Autobahnkirche Medenbach – Ort der Ruhe und Kontemplation
Entlang des „Sortengartens“ auch zu Fuß gut erreichbar
Von Hans-Bernd Heier
Bundesregierung und Ministerpräsidenten haben eine Verlängerung des verschärften Corona-Lockdowns bis zum 14. Februar beschlossen, Zwar bleiben die Grenzen zu den Nachbarländern offen, aber es wird geraten, auf nicht unbedingt notwendige Reisen ins Ausland zu verzichten. Doch warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute oft so nah? Auch im näheren Umkreis lässt sich viel Neues, Interessantes und Überraschendes entdecken, wie beispielsweise die Autobahnkirche und der große Sortengarten in Wiesbaden-Medenbach.
Außensicht der prämierten Kirche; Foto: Armin Schmidt
Wer als Autofahrer das Hinweisschild Autobahn-Raststätte sieht, denkt in erster Linie an Tankstellen und die üblichen Schnell-Restaurants mit Einkaufsläden. Jedoch gibt es dort bisweilen auch Orte, die zu Entspannung, Besinnung und Andacht einladen: Autobahnkirchen. Insgesamt gibt es davon 44 in Deutschland, wo Reisende unterwegs Ruhe tanken können. Wer in Autobahnkirchen Rast gemacht hat, der fährt nach Ansicht der Betreiber danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer. Der Besuch einer Autobahnkirche kann demzufolge auch zu höherer Verkehrssicherheit beitragen.
Zu einer Rast für Leib und Seele will auch die Autobahnkirche Medenbach, die erste in Hessen, beitragen. Sie steht auf dem Raststätten-Gelände Medenbach-West an der A 3 Köln–Frankfurt. In die Kirche, die nur in Fahrtrichtung Frankfurt zu erreichen ist, kann jeder, der eine Pause vom hektischen Verkehrsgeschehen einlegen möchte, zur Kontemplation und zum Gebet einkehren.
Das schlichte Holzkreuz vor der Betonmauer weist auf den Sakralbau hin; Foto: Hans-Bernd Heier
Der Bau einer Autobahnkirche an der vielbefahrenen A 3 drohte zunächst daran zu scheitern, dass die Hessen-Nassauische Landeskirche und das Bistum Limburg sich aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sahen, ein solches Gotteshaus errichten zu lassen. Das Bauwerk wurde dann durch die private Stiftung des großzügigen Mäzens Alfred Weigle ermöglicht. Den im Jahre 1998 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb „Autobahnkirche Medenbach“, an dem sich 80 Architekturbüros beteiligten, gewann der hessische Architekt Prof. Hans Waechter. Ein Modell ist im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen. Das Gesamtensemble wurde mit der Johann-Wilhelm-Lehr-Plakette ausgezeichnet.
Der erste Spatenstich erfolgte im Februar 2000 und bereits Ende März 2001 konnte die Kirche eingeweiht werden. Die Baukosten für die imposante Kirche mit dem steil geneigten Glaspultdach beliefen sich auf rund zwei Millionen DM.
Innenhof mit Wassersprudlern in stimmungsvolle Abendbeleuchtung getaucht; Foto: Armin Schmidt
Die kleine Kirche am Rande des weitläufigen Areals ist von Arkaden und Hofmauern umgeben. Nur das vor dem Gebäude errichtete schlichte Holzkreuz erinnert daran, dass sich hinter der Betonmauer eine christliche Kirche verbirgt. Mit dem Zugang durch die Arkaden und den Innenhof soll ein allmählicher Übergang von der Hektik der Autobahn in die Stille des Gotteshauses geschaffen werden. Das Rauschen von neun Wassersprudlern im Innenhof soll dazu beitragen, den Lärm der Autobahn zu übertönen und etwas Distanz zur ruhelosen Autowelt schaffen.
Minimalistisch gestaltetes Kircheninnere; Foto: Armin Schmidt
Besucher der Kapelle erwartet eine schnörkellose Architektur, die durch ihre harmonische Schlichtheit besticht. Der 81 Quadratmeter große Kirchenraum, den der Münchener Bildhauer Nikolaus Gerhart gestaltet hat, bietet 24 Sitzplätze. Die künstlerische Ausgestaltung konzentriert sich auf einen mächtigen Altar aus grauem Granit und der Altarrückwand, die aus 80 Kunststeinplatten besteht. Diese Platten sind kreuzförmig angeordnet und stehen auf kleinen Vorsprüngen in der Ziegelwand, welche die Jakobsleiter andeuten sollen. Die einfachen grauen Platten, die auch für die Gestaltung des Fußbodens verwendet wurden, kommen auf der rotbraunen Klinkerwand beeindruckend zur Geltung.
Massiver Granitaltar; Foto: Gisela Heier
Höhepunkt im wörtlichen Sinne ist das von dem renommierten Glaskünstler Johannes Schreiter gestaltete steil aufragende Glasdach. Es ist zum Teil farbig gefasst. In Blautönen ist eine Auferstehungsszene angedeutet und unterhalb sind gen Himmel erhobene Hände betender Menschen zu sehen. Das im 45-Grad-Winkel geneigte Glasfenster taucht das Kircheninnere in hell-gedämpftes Licht ein. So werden Himmel, Wolken, Sonne, Mond und Sterne in den Kirchenraum einbezogen. So entsteht ein „Rastplatz für die Seele“, ein Rückzugsort in die Stille, der aber nicht düster und weltabgewandt ist, sondern durch Licht und Schatten, und das Ziegelmauerwerk belebt ist.
Das großartige Fensterbild von Johannes Schreiter (Teilansicht); Foto: Hans-Bernd Heier
Als einer der bedeutendsten Glaskünstler ist Johannes Schreiter, Jahrgang 1930, vor allem durch seine Kirchenfenster und seine architekturgebundenen Werke bekannt. Mit seinem einzigartigen Werk hat er der Glasmalerei national und international zu neuer Aufmerksamkeit und hohem Ansehen verholfen und ihre künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten erweitert. Viele seiner Entwürfe hat er mit den in Taunusstein ansässigen Derix Glasstudios realisiert, die weltweit Glaskunst auf höchstem Niveau herstellen.
Rückwand mit Ansatz des Glaspultdachs-; Foto: Hans-Bernd Heier
Schreiter war u.a. Professor an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Frankfurt am Main, der er von 1971 bis 1974 auch als Rektor vorstand. Dank seiner beharrlichen Initiative wurde im Jahre 1983 das „Museum für zeitgenössische Glasmalerei“ in Langen (Hessen) gegründet.
Die Autobahnkirche wird von der Evangelischen Kirchengemeinde Wiesbaden-Medenbach betreut. Sie ist an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr geöffnet.
Der herrlich blühende Sortengarten; im Vordergrund ein Apfelbaum der Sorte „Roter Trierer Weinapfel“; Foto: Ulli Kaiser
Die Autobahnkirche Medenbach ist auch zu Fuß und per Fahrrad gut vom Ort zu erreichen. Der rund ein Kilometer lange Wirtschaftsweg führt direkt am „Sortengarten“ vorbei. Auf der großen Wiesenlandschaft stehen mittlerweile 200 Bäume. Der gut beschilderte Garten ist einer der größten und bietet einen hervorragenden Einblick in die Vielfalt der Apfel- und Birnensorten – insgesamt sind 135 unterschiedliche Sorten zu sehen.
Der vorbildliche Sortengarten wurde in das bundesweite Sortenerhaltungsprogramm aufgenommen; Foto: Hans-Bernd Heier
Der ursprünglich von privater Hand angelegte Sortengarten gehört heute dem „Streuobstkreis Wiesbaden e. V.“ an. Bei der Bepflanzung des Gartens wurden überwiegend Arten von lokaler Bedeutung ausgewählt, die als „alte Sorten“ gelten oder aber in ihrem Fortbestand gefährdet sind. Neben Apfel- und Birnensorten sind als weitere typische Vertreter des Streuobstanbaus auch Mirabelle, Süßkirsche, Speierling sowie Walnuss gepflanzt worden. Alle Bäume sind mit einem Sortennamen-Schild gekennzeichnet – mit besonderem Hinweis auf die hessischen Lokalsorten. Streuobstarten sind, wie die Vereinsleitung betont, „durch eine hohe Vitalität gekennzeichnet“. So können Apfelbäume bei entsprechender Pflege über 100 Jahre und Birnbäume sogar bis zu 200 Jahre alt werden.
Weitere Informationen unter: www.autobahnkirche-medenbach.de und www.streuobstroute-nassauer-land.de