Frankfurt als Hochhaus-Pionier in der Bundesrepublik
Kultur und Skyline
Lebensgefühl im Spiegel der Kolossalarchitektur
von Gunnar Schanno
Blick vom Osten auf den EZB-Turm und die Skyline von Frankfurt, Alle Fotos: Petra Kammann
Städtebauliche Veränderungen wirken immer auch auf die Lebenswelt der Menschen, der Bürger, die sich den öffentlichen Raum teilen. So wie im heimeligen Freiburg Südbadens vor einigen Jahrzehnten es dem hier Berichtenden geschah. Da schweifte im Schulraum der Blick weg von Lehrer und Tafel hinaus auf ein Stockwerk um Stockwerk wachsendes Haus. Gerade mal zehn Etagen hoch sollte es werden. Aber staunend darüber, was da über rote Ziegeldächer hinaus zu ragen begann, seltsam sich abhob vom vertrauten Bild altstädtischer, schrägdachiger Silhouette, war die Aufmerksamkeit für diese architektonische Spezies geweckt.
Auf einmal waren überall Artefakte dieser Art des Architektonischen auch medial zu entdecken: auf Postkarten, in Gazetten, in Televisionsberichten und im Blick darauf immer häufiger wahrgenommen das Dominierende von Bauten gestapelter Etagen in schwindelnde Höhen. Nicht Kamine oder Türme also, sondern die Faszination des Erahnens belebter Räumlichkeiten und Interieurs hinter fast unzähligen Fensterreihen eine über der anderen, die in beginnender Abenddämmerung nach außen ihre wechselnd aufleuchtenden Lichterreihen zur Erscheinung bringen.
Es geht zunächst auch nicht um die funktionale, also zivilisatorische Leistung des material Möglichen von urban baulichem Verdichten in besagte Himmelshöhen. Es geht um eine sich ständig verändernde Lebenswelt und somit um das allgemeine Kulturempfinden, wie es heute das Leben buchstäblich von Milliarden Menschen bis in ostasiatische Räume prägt. Und so war es die alterfahrene Handelsmetropole Frankfurt am Main, die für die noch junge Bundesrepublik der ersten Nachkriegsjahrzehnten dieses Empfinden pionierhaft geprägt hatte.
Wer kennt nicht die Hochhauskulisse von Frankfurt, genauer: die Skyline, wenn die Fahrt vom Taunus nach Frankfurt führt, mitten in die City hinein. Passt Skyline der Hochbauten zur Silhouette von Fachwerk und Kirchtürmen? Ja, sie passt!
Blick von Sachsenhausen auf den Eisernen Steg und die Stadtmitte mit Paulskirche und Kaiserdom
Frankfurt war wohl auch die einzige Stadt, die ihre Türme schon einige Male in Wolkenkratzer-Festivals gefeiert und wie in kleinen Volksfesten Frankfurtern und Auswärtigen auf einer Wolkenkratzer-Route vorgestellt hatte. Egal, ob sich Jahre davor Widerstand gegen ihre Errichtung mit oft guten Argumenten geregt hatte: letztlich siegten sie, die architektonischen Zeitgeist-Kolosse und wurden im Gesamtempfinden durchaus zum Stolz der Stadt.
Stolz ist Begrifflichkeit aus dem Emotionalen, also aus dem Reich des Kulturempfindens, das sich versöhnt hat mit zivilisatorisch überdimensioniert geschaffener Bauwelt. Diese ist nicht mehr vorwurfshaft Machtausdruck kapitalistischer Unternehmenszentralen. Dies kann es nicht mehr alleine sein seit Verbreitung der Kolosse, durchaus als sichtbar gewordene Parallele zu religiöser und ideologischer Macht bis in theokratische Räume des Orients und in ein immer noch real existierend kommunistisches Riesenreich hinein.
Grundsätzlich gilt seit Pyramidenzeiten, was auch die Frankfurter Wolkenkratzer beweisen: In nichts exprimiert sich eine Kultur augenfälliger und gebieterischer als in den vertikalen Superlativen ihrer Hochbauten. Das rational Zivilisatorische, das Grund und Boden verdichtend Vertikale, die Meisterleistungen der Statik dieser architektonischen Spezies, all dies hatte gerade in den letzten zwei, drei Jahrzehnten nicht nur für Frankfurt ihre Blütezeit. Wenn Globalisierung zum Schlagwort geworden ist, dann gilt dies auch für die Verbreitung jener volkstümlich und wortbildlich ‚Wolkenkratzer‘ genannten Kolossalarchitektur.
Die USA im Sinne des Stammlands der „Skyscrapers“ und ihre Geburtsstätten New York und Chicago haben besagterweise in fernöstlichen Metropolen ihre Kolonien erhalten, die mächtig Paroli bieten und an Metern selbst die höchsten amerikanischen Bürotürme ausstechen. Und in Europa hat sich also in den ersten Nachkriegsjahrzehnten doch tatsächlich allein Frankfurt am Main zur europäischen Kapitale der Hochhausarchitektur entwickelt.
Blick vom Eisernen Steg auf die Dreikönigskirche, den Kolhoff-Turm, Main-Plaza, und das EZB-Gebäude
Wer New York ins Spiel bringt, weiß, dass die Konkurrenz anderer Metropolen mit himmelstürmenden Hochbauten und bizarren Skylines dieser Stadt, genauer, ihrem Stadtteil Manhattan, nichts anhaben kann. Es ist die charakteristische wie urbane Mischung von Stadtleben, Häusertürmen und Atmosphäre, die Manhattan zu einer Einheit in schier unendlicher Vielfalt geformt hat. Eins der Geheimnisse mag sein, dass diese Habitat auf nicht mehr als vier mal zwanzig Kilometern Siedlungsfläche zwischen den Ufern des Hudson und des East River stets auf sich selbst und aufs Neue zurückgeworfen wird und somit sich immer hat zwingen müssen, Stadtschicht nach Stadtschicht in je neuer baulicher Dimension und Lebenswelt zu errichten. Immerhin, auch für Frankfurt gilt, dass städtische Verdichtung wie ein legitimierender Grund für seinen Hochhausbau wurde. Wer Wolkenkratzer in die weite Wüste baut, da ist mehr machtvolle Demonstration des finanziellen Könnens denn Notwendigkeit dazu im Motiv zu erkennen.
Für alle Wolkenkratzer aber gilt: die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist ihnen sicher, sobald die Fundamente gelegt sind. Dies ist am Hudson nicht anders als am Main oder sonst wo in der Welt der urbanen Ballungszentren. Die Frankfurter waren verwegen genug, sich ihren topographischen Namensbestandteil ‚Main‘ wortspielerisch, doch nicht ganz unbescheiden, mit jenem Namen des weltweit mächtigsten Auswuchses an metropolitaner Architektur, mit jenem Manhattan nämlich, in einen Wortmix zu ‚Mainhattan‘ zu bringen.
Blick auf das Commerzbank-Hochhaus und den Westhafen, in dem neue Türme entstehen
Doch wie die fernöstlichen Metropolen, so ist auch Frankfurt in der Hierarchie der Wolkenkratzerstädte ein Aufsteiger. Zu unterscheiden ist wohlgemerkt zwischen Hochhaus und Wolkenkratzer. Seine an die dreißig Stockwerke und an die hundert Meter an Höhe sollten es schon sein, um als veritabler Wolkenkratzer zu gelten. Von diesen Veritablen hat die Mainmetropole inzwischen einige Dutzend und kann sie ‚proudly‘ präsentieren wie eine Show ihre Stars – ganz ausdrücklich geschah dies auf jenen Wolkenkratzer-Festivals. Tausende kamen schon bei den bisherigen Festivals und standen Schlange an den Lifts hinauf zu den himmelhohen Dächern von Büro-, Messe- oder Banktowern.
Im Blick der Bürger und in Sicht ihres Lebensgefühls sind also die architektonischen Leistungen der Kolossalarchitektur staunend ganz in den Vordergrund getreten. Über das Faszinierende der Hochhaus-Ensembles konnten Skyline und Kultur zusammenfinden.