„Heinrich Mylius – Ein europäischer Bürger zwischen Frankfurt am Main und Mailand“ im Museum Giersch
Erfülltes Leben zwischen Kommerz, Kunst und Caritas
Von Hans-Bernd Heier
Heinrich Mylius ist in Frankfurt am Main nahezu in Vergessenheit geraten, obwohl die Stadt ihm zu Ehren im Westend eine Straße benannt hat. Doch Frankfurter denken bei diesem Namen eher an den im 19. Jahrhundert in der Mainmetropole wirkenden Fotografen Carl Friedrich Mylius als an den erfolgreichen Kaufmann, Kunstförderer und Mäzen. Zum 250. Geburtstag von Heinrich Mylius widmen das Museum Giersch der Goethe-Universität und die Villa Vigoni der vielseitigen Persönlichkeit eine Jubiläumsausstellung: „Heinrich Mylius (1769–1854) – Ein europäischer Bürger zwischen Frankfurt am Main und Mailand“.
Pelagio Palagi „Heinrich Mylius“, 1831, Öl auf Holz; Villa Vigoni, Loveno di Menaggio; © Archivio Fotografico Villa Vigoni
Die kleine, aber feine Schau spannt einen Bogen von den unternehmerischen, gemeinwohlverpflichteten und kulturellen Aktivitäten dieser imponierenden Persönlichkeit bis zu seinem Vermächtnis. Sie beleuchtet anhand von Gemälden, Skulpturen, Aquarellen, Druckgraphiken, Büchern und Archivalien, die mehrheitlich aus der Villa Vigoni stammen, die wichtigsten Stationen in Mylius‘ Leben.
Leihgaben haben zudem das Freie Deutsche Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, das Historische Museum Frankfurt, das Istituto dei Ciechi, Milano, die Klassik Stiftung Weimar, die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt und das Städel Museum beigesteuert.
Francesco Hayez „Friederike Mylius, geb. Schnauss“, 1828, Öl auf Holz; Villa Vigoni, Loveno di Menaggio; © Archivio Fotografico Villa Vigoni
Heinrich Mylius war ein erfolgreicher Kaufmann und Bankier sowie ein großherziger Mäzen. Dazu war er ein innovativer Kopf mit großer technischer Affinität, aber auch mit starkem sozialem Verantwortungsbewusstsein und kulturellem Engagement. In Frankfurt erhielt er zwar nur eine einfache Schulausbildung, aber „er verfügte über unternehmerisches Talent sowie über starke soziale wie menschliche Kompetenzen. In Folge seiner Einbindung in das europaweit agierende Frankfurter Handelsunternehmen „Mylius & Aldebert“ sowie mit dem Aufbau eigener Firmen entwickelte er ein breites Netzwerk. Er unterhielt lebenslang intensive Kontakte zu Persönlichkeiten des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens mit Schwerpunkten in den Städten Frankfurt am Main, Mailand, Triest und Weimar“, so Dr. Manfred Großkinsky, der Leiter des Museums Giersch, diesmal auch der Kurator.
Mit gerade einmal 24 Jahren, um 1793, eröffnete Milieus als Teilhaber des familiären Textilunternehmens eine Niederlassung in der norditalienischen Handelsmetropole Mailand. In kürzester Zeit erweiterte er seine Geschäfte im Wirtschafts- und Bankensektor, in dem er ebenfalls erfolgreich agierte.
Rasch gelangte er zu beträchtlichem Reichtum. „Diplomatisches Feingefühl, ausgeprägter Geschäftssinn und bürgerschaftliches Engagement: Diese drei Qualitäten verhalfen Enrico Mylius (so sein italienischer Name) zu hohem Ansehen in seiner Wahlheimat Mailand, wo er unter anderem Präsident der Handelskammer und Mitglied des Stadtrates war“, ergänzt Dr. Christiane Liermann Traniello, Generalsekretärin der Villa Vigoni, Deutsch-Italienisches Zentrum für Europäische Exzellenz. „In seiner Person spiegelt sich eine gelungene und vorbildliche europäische Migrations- und Integrationsgeschichte“.
Agostino Caironi „Die Dankbarkeit der Bürger“, 1859, Öl auf Leinwand; Villa Vigoni, Loveno di Menaggio; © Archivio Fotografico Villa Vigoni; das Bild zeigt den gutmütig lächelnden Heinrich Mylius auf einem steinernen Thron. Hinter ihm steht eine weibliche Gestalt mit einer Stirnflamme – die Allegorie der Eingebung. Auf den Stufen sind die Städtenamen „Francoforte, Weimar, Trieste, Milano“ eingemeißelt.
Neben wirtschaftlichen und technisch-handwerklichen Aspekten spielten für ihn Ausbildung und soziale Absicherung seiner Angestellten eine wichtige Rolle. Mit der Übernahme dieser gesellschaftspolitisch fundamentalen Verantwortung gehörte Mylius zu den europäischen Pionieren.
Pompeo Marchesi „Johann Wolfgang von Goethe“, 1840, Marmor; Frankfurter Goethe-Museum; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt
Ein wichtiger Geschäftszweig seines Firmenimperiums bildete die auch heute noch in der Region um Como blühende Seidenindustrie: vom Anbau des Maulbeerbaums, über die Herstellung des Seidengarns bis hin zur Verarbeitung zu Stoffen. In der Produktion führten seine Innovationen zur Optimierung der Arbeitsabläufe.
„Hieran anknüpfend war ihm die Nachwuchsförderung ein ganz besonderes Anliegen: Gemeinsam mit Antonio Kramer gründete er die SIAM, Gesellschaft zur Beförderung von Kunstgewerbe und Handwerk, deren Struktur eines dualen Berufsausbildungssystems Verbreitung fand und in die Gründung des weltberühmten Mailänder Politecnico mündete“, erläutert Liermann Traniello.
Auch im Bereich der Künstlerförderung engagierte sich Mylius und schrieb themenbezogene Preise in der „Accademia delle Belle Arti im Palazzo Brera“ aus. Von etablierten Künstlerfreunden, wie dem Bildhauer Pompeo Marchesi, ließ er Marmorstatuen anfertigen, die zunächst in der Brera-Akademie, und später in der Mylius-Villa am Comer See ausgestellt wurden. Eine kleine Goethe-Skulptur von Marchesi ist in der Schau zu sehen.
Bei der Pressekonferenz informieren über Mylius Leben und Wirken (von rechts): Museumsleiter Dr. Manfred Großkinsky, Dr. Christiane Liermann Traniello, Generalsekretärin der Villa Vigoni, Viola Usselmann M.A., Wissenschaftliche Referentin der Villa Vigoni und Kuratorin der Ausstellung, sowie Christine Karmann, Presse und Marketing des Museums Giersch, Foto: Hans-Bernd Heier
Von immenser Bedeutung für die Bürger Mailands war zudem Mylius‘ soziales Engagement, das sich in einer großzügigen finanziellen und ideellen Unterstützung von karitativen Einrichtungen wie Blindeninstitut, Kindergärten und Waisenhäusern widerspiegelte.
Nach dem Tode seines älteren Bruders Johann Jakob führte Heinrich Mylius ab 1835 dessen vorbildliche Wohltätigkeiten auch in seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main fort. „Mit seinem mäzenatischen Engagement für soziale, karitative, religiöse, kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen schrieb er sich in die Frankfurter Stiftergeschichte ein“, so Großkinsky.
Er unterstützte in seiner Geburtsstadt vor allem Institutionen, die sich um mittellose, leidtragende und körperlich beeinträchtigte Menschen kümmerten, um die Schulbildung von Kleinkindern sowie um die Integration von Blinden, Gehörlosen und Taubstummen sowie um die Versorgung von Waisen, Alten, Schwachen und chronisch Kranken.
Georg Melchior Kraus „Sibyllentempel in Tivoli“, 1799–1806, Gouache; Villa Vigoni, Loveno di Menaggio; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt
In seinem Testament von 1851 bedachte Mylius Frankfurter Institutionen mit Geldspenden, die er als nachhaltige Stiftungen angelegt sehen wollte.
Eine wichtige Rolle bei diesen Unternehmungen übernahm sein langjähriger Freund Eduard Rüppell, Naturforscher und Vizedirektor der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Als Treuhänder vermittelte er in vielen Fällen die Geldzuweisungen an die Frankfurter Institutionen. Zwei Schenkungen an die Stadtbibliothek seien besonders erwähnt: eine Dante-Handschrift sowie eine monumentale Goethe-Statue.
Für dieses beeindruckende karitative und mäzenatische Engagement zeigte sich Frankfurt durchaus dankbar. Ehrungen zu seinen Lebzeiten lehnte Mylius allerdings in aller Bescheidenheit ab. Nach seinem Tod ließ der Frankfurter Senat eine Gedenkmünze prägen und benannte 1873 eine Straße nach ihm.
Giovanni Servi: „Familie Mylius-Vigoni mit Freunden“, ca. 1854–1859, Öl auf Leinwand; Villa Vigoni, Loveno di Menaggio; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt
Der enge Kontakt zu Weimar ergab sich durch Friederike Schnauß, die Heinrich Mylius 1799 heiratete. Getraut wurde das Paar von dem Oberhofprediger Johann Gottlieb Herder. Von da an pflegte er verwandtschaftliche Beziehungen, beispielsweise zum Künstler Georg Melchior Kraus, dem Bruder seiner Mutter, und zur Familie seiner Ehefrau.
In Weimar war er gern gesehener Gast des kunstsinnigen Großherzogs Carl August. Auch traf er regelmäßig Johann Wolfgang Goethe. Wie in Frankfurt und Mailand zeigte sich Mylius auch in Weimar als großzügiger Mäzen: So war er Hauptspender des 1850 enthüllten Herder-Denkmals und beteiligte sich als Stifter aber ebenso für das 1857 eingeweihte Goethe-Schiller-Denkmal.
Einen Höhepunkt deutsch-italienischer Literaturgeschichte markierte Mylius‘ Vermittlung zwischen Johann Wolfgang Goethe und dem italienischen Dichterfürst Alessandro Manzoni in Mailand. „Kontinuierlich mit literarischen Ergebnissen aus Mailand versorgt, trug Goethe durch Rezensionen und Übersetzungen zur Publizität der Manzoni-Werke in Deutschland wesentlich bei“, erläutert die Generalsekretärin der Villa Vigoni. „Überdies beförderte seine ,Theilnahme‘ auch den Ruf Manzonis in Italien“.
1829 erwarb Heinrich Mylius ein großes Anwesen in Loveno am Comer See als Geschenk zur Hochzeit seines Sohnes Giulio mit Luigia Vitali. Ein Jahr nach dem Erwerb des Landsitzes traf Friederike und Heinrich Mylius ein schwerer Schicksalsschlag: 1830 starb ihr einziger Sohn Giulio Napoleon im Alter von nur 29 Jahren.
Mylius widmete sich fortan noch stärker den kulturellen Lebensbereichen. Kunst und Religion spendeten dem Ehepaar Trost. Die Villa wurde zu einem Ort, in dem Kunst Teil einer lebendigen Erinnerungskultur wurde.
Villa Mylius-Vigoni, Großer Saal, 2019; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt
Die Schwiegertochter Luigia heiratete 1835 Ignazio Vigoni, Firmenteilhaber von Heinrich Mylius. Durch diese Verbindung erweiterte sich der Familienkreis zu Mylius-Vigoni, aus dem der spätere Stifter der Villa Vigoni, Ignazio Vigoni jun., hervorging. Die geschickt eingefädelte Heiratspolitik gewährleistete einen engen Familien- und Firmenzusammenhalt.
1850 begann Heinrich Mylius, nördlich seines Landsitzes in Loveno einen Friedhof mit einer Familiengruft der Mylius anzulegen. Dorthin ließ er seinen Sohn Giulio, der zunächst in Triest beigesetzt wurde, überführen. Hier wurde auch seine 1851 verstorbene Ehefrau Friederike und drei Jahre später das Familienoberhaupt beigesetzt.
Drei weitere Generationen engagierten sich für die Fortführung der Familien-Tradition, bis schließlich Mylius‘ letzter Nachfahre, Ignazio Vigoni jun., testamentarisch der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für die Bewahrung des Erbes übertrug.
In einem feierlichen Akt wurde 1986 das „Deutsch-Italienische Zentrum für Europäische Exzellenz Villa Vigoni“ gegründet. Verantwortlich für die Villa Vigoni zeichnen für Deutschland das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und für Italien das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit (MAECI).
Mit ihren mehr als 80 Veranstaltungen pro Jahr ist die Villa Vigoni heute ein Zentrum für den Dialog zwischen Italien und Deutschland. Wissenschaftliche Tagungen, internationale Konferenzen und kulturelle Veranstaltungen machen die Villa Vigoni zu einem besonderen Ort der Begegnung. Seit mehr als 15 Jahren bestehen zudem erfolgreiche bi- und trilaterale Forschungsförderprogramme, die gemeinsam mit der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und der FMSH (Fondation Maison des sciences de l’homme) entwickelt wurden.
Die bemerkenswerte Frankfurter Schau entstand in enger Kooperation des Museums Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, und der Villa Vigoni. Die von der Stiftung Giersch, dem Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Präsentation steht unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Rom, und der Ambasciata d‘Italia, Berlin.
„Heinrich Mylius – Ein europäischer Bürger zwischen Frankfurt am Main und Mailand“ ist bis zum 8. September 2019 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen; weitere Informationen unter: www.museum-giersch.de