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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O’Neill

Der belgische Regisseur Luk Perceval, bekannt vom Schauspiel Frankfurt, inszenierte diesmal am Schauspiel Köln.

Von Simone Hamm

Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O’Neill, Regie: Luk Perceval
Foto v.l.n.r: Maria Shulga, Seán McDonagh, André Jung, Astrid Meyerfeldt und Nikolay Sidorenko, Foto: Krafft Angerer/ Schauspiel Köln

Luk Perceval gilt als einer klügsten und ambitionierten Regisseure, die derzeit in Deutschland inszenieren. In der vergangenen Spielzeit hat Perceval in Köln das in Gent uraufgeführte „Black / the Sorrows of Belgium“ gezeigt. Er stützte sich dabei auf den Bericht eines der ersten Kongo-Reisenden, des schwarzen Missionars William Henry Sheppard, der 1890 nach Afrika gereist war. Dessen Entsetzen über die Gräueltaten der Kolonisten brachte Perceval in grandiosen Bildern auf die Bühne. Da standen die Schauspieler grell angeleuchtet auf einem Billardtisch, da tanzten sie wie irre geworden. Da prasselte von oben Wasser auf sie herab. Da kletterten sie an Schnüren, verzweifelt. Einen Ausweg gab es nicht. Es war ein bedruckender, ein meisterhafter  Abend. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen in Köln, als Luk Perceval jetzt Eugen O’ Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ inszenierte…

Auf die Guckkastenbühne hatte Bühnenbildner Philipp Bussmann  eine Wand gestellt, in die fünf nebeneinanderliegende grellerleuchtete Räume gebaut waren. Einen konnte man mit einer Treppe von oben, einen mit einer Leiter von unten erreichen. Die Räume sind nicht miteinander verbunden. Und in jedem dieser Zimmer steht ein Schauspieler und deklamiert. Selbst wenn etwa Vater und Sohn miteinander sprechen,  sind sie zunächst in verschiedenen Räumen (später erst begegnen sie einander) und sprechen zum Publikum. Damit betont  Perceval nicht nur die Vereinsamung und den Egoismus der handelnden Personen, die Unfähigkeit einander zuzuhören, sondern führt auch ad absurdum, was derzeit auf deutschen Bühnen so häufig zu sehen ist: Dass nämlich Schauspieler an der Rampe stehen und deklamieren, statt miteinander zu agieren.

André Jung und Astrid Meyerfeldt in „Eines langen Tages Reisein die Nacht“. Premiere der Luc Perceval-Inszenierung am 15.11.2019 im Depot 1,  Foto: Krafft Angerer/ Schauspiel Köln

O’Neill zeigt einen Tag der Familie Tyrone. Jeder ist süchtig. Die Mutter nach Morphium, der Vater und die Söhne nach Alkohol. Und alle gieren sie nach Anerkennung, geben sich wechselseitig die Schuld an ihrer Misere oder versinken in Selbstvorwürfen.

Der Vater war einst ein gefeierter Schauspieler, jetzt ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, glaubt sich kurz vor dem Bankrott.  Er sitzt meist reglos im Sessel, dem einzigen Möbelstück auf der Bühne – abgesehen von einem Klavier und einem Klavierschemel.

Die Schauspieler sind allesamt großartig, zeigen jede Nuance ihrer Verzweiflung. Das beginnt mit einer leisen Traurigkeit und endet mit aggressiven Vorhaltungen.

André Jung ist James Tyrone, geizig, larmoyant, aufbrausend. Nikolay Sidorenko ist der jüngere Sohn Edmund. Er soll das alter ego Eugen O’Neills  sein: verzweifelt, sterbenskrank, unglücklich, zurückhaltend, betrunken. Seán McDonagh ist sein älterer Bruder Jamie: zynisch, zornig, abhängig vom Vater wie vom Whiskey. Er ist ein gescheiterter, versoffener Schauspieler wie sein Vater. Die in ihren eigenen Welten lebende Mutter will nicht wahrhaben, wie krank ihre Söhne sind, tödlich krank der jüngste. Astrid Meyerfeldt gibt ihr viele Facetten. Zunächst ist sie die bemitleidens- und schützenswerte Ehefrau, die ihrem Mann von Tournee zu Tournee folgte. Doch im Laufe des Abends wird sie zum egozentrischen Monster.

Völlig emotionslos kommentiert das Dienstmädchen Cathleen, gespielt von Maria Shula, das Geschehen in den Zimmern. Und das Geschehen auf der Bühne. Denn Luk Perceval lässt sie die Regieanweisungen vorlesen. Da heißt es über Mary: „Ihre Hände spielen nervös an ihrem Kleid. Ihre Hände flattern.“ Aber natürlich bleiben die Hände ganz ruhig, flattern nur auf den Seiten mit O’Neills Regieanweisungen und in den Köpfen der Zuschauer. Manchmal setzt sich Cathleen ans Klavier, spielt ein paar minimalistische Akkorde. Weniger an Musik, an Dekoration geht nicht. Perceval setzt ganz aufs Stück, auf die Schauspieler.

Und doch tragen die kluge Konstruktion, das großartige Bühnenbild, die guten Schauspieler nicht für einen dreistündigen Abend. Das liegt in aller erster Linie am Stück selbst, an Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise durch die Nacht“.

Denn das könnte man besser auf die Bühne eines Boulevardtheaters bringen. Luk Perceval sieht in diesem ausgesprochen amerikanischen Drama eine Tiefe, die mir verborgen geblieben ist. Zu vorhersehbar ist das Credo von der Familie, die Schicksal ist. Zu statisch die Qual. Zu quälend der Abend.

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