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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Rundgang Städelschule 2019: Neue Welten und Architektur, die über das Bauen von Häusern hinausgeht

Architektur ist nur ein kleiner Teil der Ausbildung in der Städelschule. Trotzdem ist die Vielfalt da.

Von Petra Kammann

„1 square mile City“  Eine Quadratmeile Stadt – Das unter der Leitung des Stiftungsprofessors Peter Trummer entstandene eindrucksvolle Holzmodell steht im 1. Obergeschoss des Haupthauses der Städelschule, Alle Fotos: Petra Kammann 

Was ist Architektur? Was kann Architektur ausrichten? Gehört sie zur Kunst? Welche Räume werden geschaffen? Fragen, die sich ebensowenig eindeutig beantworten lassen wie die Frage danach, ob und warum Architektur an einer Hochschule der freien Künste gelehrt werden muss. Innerhalb der Städelschule gehörte sie wie auch ihre theoretische Auseinandersetzung mit dieser Disziplin von Anfang an dazu. Allerdings nimmt sie einen geringeren Raum ein als die freien Künste. Das spiegelt sich u.a. auch in dem Ort, an dem sie unterrichtet wird, wider. Das Gebäude der Architekten, eine zweistöckige Villa aus der Jahrhundertwende, liegt etwas versteckt: links vom Tor des Haupteingangs der Städelschule, hinter einem Durchbruch an der Backsteinmauer. Aber ein Raum im Haupthaus der Städelschule ist auch der urbanen Architektur gewidmet…

Die Studierenden des Master-Thesis Studios AUD haben die funktionale Struktur der Stadt New York auf der Grundfläche einer Quadratmeile analysiert und proportional wiedergegeben. Der Künstler Stefan Wieland baute das Modell

Auf den verschiedenen Ebenen kann man die Funktionen, die in einer Stadt auf den ersten Blick verborgen sind, „ablesen“ und in sie hineinschauen; in den gigantischen Produktionsraum der „nicht menschlichen“ Fabrik, über dem der Raum des Konsums, der Geschäfte und der Shoppingmalls usw. als Gittermastengebäude liegt, darüber auf dem flachen horizontalen Boden der Arbeitsraum, darüber wiederum der Wohn- bzw. Hotelraum, schließlich die „Wohnplatte“ als Raum der „Biopolitik“, auf der sich dann die hochaufragenden  bleistiftähnlichen Gebilde auftürmen. Sie symbolisieren den Raum des Finanzkapitals. Das Modell verdeutlicht eindrucksvoll die Entwicklung einer heutigen Stadtdichte. Ein entsprechendes Anschauungsmodell soll übrigens demnächst auch in Zusammenarbeit mit dem Planungsamt für die Stadt Frankfurt entstehen.

 

„19LINK1“- die Skulptur der Erstsemester als „roter Faden“, der sich durch das Gebüsch zur Villa schlängelt und die beiden Gebäude miteinander verbindet

Advanced Architectural Design, Architecture and Aestethic Practice, Architecture and Urban Design lauten die Disziplinen der Architekturklassen für die Postgraduated Students in der Städelschule. Entsprechend dem Angebot des Studienprogramms sehen auch die greifbaren Ergebnisse des Anzuschauenden aus. Es fängt schon bei der neuen „urbaneren“ Wegmarkierung an. Diesmal wird man auf dem Weg von der Dürerstr. 10 zur versteckten Villa besser geleitet, nämlich per „19LINK1“, einer leuchtenden geradezu neon-orangefarbenen Skulptur, welche eine Erstsemestergruppe dafür eigens entwickelt hat.

Im Erdgeschoss stößt man dann unwillkürlich auf einen Werkstattraum, in dem verschiedene 3-D-Drucker stehen und ständig von den Studierenden auch genutzt werden – heute eine wichtige Voraussetzung für Architekten, wie überhaupt hier im kleinen „Haus der Architektur“ auf den verschiedenen Ebenen das Verständnis für neue Techniken geweckt wird, welche die Basis dafür sind, dass neue virtuelle Räume entstehen können. Die sich ständig verändernden digitalen Technologien wirken sich nicht nur auf die Konstruktion architektonischer Gebilde aus, sondern auch auf unser Verständnis uns umgebender architektonischer Räume.

Master-Thesis Studio: Im Robot Lab arbeitet Soubhi Baraghit an der selbständigen Roboter-Optimierung, um nachhaltig mit architektonisch zufällig generierten ästhetischen Formen weiterarbeiten zu können. Erstaunlich, welch organische Formen und Dimensionen ein flaches weißes Blatt annehmen kann!

Souhbi Baraghit hat sein Architekturstudium im Libanon in Beirut schon hinter sich gebracht, und er hat auch schon praktisch in Architekturbüros gearbeitet. Er sei nach Frankfurt gekommen, um seinen Horizont für den architektonischen Entwurfprozess zu erweitern. Schon nach kurzer Zeit hier wurde ihm bewusst, welch kreative Energie durch die freie Beschäftigung mit Formen, durch die Zusammenarbeit im Team und vor allem durch Prof. Johan Bettum bei ihm freigesetzt wurde, so dass er sich total motiviert fühlt, an der Athestetic Practice des Entwerfens weiter zu arbeiten.

Prof. Johan Bettum stellt unkonventionelle Fragen, um zu neuen Formen heutiger Architektur vorzudringen

Das Office an der Städelschule des norwegischen Architekten Prof. Johan Bettum, der seit ein paar Jahren die Architekturklasse mit rund 60 von insgesamt 200 Studierenden leitet, befindet sich im ersten Stock. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen Materialsystemen und Geometrie in der Architektur. Einem Thema, welches auch die Arbeiten seines 2003 gegründeten Architekturbüros Archi|Globe bestimmt. In der Versuchspraxis ArchiGlobe untersucht er Kleinprojekte in diesem Bereich.

„Leaky stuff“ (Undichte Sachen) Spielerische Gestaltung von Übergängen, vergleichbar mit dem Rokoko: Aktuelles Projekt der Erstsemester-Studierenden auf dem Flur im zweiten Obergeschoss der Villa. Was geschieht in den Zwischenzonen der traditionellen Häuserzeilen?

Die Virtual Reality und ihre Technik wird für Architekten heute immer wichtiger. Einige Büros setzen sie schon heute ein, um Auftraggeber durch virtuelle Gebäude zu führen. Einer der Gründe, warum Bettums Hauptinteressen an der Schnittstelle von Technologie, Material, Geometrie und architektonischer Gestaltung liegen. „Viele Architekten erweitern ihr Portfolio um einen kreativen Ansatz“, sagt Bettum. Allerdings täten das noch längst nicht alle Büros. Seine Grundthese lautet frei nach dem römischen Architekturtheoretiker Vitruv: Architekten bauen nicht. Sie entwickeln Ideen. Sie zeichnen und entwerfen. Wie wir uns in einem Raum befinden, wie wir uns zueinander verhalten, das bestimmt die Architektur. Das ist viel mehr als eine Technik. Durch den Modernismus allerdings habe sich ganz viel geändert. Ausgehend von Themen werde um Architektur gestritten und debattiert. Dabei seien heutzutage neue Paradigmen sehr wichtig.

So sieht Gleichberechtigung aus: das Team der Architekturstudierenden und Lehrenden

Dieses Bewusstsein muss bei frisch ausgebildeten Architekten, die in ihrem Studium mit unendlich viel faktischer Wirklichkeit konfrontiert wurden, erst einmal geweckt werden. Dass die Hochschule ausgezeichnete Künstler und Architekten hervorgebracht hat, dafür spricht nicht zuletzt, dass jemand wie Anne Imhof aus Frankfurt 2017 den Golden Löwen der Biennale in Venedig für die Gestaltung des Deutschen Pavillons erhielt. Aber auch die Team-Arbeit ist für künftige Entwicklungen von Bedeutung, weswegen das kollegiale Verhältnis, der Austausch auf Augenhöhe an der zwar vergleichsweise kleinen, aber sehr international ausgerichteten Akademie – sowohl auf der Ebene der Studierenden wie auf der der Professoren  – eine besondere Rolle spielt. Dass bei den Studierenden aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt dabei die Verkehrssprache Englisch ist, nimmt daher nicht wunder…

„Alles ist Architektur“ heißt es in der Klasse des Advanced Architectual Designs unter Leitung von Prof. Dr. Spyropulos

Im Seminaraum des Erdgeschosses sind verschiedene architektonische Proto-Typen ausgestellt, die interaktiv angelegt sind. So lässt sich die jeweilige Form eines architektonischen Netzwerkes mit kleinen Griffen umgestalten, die Atmosphäre eines Raumes kann durch Licht und Dampfschwaden, durch Klang verändert werden, was unsere Stimmung stark beeinflusst. Unser Alltag wird durch Komplexität von Dienstleistungen und ein Nebeneinander von Erleben bestimmt. Emotional und sozial geht das weit über den ursprünglich festen Rahmen eines Hauses mit klaren Abgrenzungen hinaus. Manches in dem Zweig der Städelschule ausgestellte futuristische Modell erinnert aber auch an die Kristallstruktur des Brüsseler Atomiums aus dem Jahre 1958…

Bildschirmsimulationen des thailändischen Studenten Chawapol Watcharasukarn im Projektraum „What orthography was“

Momentaufnahmen einer veränderten und spielerischen Herangehensweise an das Bild durch Fragmentierungen, Überlagerungen, Verschiebungen und Verzerrungen setzen – anders als traditionell die per Hand gemachte Entwurfsskizze – neue Imaginationen und die Erfahrung von Simultaneität frei, eben eine neue Art des Denkens und Wahrnehmens: It’s all about mag(in)ing.

Wieweit in anderen Ländern der Umgang mit der virtuellen Welt schon selbstverständlich ist, macht ein Gespräch mit dem südkoreanischen Soanam Lee, der schon in verschiedenen Ländern unterwegs war wie in Kanada oder Malaysia deutlich. Er experimentiert mit großer Leidenschaft im VR-Lab und setzt sich mit seiner Raumerfahrung auseinander, die er gleichzeitig auf dem Bildschirm kontrolliert. Da künftig in den Megacities die Raumnot zunehmen wird, kann das den Alltag in beengtem Raum verändern… Und er weiß, dass er mit seiner Erforschung noch nicht am Ende ist… So wenig die bislang gebaute Wirtlichkeit.

Mit einer 3D-Brille und dem Datenhandschuh ertastet Soanam Lee die Wand und andere starre räumliche Begrenzungen. Die Grenzen werden erweitert durch Bilder der virtuellen Realität

Lees Kontrolle auf verschiedenen Bildschirmen

Sehr sinnlich, organisch und weniger ephemer dagegen wirken die Skulpturen im zweiten Obergeschoss des Gebäudes, die in einem Workshop mit Studierenden des Erstsemesters mit den Frankfurter Künstlern, und den Absolventen Sebastian Störer und Stefan Wieland aus zusammengesuchten zufällig gefundenen Materialien entstanden, zunächst verpackt in Zeitungspapier und unter weißer Farbe, um neue Masse entstehen zu lassen, weiterentwickelt und herausgearbeitet dann in Keramikobjekte, gleich nebenan zu sehen. „Laboratorium für Niedertracht und Sinnlichkeit 7“ lautete daher aufmerksam machende Titel.

↑↓ Objekte aus dem „Laboratorium für Niedertracht und Sinnlichkeit 7“

Weitere Infos unter:

 https://sac.staedelschule.de

→ Städelschule: Rundgang 2019
→ Städelschule: Rundgang 2019 – Rundgangpreise mit Besuch der Ministerin
→ Städelschule: Rundgang 2019 – eine Nachlese (1)
→ Städelschule: Rundgang 2019 – eine Nachlese (2)
→ Städelschule: Rundgang 2019 – eine Nachlese (3)

 

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