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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

 „MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe“ im Städel

Schau der Superlative … doch wo steckt der legendäre Dr. Gachet?

Von Hans-Bernd Heier

Eingang zur Van Gogh-Ausstellung in den Gartenhallen des Städel, Foto: Petra Kammann

Nach fünfjähriger Vorbereitungszeit ist im Städel Museum eine Schau der Superlative zu bewundern: „MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe“. Die bis dato größte und aufwendigste Präsentation in der Geschichte des Städel beleuchtet die besondere Rolle, die deutsche Galeristen und Museen für die Erfolgsgeschichte des legendären Vorreiters der modernen Malerei spielten.

Mit 50 zentralen Arbeiten van Goghs aus allen Schaffensphasen ist die Ausstellung in den Gartenhallen, die bislang der Gegenwartskunst des Museums vorbehalten sind, die umfangreichste Präsentation mit Werken des Malers seit fast 20 Jahren in Deutschland. Statt des Ölgemäldes von Dr. Gachet, van Goghs berühmtestem Porträt, ist nur ein leerer Rahmen zu sehen.

Ungewöhnlich früh wurde van Goghs Kunst in Deutschland gesammelt. Vor 1914 befanden sich bereits rund 150 Werke des niederländischen Malers in deutschen Sammlungen. Die steigende Präsenz seiner Werke in Ausstellungen und Sammlungen wirkte sich auch auf das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern hierzulande aus. Viele reagierten begeistert auf die Begegnung mit Gemälden und Zeichnungen des Ausnahmekünstlers. Sie orientierten sich an seinen Motiven, an den kontrastreichen Farben sowie an seiner bewegten Mal- und Zeichenweise. Van Goghs persönliche und antiakademische Wiedergabe der Natur war für die nachfolgende Generation Befreiung und Bestätigung zugleich.

Ausstellungsansicht mit expressionistischen Werken; Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

„Heute mag die Begeisterung für Vincent van Gogh ein fast globales Phänomen sein, vor mehr als einhundert Jahren sah das noch anders aus. Unsere Ausstellung beleuchtet die Rolle, die van Goghs Rezeption im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für den ‚Mythos van Gogh‘ gespielt hat. Zunächst war es vor allem dem Wirken seiner Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger zu verdanken, dass der Maler nach seinem frühen Tod nicht in Vergessenheit geriet, bald aber waren es besonders Galeristen, Künstler, Sammler und Museumsdirektoren in Deutschland, viele von ihnen jüdischer Herkunft, die sich für van Goghs Malerei begeisterten und diese schließlich auch gegen nationalistische Tendenzen und politische Instrumentalisierung verteidigten“, so Städel-Direktor Dr. Philipp Demandt.

Besonders die Mitglieder der Künstlervereinigung Brücke in Dresden setzten sich intensiv mit van Gogh auseinander. 1905 sahen sie seine Werke in einer Dresdner Ausstellung. Für die jungen Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff wirkte dieses Erlebnis wie eine Offenbarung. Für die deutschen Expressionisten wurde van Goghs Malerei zum Vorbild und zur maßgeblichen Inspirationsquelle. „Ohne van Gogh wäre die deutsche Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts vollkommen anders verlaufen. Künstlergruppen wie ‚Die Brücke‘ oder ‚Der Blaue Reiter‘ haben ihre wesentlichen Impulse den Bildern van Goghs zu verdanken. Ziel unserer Ausstellung ist es, diese Zusammenhänge offen zu legen und die wegweisende Bedeutung van Goghs für die Kunst der Moderne in Deutschland sichtbar zu machen“, so der Mit-Kurator Dr. Felix Krämer, früher Städel-Kustos und jetzt Generaldirektor des Kunstpalasts Düsseldorf.

Ausstellungsansicht, Foto: Petra Kammann

„Seine Gemälde animierten sie dazu, reine Farben direkt aus der Tube auf die Leinwand zu bringen. Starke Kontraste, pastose Farbschichten und vereinfachte Formen bestimmten fortan ihre Werke. Sie wollten damit ihren unmittelbaren und unverfälschten Zugang zum Motiv unterstreichen, der sich nicht mehr an den Maßstäben der akademischen Malerei orientierte“, ergänzt Ko-Kurator Dr. Alexander Eiling, Leiter Kunst der Moderne im Städel Museum. Die Faszination für van Gogh war teilweise so ausgeprägt, dass Emil Nolde seinen Brücke-Mitstreitern riet, sich lieber „Van Goghiana“ zu nennen. Die Gemälde der deutschen Expressionisten treten in der gut gehängten Städel-Schau in einen äußerst reizvollen Dialog mit den Arbeiten des niederländischen Ausnahmekünstlers.

Die Erfolgsgeschichte van Goghs, der 1853 in Groot Zundert  geboren und 1890 in Auvers-sur-Seine bei Paris starb, ist eng mit dem Städel verbunden, wie die Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins, Sylvia von Metzler, betont: „Als der Städelsche Museums-Verein 1908 erste Werke Vincent van Goghs für das Städel Museum erwarb, war dies eine mutige und zukunftsweisende Entscheidung“. Beide Arbeiten – das Gemälde „Bauernhaus in Nuenen“ und die Zeichnung „Kartoffelpflanzerin – sind noch heute fester Bestandteil der Sammlung. Drei Jahre später gelangte eines der berühmtesten Gemälde van Goghs, das Bildnis „Dr. Gachet“, in das Museum.

Foto: Städel Museum, unter: findingvangogh.de

Das Bildnis des Dr. Gachet ist mythenumwoben wie kaum ein anderes Gemälde. „FINDING VAN GOGH“, der erste Podcast des Staedel Museums, erzählt in fünf Folgen die bewegte Geschichte des letzten großen Porträts von Vincent van Gogh: www.findingvangogh.de

Der leere Bilderrahmen von Vincent van Goghs „Bildnis des Dr. Gachet“ im Depot des Städel, 2001; Foto: Holde Schneider

Von dem Ölgemälde des Arztes Paul-Ferdinand Gachet aus Auvers-sur-Oise  bei Paris gibt es zwei Fassungen, die geringfügig in Farbgebung und Stil voneinander abweichen. Gemeinsam sind jedochwesentliche Elemente: Der sitzende Gachet stützt melancholisch, mit einem Ausdruck voller Weltschmerz seinen Kopf mit einer Hand ab. Beide Bildversionen hat Vincent van Gogh 1890, wenige Wochen vor seinem Suizid, gemalt. Keines dieser herausragenden Werke konnte er zu Lebzeiten verkaufen. Die erste Version erwarb das Frankfurter Museum 1911 zum Aufbau einer modernen Kunstsammlung, während die zweite Fassung als Vermächtnis von Paul Gachet in französischen Staatsbesitz gelangte und heute im Musée d’Orsay gezeigt wird.

Dr. Gachet war ein exzentrischer, umstrittener Nervenarzt, der auch selbst malte. Er galt als feinfühlig und kunstsinnig. Van Gogh sah in ihm seinen äußerlichen und innerlichen Doppelgänger, wie er in einem Brief  an Paul Gauguin schrieb. Er hielt ihn für mindestens ebenso krank wie sich selbst. Deshalb bezweifelte er auch, dass dieser ihm ernstlich helfen könnte. Dennoch fühlte er sich ihm eben dadurch auch besonders verbunden und sah in ihm bereits nach kürzester Zeit einen engen Freund. Das Porträt sei, so van Gogh in dem Schreiben, ein Selbstporträt, „der betroffene Gesichtsausdruck unserer Zeit“.

Nach dem Tod des Malers kam die erste Version des Gemäldes in den Besitz seines Bruders, Theo van Gogh, der bereits ein halbes Jahr nach seinem Bruder Vincent verstarb. Theos Witwe verkaufte es später für 300 Francs an eine dänische Sammlerin. 1911 konnte Georg Swarzenski, der junge Städel-Direktor das Meisterwerk mit finanzieller Hilfe des Frankfurter Ratsherrn Viktor Mössinger für das Städel erwerben. Dieses Spitzenwerk, das die Schnittstelle zwischen der Kunst des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne markierte, sollte zum Aushängeschild der Galerie werden.

In national-konservativen Kreisen wurde schon früh Kritik an der Ankaufpolitik deutscher Galerien geübt. 1911 initiierte der Worpsweder Landschaftsmaler Carl Vinnen eine Protestschrift gegen den Erwerb eines van Gogh-Gemäldes für die Kunsthalle Bremen. Insgesamt 123 Künstlerinnen und Künstler kritisierten an diesem Vorgang die vermeintliche Vormachtstellung des französischen Impressionismus in deutschen Museumssammlungen und die Verschwendung von Steuergeldern. Auf der anderen Seite verteidigten in einer Gegenschrift Museumsdirektoren, Kritiker, aber auch zahlreiche Künstler den Ankauf und betonten die Bedeutung einer zeitgenössischen internationalen Ausrichtung für die Ankaufspolitik der deutschen Museen.

Ausstellungsansicht mit Blick auf den einstigen Städel-Direktor Swarzenski; Foto: Petra Kammann

Nachdem Swarzenski die finanziellen Probleme gelöst hatte, schien zunächst alles in Ordnung. Doch einige Jahre später – mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten – wurde der Generaldirektor, der ohnehin schon wegen seiner progressiven Ankaufspolitik ins Fadenkreuz konservativer Kreise geraten war, wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Amt gedrängt. 1937 wurde das Bild von den Nationalsozialisten als sogenannte „entartete Kunst“ diffamiert und beschlagnahmt. Nur der jetzt in der Schau gezeigte leere Rahmen blieb im Museumsdepot.

Zunächst lagert Gachets Bildnis in einem Kornspeicher in Berlin, zusammen mit tausenden beschlagnahmter Kunstwerke. Hier fällt einem einer der führenden Nationalsozialisten, Generalfeldmarschall Hermann Göring, ins Auge. Er entscheidet, das Porträt  zusammen mit van Goghs „Garten von Daubigny“ sowie eine „Brückenlandschaft“ Paul Cézannes für eine halbe Million Reichsmark ins Ausland zu verkaufen. Für den Verlust des van Gogh im Zuge des „als Säuberungsaktion“ bezeichneten Raubs erhält das Städel aufgrund hartnäckigen Drängens im Rahmen einer von Göring angeordneten „Ausnahmeregelung“ als Gegenwert immerhin einen Betrag von 150.000 Reichsmark – wasweit unter dem tatsächlichen Wert lag.

Über etliche Umwege gelangt das Gemälde in Amsterdam in den Besitz des deutsch-amerikanischen Sammlers Siegfried Kramarsky. Diesem gelingt es, das Gemälde für eine Ausstellung nach London auszuleihen. Von dort geht die Reise des Dr. Gachet weiter nach New York,  wohin Kramarsky selbst über Kanada auch geflohen war. Im Metropolitian Museum in Manhattan wurde das sagenumwobene Bildnis als anonyme Leihgabe in der Ausstellung „French Paitings from David to Toulouse-Lautrec“ gezeigt.

Der frühere Rahmen für van Goghs berühmtes Gemälde musste leider leer bleiben. Alexander Eiling, Sammlungsleiter, Kunst der Moderne am Städel Museum, und Kurator der Ausstellung, hätte das „Bildnis des Dr. Gachet“ gern in der Ausstellung gezeigt; Foto: Petra Kammann 

Das Bildnis des Dr. Gachet ist nicht nur eine Ikone der Kunstgeschichte, sondern auch eine des Kunstmarkts. Es gehört zu den am teuersten verkauften Gemälden und wechselte bisher dreizehnmal seinen Besitzer. Kramarsks Erben ließen es am 15. Mai 1990 im New Yorker Auktionshaus Christie’s versteigern. Als Käufer der spektakulären Versteigerung trat der japanische Unternehmer Saitō Ryōei auf, der den Rekordpreis von 82,5 Millionen Dollar für das Gemälde bezahlte – den bis dahin höchsten Preis für ein Kunstwerk überhaupt.

Nachdem Saito, Ehrenpräsident des japanischen Papierkonzerns Dai Showa, das kapitale Werk erworben hatte, soll er gesagt haben: „Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.“ Doch dazu kam es, als er 1996 starb, gottlob nicht. Seitdem ist das Gemälde aber aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es befindet sich heute in unbekanntem Privatbesitz, vermutlich in der Schweiz. Diese dramatische Odyssee des letzten Porträts fügt sich nahtlos in das bewegte Leben van Goghs, des verkannten Maler-Genies am Rande des Wahnsinns.

Besucher der aktuell grandiosen Schau in Frankfurt brauchen dennoch nicht ganz auf Dr. Gachet zu verzichten: Neben dem leeren Rahmen ist eine kleine, eindrucksvolle Radierung in Rot mit seinem Bildnis zu sehen.

Ausstellungsansicht; Foto: Petra Kammann

In der Blockbuster-Schau, zu der rund 350.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden, gibt es mehr als 120 Gemälde und Arbeiten auf Papier zu sehen. Den Kern bilden 50 zentrale Werke von Vincent van Gogh aus allen Schaffensphasen. Zu sehen sind herausragende Leihgaben aus Privatsammlungen und führenden Museen weltweit. Einfluss und Wirkung van Goghs auf die nachfolgende Generation veranschaulichen in der Schau 70 Werke von deutschen Künstlerinnen und Künstlern, darunter so bekannte Namen wie Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Alexej von Jawlensky, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter.

Die Präsentation, die ausschließlich in Frankfurt zu sehen ist, wird von der Franz Dieter und Michaela Kaldewei Kulturstiftung und dem Städelschen Museums-Verein gefördert.

„MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe“ bis zum 16. Februar 2020 im Städel Museum; weitere Informationen unter:  www.städelmuseum.de

 

 

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