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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Berauscht in der Elbphilharmonie

Doug Fitch inszeniert György Ligetis phantastische Avantgardoper in Hamburg.

von Simone Hamm

Es beginnt mit einem großen Hupkonzert. Fanfare des Weltuntergangs. Zum Orchester gehörten nicht nur Blechbläser und Geigen und eine Harfe, sondern auch Trillerpfeiffen, Eieruhren, Mundharmonikas. Auf zwei großen Leinwänden laufen lustig, zuweilen grotesk gezeichnete Videos. Eine Kamera filmt live ab, was Figürchen auf einer winzigen Puppenbühne spielen.

Werner Van Mechelen, links:Mark Schowalter, rechts:Wilbur Pauley, Foto: Peter Hundert

Puppenspieler ist Doug Fitch, Maler, Innenarchitekt. Vor allem aber inszeniert er Opern. An der Hamburger Elbphilharmonie zeigt er György Ligetis apokalyptische Oper: „Le Grand Macabre“. Das Problem, dass er hier einen runden Raum zur Verfügung hat mit dem Orchester in der Mitte und keine Bühne, von der man auf und wieder abgehen kann, hat er großartig gelöst. Er bespielt den ganzen Saal. Türe öffnen sich, Musiker treten im Gänsemarsch heraus. Chormitglieder, die im Publikum sitzen, stehen auf und ziehen fahnenschwingend und singend durch den Saal. Dazu das phantastische und leidenschaftlich spielende NDR-Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert.

Das Leben in Breughelland, einem verkommenen Fürstentum, gerät durcheinander, weil Nekrotzar (Werner van Mechelen), der große Makabre, der Tod, den Weltuntergang verkündet. Das Liebespaar (Elizabeth Watts und Marta Fontanals-Simmons), zieht sich schon gleich ins Grab zurück, frönt dem Vergnügen und kriegt gar nichts mit von der Weltuntergangsstimmung.  Mescalina (Heidi Melton), im glitzernden Abendkleid und mit üppiger Büste, malträtiert ihren Mann, den Hofastrologen Astradamors (Wilbur Pauley). Sie peitscht ihn aus und hetzt eine Riesenspinne auf ihn. Sie träumt aber von einem besseren Mann. Nekrotzar flirtet mit ihr, wird zum Vampir und beißt sie tot. Der Ehemann ist erleichtert und betrinkt sich mit Nekrotzar und dem Trunkenbold (Mark Schalter).

Das ist witzig, scharf, bisweilen gar obszön und entbehrt doch nicht der philosophischen Fragen nach dem Sein und dem Sinn, der Liebe und der Leidenschaft, dem Tod.

Die korrupten Politiker lachen über die Verfassung und zerreissen sie in kleine Schnipsel. Die Chefin der Geheimpolizei (Audrey Luna) in einem Kostüm, das an eine Mischung aus Spinne und Polyp erinnert, singt verschlüsselte Geheimbotschaften in atemberaubenden Koloraturen. Der Countertenor Anthony Roth Constanzo ist der infantile Herrscher Go-go. Er irrt über die Bühne, in kleinen Schritten und in einer riesigen Weltkugel, nur der Kopf mit der Krone und Füsse lugen heraus. Sein Duett mit Mescalina, der gewalttätigen sexsüchtigen von den Toten wiederauferstandenen Ehefrau des Astrologen ist ein Höhepunkt des Abends. Schmerz und Trauer in einer wilden, absurden Welt, die natürlich nicht untergeht.

Der Trinker setzt einfach alles daran, den großen Makabren noch betrunkener zu machen. Und berauscht vom Wein, den sie aus riesigen Gläsern trinken, verpasst der das Weltende, zieht seinen roten Fürstenmantel aus und steht im Pyjama auf der Bühne.

Die mit mehreren Tony Awards ausgezeichnete Bühnenbildnerin Catherine Zuber hat sich selbst übertroffen. Ihre phantastisch-phantasievollen Kostüme machen das Spektakel erst perfekt. Clifton Taylor taucht die Bühne in Licht und Dunkel.

Es ist ein herrliches, buntes Märchen, ein Mysterienspiel, das Doug Fitch da inszeniert hat. Barock und dadaistisch zugleich. Karneval in Hamburg: genauso düster, so trunken, so farbenfroh, so lustig wie Karneval eben sein soll.

Manche Besucher kamen nach der Pause nicht wieder. Die, die blieben, waren hingerissen. Orchestermusiker hatten während der Aufführung Postkarten mit dem Konterfei des designierten NDR-Elbphilharmonie Chef-Dirigenten Alan Gilbert verteilt. Und so führt er sich ein: „Le Grand Macabre. Elphi will never be the same again.“ Gut so!

„Le Grand Macabre“ in der Elpbphilharmonie © Peter Hundert

 

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