „Tag um Tag“ von Peter Dreher, die sich unter dem Licht des Tages verändernden immergleichen Gläser. Als fast greller Eyecatcher in der Mitte des Raumes wirken die so strahlend wie verloren erscheinenden weiblichen Körper einer Miriam Cahn aus der Serie „Frauen zugeordnete Überlebensstrategie“ von 2001.

Blick in das Kabinett, in dem die Schenkungen hängen, Foto: Petra Kammann

Dann ein A.R. Penck aus dem Wendejahr 1990 unter dem Titel „Der letzte NVA-Pilot“ aus der Serie „Menschen und Tiere nach der Öffnung“,  und auf der gegenüberliegenden Seite „Paneels“ der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles von 2003 – Eindrücke auf Fabriano-Papier mit ,Szenen aus dem Leichenschauhaus mit Wasser‘, gemalt mit Wasser, mit dem Leichen nach der Autopsie gewaschen wurden.

Klein und hintergründig fein zwischen den expressiven Gemälden Jeff Walls interessantes Treppenhaus in Prag auf den Spuren von Franz Kafka neben Andy Warhols Porträt von Fidel Castros Frau, während Frédéric Bruly Bouabré aus Abidjan an der Elfenbeinküste noch fast schüchtern mit seiner Kuli-Bunstiftzeichnung von 1993 seinen kolonialkritischen Ansatz „Je suis cacao“ dokumentiert. Geht man näher an die Werke ran, entdeckt man nach und nach die besonderen Details.

Noch sind diese kostbaren Werke bis zum 11. April kostenfrei zu sehen, wenn ein Lockdown uns nicht wieder die Freiheit nimmt, diese Werke anzuschauen. Anmelden und registrieren muss man sich am gegenüberliegenden Haupthaus des MMK.

Auch hier gilt: Schnell hingehen und anschauen, bevor es wieder für alles zu spät ist.

Mehr unter:

https://www.crespo-foundation.de

Die Grönland-Fotografien sind unter dem Titel „Ulrike Crespo Grönland“ mit einer kenntnisreichen Einführung von Freddy Langer im Kehrer Verlag erschienen. 

 

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