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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Künstler im Lockdown. Kunst und Krise – Eine Gruppenausstellung in der Heussenstamm Galerie (1)

Stau, Stop and Go… Distanz, Reales und Surreales

Ein Rundgang mit Petra Kammann

Was bedeutete die monatelange globale Pandemiesituation, der Lockdown im Frühjahr 2020, für die Künstler und Künstlerinnen der Region? In zwei aufeinanderfolgenden Teilen zeigt die Galerie Heussenstamm, wie vielschichtig die lokale Kunstszene dieser Ausnahmesituation begegnet. Arbeiten von 46 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern sind dort zu sehen.

Blick aus dem Inneren der Heussenstamm Galerie mit (rechts) der Arbeit von Jue Löffelholz, „Eclipse of Reason, 2021“ und (links) im Fenster der Skulptur von Oliver Tüchsen, Aliennest, 2020, Kronkorken (von Corona) und Metallbänder; Foto: Petra Kammann

Betritt man die Galerie in der Braubachstraße, so fällt einem zunächst eine strenge und präzise Arbeit, umgeben von einem Glaskasten, ins Auge. Die geschliffene anderthalbmeterlange Elle, die man  auf Augenhöhe in dem glasgeschützten Kasten wahrnimmt, erinnert in ihrer Grundform an den Urmeter. Der Stab ist jedoch nicht aus Platiniridium, sondern aus Erlenholz und hält die Besucher gleich auf Abstand. Aha, hier also wird das Maß für unser social distancing vorgegeben?

Ursprünglich hatte der Künstler Jue Löffelholz geplant, seine mit rotweißgestreiften Absperrbändern eingewickelte Litfasssäule „Die Spindel der Notwendigkeit“ hier auszustellen, die im vergangenen Jahr zwischen Rathenau-Platz und Goethestraße von etlichen Passanten bestaunt wurde. Doch fand er sie mit dem Blick auf die Braubachstraße zu unruhig und entwickelte 2021 eigens für den Raum der Galerie seine Arbeit „Eclipse of Reason“, eine Art Urmeterstab aus natürlicher Erle. Wer dächte da nicht an den „Erlkönig“ und an die magische Macht der Natur, an die er damit erinnert?

Christian Kaufmann vor den Arbeiten von Xue Liu, aus Stoffserien, 2020, Porträts auf T-Shirts, Foto: Petra Kammann

„Wer die Kunst als bloßes Freizeitvergnügen begreift, irrt! Denn was die Kunst besser kann als alles andere, ist, dem Denken Raum zu geben und damit ungeahnte Perspektiven zu eröffnen „, heißt es im Credo der Macher, allen voran vom Künstlerischen Leiter der Galerie Heussenstamm und Kurator dieser Ausstellung, Christian Kaufmann, der seit Dezember 2019 die Geschicke der Galerie leitet. Zuletzt war die Galerie aus den bekannten Gründen vor allem geschlossen. Seit dem 17. März ist nun die zweiteilige Gruppenausstellung, die schon für den vergangenen Herbst geplant war, endlich fürs Publikum geöffnet. Und man darf gespannt sein, wie lange es möglich sein wird, die Ausstellung noch vor dem nächsten Lockdown besuchen zu können.

Vanja Vukovic, Fotoserie „Bleiben Sie gesund“, 2020, Foto: Petra Kammann

Auf der gegenüberliegenden Wand ist die collagierte Fotoserie „Bleiben Sie gesund“ von Vanja Vukovic mit Erinnerungen an tabuisierte Badezimmerszenen aufgepiekst. Darin thematisiert die in Montenegro aufgewachsene Fotokünstlerin Vukovic Umgangsformen der Hygiene als „keimfreie Ordnung zum Erziehungsdiktat“, wobei ihr als historisches Material die Schul-Dia-Reihe „Sauber sein macht froh“ aus dem Bestand der Stadtbildstelle Wanne-Eickel von 1962 als Grundlage diente.

Levent Kunst, Videoinstallation insideout, 2020; Foto: Petra Kammann

Gleich daneben die Videoinstallation insideout von Levent Kunst. Wie auch Vukovic kommt der Künstler aus dem Atelierhaus „basis“. Seine wechselnden collagierten Bilder aus dem Internet erinnern an Urformen der Natur zwischen sattem Grün und zerstörten Momenten. Eine trügerische Stimmung jenseits jeglicher Frühlingsidylle.

Heide Weidele, im Prozess weiter, 2020; Foto: Petra Kammann

Heide Weidele wiederum nimmt die Fäden ihrer Kasachstan-Installation auf, die sie vor etwas mehr als einem Jahr in der U-Bahn-Station Taunusanlage ausgestellt hatte: im Prozess weiter, heißt es 2020 in ihrem Relief aus verschiedenen perforierten Alltags-Kunststoff-Teilen, weiß und farbig auf schwarz. Sie stellt dar, wie sich durch den ersten Lockdown ihre Arbeit als Künstlerin verändert habe. Auch wenn ihre Materialien in den letzten Jahren immer wieder Plastik-Gegenstände und -überbleibsel, ‚Abfälle‘ aus Haushalten waren, die in ihrer neuen Gestaltung weiter ‚leben‘, so stellt der Lockdown für sie auch weitergehende Fragen der Selbstvergewisserung:

Schließlich die Aufgabe an mich selbst: den Kopf nicht zu verlieren und mein Zentrum KUNST nicht zu verlieren. Als ,Selbstvergewisserung‘ habe ich meine Installation ,Kasachstan‘ von 2019 für mich dokumentiert und vor mich „hingestellt“ und wieder Boden gewonnen. Jetzt beschäftigt mich die Frage: was ist Kunst und inwieweit und wodurch hat sie möglicherweise Kraft trotz allem und gegen alles zu bestehen?

Petra Metzner, Teilchenausgleich II, Arbeiten aus Ton auf dem Tisch der Kommunikation; Foto: Petra Kammann

So allgemein wie sich die Frage für sie persönlich stellt, so vielfältig sind doch die unterschiedlichen individuellen künstlerischen Antworten, die in der Galerie zusammenkommen. Minutiös geht Petra Metzger ans Werk und gestaltet Skulpturen aus winzigen Tonkügelchen, die Assoziationen an Naturformen wie Muscheln, Korallen oder auch Meereshorizonte auslösen. Entstanden sind sie zweifellos durch ihre Zusammenarbeit mit der Höchster Porzellan-Manufaktur, für die die HFG-Studentin Porzellan-Skulpturen aus winzigen Porzellankügelchen entwickelt hat, kleinste Einheiten, die sich zu einem die Balance haltenden Ganzen verbinden. Zum Thema „Gefühlte Erde“ hat sie damit den Gestaltungswettbewerb Senckenberg-Preis 2019 gewonnen.

Daniela Orben, TT-Gespinst I, 2020,  Äste, Wildschutzspiralen, Acrylfarbe und Schnur; Foto: Petra Kammann

Gegenüber dem Tisch, der die organischen Skulpturen trägt, hängen Daniela Orbens filigrane „Gespinste“ an der Wand gegenüber. Sie entdeckte bei ihren Taunus-Wanderungen die nutzlos gewordenen Wildspiralen, welche ursprünglich der Natur dienen sollten, nun aber den Waldboden verschmutzten. Sie sammelte sie auf, entfernte den Plastikmüll aus der Natur, um ihn mit Zweigen zu neuen Objekten zu verbinden. Denn „ein anfänglich gut gemeintes, menschengemachtes Objekt gefährdet nun die Natur“. Orbens Arbeiten reflektieren, „was wir von der Corona-Pandemie lernen können, dass diese Balance ein entscheidender Baustein ist, um unsere Lebensqualität zu sichern und für die nächsten Generationen aufrechtzuerhalten.“

Schon im Erdgeschoss der Galerie hat jede Arbeit den ihr angemessenen Platz bekommen und kann ob der lockeren Hängung „atmen“. Eine Etage höher geht es dann zu verschiedenen Gemeinschaftsarbeiten, die aus dem Dialog der Künstler und Künstlerinnen untereinander entstanden sind, die sie sich per Post die Arbeiten hin-und hergeschickt haben, um an ihnen weiterzuarbeiten.

Ausschnitt aus dem Projekt „Triptychon Mensch“ (initiiert von Christine Fiebig), Beteiligte Künstler*innen: Michael Bloeck, Christine Fiebig, Kerstin Lichtblau; Foto: Petra Kammann

Die Zeichnungen bestehen aus einer Kopie aus einem Anatomiebuch, einer Ergänzung. Eine(r) beginnt, schickt weiter, der (die) nächste ergänzt….etc. bis sechs Künstler ein Blatt bearbeitet haben. Da aber jeder ein Blatt begonnen hat, sind insgesamt 6 Bilder entstanden durch die Zusammenarbeit von Alexandra Baum, Cornelia Franziska Heier, Lucia Makelis, Tobias Schnotale, Jürgen Wolff und Christine Fiebig. Das Verfahren erinnert an die kollektive Arbeitsweise der Künstler aus der Frühphase des Surrealismus.

Zwischen April und Mai 2020 entstanden so 14 Zeichnungen auf Papier/ DIN A4, gestaltet mit verschiedenen Mitteln: mit gescannten Vorlagen, Finelinern, Bleistiften und Buntstiften, initiiert von Christine Fiebig und malatsion.

Projekt „Wachsen lassen“ mit Bea Emsbach „Das passiert unter der Erde“. Die  andere Künstlerin, Christine Fiebig, antwortet mit: „Das passiert über der Erde“; Foto: Petra Kammann

Für 6 Zeichnungen wurde das Blatt zweigeteilt. Beide Künstlerinnen gestalten je 3 Blätter mit dem Thema: Das passiert unter der Erde. Die jeweils andere Künstlerin antwortet mit: Das passiert über der Erde.

Ich bin glücklich, in dieser Zeit als Zeichnerin arbeiten zu dürfen. Meine Arbeitsweise bietet mir aktuell Trost, Ideen, Glück und viele Gelegenheiten, die Umstände zu meinem Thema zu machen. Wenn meine Arbeit aktuell auch für andere sinnvoll ist, bin ich besonders dankbar. Aber natürlich bietet mir mein Metier keine Sicherheiten. Da hilft nur weiterarbeiten„, so das Resumé  der initiierenden Künstlerin Christine Fiebig.

Saskia Schüler, Egal was du tust, 2020, Bügelperlen; Foto: Petra Kammann

Insgesamt wurde für die „Lockdown“-Ausstellung aber das komplette Haus genutzt, so auch das Untergeschoss, wo ein durch eine Glastür abgetrennter Raum Saskia Schüler gewidmet ist, die dafür eine eigene subtile Installation aus Bügelperlen entwickelt und typographisch unter dem Titel aufgelöst hat: Egal was du tust. Eine Geduldsarbeit, die uns mahnt, nicht nur auf das Prinzip: „Schneller, weiter, höher“ zu setzen, sondern sich während der Pandemie auch spielerisch mit der Endlichkeit des Seins auseinanderzusetzen: „In der Gesellschaft, diese Angst, in der der Tod sonst keine große Rolle spielt; dabei kann die Vorstellung des eigenen Todes sehr interessant sein.“

Oliver Tüchsen, Medizin Mann, 2020, Plastikmaske/ Klebebänder, Stoffhemd; Foto: Petra Kammann

Geradezu ironisch geht Oliver Füchsen mit der Figur des schamanischen Heilers um. Laut singen sollte man seiner Meinung nach seine dadaistischen Verse zu der verrückten Assemblage, dem bemalten Doktorkittelobjekt mit Luftsauger, meint er selbstbeschwörend: „NICHTAUFGEBEN NICHTAUFGEBEN NICHTAUFGEBEN. Links ist schuld Mitte ist schuld Rechts ist schuld. Flüchtling ist schuld, Polizei ist Schuld, Dicker ist schuld, Dummheit ist Schuld, Deutscher ist Schuld, Engländer ist Schuld, Türke ist Schuld, Oliver Tüchsen ist Schuld. Der und Die sind auch noch dran Schuld. Merkel ist Schuld. SelbsthassSelbsthassSelbsthass, love yourself love yourself loveyourself… “

Hans Petri, Installation o.T. (Downlock 4ever), 2020; Foto: Petra Kammann

Hans Petri wiederum hat seinen eigenen Arbeitsplatz in die Ausstellung verlegt, um so das Thema Distanz (zu sich?) aufzugreifen. „Wie sich (auch) darstellende Künstler – privat – mit dem Thema Lockdown beschäftigen, interessiert mich kaum“ , sagt er in einer Art Selbstbefragung. „Eines fragte ich mich aber bereits zu Anfang: Wieso sagten/schrieben die einen ,Lockdown‘ und die anderen ,Shutdown’…der Lockdown setzte sich am Ende (eher) durch…der Shutdown ist aber auch immer noch gebräuchlich: Warum?“

Jo Albert, Fotoserie Konsumschamanen, 2020; Foto: Petra Kammann

Jo Alberts fotografische Bilder sind überraschend und muten höchst ironisch an. Was zunächst aussieht wie eine Franz Erhard Walter-Performance –  Alberts lässt seine Gestalten, das nimmt man erst bei näherem Hinschauen wahr – mit Teppichen und Badematten auf dem Rücken in den Wald laufen. Laufen wir am Ende mit den Resten der Zivilisation in die Natur davon?

Wohin man auch schaut, Nachdenklichkeit geht von allen Arbeiten aus, und die Suche nach Resilienz, verbunden mit der Hoffnung auf ein verändertes und natürlicheres Leben nach dem Lockdown, das dürfte der rote Faden sein, der die so unterschiedlichen Arbeiten – eine Jahrgangsdurchmischung auf einer gemeinsamen Plattform zusammenführt.

Termine

Lockdown I: Ausstellungsdauer 17.03. – 09.04.2021

Lockdown II: Ausstellungsdauer 14.04. – 01.05.2021

Mit: Florian Adolph, Jo Albert, Birgit Arp, Alexandra Baum, Michael Bloeck, Bea Emsbach, Christine Fiebig, Cornelia F Ch Heier, Aviva Kaminer, Levent Kunt, Kerstin Lichtblau, Xue Liu, Jue Löffelholz, Lucia Makelis, malatsion, Petra Metzner, Miss Tula Trash, Daniela Orben, Hans Petri, Daniel Scheffel, Tobias Schnotale, Saskia Schüler, Oliver Tüchsen, Vanja Vukovic, Heide Weidele, Jürgen Wolff

„Kunst und Krise“ ist eine Initiative von Heussenstamm, Raum für Kunst und Stadt, der Galerie Anita Beckers sowie der Galerie Hanna Becker vom Rath und dem Kulturdezernat Frankfurt am Main

 Unterstützt wurde die Ausstellung vom:

Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Horst-Haas-und-Irene-Haas-Scheuermann-Stiftung sowie dem Kulturamt Frankfurt am Main

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