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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Studio-Konzerte im Westend“ mit der Pianistin Angelika Nebel

Einmal Corona vergessen, Musik direkt erleben und die Seele in Schwingung bringen

Prof. Angelika Nebel in ihrem Studio in der Friedrichstraße; alle Fotos: Petra Kammann

Seit dem vergangenen Frühjahr wurde die Welt in Atem gehalten. Etliche Konzerte fielen aus. Ausübenden Musikern brachen nicht nur die Einnahmen weg, sondern auch das Publikum. Welche Konsequenzen hat daraus die Frankfurter Pianistin Prof. Angelika Nebel gezogen?  Ab Juni lud sie zunächst Freunde in ihr Studio im Westend ein, sechs an der Zahl. Ob der hohen Nachfrage zog sie sodann ins benachbarte Teehaus Chá Dào um, wo die vorgeschriebenen Abstandsregeln eingehalten werden konnten. Der erneute und verschärfte Lockdown warf sie wieder auf ihr Studio zurück, ließ dann nur noch zwei Personen zu und zuletzt gar nur noch eine. Da stellte sich für Petra Kammann die  Frage: Kann eine Person überhaupt ein Publikum, das qua Definition immer aus vielen besteht, ersetzen?

Diese Frage begleitete mich schon auf dem Weg dorthin. Ich hatte mich bewusst nicht erkundigt, wie das Programm lauten sollte. Natürlich empfand ich es als ungeheures Privileg, dem 27. Studio-Konzert als Einzelperson beiwohnen zu können und zu dürfen, unmittelbar am Geschehen zu sein. Doch beschlichen mich auch Zweifel. Könnte ich allein überhaupt den Applaus eines begeisterten Publikums ersetzen? Wäre es angemessen, so nahe am Geschehen zu klatschen? Und wenn ja, wie denn, begeistert oder eher diskret? Dürfte ich Zwischenfragen stellen, ohne die Konzentration der Pianistin zu beeinträchtigen? Und in meinem speziellen Fall: Dürfte ich sie während des Zuhörens außerdem auch noch fotografieren? Würde sie das bei konzentriertem Spiel und mich vom entsprechenden Zuhören ablenken?

Erläuterungen zwischen den einzelnen Stücken

Mit ihrem freundlich zugewandtem Optimismus begann die Pianistin das Ein-Personen-Konzert gewissermaßen mit dem Resümee des vergangenen Jahres in Form einer Bachschen Transkription aus dem ‚Orgelbüchlein‘ BWV 614Das alte Jahr vergangen ist“ durch den polnischen Pianisten und Musikpädagogen Carl Tausig (1841-1871). Auf das Genre der Bach-Transkriptionen kann sie immer wieder zurückgreifen, weil sie es fast eine Dekade lang erarbeitet hat mit Komponisten unterschiedlichster europäischer Länder. Allein 5 CDs sind die Frucht dieser intensiven Beschäftigung.

Das nächste Stück „Allegro assai“ ging dann mit einem Tempowechsel einher zu einer Auswahl von zweien der „Drei Klavierstücke aus dem Nachlass“ D 946 von Franz Schubert, die er kurz vor seinem Tode aufgeschrieben hat und die erst 1868 von keinem Geringeren als von Johannes Brahms herausgegeben wurden. Diese Kompositionen sind völlig zu Unrecht längst nicht so bekannt wie Schuberts frühere „Impromptus“ oder „Moments Musicaux“, loten sie doch auch eine größere Tiefe aus mit den in ihnen enthaltenen tragischen und beunruhigenden Momenten, wie man sie aus Schuberts „Winterreise“ kennt.

Konzentriertes Spiel im Studio

Um ihre große Variationsbreite vorzuführen, stellte Nebel eine 2020 entstandene eigene Bearbeitung des vierten der insgesamt sechs Schübler-Choräle mit dem Titel ,Meine Seele erhebt den Herren‘  BWV 648 zwischen die beiden nachgelassenen Schubert-Klavierstücke ‘. Sie sind bisweilen auf der Orgel zu erleben. Auf dem Klavier bleibt die Bachsche Grundkomposition sehr wohl transparent. Nahe an der Komposition zu bleiben, ist der Pianistin auch  wichtig. Hier kommt eine hellere Klangfarbigkeit zum Ausdruck und das Dialogische des Bachchorals wird pianistisch völlig selbstverständlich aufgefangen.

Sehr schön dann auch der Übergang zum getragenen präzise durchkomponierten 2. Satz (Largo) aus Bachs Klavierkonzert BWV 1056, bearbeitet vom französisch-schweizerischen Komponisten Alfred Cortot (1877 -1962). Bekannt wurde der Komponist und Klavierpädagoge vor allem durch seine anspruchsvollen „Grundbegriffe der Klaviertechnik“ (Editions Salabert).

Eine Art Höhepunkt dieses besonderen, romantisch inspirierten Programms bildete schließlich die zwischen 1836 bis 1838 von Robert Schumann komponierte Fantasie C-Dur, op. 17. Diese komplexe und herausragende Klavierkomposition, die durchdrungen ist von einer Fülle poetisch-musikalischer Bezüge und ebenso gezeichnet von der unglücklich-melancholischen Stimmung des Sommers 1836, in der Robert Schumann seine Liebe zu der Pianistin Clara Wieck für sich verloren glauben musste.

„Franz Liszt und Clara Wieck erhielten die Fantasie im April und Mai 1839. Schumann informierte Liszt im Januar 1839 über die Widmung und zeigte sich besorgt, daß das Werk wohl kein Publikumserfolg werden würde. Im Brief vom 1. März nahm Liszt die Widmung mit Freude an und versicherte Schumann, daß, wie ungeeignet das Werk für öffentliche Aufführungen sei, er ohne Zweifel alles daran setzen werde, dem Werk zu dem ihm gebührenden Erfolg zu verhelfen“ Zitat aus: Robert Schumann, Interpretationen seiner Werke, hrsg. von Helmut Loos (Laaber Verlag).

Der von Nebel sehr feinfühlig gespielte 3. Satz, der eher beruhigend-versöhnlich erscheint, birgt aber auch kraftvolle Steigerungen mit leidenschaftlichem Ausdruck in sich. Diese Spannung, sowohl die meditativen Passagen leise zu halten, als auch ihre energischen und aufbäumenden Einschübe stringent hervortreten zu lassen, ist der Pianistin vollends gelungen bis zum Verklingen des Schlussakkords, der noch eine Weile nachhallt.

Der Blick auf den lautespielenden Putto von Rosso Fiorentino im Hintergrund des Studios lässt die Besucherin beflügelt zurück

Natürlich möchte ich wissen, wie sie ein solches Programm konzipiert, und ob es für einen bestimmten Zeitraum gedacht ist. Es sei eine Freude für sie, für jeweils eine neue Gruppe jeweils ein neues Programm fast aus dem Stand zu entwickeln, da sie frei über ihr Repertoire verfügen kann, was ihr besonders großen Spaß bereitet. Und sie holt weiter aus.

Durch ihre gesamte musikalische Karriere hätte sie stets drei Prinzipien beherzigt. Da sei sie durch eine Zeile aus Rilkes Satz aus dem Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“ Du mußt dein Leben ändern gestoßen, in dem es zum Schluss heißt: „Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz /unter der Schultern durchsichtigem Sturz / und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;/ und bräche nicht aus allen seinen Rändern/ aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.“  Bereits als junges Mädchen habe sie sich die Frage nach Kunst oder Leben gestellt, und wie und ob beides miteinander zu vereinbaren sei.

Dann sei es der Lyriker Joseph von Eichendorff mit seinem Gedicht „Wünschelrute“ gewesen, das sie stark beeinflusst habe. Ihr wurde klar, dass jedes Musikstück immer wieder zu neuem Leben erweckt werden müsse: Schläft ein Lied in allen Dingen,/ Die da träumen fort und fort,/ Und die Welt hebt an zu singen,/Triffst du nur das Zauberwort.“ Auch ein Konzert mit nur einer kleinen Gruppe sei erfüllend, weil man dort an Hand von Gesten. Mimik, Körperhaltung und Blicken die emotionale Wirkung des Gebotenen unmittelbar ablesen könne.

Und zu guter Letzt war es der Dichter Friedrich Hölderlin, der ihr den Blick für die Dialogsituation unter Künstlern geöffnet habe, wo es im „Hyperion“ an Bellamin heißt: „Die Psyche unter Freunden, das Entstehen des Gedankens im Gespräch und Brief ist Künstlern nötig. Sonst haben wir keinen für uns selbst, sondern er gehöret dem heiligen Bilde, das wir bilden.“

Natürlich wünschen wir der Pianistin bei dem interessanten Repertoire demnächst sehr viel mehr Zuhörer als derzeit möglich, so wie sie es früher gewohnt war, gleich ob bei ihren Auftritten in den verschiedenen Radiosendern, auf Musikfestivals und Konzerten im In- und Ausland, als Liedbegleiterin oder auf der Hochschule, wo sie zuletzt in Düsseldorf als Professorin der Robert Schumann Hochschule (1995 – 2014)  das Spektrum der Klavierliteratur umfassendes Repertoires des 18.-21. Jahrhunderts mit ihren Studenten erarbeiten konnte, unbekannte Kompositionen inklusive.

INFO

Die Konzerte finden wöchentlich an Samstagen um 18.30 Uhr statt.

Konzertort: Friedrichstraße 10, 60323 Frankfurt
Angesichts der aktuellen Corona-Regeln, bietet Frau Prof. Nebel auch Konzerte für eine Person an. Verbunden mit einer kurzen Einführung beträgt die Dauer eines Konzertes etwa eine Stunde. Kosten pro Person: 20 €
Es liegen CDs aus, die man erwerben kann (Single-CD je 15 €, Doppel-CD 20 €). Auf Wunsch mit Signatur.
Da das benachbarte Frankfurter Teehaus derzeit nicht geöffnet hat, lädt sie ihre Gäste, wenn gewünscht, im Anschluss an das Konzert gerne noch zum Gespräch und zu einer Kleinigkeit zum Genießen ein.
Kontaktformular unter:

 www.angelikanebel.de 

 

 

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