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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Marielies-Hess-Kunstpreis an Marko Lehanka im Institut für Stadtgeschichte im Karmeliterkloster

Als Marielies-Hess-Kunstpreisträger 2019 zeigt der authentische Bildhauer und Installationskünstler Marko Lehanka (* 1961) bis zum 12. Mai  im Refektorium des Karmeliterklosters unter dem generischen Titel „Fundus“ eine für sein künstlerisches Schaffen repräsentative Ausstellung, organisiert von der Marielies-Hess-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Zu sehen sind teils kinetische Installationen, oder nennen wir sie eher künstlerische Environments,  und die neuesten Bildplanen seines Comics „Countryboy in Fränkytown“.

Laudatio von Brigitta Amalia Gonser

Gesamtansicht I, Marko Lehanka Ausstellung „Fundus“

Marko Lehanka, der schon zu Zeiten von Kasper König und Jean Christophe Ammann das Frankfurter Kunstgeschehen kontinuierlich belebt hat, outet sich in seinem Werk als genialer homo ludens und Meister ironisch prickelnder Narration. Denn Lehanka übernimmt den Part des virtuosen Erzählers. Er arbeitet interdisziplinär, mit unterschiedlichsten Materialien und Methoden, von einzelnen Objekten über Installationen bis hin zur Kunst im öffentlichen Raum. Dabei spielt die Trivialität und Banalität der Alltagskultur eine entscheidende Rolle.Als scharfer Beobachter unserer Welt, mit all ihren Widersprüchen und Absurditäten, setzt Lehanka  seine ästhetischen Mittel dazu ein, das Existierende zu radikalisieren. Provokation und Humor sind das künstlerische Prinzip seines Schaffens. Detailfreude einerseits und Sprödigkeit andererseits kennzeichnen seine Arbeit und hinter Nachlässigkeit, Improvisation und Zufälligkeit steht präzises Kalkül.

So hängen Alle 30 Kuratoren/*innen Marko Lehankas an seinem neuen „KuratorInnenbrunnen“ mit gutem Äppelwoi in alten Schläuchen. Da finden Sie u.a. Michael Croissant und Thomas Bayrle, Harald Szeemann und Kasper König, Jean-Christophe Ammann, Udo Kittelmann und Susanne Pfeffer, Dr. Andreas Bee und Mario Kramer,  Claudia Scholtz, Martina Detterer, Markus Lepper oder Alexander Demuth. Erinnerungskultur pur! Auslöser war die triviale Aktion einer Pizzeria, bei der man für jede georderte und verspeiste Pizza ein Porträtfoto auf ein banales Magnetschild drucken  lassen konnte. So hat Lehanka seine Kuratoren und deren Interventionen regelrecht verdauen müssen, wenn er auch nicht alle Pizzen  selbst verspeist hat. Doch den Magnetschildern fehlte zu ihrem vollkommenen Glück der triviale alte Kühlschrank, als Wegwerfprodukt aber auch als räumliches Objekt in Kubusform.

Zum Trinken animieren auch die miniaturalen haptisch erfassbaren neuen „Senatsfläschchen“ aus dem 3D-Drucker mit 100 jährigen Jubiläumswünschen an seine Kuratoren/*innen als nostalgisch variierte Pendants zu seinen im Museum für Moderne Kunst in den Räumen innerhalb der Szenenwechsel  ausgestellten Bierflaschen, deren Zauber Jean-Christophe Ammann erlegen war. Insgesamt existierten etwa 200 verschiedene Bierflaschen, die zuerst ausgetrunken, dann in den Schraubstock gespannt und mit einem Bohrer unter ohrenbetäubendem Lärm graviert wurden, immer nur wenige pro Tag – zwischen 1991-2000 – mit Fragmenten aus computergenerierten Texten: „Sie stirbt“; „Die Bauern fluchen, sobald die Tanten schwitzen“; „Hilft Akupressur bei dicken Augen?“; „Ich will nicht nur Lückenbüßer sein“; oder „Alter Wein und junge Weiber sind die besten Zeitvertreiber“.

Lehankas Leidenschaft für Wasser ist groß: „Ich liebe die Frechheit von Wasser es macht was es will.“ Das Faszinosum Wasser in Verbindung mit Alltagskultur beschäftigt ihn immer aufs Neue. Hier im funktionierenden „Telefonhäuschenbrunnen“, einem variierten Remake von 2015. Denn Lehanka gewann 1999 einenWettbewerb für einen Brunnen auf dem MainPlaza am Deutschherrnufer in Frankfurt am Main, der jedoch nicht realisiert wurde, obwohl er 2000 dafür den ersten Preis erhielt. Er plante ein typisches deutsches Telefonhäuschen aus dem Jahre 1953  mit Wasserzufüllenbisesüberläuft, das Wasserfloss dann auf der Außenfläche in einem Wasserfilm zu Boden und durch Kanaldeckel in eine unterirdische Kammer und sollte von dort wieder in das Häuschen gepumpt werden. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit! Das funktionstüchtige Modell des Brunnens befindet sich heute in der Sammlung des Museums für Kommunikation in Frankfurt am Main.

Lehanka recycled sich und erfindet sich selbst neu. Sein sich versonnen drehendes „Weinrad“ von 2004 erinnert mit seinen zweideutigen Sprüchen an weinselige Kirmes-Feste, an Wein, Weib und Gesang. Es ist sein Prater-Glücksrad mit Gondeln auf denen „Ehebruch“ oder „Number one“ prangt mit kleinen Tonfiguren in Kinderknetästhetik.

Computergenerierte Zufalls-Texte sind bei Lehanka immer eine wesentliche Komponente seines künstlerischen Schaffens. Er spielt mit der konventionellen Bedeutung der deutschen Sprache. Der Sinn seiner Textsprüche soll vom Betrachter enträtselt und weitergesponnen werden.

Apotheke Rotzi Kotzi, 2014, Holz, Pappe, Schilder, Figuren, Motor, 230 x 120 x 80 cm, mit dem Saxofonisten Tobias Rüger

Dieses Sprachbabel findet hier seinen Höhepunkt in Lehankas rollender kinetischer „Rotzi-Kotzi-Apotheke“ von 2014 im Sanatorium des harten Stuhls, in dem mit falschen Rezepten gehandelt und mit frischen Organen improvisiert wird. Und auch schon der Link hergestellt wird zu seiner durch Computeranimation erzeugten, großdimensionalen, schockierenden Bildplane „Männerhospiz Drückeberger“ eine geschlossene Veranstaltung, oder doch offener Vollzug? Wieder in schillernder Mehrdeutigkeit, in der er Amusement mit ätzender Gesellschaftssatire verbindet oder den Gesundheits- und Sauberkeitsfimmel in der medizinischen Körperpflege anprangert. Wobei seine wackelnde Apothekerfigur  etwas von Marktschreiern auf Jahrmärkten hat. Ein Todeskampf mit Hindernisse, an dem er immerzu scheitert. Und das Scheitern beschäftigt diesen Künstler immer wieder.

Es gehört zu Lehankas Kreativitätsprinzip, diese unsere Welt ständig zu hinterfragen. Dabei hat er das Doppelbödige des Alltäglichen in seinen Werken stets auf Neue aufgezeigt. Marko Lehanka pflegt eine Art intellektueller Bastelei in engem Kontakt zur Imagination und Intuition. Weshalb er nicht nur in deutschen Landen, sondern auch in Frankreich besonders beliebt ist. „Kunstwerke sind ein Muss und keine ‚och, ich hab‘ ne Idee‘! Es ist wesentlich dramatischer!“ So der Künstler im Originalton. Er ist ein „wilder Denker“ im Sinne von Claude Lévi-Strauss, „und Ethnologe Mittelhessens“: „Meine Wurzeln waren immer irgendwie mit dabei.“ „Heimat das ist ein Begriff, den ich mir nicht kaputtmachen lasse.  Am wohlsten fühlst du dich doch, wenn du mit deinen Freunden Bratwürstchen grillst, die Flasche ins Gras schmeißt und über Gott und die Welt redest.“

Oder beim Feuer auf dem heimatlichen Kartoffelacker, getrieben von existentiellem und artistischem Hunger auf der Suche nach „Seiner letzten Kartoffel“ von 2007, einem skulpturalen Objekt aus Zeitungspapier und Mullbinden, das auf einen Sockel gespießt und einer übergroßen Kartoffel nachempfunden ist. Darüber kreist ein Vogel, der das „Kartoffel-Denkmal“ – wie tatsächlich so oft im städtischen Raum – mit seinen Hinterlassenschaften verunziert.

Und dann hat wohl jeder hessische Bauer im Hof einen „Marko Fendt“-Traktor. Vor Lehankas äquilibristischer Traktor-Installation, von 2011, balanciert pars-pro-toto-artig für die Landleute ein Medizin anpreisendes Figurenpaar, tatsächlich aber bekannte Personen aus der Villa-Romana-Zeit des Künstlers in Florenz.

Ebenso prägend wie seine Heimatverbundenheit war für Marko Lehankas Kunst seine zweijährige Zeit am Institut für Neue Medien der Städelschule, das sich, geleitet von Peter Weibel, mit experimenteller Kunst beschäftigte und die Video-, Audio-, Computer- und Grafiktechnik auf ihre Verwendbarkeit im künstlerischen Bereich untersuchte.  Hier entwickelte Lehanka sein Faible für in Smalltalk programmierte, computergenerierte Texte. Wofür par excellence seine Münsteraner „Blume“ steht, deren Geschichten stets einen Bezug zur Stadt Münster haben und mit dem Tod des jeweiligen Protagonisten enden, aber immer wieder von vorne anfangen. Also das  Scheitern jeden Lebens als Endlosschleife.

Doch computergesteuerte Prozesse faszinieren Lehanka auch heute. So das 3D-Drucken als additives Verfahren, das heute die meisten Branchen erfasst hat. Aus der Entwicklung von Flugzeugen und Autos, von Fahrrädern und Motorrädern ist es kaum noch wegzudenken. Aber auch die Architektur und das Bauingenieurwesen, ja die Herstellung von Nahrungs- und Arzneimitteln und auch die Kunst und Kunstgeschichte bedienen sich dieser Technologie. Waren seine bisherigen Werke final oft kinetisch, so ist nun seine farbenprächtige popartige 3D-Skulptur „Monimann“, von 2015, mit dem Monitor im Kopf, das statische Ergebnis eines nur am Bildschirm allseits animierten Entwicklungsprozesses.

Gesamtansicht II, Marko Lehanka Ausstellung „Fundus“

Außerdem pflegt Marko Lehanka eine intensive Erinnerungskultur, deren neuestes künstlerisches Produkt sein fetziger Comic „Countryboy in Fränkytown“ und die daraus resultierenden großen Bildplanen dieser Ausstellung sind, die seine Ausbildungszeit am Städel und seinen darauf folgenden kometenhaften Aufstieg als Künstler satirisch memorieren. Nahezu lyrisch sind seine Erfahrungen sowie kollektive Erlebnisse in Episoden und Geschichten gekleidet. Jugendkultur und Bourgeoisie dienen ihm als Inspirationsquellen, während er alle Arten von autobiografischen und kunsthistorischen Zusammenhängen vermischt. Dabei bewegt sich der Künstler auf der Grenze zwischen Nonsens und Absurdität.

„Welcome to Stedelschool!” Und in seinem seltsamen Englisch: „Where dreams become thruth!“ Flankiert von seinen Lehrern Thomas Bayrle, Michael Croissant und Kasper König absolviert der begeisterte Countryboy Marko Lehanka seine Lehrjahre 1985-90 an der Städelschule, der Landeier-Sammelstation in Fränkytown, die er aber als sein Sprungbrett in die 49. Biennale von Venedig darstellt. Denn Bayrle war das Beste, was ihm passieren konnte! Meint Lehanka. Und der Countryboy stellt sich dem existentiellen Kampf im Art Business in eiserner Rüstungsmontur. Schauen Sie genau hin, Sie werden Ihre Freude an den Szenen haben. Dazu der aberwitzige, computergenerierte Text seiner Countryboy-Lyrics „Alle Toten“.

Verleihung des Marielies-Hess-Kunstpreises 2019: Marko Lehanka und Prof. Dr. Michael Crone

Lehankas Vorgehensweise erinnert an  Marcel Prousts Roman „À la recherche du temps perdu“, da er Erfahrungen vergangener Zeiten evoziert, die unwiederbringlich verloren wären, würde  er sie nicht in seinen kommentierenden Bildplanen konservieren. Mit diesen Szenen holt er die Vergangenheit in die Gegenwart und reflektiert die Geschichte der Städeljahre und der Zeit danach, wobei er sich mit dem Aspekt des Privaten auseinandersetzt und so die Durchdringung von Raum und Zeit in unserer heutigen Lebenswirklichkeit erfahrbar macht.

Laudatorin Kunstwissenschaftlerin Brigitta Amalia Gonser

Diese in der Ausstellung „Fundus“ im Refektorium des Karmeliterklosters gezeigten Werke der letzten 15 Jahre sind so trashig, dass sie schon wieder Kult sind.

„Keine Katastrophe ohne Idylle. Keine Idylle ohne Katastrophe.“  Verkündet der Künstler. Seien Sie also willkommen im Universum Marko Lehankas: einer anarchischen, irritierend verspielten und subversiven, gleichzeitig tragikomischen Anti-Kunst des Trivialen.

Alle Fotos: © Alexander Paul Englert

FÜHRUNGEN

In der Ausstellung „Fundus“ werden Marko Lehanka und die Kuratorin Brigitta Amalia Gonser zwei Künstlergespräche mit Führunganbieten:

  • am 14. April 2019 um 15 Uhr
  • in der Nacht der Museen, am 11. Mai 2019, um 21 Uhr.

Außerdem gibt es da auch vier Führungen der Kuratorin:

  • am 22., 28. April 2019, jeweils um 15 Uhr
  • in der Nacht der Museen, am 11. Mai 2019, um 23 Uhr.

 

 

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