Restituiertes Uhde-Gemälde an Museum Wiesbaden übergeben
Kustos Forster: Guter Tag für Provenienzforschung und Museum; Minister Rhein: Wollen keine Raubkunst in unseren Sammlungen
Von Hans-Bernd Heier
Provenienzforschung ist ein äußerst diffiziles, weil komplexes Arbeitsgebiet. Dies belegen die langwierigen Recherchen in Wiesbaden bei dem Gemälde „Gang nach Bethlehem“ von Fritz Uhde: Dieses Meisterwerk des Münchener Malers gelangte 1980 über eine Schenkung aus der Privatsammlung von Rose und Friedrich Klein in das Wiesbadener Museum. Aufgrund einer Suchmeldung in der Datenbank „Lost Art“ wurde das Landesmuseum 2015 aktiv und ließ die ursprüngliche Provenienz des Bildes durch die Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen recherchieren. Dabei konnte die Herkunft dieses Gemäldes geklärt werden: Es stammt aus der bedeutenden Kunstsammlung des liberalen jüdischen Berliner Verlegers Rudolf Mosse, das der Familie in der NS-Zeit – ebenso wie das gesamte Vermögen – verfolgungsbedingt entzogen worden war. Auf Betreiben der Nationalsozialisten wurde 1934 die Sammlung zu großen Teilen im Auktionshaus Rudolf Lepke in Berlin zwangsversteigert, darunter auch der „Gang nach Bethlehem“.
→ Fritz von Uhde „Gang nach Bethlehem“, 1890, Öl auf Leinwand, 92 x 110 cm; Foto: Museum Wiesbaden
Aufgrund dieser Nachforschungsergebnisse wurde das Werk restituiert, blieb aber als Leihgabe der Erbengemeinschaft Mosse im Museum Wiesbaden. Jetzt konnte dieses Gemälde, das zu den Hauptwerken des Sammlungsbestands des 19. Jahrhunderts zählt, dank des Entgegenkommens der Erbengemeinschaft für einen Preis von 65.000 Euro angekauft werden. Das Landesmuseum wurde dabei finanziell unterstützt von der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie der Hessische Kulturstiftung.
→ Bei der offiziellen Übergabe (von links): Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen; Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung; Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst; Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder; Dr. Peter Forster, Kustos der Alten Meister im Museum Wiesbaden und Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse; Foto: Hans-Bernd Heier
In Anwesenheit des Hessischen Ministers für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein wurde das Werk offiziell dem Museum Wiesbaden übergeben. „Mit der Suche nach NS-Raubgut in unseren landeseigenen Museumsbeständen stellen wir uns unserer historischen Verantwortung. Und so ist es immer ein besonderer Moment, wenn es den Expertinnen der Zentralen Stelle für Provenienz-Forschung gelingt, die Geschichte eines mutmaßlichen Raubkunst-Werks zu klären und seine rechtmäßigen Besitzer zu finden“, sagte Rhein. Und der Minister stellte auch klar: „Wir wollen keine Raubkunst in unseren Sammlungen“.
Dr. Alexander Klar, Direktor des Museums Wiesbaden, ergänzte: „Ich bin sehr glücklich, dass es gelungen ist, mit der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse zu einer einvernehmlichen und fairen Lösung zu kommen. Provenienzforschung, Restitution und die Rücküberlassung eines zuvor unrechtmäßig entzogenen Werkes durch die Erben des geschädigten Sammlers stellen heute einen wichtigen Teil der Sammlungsgeschichte des Museums Wiesbaden dar. In unserer Sammlung sind diese Werke heute ein Mahnmal der Unrechtsgeschichte Deutschlands, aber auch unseres Versuches, die Verbrechen während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.“
Die Klärung der Herkunft ihrer Bestände sei deshalb eine zentrale Aufgabe für jede öffentliche Sammlung, auch für die Landesmuseen. „Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben wir bereits 2015 die Zentrale Stelle für Provenienz-Forschung am Museum Wiesbaden eingerichtet. Hier können die schwierigen Recherchen gebündelt, die dringend gebotene planvolle Untersuchung der seit 1933 erworbenen musealen Bestände koordiniert und gerechte Lösungen für den Umgang mit Kunstraubgut gefunden werden. Das sind wir den Opfern der Nationalsozialisten und ihren Nachkommen schuldig“, betonte Kulturminister Rhein.
Der Verleger, Sammler und Mäzen Rudolf Mosse (1843 1920) besaß eines der größten und einflussreichsten Verlagshäuser der Weimarer Republik. Flaggschiff seines Medienimperiums war das „Berliner Tageblatt“, das zu den international vielgelesenen deutschsprachigen Zeitungen zählte. Mosse galt als die fortschrittlich-liberale Stimme im deutschen Kaiserreich, er engagierte sich in zahlreichen sozialen Projekten und trat immer wieder als Mäzen der Künste in Erscheinung. Der Sammler gehörte zu den nachweisbar ersten privaten Käufern von Uhde-Bildern in Berlin. Nach der Zwangsversteigert von Uhdes „Gang nach Bethlehem“ blieb der weitere Verbleib dieses Werkes völlig im Dunkeln, bis es 46 Jahre später als Geschenk in das Museum Wiesbaden gelangte.
Da Uhdes Gemälde laut Dr. Peter Forster, Kustos der Alten Meister im Museum Wiesbaden, in der Sammlung „eine bedeutende Stellung einnimmt, war das Museum Wiesbaden sehr an einem Verbleib des Werkes im Hause sehr interessiert“. Als dies mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelungen ist, stellt Forster erfreut fest: „Wir erleben einen sehr guten Tag für die Provenienzforschung und einen guten Tag für das Museum“. Denn Fritz von Uhde (1848 – 1911) zählt mit seinem Gesamtwerk, das sich im Spannungsfeld zwischen Realismus und Impressionismus verorten lässt, zu den großen Malern des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland. Seit 1884 beschäftigten sich seine Werke mit religiösen Inhalten. Der Künstler bezog seine Themen überwiegend aus dem neuen Testament und siedelte sie im zeitgenössischen Milieu der „einfachen Leute“ an. Bei dem Wiesbadener Gemälde handelt es sich um eine von Rudolf Mosse direkt bei Uhde beauftragte kleinere Variante des Gemäldes „Der Gang nach Bethlehem“, das sich heute in der Königlichen Neuen Pinakothek in München befindet.
→ Die Überprüfung der zum Teil auf dem Kopf stehenden Aufkleber und der handschriftlichen Vermerke war mitentscheidend bei der Spurensuche der Provenienzforscher nach den Vorbesitzern des Gemäldes Hans von Marées „Die Labung“.
Mit dem „Gang nach Bethlehem“ konnte ein weiteres wichtiges Gemälde restituiert und anschließend vom Landesmuseum zurückgekauft werden. Dies war auch drei Jahre zuvor bei dem Ölgemälde „Die Labung“ von Hans von Marées gelungen. Das Bild gelangte ebenfalls über die Schenkung des Ehepaars Klein 1980 in den Besitz des Landesmuseums. Im Zuge der Provenienzforschung wurde das Werk als unrechtmäßig seinen ursprünglichen Besitzern entzogen identifiziert. Daher wandte sich das Land Hessen an die Erben von Max Silberberg, dem vormaligen Besitzer, um ihnen das Bild zurückzugeben. In der Hoffnung,
das kostbare Werk für die Sammlung bewahren zu können, bot das Museum den Erben Max Silberbergs einen Rückkauf an – ein Angebot, das diese in Anerkennung der Verdienste des Museums um eine konsequente Herkunftsforschung und Restitutionspolitik im Frühsommer 2014 auch annahmen.
→ Die „Wende“ ist geschafft – „Labung“ von Hans von Marées jetzt in rechtmäßigem Besitz des Museums Wiesbaden; Minister Rhein und Direktor Klar hängen das Gemälde fachmännisch auf
Das Timing war damals optimal: Kurz bevor in Deutschland der 25. Jahrestag des Mauerfalls und damit der politischen Wende gedacht wurde, konnte das Museum Wiesbaden den erfolgreichen Abschluss der Kampagne „Wiesbaden schafft die Wende!“ im kulturellen Bereich feiern. In einer vorbildlichen Aktion, die es bisher in Hessens Landeshauptstadt noch nie gegeben hatte, gelang es innerhalb von sieben Wochen, dank finanzkräftiger Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Freunde des Museums Wiesbaden und vieler Privatspenden von Bürgern den Betrag von 200.000 Euro für den Ankauf des Gemäldes aufzubringen. Ohne diese Aktion, die auch weltweit Aufmerksamkeit erlangte, wäre es nicht möglich gewesen, dieses sammlungsrelevante Spätwerk Marées (Elberfeld 1837 – 1887 Rom) aus dem Museumsetat zu erwerben.
Während der Zeit der Spendenaktion hing „Die Labung“ spektakulär mit der Vorderseite zur Wand und die Besucher konnten nur die bloße Rückseite sehen. Als die notwendige Kaufsumme beisammen war, konnten Minister Rhein, der Schirmherr der Kampagne, und Direktor Klar das Gemälde feierlich wenden und aufhängen.
Hans von Marées „Die Labung“, Tempera und Öl auf Pappelholz, 1879/80, 64 x 65 cm; Museum Wiesbaden
Bei dieser symbolischen Wende-Aktion gab Rhein die Einrichtung der neuen „Zentralen Stelle für Provenienzforschung in Hessen“ bekannt und stellte die zwei Wissenschaftlerinnen Miriam Merz du Ulrike Schmiegelt-Rietig vor. Ziel sei es, die jetzt schon vorbildlichen Maßnahmen für die Suche nach NS-Raubgut in Hessen nachhaltig zu verstärken und verfolgungsbedingt entzogene Kunstgegenstände ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Die Zentralstelle, die im Januar 2015 die Arbeit aufgenommen hat, ist beim Museum Wiesbaden angesiedelt, aber auch für die Landesmuseen in Darmstadt und Kassel zuständig.
Das Landesmuseum Wiesbaden widmet sich bereits seit 2009 intensiv der Suche nach Raubkunst, hat seitdem auch schon eine Reihe von Arbeiten restituiert, benötigte aber dringend personelle Verstärkung. Denn im Zuge dieser akribischen und daher zeitraubenden Nachforschungen hatte sich herausgestellt, dass sich etliche Werke mit dubioser Herkunftsgeschichte im Sammlungsbestand befinden. Das ist in erster Linie Prof. Hermann Voss zuzuschreiben, der von 1935 bis 1945 die Städtische Kunstsammlung am Nassauischen Landesmuseum in Wiesbaden leitete, das nach dem Krieg in Museum Wiesbaden umbenannt wurde.
Ab 1943 war Museumsdirektor Voss parallel dazu als von Joseph Goebbels im Auftrag Hitlers ernannter Sonderbeauftragter tätig, der die Kunstsammlung des gigantisch geplanten „Führermuseums“ in Linz aufbauen sollte. Außerdem war der bestens vernetzte Voss noch Kunstsachverständiger des Wiesbadener Polizeipräsidenten. Er begutachtete und taxierte in dieser Funktion beschlagnahmte jüdische Kunstsammlungen. Durch seine hervorragenden Kontakte zu den einschlägigen NS-Institutionen konnte er sich in vielen Fällen das „Vorkaufsrecht“ sichern und zu günstigen Konditionen den Bestand der Wiesbadener Galerie aufstocken. Unter seiner Leitung wurden über 200 Werke erworben, darunter auch hochkarätige Barockgemälde. All seine Erwerbungen werden, soweit das noch nicht geschehen ist, auf ihre rechtmäßige Provenienz hin untersucht, da vermutlich wohl weitere Gemälde unrechtmäßig aus jüdischem Besitz in das Museum gelangt sein könnten. Das ist eine Mammutaufgabe für die Mitarbeiterinnen der Zentralstelle für Provenienzforschung in Hessen und für den Leiter der Herkunftsforschung am Museum Wiesbaden Peter Forster, zumal auch bei später in die Sammlungen gekommenen Werke, wie beispielsweise die Schenkung des Ehepaars Klein zeigt, die Herkunftsgeschichte nicht immer einwandfrei geklärt ist.