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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Franziska Kneidl und Heide Weidele im Kunstverein EBENE B1

Zwei Zaubermeisterinnen bereichern derzeit den Alltag vor den Türmen der Deutschen Bank

Von Erhard Metz

Preisfrage: Welche Frankfurter Institution für Kunstausstellungen verzeichnet das meiste Publikum: Städel Museum, Museum für Moderne Kunst oder Schirn Kunsthalle? Es sind die rund zwei Dutzend großen und kleinen Ausstellungsvitrinen in der westlichen und östlichen Ebene B1 der unterirdischen S-Bahnstation Taunusanlage! Wieviele Personen täglich zählt dieses Publikum: einhundert, fünfhundert, eintausend? Nun, es sind tausende. Und wie verhält es sich mit den Schließzeiten? Die Ausstellung ist von Montag bis Sonntag o Uhr bis 24 Uhr geöffnet.

Heide Weidele, „Meteorit, Herkunft vermutlich Pferdekopf-Nebel“

Dass die zwei Zaubermeisterinnen ihr segensreiches Zauberwerk entfalten können, verdankt das Publikum aus Stadt und Umland dem rührigen Kunstverein EBENE B1 Taunusanlage e.V. mit seinem Vorstand Peter Wöste und Peter Waldner. Mit der Umgestaltung der vormals unwirtlichen, besser gesagt trostlosen Zone im Jahr 2017 erhielt die Kunst Einzug in diesen hochfrequentierten öffentlichen Raum.

„In dem besonderen Ort der S-Bahnstation Taunusanlage tragen wir Kunst in den öffentlichen Raum. Keine Standbilder und große Skulpturen für die Ewigkeit, sondern Kunst, die sich mit dem Alltag, dem Leben auseinandersetzt. Mal provokant auffällig, mal ruhig wird die Kunst den Vorbeieilenden im Transitraum S-Bahnstation innehalten lassen“, so der Verein. „Ob es reine Ästhetik oder eine politische Aussage ist, die die Menschen auf dem Weg zur Arbeit für einen kurzen Moment zur Auseinandersetzung mit der Kunst anhält, in jedem Fall dürfte sich in den Köpfen etwas festsetzen, das abseits des hektischen Arbeitslebens beschäftigt.“

Heide Weidele: „KASACHSTAN“

Ausstellungsansichten: eine der beiden Großvitrinen im westlichen Teil der Ebene B1

„Was weiß man schon von Kasachstan? Steppenland, dünnbesiedelt, armes Land mit dem größten Weltraum-Bahnhof der Erde, Baikonur. 1957 ist von hier der erste Sputnik ins All geschossen worden. Das hat meinen Assoziations-Raum entscheidend erweitert“ schreibt Heide Weidele. Faszinierend ihre Exponate in den großen und kleinen Vitrinen: Baikonur scheint nahe. Zünden hier die Weltraumraketen? Starten hier Helios und sein Sohn Phaethon den von Feuerrössern gezogenen Sonnenwagen? Zum schmunzeln: Im Zeitalter der Fake News foppt die Künstlerin in ihrer liebenswürdigen Art ihr Publikum mit vermeintlich Außerirdischem: Es sind in ihrem Atelier im heimischen Frankfurt südlich der Mainlinie herbeigezauberte – glitzernden Kristallgebilden ähnliche – Schmelzprodukte aus banalsten farbigen Plastikgegenständen.

Heide Weidele, „Überrest einer Super Nova, Super Nova 1987A, Magellansche Wolke“, 1987

Heide Weidele, seit 1971 in Frankfurt ansässig, dieses besondere weibliche künstlerische Urgestein der Stadt, beging übrigens unlängst ihren 75. Geburtstag vor ihren Ausstellungsvitrinen. David Dilmaghani, Chef des Dezernatsbüros Kultur und Wissenschaft, überbrachte die Glückwünsche der Stadt, Claudia Giani-Leber, die in diesen Tagen das 25jährige Jubiläum ihrer angesehenen, ganz in der Nachbarschaft gelegenen Galerie ARTE GIANI feiert, hielt die Laudatio.

Heide Weidele und die Galeristin Claudia Giani-Leber am 75. Geburtstag der Künstlerin

Franziska Kneidl: „Als Erstes die Clowns“

Die zweite Zaubermeisterin der Ebene B1 heißt Franziska Kneidl. Mit ihren Gemälden und Figurinen, die auch in die Sammlung des Museums für Moderne Kunst Eingang gefunden haben, wurde sie weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.

Franziska Kneidl, Ausstellungsansichten

„Die Zirkuswelt ist seit jeher das Andere zum alltäglichen Leben“, schreibt die Künstlerin. „Sie ist eine Projektionsfläche für so vieles: für ein viel intensiveres Leben, für ein Wagnis, für die echte Lebensgefahr z.B. am Trapez, aber auch für eine ausgelassene Lebensfreude, die Leichtigkeit bei schier unmöglichen Kunststücken, für Ruhm und Anerkennung, aber auch für Fernweh, Freiheit und das Abenteuer.“

Franziska Kneidls wundervolle Figurinen sind Skulptur gewordene, man könnte sagen gestische Malerei. Ihre vielgestaltig gefaltenen durchsichtigen Folien besprüht sie im malerischen Akt mit Acryl- und Dispersionsfarben. Bühnenfiguren ähnlich kommunizieren die Exponate in den Ausstellungsvitrinen mit dem Publikum. Wie kaum andere Arbeiten treten sie mit den Betrachtenden in einen individuellen Dialog, entfalten ein fast schon szenisches Geschehen und veranlassen die Vorübereilenden zum plötzlichen Aufmerken und Innehalten.

Heide Weideles „Kasachstan“ und Franziska Kneidls „Als erstes die Clows“ faszinieren in dieser spezifischen großstädtischen Szenerie, am Rande des Bankenviertels und zu Füßen der Türme der Deutschen Bank, bilden einen verzaubernden „Genius loci“ an einem ansonsten betriebsamen, von hektischem Reiseverkehr fast schon heimgesuchten Ort. Den beiden Künstlerinnen und dem Kunstverein EBENE B1 Taunusanlage e.V. sei Dank!

Die Ausstellung mit Werken von Franziska Kneidl in der S-Bahnstation Taunusanlage, Ebene B1 (Ost) läuft noch bis zum 30. April, diejenige von Heide Weidele in der Ebene B1 (West) dauert bis zum 31. Juli 2019

Abgebildete Werke von Heide Weidele © VG Bild-Kunst, Bonn; von Franziska Kneidl © die Künstlerin; Fotos: Erhard Metz

→ Heide Weidele
→ Joachim Raab, Oliver Raszewski, Heide Weidele
→ „1 + 1 = 3“ und „Tokonoma“: Heide Weidele und Andreas Gärtner im Deutschen Werkbund Hessen
→ FAT – Frankfurter Ateliertage 2014 (8)
→ Ausstellungswechsel im Frankfurter MMK 2

 

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