Robert Schumann-Abend im Frankfurter Teehaus Chá Dào -China Tea & Art
Zeit für Kammermusik: Leise, aphoristisch, heiter, introspektiv und voller Nachhall
Schumanns „Kinderszenen“ und „Waldszenen“ – Ein Gesprächskonzert mit der Privatdozentin und Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle und der Pianistin und Professorin Angelika Nebel
Von Petra Kammann
Die Pianistin Prof. Angelika Nebel und Musikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Kienzle im Gespräch über Robert Schumann; Fotos: Petra Kammann
Da in Corona-Zeiten die Konzerthäuser nur zu einem kleinen Prozentsatz belegt werden dürfen, ist nicht nur für die Musiker, sondern auch für das musikliebende Publikum guter Rat teuer, bleibt doch der Hunger nach Musik ungestillt. Also ist Kreativität gefragt, so sucht auch der eine oder die andere nach Ausweichmöglichkeiten. Die Pianistin und ehemalige Klavierprofessorin Prof. Angelika Nebel an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf hat aus der Not eine Tugend gemacht und allwöchentlich einem kleinen Publikum die Möglichkeit gegeben, in ihr privates Domizil ins Westend zu „Studiokonzerten“ zu kommen, wo sie unter den gegebenen Hygienebedingungen jedoch gerade mal sechs Personen erreichte. Ob des angeregten feinen, kleinen Publikums ging die kleine Gruppe dafür dann anschließend ins nahegelegenen Teehaus, das sich als Ort der Entspannung und Erholung, als Ort der Begegnung und der Kultur begreift, um dort weiter zu diskutieren. Und schon bot ihr der Besitzer Gerhard Thamm ihr diesen Ort als alternativen Auftrittsort an.
Die Atmosphäre des Teehauses Chá Dào im Frankfurter Westend
Gesagt, getan. Um nun die Musik noch lebendiger zu machen, hat sich die Piano-Professorin zusätzlich mit der Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle zusammengetan, um das Hörerlebnis des Publikums durch deren Kenntnisse weiter zu schärfen und zu bereichern. Hinzukommt, dass im geräumigeren Teehaus nicht nur etliche Menschen mehr Platz finden, sondern auch der Konzertflügel selbst, auf dem die Pianistin spielen kann. So lässt sich hier ein Konzert erleben, bei dem man in der Pause auch noch Tee trinken und ein paar Leckerbissen zu sich nehmen kann und bei dem man der Pianistin mit Abstand ganz nah ist. So fand an diesem ungewöhnlichen Konzertort am vorletzten Sonntag der dritte Schumann-Abend statt. Zwar würde man in dem Ambiente des asiatisch angehauchten Teehauses eher Musiker erwarten, die zum Beispiel ein Konzert für chinesische Zithern geben. Aber ist nicht gerade bei Asiaten die klassische und romantische Musik besonders beliebt?
Die Romantik-Kennerin Ulrike Kienzle führt in Robert Schumanns „Kinderszenen“ und „Waldszenen“ ein
Dazu die literarisch-musikalisch beschlagene Ulrike Kienzle. Sie ist in Frankfurt weiß Gott keine Unbekannte, tritt sie doch hin und wieder mit dem Pianisten Michel Gees im Goethehaus auf, wie zum Beispiel demnächst am 3. November mit einem kommentierten Beethoven-Abend. In der von ihr kuratierten Ausstellung im Karmeliterkloster anlässlich des 200. Geburtstags von Clara Schumann (1819–1896) im vergangenen Jahr hat sie zuletzt auf eindrucksvolle Weise das Leben und Wirken dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit mit internationaler Strahlkraft, der Pianistin, Komponistin, Pädagogin und Ehefrau Robert Schumanns, in den Mittelpunkt des Frankfurter Musiklebens im 19. Jahrhundert gestellt. Voller Anerkennung gesteht die Musikprofessorin Nebel in ihrer kurzen Begrüßungsansprache, sie selbst habe diese fundierte Ausstellung sogar viermal besucht…
Im Gesprächskonzert im Westend erläutert Kienzle die Hintergründe zu Schumanns berühmten 1838 entstandenen „Kinderszenen“. Sie beschreibt sie als romantisches Charakterstück ebenso wie seine eher seltener gespielten „Waldszenen“, die später, nämlich 1848/49 im Schicksalsjahr der Revolution, entstanden. Sie spricht über die Bedeutung des unverbildeten und empfänglichen Kindes für die Romantiker und deren Sehnsucht nach der unmittelbaren Natur, nach dem Wald als Sehnsuchtslandschaft. Motive, die Schumann zu seinen Kompositionen inspiriert haben dürften.
So habe er sich beim Komponieren der „Kinderszenen“, die sich eher an Erwachsene, denn an Kinder richteten, wohl in seine eigene Kindheit zurückgesetzt fühlt, zweifellos aber auch habe er das Kind Clara Wieck, seine spätere Frau Clara Schumann im Kopf gehabt, in die er sich verliebte, war er ihr doch zum erstmal begegnet, als sie erst 11 war. So schrieb er an Clara im März 1838, dass er „an die 30 kleine putzige Dinger geschrieben“ habe, und davon „zwölf ausgelesen und ‚Kinderscenen‘ genannt“. Ihr hat er seine kompositorischen Träume und ,Miniaturen heiteren Charakters‘ zugedacht: Träume vom künftigen Glück, das Claras Vater Wieck zu vereiteln trachtete, indem er versuchte, deren Heirat mit Robert Schumann zu verhindern.
Die Pianistin Angelika Nebel greift den Wechsel der in diesen musikalischen Aphorismen sich widersprechenden Gefühle mit großer Spielfreude auf, mal temporeich und ungestüm wie beim „Haschemann“, dann auch wieder zurückgenommen, in der Wiederholung wie in im Raum schwebenden „Glückes genug“. Kindliche Freude wechseln mit melancholischen Aphorismen wie in „Fast zu ernst“ oder weich vor sich hinträumend beim „Kind im Einschlummern“ ab. Der Wechsel von Dur zu Moll, von den zartesten bis zu den wild-aufbrechenden Passagen spiegelt das Spektrum der Gefühle. Wenn zum Abschluss „Der Dichter spricht“, dann klingt es schon fast wie ein Choral von Bach… Auch diese Szene spielt Nebel angemessen und mit großer Ausdruckskraft, so dass das Publikum am Ende den letzten Anschlag erst einmal ausklingen lässt, bevor es begeistert klatscht.
Begeistert tritt die Pianistin und ehemalige Musikprofessorin Angelika Nebel mit dem Publikum in Kontakt
Schumanns „Waldszenen“ beendet der 49-Jährige Robert Schumann, als die Welt ob der Erfindungen der Industriellen Revolution schon längst im Umbruch und der Wald schon als Ökotop gefährdet ist. Eine Reaktion auf das neue und wachsende Leben in der Stadt. Schumanns „Waldszenen“ sind ein musikalischer Waldspaziergang, dabei durchaus nicht immer harmonisch. Bedrohlich etwa klingt der „Jäger auf der Lauer“. Im grünen Dickicht und in der Einsamkeit erscheint die perlende Arabeske des Vogels als geradezu prophetisch, während das darauffolgende „Jagdlied“ eher aggressiv gestimmt ist, bevor der „Abschied“ in totaler Stille verhaltend mündet.
Fein und humorvoll reagiert die Pianistin auf die Reaktion des konzentrierten Publikums, indem sie sagt: „Es scheint, dass Sie nicht weichen wollen“ und bietet daraufhin noch eine Zugabe an, die sie selber komponiert hat: Eine Klaviervariation über Bachs Choralvorsatz ‚Aria aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach‘: „Willst du dein Herz mir schenken“. Berückend. So klingen die aphoristischen Miniaturen auf dem Heimweg dann noch nach.