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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Alt sind nur die anderen“ Lily Bretts Beobachtungen über New York und das Alter

Von Simone Hamm

Lily Bretts jüngst erschienener Erzählband ist kein Buch über das Altern an sich. Es ist ein Buch über das Altern in New York, der Stadt, in der die Australierin Lily Brett seit vielen Jahren lebt, der Stadt ihres Herzens. Lily Brett beschreibt ein unbeschwertes Leben in einer unbeschwerten Stadt – vor Ausbruch von Covid 19. Ein Leben, in dem jeder sich so geben kann, wie er ist.

Sie findet es wunderbar, dass in New York niemand nach seinem Äußeren beurteilt wird. Auf einer Vernissage trage einer ein Jacket aus Plastik, ein anderer erscheine in Haute couture. Natürlich gäbe es tausende von großartig gekleideten Menschen, aber es gingen eben auch Leute morgens im Schlafanzug los, um ihre Milch oder die Zeitung einzukaufen. Das mag sie.

 

Lily Brett wurde 1946 im bayerischen Feldafing geboren. In einem Lager. Ihre Eltern, polnische Juden aus Lodz, hatten als einzige Familienmitglieder Auschwitz überlebt. 1948 wanderte die Familie nach Australien aus und ließ sich in Melbourne nieder.

Seit 1989 lebt Lily mit ihrem zweiten Ehemann, dem Maler David Rankin, in New York City, mitten in Manhattan, in SoHo. Ihre Mutter lebt schon lange nicht mehr. Lily Brett hat vor ein paar Jahren ihren inzwischen 100-jährigen Vater von Australien nach New York geholt. Er ist für sie ein Vorbild dafür, in Würde zu altern – und die Dinge mit Humor zu nehmen. Augenzwinkernd erzählt sie von seiner Vorliebe für Frauen mit großen Brüsten und für Schokolade.

In ihren autobiografischen Kolumnen geht es häufig ums Essen und ums Dickwerden. Kennte man Lily Brett nur aus ihren Büchern, würde man sie sich anders vorstellen. Lily Brett ist eine große, schlanke, überaus attraktive und sehr elegante Frau. Als ich sie zum ersten Mal treffe, trägt sie zwei dünne Mäntel übereinander. Das trage weniger auf als ein dicker Mantel.

Aber da ist noch etwas anderes als nur der starke Wille schlank zu sein, es hat etwas geradezu Existentialistisches. Andere Mütter wollten, so Lily Brett, dass ihre Töchter Wissenschaftlerinnen werden oder irgendetwas anderes Beindruckendes. Ihre Mutter wollte nur, dass sie dünn ist. Als sie jung war, wurde sie oft gefragt, ob sie immer schon Schriftstellerin hatte werden wollen. Nein, sagte sie, sie wollte einfach immer nur dünn sein.

Dabei war ihre Mutter durchaus keine nur auf Schönheit fixierte Frau oder gar besessen davon, eine gute Figur zu haben. Es hat ganz andere Gründe, warum sie Dünnsein für lebensnotwendig hielt. Im Konzentrationslager galt jeder, der Zugang zu Essen hatte, als verdächtig. Er hätte ein Kapo sein oder etwas Unredliches getan haben können. Die Selbstkontrolle zu behalten, war da überaus wichtig.

Ihren Glauben an Gott haben Lily Bretts Eltern im Konzentrationslager allerdings verloren. Ihre Mutter war wütend. Sie war nicht wütend auf die Deutschen, sondern auf Gott. So durfte Lily Brett nicht in die Synagoge gehen. Als sie ihre Mutter  fragte, ob sie einer jüdischen Organisation beitreten dürfe, starrte die Mutter sie an, als ob sie Serienkillerin werden wollte.

Das New York, das Lily Brett nun in „Alt sind nur die anderen“ beschreibt, gibt es so nicht mehr. Zitat :“Ich liebe Städte. Ganz besonders dicht bevölkerte Städte wie New York. In New York muss man sich keine Gedanken darüber machen, wie alt man ist. Was mich, seit ich letztes Jahr siebzig wurde, zunehmend beschäftigt. Zu einer vielfältigen kleinen oder großen Menge von Leuten gehört etwas Altersloses. Man nimmt Teil an einem gemeinschaftlichen Erleben, das nichts mit dem eigenen Alter oder dem Alter der anderen zu tun hat.“

Die Schriftstellerin nimmt die Leser und Leserinnen in „Alt sind nur die anderen“ mit auf  ihre Spaziergänge durch ihr Viertel, auf ihren Weg in die Bäckerei, zum Schneider, ins Café, in den Apple store, wo zwei junge Kundenberater in einem Ton mit ihr sprechen, wie man mit einer Dreijährigen spricht. Sie berichtet von einer Augenoperation, nach der sie wieder gut sehen kann. Das, was sie bislang für einen stets an derselben Stelle stillsitzenden Hund gehalten hat, entpuppt sich als Hydrant.

Sie  nähert sich der Metropole und ihren Bewohnern mit einer Mischung aus geradezu naivem Staunen und voller Witz . „Alt sind nur die anderen“ ist darü+berhinaus ein sehr persönliches Buch. Sie erzählt darin von ihren Ängsten, ihren Neurosen, ihren Psychoanalysen – und von ihren Glücksmomenten. Sie erzählt so ehrlich wie irgend möglich von sich, denn sie hofft, dass die Leser dann sagen: Wir Menschen sind gar nicht so verschieden. Wir haben alle dieselben Probleme.

Lily Brett schreibt Vignetten in klarer einfacher Sprache, pointierte Alltagsbeobachtungen. Kurze, wenige Seiten lange, eher journalistische denn poetische Betrachtungen. „Seit fast 30 Jahren lebe ich nun schon in New York. Ich liebe diese Stadt. Aber wie in allen Liebesbeziehungen, flüchtigen oder auch lebenslangen, gibt es schwierige Phasen.“

In den letzten Monaten wurde Lily Brettes Liebe zu New York hart auf die Probe gestellt.

Ob New York, die Stadt in der das Altern offenbar leichter fällt als anderswo, je wieder so sein wird wie vor Corona, wieder so, wie Lily Brett sie in vielen Büchern beschrieben hat, das vermag zwangsläufig auch sie nicht zu beantworten. Aber sie hofft es stark, weil sie überzeugt ist, dass New York habe eine unbändige Energie hat.

Sie ist fest davon überzeugt, dass die Dynamik dieser Stadt nicht verloren geht. New York sei immer ein intellektuelles Zentrum gewesen und das werde es weiterhin sein. Jetzt stünden zwar viele Bürohäuser leer, vielleicht würden aber sogar auch die Mieten sinken, so dass die Künstler, die es sich inzwischen nicht mehr nicht leisten konnten, hier zu wohnen, wieder zurückkommen könnten.

Lily Brett sieht die Zukunft der Hauptstadt der Welt mit der unerschütterlichen Zuversicht einer New Yorkerin.

 

Der Erzählband ist im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 81 Seiten und kostet 15 €.

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