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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Einfach Grün – Greening the City“ im Deutschen Architekturmuseum

Unsre Städte zum Atmen und Blühen bringen

Von Petra Kammann

Grün ist die Hoffnung? Aber Ja. Denn Grün steht für Gleichgewicht, den Frühling, die Natur, das Leben, für Glück, Wachstum, Harmonie, Gesundheit, Regeneration und vieles andere mehr. Selten waren Grünräume so gefragt wie seit der Bedrohung durch das Corona-Virus. Viele flüchten sich daher aufs Land. Dabei versprechen architektonische Beispiele in Städten wie Frankfurt, Düsseldorf, Wien, Mailand, Amiens oder Singapur durch die Begrünung von Fassaden, Dächern und Hinterhöfen ein Mehr an Lebensqualität. Kann dieses Grün in der Architektur auch dazu beitragen, das Klima in den Städten zu verbessern, Hitzebildung und Feinstaubbildung zu reduzieren und damit das Wohlbefinden der Menschen zu steigern? Solchen und auch anderen und praktischen Fragen geht eine Ausstellung im Deutschen Architektur Museum (DAM) nach.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal ließ eigens für diese Ausstellung Vogelhäuschen für diese neuen grünen Orte entwickeln; alle Fotos: Petra Kammann

Betritt man die neue virtuell eröffnete Ausstellung im Erdgeschoss des Deutschen Architekturmuseums „Einfach Grün – Greening the City“, so wird der Blick auf die klar strukturierten Konstruktionen mit weißen und magentafarbenen Tafeln gelenkt. Von grünem Wildwuchs zunächst einmal keine Spur. Aus leicht gewellten silbern schimmernden Aluminiumtrögen, die eher an Alu-Koffer von Rimowa denn an Müsli-Bio-Design erinnern, sprießen elegante schlanke Pflanzensäulen empor. Der Eindruck von Frische, Transparenz und Leichtigkeit überwiegt. Dieselben Alu-Tröge, abgedeckt mit einer Holzplatte, dienen zudem als Sitzgelegenheit, auf denen man sich in Ruhe niederlassen kann, um sich die Fragen und Antworten aller Art und Beispiele vor Augen zu führen, die an die filigranen schwarzen Stellagen geheftet sind, während die internationalen, fototapetenartig auf die umlaufenden Rückwände projizierten Beispiele von Weitem durchschimmern und somit immer auch präsent sind.

Auch im Deutschen Architekturmuseum (DAM) grünt es derzeit

Auf den Texttafeln werden u.a. ganz konkret Pflanzenarten wie Kiefern und Birken und ihre Bewässerungsmethoden angezeigt, die besonders ge­eignet sind, große Mengen von Feinstaub zu binden – insbesondere im Winter, wenn die Luftverschmutzung am höchsten ist. Die zeitgemäße und strukturierte Präsentation sagt: das Thema betrifft nicht nur Ökofreaks, sondern uns alle. Denn auf die hier einfach gestellten Fragen gibt es jeweils ganz konkrete Antworten. Dass begrünte Gebäudehüllen – oft genug als architektonische Dekoration abgetan –  den Schallpegel von Verkehr und anderen Geräuschquellen um bis zu 10 Dezibel mindern können, bedeutet immerhin eine Halbierung der von Menschen wahrgenommenen Lautstärke. So erfährt man beispielsweise auch, dass die Erhöhung des Pflanzenbestandes in besonders dicht besiedelten Stadtbereichen in den heißen Sommermonaten erhebliche Tempe­ratursenkungen bewirken und eine grüne Infrastruktur die Lufttemperatur um bis zu 10 °C reduzieren kann.

Gut durchdachte begrünte Gebäudehüllen machen die Städte nicht nur attraktiver, sondern auch gesünder. Außerdem können begrünte Fassaden den Spitzenenergie-Verbrauch in kon­ventionellen Gebäuden um bis zu 8 Prozent mindern. Sie machen die Luftverschmutzung erträglicher und reduzieren den „urbanen Stress“, weil schon allein der Blick ins Grüne entspannend wirkt. Um davon zu profitieren, sollte man auch im eigenen Bereich planvoll an die Sache herangehen. Die Beispiele der Ausstellung geben dazu allerlei Anregung aus dem nahem wie aus dem weiter gespannten Umfeld. So können wir u.a. anhand der markanten Beispiele, die Schule gemacht haben, das Prinzip der jeweiligen Begrünung auf klimatische und urbane Besonderheiten miteinander vergleichen.

 

Blick in die Ausstellung auf die Wandtafeln mit herausragenden Beispielen

Fast schon zu den Klassikern gehört der 2004 fertig gestellte ,Pflanzenturm‘ des Landschaftsplaners Patrick Blanc, der im 17. Arrondissement von Paris gemeinsam mit dem Architekturbüro Maison Edouard François die Begrünung entwarf. Er ließ an der Sichtbetonfassade eines sozialen Wohnungsbaus über 9 Stockwerke Bambuspflanzen in 380 Balkontöpfen wachsen, die über wiederaufbereitetes Regenwasser bewässert werden. In dem Pariser Viertel spenden die Pflanzen den Bewohnern zudem Sichtschutz und Schatten. Da entstand geradezu eine grüne Insel in der in den Sommermonaten stark aufgeheizten französischen Metropole, in denen sich die Pariser ansonsten meist aufs Land oder ans Meer flüchten.

Schon früh, 2007, hatte das DAM dem erfolgreichen Landschaftsplaner Patrick Blanc eigens eine Ausstellung gewidmet. DAM-Chef Schmal erinnert sich bestens. Er hatte ihn seinerzeit auch zu einem sehr spannenden und für ihn damals überzeugenden und nachhaltigen Vortrag in den seither leerstehenden Ferdinand-Kramer-Bau in den Palmengarten eingeladen.

Der niederländische Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover wiederum gleich daneben widmete sich mit seiner offenen Struktur seinerzeit dem Thema „Holland schafft Raum“. Da wurden auf den unterschiedlichen Etagen des Gebäudes stereotypische Landschaften mit Tulpen und Windmühlen thematisiert. Im Inneren des Gebäudes wiederum befand sich eine raumgreifende Waldinstallation aus bepflanzten Bäumen und Sträuchern. Sie blieb übrig. Inzwischen dient das funktionslos gewordene Gebäude als Bürohaus und Co-working-space für innovative Architekten.

Die Beispiele reichen auch zurück bis in die 80er und sogar 70er Jahre mit dem Frankfurter „Ökohaus“ von Eble & Sambet in Bockenheim von 1988 oder zu Ot HoffmannsBaumhaus“ mitten in der Innenstadt von Darmstadt, gleich neben dem Museum. Dort ließ sich 1985 der Architekturstudent Peter Cachola Schmal schon früh für das Thema ,Architektur und Natur‘ begeistern, nämlich, als er dort für ein entstehendes Buch von Ot Hoffmann, der sowohl ein Pionier als auch ein großer Streiter für die grüne Architektur war, zeichnete.

Blick auf den Verwaltungssitz der Chambre de Commerce et d’industrie de Picardie in Amiens von Chartier Corbasson Architectes mit der mur végétale, die an die Gärten der Semiramis erinnern

Natürlich darf das aufwändige Mailänder Pionier-Projekt mit Balkonbegrünung, der „Bosco Verticale“, der „vertikale Wald“ von Stefano Boeri, bei den gelungenen Beispielen der Schau nicht fehlen. Boeri hatte übrigens 2014 in Frankfurt dafür eigens den renommierten Internationalen Hochhauspreis bekommen. Der damalige Gewinner hatte die Jury auf mehreren Ebenen überzeugt: Die beiden auf einfachen rechteckigen Grundrissen basierenden be­grünten Wohnhochhäuser sind mit 19 bzw. 27 Stockwerken unterschiedlich hoch, wobei jede der 113 Wohnungen Zugang zu mindestens einer Terrasse hat, die einem Garten oder einem kleinen Waldstück gleicht. Die Bäume, Stauden, Sträucher und Bodendecker bilden insgesamt einen kompletten Hektar Wald.

Der Effekt hat dem Projekt Recht gegeben. Bei Boeris jahrelanger Vorarbeit und Grundlagenforschung über Botanik, Statik, Bewässerung, Brandschutz und Windlast hat sich der hohe Aufwand gelohnt. Das Hochhaus wurde zum Vorzeigeprojekt, außerdem im Mailänder Viertel ein Hotspot der Biodiversität und Vorbild für neue Bauten international.

Im Verwaltungssitz der Chambre de Commerce et d’industrie de Picardie in Amiens wiederum schafft das Grün zwischen dem historischen und dem zeitgenössischen Gebäude der Industrie- und Handelskammer die Verbindung, und es steht gleichzeitig symbolisch für die berühmten Hortillonages der Umgebung, der mit Kanälen durchzogenen einstigen Sumpfgegend, in der besonders viel Obst und Gemüse angebaut wird.

Blick auf den Kö-Bogen 2 in Düsseldorf von ingenhoven architects

Ein spektakuläres und ganz junges Beispiel der realisierten Grünbauten in Deutschland befindet sich am sogenannten Kö-Bogen 2 in Düsseldorfs neuer Mitte gegenüber dem durch ingenhoven architects frisch renovierten Schauspielhaus von Bernhard Pfau und dem Thyssen-Hochhaus von Hentrich & Petschnigg. Gegenüber dem Gustaf-Gründgens-Platz entstand eine 8 km lange Hecke in terrassierter Abstufung als Abgrenzung zur Shoppingmeile Schadowstraße. Für diese Hecke ließ das Architekturbüro ingenhoven architects 35.000 Hainbuchen pflanzen, die das Mikroklima der Rheinmetropole verbessern sollen. Ob das Grün der äußerst dichten Hecke auf Dauer allerdings auch im Winter erhalten bleibt oder dann eher traurig braun und kahl wirkt, wird die Zukunft weisen.

DAM-Chef Schmal erläutert die Konstruktion des Jobcenters mit dem Dachgewächshaus am Altmarkt in Oberhausen von Kuehn Malvezzi 

Interessant schließlich das Beispiel von Kuehn Malvezzi eines Jobcenters im historischen Zentrum von Oberhausen mit einem vertikalen Garten und einem darüberliegenden Gewächshaus, wodurch eine Verbindung zum traditionellen Altmarkt geschaffen wird, auf dem täglich ein ganz normaler Markt stattfindet. An dieser Stelle wird gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten atelier le balto erforscht und ausprobiert, wie hier im Gewächshaus eine urbane Landwirtschaft stattfinden kann. Ein Modell dafür, ob hier auf Dauer auch Obst und Gemüse angebaut werden kann?

Etliche Beispiele von asiatischen Megacities, wo die klimatischen und botanischen Voraussetzungen anders als in Europa sind, lassen sich ebenfalls in der Ausstellung verfolgen wie zum Beispiel das Osaka Downtown-Hotel Singapur oder das Urban Farming Office in Ho-Chi-Mingh-City. Insgesamt lässt sich feststellen, dass inzwischen an den unterschiedlichsten Betonfassaden ganze Baumlandschaften, Hängepflanzen und auch Kräuter wuchern, gleich ob in Deutschland oder anderswo. Die in der Ausstellung auf den Bildschirmen präsentierten Gespräche mit den entsprechenden Spezialisten dazu sind übrigens auch im Internet abrufbar.

Daneben wird im Museum selbst mit den Pflanzen experimentiert. Temperaturen und Luftfeuchtigkeit werden ständig überprüft. Außerdem wurden etwa die insgesamt 12 Austritte des Museums, die bis auf 2 normalerweise durch eine Wand verdeckt sind, als kleine Höfe mit Frischluftzufuhr eigens für die Ausstellung freigelegt. Dort werden verschiedene Möglichkeiten von Pflanztrögen und schlicht gespannten Seilnetzen präsentiert und getestet: was hier wächst, was vom Nachbargrundstück herübergeweht wird und was sich selbst anbaut wie der Blauglockenbaum oder der wilde Wein, der an den Hausmauern Spuren hinterlässt, lässt sich dort bestens beobachten.

An einer Wand wiederum werden Projekte, die per Internet für den anschließenden Wettwerb einfach-gruen.jetzt eingereicht wurden, systematisch und einheitlich präsentiert. Die interessanten Projekte baumeln an roten Bändern in Form von Fact Sheets mit Projektbeschreibung auf der Fototapete von dicht grün bewachsenen Fassaden. Wer die Initiatoren sind, wie sie es angestellt haben und wozu die grünen Dächer und Fassaden dienen. Da die Beispiele von den Straßen oft nur wenig einsehbar sind, sagen uns die Beschreibungen, wo genau sich diese grünen Inseln befinden, die dem klimatischen Verhältnis von Architektur, Bewohnern und Nutzern so positiv zuträglich sind. Die Beiträge werden am Ende von einer Jury bewertet und die Preisträger wiederum in der Ausstellung im DAM präsentiert.

Bei der Begrünung von Hinterhöfen, Fassaden, Dächern und Balkonen kann jeder mitmachen. Er erhält, wenn die Ausstellung nach dem möglichen Ende des Shutdown am 14. Februar vielleicht doch noch geöffnet werden kann, bei einem Besuch im DAM auf jeden Fall wichtige Anregungen, was man auch im kleinen eigenen Umfeld tun kann. Man bekommt dazu nicht nur eine einschlägige Beratung der Stadt Frankfurt. Gezielte Projekte werden sogar auch vom Umweltamt der Stadt finanziell unterstützt.

Wer die Ausstellung nicht besuchen kann, dem sei auf jeden Fall das im DAM zu erwerbende praxisorientierte Handbuch für Gebäudegrün „Einfach Grün“ für 19,95 Euro empfohlen. Es gibt bestens auf sämtliche praktische Fragen Antwort. Das hübsch gestaltete und eigens für die Schau formschön entwickelte hölzerne Vogelhäuschen kann im DAM erworben werden wie auch die handgenähten Pflanzsäcke, mit denen selbst derjenige, der keinen grünen Daumen hat, etwas in seinem eigenen Bereich wachsen lassen kann, gleich ob auf dem Balkon, dem Hinterhof, dem Dach oder Garagendach.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Forschungsabteilung von Arup „Green Building Envelopes“ und mit dem Umweltamt der Stadt Frankfurt am Main. Die Kuratoren der Ausstellung sind Hilde Strobl und Rudi Scheuermann.

Weitere Informationen; 

Deutsches Architektur Museum

Schaumainkai 43

60596 Frankfurtdam-online.de

Projekteinreichung:

einfach-gruen.jetzt

Rückfragen bitte an: projects@einfach-gruen.jetzt

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